Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.245/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_245/2013

Urteil vom 14. August 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger,

gegen

Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm,
Untere Grabenstrasse 32, 4800 Zofingen,
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, Bahnhofplatz/Untere Grabenstrasse
30
4800 Zofingen.

Gegenstand
Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 24. Juni 2013
des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt ein Strafverfahren gegen X.________
wegen des Verdachts des In-Umlauf-Setzens falschen Geldes, des Raubs, der
mehrfachen Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs, des gewerbsmässigen
Diebstahls, des mehrfachen Erschleichens einer Leistung, der mehrfachen
Urkundenfälschung und der mehrfachen falschen Anschuldigung.

Am 22. September 2012 wurde er festgenommen. Mit Verfügung vom 24. September
2012 versetzte ihn das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau in
Untersuchungshaft, welche in der Folge aufrechterhalten wurde.

B.
Am 6. Mai 2013 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage beim Bezirksgericht
Zofingen. Gleichentags beantragte sie dem Zwangsmassnahmengericht die Anordnung
von Sicherheitshaft für die vorläufige Dauer von drei Monaten.

Mit Verfügung vom 14. Mai 2013 ordnete das Zwangsmassnahmengericht
Sicherheitshaft bis zum 6. August 2013 an.

Die von X.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons
Aargau (Beschwerdekammer in Strafsachen) am 24. Juni 2013 ab. Es bejahte den
dringenden Tatverdacht und Wiederholungsgefahr. Die Dauer der Haft beurteilt es
als verhältnismässig. Mildere Ersatzmassnahmen erachtete es als untauglich.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Entscheid des
Obergerichts sei aufzuheben; er sei sofort aus der Haft zu entlassen. Eventuell
sei er unter Anordnung einer Ersatzmassnahme (engmaschige tägliche ärztliche
Kontrollen beim Bezirksarzt) aus der Haft zu entlassen.

D.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft haben auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

Das Zwangsmassnahmengericht hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.

Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit
nach Art. 80 BGG zulässig.

Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur
Beschwerde befugt.

Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf
die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1. Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO sind Untersuchungs- und Sicherheitshaft
zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens
dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere
Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem
sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (lit. c).

Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Er macht
geltend, es fehle an der Wiederholungsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO.

2.2. Nach der Rechtsprechung kann die Anordnung bzw. Fortsetzung von
Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr dem Verfahrensziel der
Beschleunigung dienen, indem verhindert wird, dass sich der Strafprozess durch
immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des
Interesses an der Verhütung weiterer schwerwiegender Delikte ist nicht
verfassungs- und grundrechtswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c
EMRK ausdrücklich die Notwendigkeit, Beschuldigte an der Begehung strafbarer
Handlungen zu hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund (BGE 137 IV 84 E.
3.2 S. 85; 135 I 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen). Die Aufrechterhaltung von
Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist zulässig, wenn einerseits die
Rückfallprognose sehr ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte von
schwerer Natur sind. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer
Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt
werden, reichen dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen (BGE 135
I 71 E. 2.3 S. 73 mit Hinweisen).
Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist entgegen dem deutschsprachigen Gesetzeswortlaut
dahin auszulegen, dass "Verbrechen oder schwere Vergehen" drohen müssen (BGE
137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.).

Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO verlangt, dass die beschuldigte Person bereits
früher gleichartige Vortaten verübt hat. Auch bei den Vortaten muss es sich um
Verbrechen oder schwere Vergehen gegen gleiche oder gleichartige Rechtsgüter
gehandelt haben. Die früher begangenen Straftaten können sich aus rechtskräftig
abgeschlossenen Strafverfahren ergeben. Sie können jedoch auch Gegenstand eines
noch hängigen Strafverfahrens bilden, in dem sich die Frage der Untersuchungs-
und Sicherheitshaft stellt. Das Gesetz spricht von verübten Straftaten und
nicht bloss einem Verdacht, so dass dieser Haftgrund nur bejaht werden kann,
wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die
beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat. Neben einer rechtskräftigen
Verurteilung gilt der Nachweis auch bei einem glaubhaften Geständnis oder einer
erdrückenden Beweislage als erbracht (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 86 mit
Hinweisen).

In besonders schweren Fällen kommt bei ernsthafter und konkreter Gefahr für die
öffentliche Sicherheit die Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr auch
ohne frühere gleichartige Straftaten in Betracht (BGE 137 IV 13).

2.3. Der Beschwerdeführer ist mehrfach insbesondere wegen Einbruchdiebstählen
vorbestraft. Dabei handelt es sich um Verbrechen (Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Art.
10 Abs. 2 StGB). Im jetzigen Verfahren wird ihm erneut ein Einbruchdiebstahl
zur Last gelegt, überdies ein Raub. Letzteren gesteht er grundsätzlich ein. Den
Einbruchdiebstahl bestreitet er dagegen. Im Gebäude, in welches der Täter
einbrach, wurde jedoch ein von diesem mitgeführter Hammer gefunden, auf dem
eine DNA-Spur des Beschwerdeführers festgestellt wurde. Ob insoweit von einer
erdrückenden Beweislage gesprochen werden kann und dem Beschwerdeführer daher
auch der nunmehr zur Anklage gebrachte Einbruchdiebstahl als Vortat zuzurechnen
ist, kann dahingestellt bleiben. Als Vortaten gelten jedenfalls die bereits
rechtskräftig abgeurteilten Einbruchdiebstähle und der grundsätzlich
eingestandene Raub. Am 27. Mai 2013 wurde ein psychiatrisches Gutachten über
den Beschwerdeführer erstellt. Der Gutachter diagnostiziert für den Zeitpunkt
der dem Beschwerdeführer neu vorgeworfenen Taten ein Abhängigkeitssyndrom von
multiplen psychotropen Substanzen (Benzodiazepine, Methadon, Cannabis und
Alkohol) mit ständigem Gebrauch (S. 31). Aufgrund des langjährigen Drogen- und
Alkoholkonsums schliesst der Gutachter eine Persönlichkeits- und
Verhaltensstörung nicht aus (S. 33). Ohne suchtspezifische Behandlung und
geregelte Tagesstruktur sei die Gefahr, dass der Beschwerdeführer erneut
Straftaten begehen werde, "sehr gross". Der Beschwerdeführer sei seit mehreren
Jahren rückfällig. Bei einem Rückfall sei wieder mit Straftaten im Zusammenhang
mit dem Konsum, Erwerb und eventuell Verkauf von Drogen zu rechnen (S. 37). Der
Beschwerdeführer ist, wie er im Zusammenhang mit dem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege selber darlegt, Sozialhilfeempfänger. Er befindet sich somit in
schwierigen finanziellen Verhältnissen. Dies erhöht die Gefahr, dass er bei
einer Haftentlassung erneut Vermögensdelikte begehen würde. Dass bei ihm nicht
nur mit Diebstählen, insbesondere Einbruchdiebstählen, sondern gegebenenfalls
auch zumindest mit der Androhung schwerer Gewalt zu rechnen ist, zeigt der ihm
vorgeworfene Raub, bei dem er die Opfer mit einem Messer in Angst und Schrecken
versetzte. Dafür, dass die Gefahr zumindest der Androhung von Gewalt durch den
Beschwerdeführer besteht, spricht auch seine Vorstrafe unter anderem wegen
Nötigung und Widerhandlung gegen das Waffengesetz. Die Verbüssung einer
mehrmonatigen Freiheitsstrafe hat ihn im Übrigen ebenso wenig vor einer neuen
Tatbegehung bewahrt wie eine bereits erstandene Untersuchungshaft.

Würdigt man dies gesamthaft, sind erhebliche Anhaltspunkte dafür gegeben, dass
der Beschwerdeführer bei einer Haftentlassung wiederum rückfällig würde. Die zu
befürchtenden Delikte sind nicht geringfügig. Wenn die Vorinstanz
Wiederholungsgefahr bejaht hat, verletzt das daher jedenfalls im Ergebnis kein
Bundesrecht. Ob, wie die Vorinstanz unter Hinweis auf BGE 137 IV 13 annimmt,
hier auf das Vortatenerfordernis verzichtet werden könnte, kann nach dem
Gesagten offen bleiben.

Der vorliegende Fall ist weitgehend vergleichbar mit jenem, der dem Urteil
1B_103/2013 vom 27. März 2013 zugrunde liegt. Dort bejahte das Bundesgericht
die Wiederholungsgefahr ebenso (E. 6.3 f.).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, mildere Ersatzmassnahmen reichten zur
Bannung der Wiederholungsgefahr jedenfalls aus. Die Vorinstanz habe ihren
Entscheid insoweit unzureichend begründet und damit seinen Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt.

3.2. Die Vorinstanz erwägt, angesichts der gutachterlich diagnostizierten sehr
grossen Rückfallgefahr könnten auch engmaschige ärztliche Kontrollen keine
geeignete Ersatzmassnahme darstellen. Weitere taugliche Ersatzmassnahmen seien
nicht ersichtlich (E. 5.2 am Schluss).

Damit hat die Vorinstanz zwar knapp, aber hinreichend dargelegt, weshalb sie
die Haftentlassung unter Anordnung milderer Ersatzmassnahmen abgelehnt hat.
Eine Verletzung ihrer Begründungspflicht und damit des Anspruchs des
Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör ist zu verneinen.

In der Sache ist die Auffassung der Vorinstanz nicht zu beanstanden. Da die
Rückfallgefahr als sehr gross einzustufen ist, hält es vor Bundesrecht stand,
wenn die Vorinstanz angenommen hat, sie lasse sich mit Ersatzmassnahmen -
insbesondere engmaschigen ärztlichen Kontrollen - nicht genügend bannen.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen.

Die Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist gegeben. Da die Haft einen schweren
Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur Beschwerde
veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art.
64 BGG wird daher bewilligt. Es werden keine Kosten erhoben und dem Vertreter
des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Franz Hollinger, wird aus der
Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'00 0.-- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm
sowie dem Zwangsmassnahmengericht und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. August 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri

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