Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.261/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_261/2013

Urteil vom 11. September 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied, Bundesrichter Eusebio,
Chaix,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Otmar Kurath,

gegen

Staatsanwaltschaft Kreuzlingen, Hauptstrasse 5, 8280 Kreuzlingen.

Gegenstand
Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 26. Juni 2013 des Obergerichts des Kantons
Thurgau.

Sachverhalt:

A. 
Die Staatsanwaltschaft Kreuzlingen führt eine Strafuntersuchung gegen den
türkischen Staatsangehörigen X.________ wegen des Verdachts der Mittäterschaft
bei einer vorsätzlichen Tötung und der qualifizierten Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz.

 Am 3. Juli 2012 nahm ihn die Polizei fest. Am 5. Juli 2012 versetzte ihn das
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Thurgau in Untersuchungshaft. Diese wurde
in der Folge aufrechterhalten.

 Am 4. April 2013 verlängerte das Zwangsmassnahmengericht die Haft um 6 Monate,
d.h. bis zum 3. Oktober 2013.

 Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des
Kantons Thurgau am 26. Juni 2013 ab. Es bejahte den dringenden Tatverdacht und
Kollusionsgefahr. Ob zusätzlich Fluchtgefahr gegeben sei, liess es offen.

B. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des
Obergerichts sei aufzuheben. Er sei unter Anordnung von Ersatzmassnahmen
unverzüglich freizulassen. Es sei festzustellen, dass seine Inhaftierung seit
dem 4. April 2013 widerrechtlich sei.

C. 
Das Obergericht beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die Abweisung der
Beschwerde.

 Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Beschwerde abzuweisen.

 X.________ hat dazu Stellung genommen. Er hält an seinen Anträgen fest.

Erwägungen:

1. 
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.

 Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist
somit nach Art. 80 BGG zulässig.

 Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur
Beschwerde befugt.

 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1. Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungshaft zulässig, wenn die
beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist
und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie Personen beeinflusst oder auf
Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (lit. b).

 Der Beschwerdeführer stellt den dringenden Tatverdacht nicht in Abrede. Er
macht geltend, es fehle an der Kollusionsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. b
StPO.

2.2. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass die
beschuldigte Person die Freiheit dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue
Abklärung des Sachverhalts zu vereiteln oder zu gefährden. Konkrete
Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung
namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Beschuldigten im
Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen
Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie aus den
persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen. Bei der
Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des
Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der
von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der
untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen (BGE
137 IV 122 E. 4.2 S. 127 f. mit Hinweis).

2.3. Der Beschwerdeführer steht unter dem dringenden Verdacht, sich in
Mittäterschaft mit weiteren Beschuldigten der vorsätzlichen Tötung schuldig
gemacht zu haben. Es wird ihm vorgeworfen, er habe sich im Zeitpunkt der Tötung
am Tatort, jedenfalls im Innern des Hauses, in dem das Opfer umgebracht wurde,
aufgehalten. Er habe während oder unmittelbar nach der Tötung eine im Haus
befindliche Tasche, welche eine grosse Menge Heroin enthalten habe, an sich
genommen, wozu er allenfalls sogar über das Opfer habe steigen müssen. Weitere
von der Täterschaft im Haus des Opfers behändigte Gegenstände habe er
vorübergehend in seiner Wohnung aufbewahrt, zum Teil behalten und zum Teil
entsorgt. Ausserdem wird ihm zur Last gelegt, mit grossen Mengen harter Drogen
gehandelt zu haben.

 Es geht demnach um sehr schwere Straftaten. Entsprechend besteht an einer von
Verdunkelungshandlungen freien Sachverhaltsermittlung ein erhöhtes öffentliches
Interesse.

 Die Staatsanwaltschaft wird nach ihren Darlegungen gegen den Beschwerdeführer
eine Freiheitsstrafe von mindestens 8 Jahren beantragen. Er muss somit eine
einschneidende Strafe gewärtigen. Der Anreiz für Kollusionshandlungen ist damit
beträchtlich.

 Der Beschwerdeführer war, wie er zugibt, daran beteiligt, Gegenstände, welche
die Täterschaft aus dem Haus des Opfers mitnahm, zu verstecken und zu
beseitigen. Er hat also bereits Verdunkelungshandlungen vorgenommen. Dies
spricht für Kollusionsgefahr.

 Dasselbe gilt für Aussagen, wonach der Beschwerdeführer im Drogenmilieu unter
einem anderen Namen aufgetreten ist.

 Ein Indiz dafür, dass bei ihm nicht nur mit der Androhung, sondern
gegebenenfalls auch mit der Anwendung von Gewalt gerechnet werden muss, stellt
nebst dem Tatvorwurf das Verhalten eines Schweizer Zeugen dar. Dieser hatte vor
seiner Einvernahme am 7. Dezember 2012 solche Angst, dass er polizeilich zu ihr
begleitet werden musste. An der Einvernahme wand er sich unter Weinkrämpfen am
Boden und versuchte, sein Gesicht vor den anwesenden Beschuldigten, unter
anderem dem Beschwerdeführer, zu verbergen. Auf die Frage nach den Gründen für
sein Verhalten gab der Zeuge an, er habe Angst auszusagen; in 15 Jahren, wenn
die (gemeint: die Beschuldigten) raus kämen, müsse er das Land verlassen, wenn
er noch alt werden wolle.

 Für Kollusionsgefahr spricht überdies Folgendes: Der Beschwerdeführer hatte
gemäss Steuerbescheinigung weder Einkommen noch Vermögen. Er bezog
Ergänzungsleistungen der Invalidenversicherung. Trotzdem fuhr er einen "Audi
A6" und war er in der Lage, ca. Fr. 30'000.-- in die Türkei zu überweisen. Dies
lässt darauf schliessen, dass er gegenüber den Behörden seine wahren
Vermögensverhältnisse verschleiert hat.

 Zwei der Mittäterschaft an der Tötung Beschuldigte sind noch flüchtig. Es muss
davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer weiss, wie er mit diesen in
Kontakt treten könnte. Zudem steht noch die Einvernahme eines wichtigen Zeugen
aus.

 Schon mit Blick darauf hält es unter den gegebenen Umständen vor Bundesrecht
stand, wenn die Vorinstanz Kollusionsgefahr bejaht hat. Ob es, wie die
Staatsanwaltschaft annimmt, dem Beschwerdeführer in Freiheit möglich wäre, mit
den inhaftierten Mitbeschuldigten, insbesondere jenem in Deutschland, aufgrund
ihres Haftregimes in Verbindung zu treten, kann dahingestellt bleiben.

 Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt unbegründet.

3. 
Der Beschwerdeführer bringt vor, Ersatzmassnahmen reichten aus.

 Das von ihm vorgeschlagene Electronic-Monitoring und die Ausweis- und
Schriftensperre sind von vornherein ungeeignet, der Kollusionsgefahr
entgegenzuwirken. Diese Ersatzmassnahmen sind auf die Bannung von Fluchtgefahr
zugeschnitten. Ein Kontaktverbot und die Überwachung der Kommunikation bzw. die
Versiegelung der Computer- und Telefonanschlüsse der Familie des
Beschwerdeführers können ebenso wenig als tauglich angesehen werden. Dass sich
der Beschwerdeführer an ein Kontaktverbot halten würde, kann unter den (E. 2.3)
dargelegten Umständen nicht angenommen werden. Zudem wäre es für ihn ein
Leichtes, sich ein von der Überwachung bzw. Versiegelung nicht erfasstes
Kommunikationsmittel zu beschaffen und damit andere zu kontaktieren.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Haftverlängerung um 6 Monate sei
bundesrechtswidrig.

4.2. Gemäss Art. 227 Abs. 7 StPO wird die Verlängerung der Untersuchungshaft
jeweils für längstens 3 Monate, in Ausnahmefällen für längstens 6 Monate
bewilligt.

 Ausnahmefälle, bei denen sich die Verlängerung der Untersuchungshaft um 6
Monate rechtfertigt, können etwa gegeben sein in Verfahren wegen komplexer
Tötungsdelikte oder bei langwierigen Erhebungen mittels Rechtshilfe ( NIKLAUS
SCHMID, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 2009, N. 14 zu
Art. 227 StPO; MARKUS HUG, in Andreas Donatsch und andere [Hrsg.], Kommentar
zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2010, N. 15 zu Art. 227 StPO).

4.3. Die vorliegende Strafuntersuchung ist aufwendig und komplex. Die
Staatsanwaltschaft führt nicht nur Ermittlungen wegen des Tötungsdelikts, das
offenbar mit Drogenhandel in grossem Ausmass und gewerbsmässigem
Menschenschmuggel in Zusammenhang steht, sondern auch wegen weiterer teilweise
schwerer Straftaten, die den inzwischen 15 Beschuldigten angelastet werden.
Dabei geht es nebst qualifizierter Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz auch um gewerbsmässige räuberische Erpressung. Ca. 100
Telefonanschlüsse wurden überwacht. Untersuchungen sind nicht nur im Kanton
Thurgau, sondern auch in anderen Kantonen und im Ausland im Gang. Die
Staatsanwaltschaft musste mehrere Staaten (Türkei, Serbien, Deutschland) um
Rechtshilfe ersuchen. Die Beschuldigten ändern häufig ihre Aussagen, was die
Untersuchung zusätzlich kompliziert. Die Kantonspolizei richtete eine
Sonderkommission ein. Zwei Staatsanwälte befassen sich mit der Angelegenheit.
Zudem wurde eigens dafür ein juristischer Sachbearbeiter eingesetzt.

 Angesichts des Umfangs und der Komplexität der Untersuchung hält es vor
Bundesrecht stand, wenn die Vorinstanz einen Ausnahmefall bejaht und die
Verlängerung der Haft um 6 Monate als zulässig beurteilt hat.

 Dass Überhaft drohe, macht der Beschwerdeführer nicht geltend und ist nicht
ersichtlich.

5. 
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.

 Der Beschwerdeführer befindet sich seit über einem Jahr in Haft. Seine
Mittellosigkeit kann daher angenommen werden. Da die Untersuchungshaft einen
schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur
Beschwerde veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
nach Art. 64 BGG wird deshalb bewilligt. Es werden keine Kosten erhoben und dem
Vertreter des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Otmar Kurath, wird aus der
Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Kreuzlingen und
dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. September 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Aemisegger

Der Gerichtsschreiber: Härri

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