Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.239/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_239/2013

Urteil vom 12. November 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach, Wildischachenstrasse 14, 5200 Brugg,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
vertreten durch Advokat Alain Joset,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Entsiegelung,

Beschwerde gegen die Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts des Kantons Aargau
vom 2. Juli 2013.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach führt ein Strafverfahren gegen X._______
wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung und weiterer Delikte.
Mit Verfügung vom 30. April 2013 verlangte sie vom Provider von X._______ die
Herausgabe insbesondere dessen gesamten E-Mail-Verkehrs. Dem kam der Provider
nach.
Auf Antrag von X.________ hin versiegelte die Staatsanwaltschaft von diesem im
Einzelnen bezeichnete Mails.
Am 25. Juni 2013 beantragte die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht
des Kantons Aargau die Entsiegelung.
Mit Verfügung vom 2. Juli 2013 trat das Zwangsmassnahmengericht darauf nicht
ein. Es befand, es dürfe nur über die Entsiegelung entscheiden, nachdem die
entsprechenden Aufzeichnungen auf Antrag der berechtigten Person durch die
Strafbehörden versiegelt worden seien. Im vorliegenden Fall sei die
Rechtzeitigkeit des Siegelungsantrags bzw. die Rechtmässigkeit der Siegelung
fraglich. Die Staatsanwaltschaft habe X.________ dazu eine beschwerdefähige
Verfügung zukommen zu lassen. Erst wenn über die Frage der Siegelung
rechtskräftig entschieden worden sei, könne das Zwangsmassnahmengericht über
eine Entsiegelung entscheiden.

B.
Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die
Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts sei aufzuheben und die Sache zur
Entsiegelung an dieses zurückzuweisen.

C.
Das Zwangsmassnahmengericht hat Gegenbemerkungen eingereicht. Es beantragt, es
sei die Nichtigkeit der Siegelung festzustellen. Eventualiter sei die
Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.
X.________ hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, auf die Beschwerde sei
nicht einzutreten.

Erwägungen:

1.

1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die
Beschwerde in Strafsachen gegeben.

1.2.

1.2.1. Der angefochtene Entscheid stellt unstreitig einen Zwischenentscheid
dar. Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde zulässig: a. wenn er einen
nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann oder b. wenn die Gutheissung
der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen
bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren
ersparen würde.
Diese Voraussetzungen sollen das Bundesgericht entlasten. Sie sollen
sicherstellen, dass es sich möglichst nur einmal mit einer Sache befassen muss
(BGE 135 II 30 E. 1.3.2 S. 34). Sie sind deshalb strikt zu handhaben (Urteil
1B_269/2013 vom 9. Oktober 2013 E. 3).
Die Variante nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ausser Betracht.
Nach der Rechtsprechung muss es sich beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil
gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG im Bereich der Beschwerde in Strafsachen um
einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor,
wenn er auch durch einen für den Betroffenen günstigen künftigen Entscheid
nicht mehr gänzlich behoben werden könnte. Ein bloss tatsächlicher Nachteil wie
die Verlängerung oder Verteuerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 137 III 324
E. 1.1 S. 328; 136 IV 92 E. 4 S. 95; je mit Hinweisen).

1.2.2. Kommt die Beschwerdeführerin in einem rechtskräftigen Entscheid zum
Schluss, der Siegelungsantrag sei rechtzeitig gestellt worden und die Siegelung
rechtmässig erfolgt, kann sie die Vorinstanz erneut um Entsiegelung ersuchen.
Darauf hat die Vorinstanz aufgrund der Erwägungen im angefochtenen Entscheid
einzutreten. Dies führt zu einer Verlängerung des Verfahrens. Darin liegt nach
der dargelegten Rechtsprechung lediglich ein Nachteil tatsächlicher Natur.
Kommt die Beschwerdeführerin in einem rechtskräftigen Entscheid dagegen zum
Schluss, der Siegelungsantrag sei verspätet gestellt worden und keine
rechtmässige Siegelung erfolgt, kann sie die betreffenden Mails ohne
richterlichen Entscheid verwenden. Insoweit erwächst ihr kein Nachteil.
Ein Nachteil rechtlicher Natur ist damit weder ersichtlich noch dargetan. Auf
die Beschwerde kann deshalb nicht eingetreten werden.

2.
Die Vorinstanz vertritt in der Vernehmlassung die Auffassung, die Siegelung sei
nichtig, da die Beschwerdeführerin die in Frage stehenden Aufzeichnungen
bereits ausgewertet habe.
Nach der Rechtsprechung sind fehlerhafte Entscheide nichtig, wenn der ihnen
anhaftende Mangel besonders schwer ist, wenn er offensichtlich oder zumindest
leicht erkennbar ist und wenn zudem die Rechtssicherheit durch die Annahme der
Nichtigkeit nicht ernsthaft gefährdet wird. Inhaltliche Mängel einer
Entscheidung führen nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit. Als Nichtigkeitsgründe
fallen vorab funktionelle und sachliche Unzuständigkeit der entscheidenden
Behörde sowie krasse Verfahrensfehler in Betracht. Die Nichtigkeit eines
Entscheids ist von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden jederzeit von Amtes
wegen zu beachten (BGE 138 II 501 E. 3.1 S. 503 mit Hinweisen).
Die Beschwerdeführerin stellte am 12. Juni 2013 dem Beschwerdegegner auf dessen
Verlangen hin Kopien sämtlicher E-Mails zu, die für das Strafverfahren
bedeutsam sein konnten. Sie sonderte vorher sämtliche Spam-Mails und ein E-Mail
aus, das der Verteidiger dem Beschwerdegegner geschickt hatte. Wie sich aus der
Beschwerde (S. 5/6) ergibt, hat die Beschwerdeführerin insoweit offenbar die
Mails nicht im Detail ausgewertet, sondern grob gesichtet. Dies ist in einem
Fall wie hier, wo eine grosse Zahl von Aufzeichnungen (6'000) beschlagnahmt
wurde, zulässig (Urteil 1B_200/2007 vom 15. Januar 2008 E. 2.6 mit Hinweis;
NIKLAUS SCHMID, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl. 2013,
S. 464 N. 1077).
Der Siegelung haftet somit kein besonders schwerer und offensichtlicher Mangel
an. Sie ist nicht nichtig.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 4 BGG). Der Kanton hat dem Vertreter des Beschwerdegegners eine
Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung ist damit gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Aargau hat dem Vertreter des Beschwerdegegners, Advokat Alain Joset,
eine Entschädigung von Fr. 500.-- zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons
Aargau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. November 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri

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