Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.258/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_258/2013

Urteil vom 26. August 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Andreas Edelmann,

gegen

Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach, Wildischachenstrasse 14, 5200 Brugg.

Gegenstand
Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 27. Juni 2013 des Obergerichts des Kantons
Aargau, Strafgericht, 1. Kammer.

Sachverhalt:

A.
X.________ wurde am 13. Juli 2011 von den Strafverfolgungsbehörden des Kantons
Aargau in Untersuchungshaft genommen. Am 20. Dezember 2012 wurde die seither
andauernde Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft bis zum 12. April 2013
verlängert.

 Am 21. März 2013 wurde X.________ vom Obergericht des Kantons Aargau wegen
strafbarer Vorbereitungshandlungen zu Raub, versuchter schwerer
Körperverletzung, einfacher Köperverletzung etc. zu sieben Jahren
Freiheitsstrafe und 300 Franken Busse verurteilt.

 Nachdem das Bundesgericht auf das im Zusammenhang mit der Anfechtung seiner
Verurteilung durch das Obergericht gestellte Haftentlassungsgesuch nicht
eingetreten war (Verfügung 6B_466/2013 vom 3. Juni 2013), stellte X.________ am
19. Juni 2013 beim Obergericht ein Haftentlassungsgesuch. Darin machte er
geltend, die Sicherheitshaft gegen ihn sei letztmals bis zum 12. April 2013
verlängert worden, weshalb er sich zurzeit ohne Rechtsgrundlage in Haft
befinde. Dies sei richterlich festzustellen, und er sei dementsprechend
unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

 Das Obergericht wies das Haftentlassungsgesuch am 27. Juni 2013 ab
(Dispositiv-Ziffer 1), beschloss, X.________ habe mindestens bis zum Entscheid
des Bundesgerichts im Beschwerdeverfahren 6B_466/2013 in Haft zu bleiben
(Dispositiv-Ziffer 2), auferlegte ihm die Verfahrenskosten (Dispositiv-Ziffer
3), wies die Obergerichtskasse an, dem amtlichen Verteidiger eine auf Fr.
300.-- festgesetzte Entschädigung auszurichten (Dispositiv-Ziffer 4 Abs. 1) und
legte fest, der Verurteilte habe diesen Betrag zurückzuzahlen, sobald seine
wirtschaftlichen Verhältnisse es ihm erlaubten (Dispositiv-Ziffer 4 Abs. 2).

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, die Ziffern 3 und 4 Abs. 2
dieses obergerichtlichen Beschlusses aufzuheben und festzustellen, dass er
zwischen dem 12. April 2013 und dem 27. Juni 2013 unrechtmässig inhaftiert
gewesen sei. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung.

C.
Das Obergericht verzichtet unter Hinweis auf den angefochtenen Beschluss auf
Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach verzichtet unter Verweis
auf ihre Stellungnahme im Verfahren 6B_466/2013 auf weitere Vernehmlassung.

 In seiner Replik hält X.________ an der Beschwerde fest.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Haftentscheid des Obergerichts.
Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Die
Beschwerde richtet sich allerdings nicht gegen die Fortführung der Haft; der
Beschwerdeführer macht nur geltend, er sei zeitweise ohne rechtsgültige
Grundlage inhaftiert gewesen. Er habe dies gerügt, womit das Obergericht
verpflichtet gewesen wäre, die zeitweise Unrechtmässigkeit seiner Haft im
Dispositiv richterlich festzustellen. Das Obergericht habe dies unterlassen und
die Haftbeschwerde abgewiesen mit der Begründung, materiell sei die Fortführung
der Haft rechtens. Damit wirft der Beschwerdeführer dem Obergericht sinngemäss
eine formelle Rechtsverweigerung vor. Dazu ist er befugt, hat er doch ein
aktuelles Rechtsschutzinteresse an der richterlichen Feststellung, zeitweise
unrechtmässig in Haft gehalten worden zu sein (Art. 81 Abs. 1 BGG; BGE 136 I
274). Er macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art.
95 lit. a BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen
Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten werden kann.

2.

2.1. Die Verletzung von Verfahrensvorschriften über die Untersuchungshaft, etwa
des Beschleunigungsgebots oder der Fortführung der Haft unter Missachtung von
Art. 227 StPO, kann nach der Rechtsprechung durch eine entsprechende
richterliche Feststellung im Dispositiv, eine teilweise Gutheissung der
Beschwerde in diesem Punkt und die Verurteilung des Staates zur Tragung der
Gerichtskosten geheilt werden (BGE 139 IV 94 E. 2.4; 137 IV 118 E. 2.2; 92 E.
3.1; 136 I 274 E. 2.3; Urteil 1B_683/2011 vom 5. Januar 2012 E. 2.2.1).

2.2. Das Obergericht hat die Haftentlassung des Beschwerdeführers abgelehnt mit
der Begründung, die materiellen Anforderungen an die Anordnung von
Sicherheitshaft seien nach wie vor erfüllt, weshalb selbst das allfällige
Fehlen eines gültigen Hafttitels während eines gewissen Zeitraums für sich
alleine eine Haftentlassung nicht rechtfertigen könnte. Das trifft nach den
Ausführungen in E. 2.1. zwar zu und wird vom Beschwerdeführer auch nicht
bestritten. Das ändert aber nichts daran, das das Obergericht das vom
Beschwerdeführer gerügte zeitweise Fehlen eines aktuellen Haftbefehls hätte
prüfen und gegebenenfalls entsprechend sanktionieren müssen, wenn nicht durch
eine Haftentlassung, wie sie der Beschwerdeführer verlangte, so doch, weniger
weit gehend, durch eine richterliche Feststellung sowie eine teilweise
Gutheissung der Beschwerde in diesem Punkt mit den entsprechenden Kostenfolgen
zu Lasten des Staates. Das Obergericht hat sich eine Rechtsverweigerung
zuschulden kommen lassen, in dem es diese Rüge unbeurteilt liess. Dass der
Beschwerdeführer wohl versehentlich die Aufhebung von Dispositiv-Ziffer 1 des
angefochtenen Entscheids nicht beantragt, schadet ihm nicht, da er in der
Begründung der Eingabe die vollumfängliche Abweisung seiner Beschwerde durch
das Obergericht ausdrücklich beanstandet.

2.3. Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht, reformatorisch zu
entscheiden und die Sache nicht an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das
rechtfertigt sich indessen nicht, da die Frage aufgrund der dem Bundesgericht
zur Verfügung stehenden Verfahrensakten nicht liquid ist. Das Obergericht geht
zwar offenbar selber davon aus, dass die gegen den Beschwerdeführer bewilligte
Haft am 12. April 2013 abgelaufen und nicht rechtzeitig erneuert worden war.
Die Staatsanwaltschaft macht demgegenüber geltend, das Obergericht habe die
Sicherheitshaft am 12. April 2013 um drei Monate verlängert (S. 2 Ziff. 2 ihrer
Stellungnahme vom 30. Mai 2013 im Verfahren 6B_466/2013, sodass die
Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung des Beschwerdeführers in zeitlicher
Hinsicht wohl lückenlos wäre. Es ist nicht Aufgabe des Bundesgerichts, dies
erstinstanzlich abzuklären.

3.
Die Beschwerde ist somit gutzuheissen, die Dispositiv-Ziffern 1, 3 und 4 Abs. 2
des angefochtenen Entscheids aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung im
Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4
BGG), und der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und
2 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, die Dispositiv-Ziffern 1, 3 und 4 Abs. 2 des
angefochtenen Entscheids des Obergerichts des Kantons Aargau vom 27. Juni 2013
aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr.
1'500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach
und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 26. August 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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