Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.159/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_159/2013

Urteil vom 6. Mai 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch
Advokat Christoph Dumartheray,

gegen

Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001 Basel.

Gegenstand
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 8. April 2013
des Appellationsgerichts Basel-Stadt, Präsidentin.

Sachverhalt:

A.
Die Kantonspolizei von Basel-Stadt nahm X.________ am 16. September 2012 und am
27. September 2012 fest, weil er in fremde Personenwagen eingebrochen war um zu
stehlen. Er wurde jeweils am folgenden Tag entlassen. Am 30. September 2012 und
am 3. Oktober 2012 wurde er wiederum bei Einbrüchen in Personenwagen ertappt;
anlässlich des letzten Vorfalls wurde er erneut verhaftet und am 5. Oktober
2012 in Untersuchungshaft versetzt. Am 15. Oktober 2012 bewilligte die
Staatsanwaltschaft den Antritt des vorzeitigen Strafvollzugs.

Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte X.________ am 19. Dezember
2012 wegen gewerbsmässigen Diebstahls und Übertretung des
Betäubungsmittelgesetzes im Sinne von dessen Art. 19a unter Einbezug einer
vollziehbar erklärten Reststrafe von 92 Tagen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von 10 Monaten und einer Busse von 200 Franken. X.________ erhob Berufung gegen
dieses Urteil.

Am 8. April 2013 lehnte die Präsidentin des Appellationsgerichts das
Haftentlassungsgesuch von X.________ vom 30. März 2013 ab.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Entscheid der
Appellationsgerichtspräsidentin aufzuheben und ihn umgehend aus dem vorzeitigen
Strafvollzug zu entlassen. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege
und Verbeiständung.

C.
Die Appellationsgerichtspräsidentin verzichtet auf Vernehmlassung und beantragt
unter Verweis auf ihren Entscheid, die Beschwerde abzuweisen. Ausserdem teilt
sie mit, die Berufungsverhandlung sei auf den 25. Juni 2013 angesetzt. Die
Staatsanwaltschaft verzichtet auf Vernehmlassung.
Der Beschwerdeführer hat von einer weiteren Stellungnahme abgesehen.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid der
Appellationsgerichtspräsidentin. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach
den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der Antrag auf Aufhebung des angefochtenen
Entscheids und Haftentlassung ist zulässig (BGE 132 I 21 E. 1). Der
Beschwerdeführer ist durch die Verweigerung der Haftentlassung in seinen
rechtlich geschützten Interessen betroffen und damit zur Beschwerde befugt
(Art. 81 Abs. 1 BGG). Er macht die Verletzung von Bundesrecht geltend, was
zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen
geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde eingetreten
werden kann.

2.
Sicherheitshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender
Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Wiederholungsgefahr
besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO). Wiederholungsgefahr im Sinne von Art. 221 Abs.
1 lit. c StPO liegt vor, "wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder
Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie
durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich
gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat".

Nach der Rechtsprechung kann die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft wegen
Wiederholungsgefahr dem Verfahrensziel der Beschleunigung dienen, indem
verhindert wird, dass sich der Strafprozess durch immer neue Delikte
kompliziert und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des Interesses an der
Verhütung weiterer schwerwiegender Delikte ist nicht verfassungs- und
grundrechtswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich
die Notwendigkeit, Beschuldigte an der Begehung strafbarer Handlungen zu
hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85;
135 I 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen).

Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist entgegen dem deutschsprachigen Gesetzeswortlaut
dahin auszulegen, dass "Verbrechen oder schwere Vergehen" drohen müssen (BGE
137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.).
Die Begehung der in Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO genannten Delikte muss
ernsthaft zu befürchten sein. Erforderlich ist eine sehr ungünstige
Rückfallprognose. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist restriktiv zu
handhaben (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.; 135 I 71 E. 2.3 S. 73; je mit
Hinweisen).
Die Inhaftierung wegen Wiederholungsgefahr kommt nicht nur bei ernsthaft zu
befürchtenden Delikten gegen Leib und Leben in Betracht, sondern namentlich
auch bei schweren Vermögensdelikten wie gewerbsmässigem Betrug und Serienbetrug
(Urteile 1B_497/2012 vom 3. Oktober 2012 E. 2.1; 1B_379/2011 vom 2. August 2011
E. 2.8 f.).

3.
Die Appellationsgerichtspräsidentin ist zum Schluss gekommen, dass der
allgemeine Haftgrund des dringenden Tatverdachts gegeben ist,
Wiederholungsgefahr besteht und die Fortsetzung der Haft verhältnismässig ist.

3.1 Unbestritten und durch die erstinstanzliche Verurteilung erstellt ist, dass
der Beschwerdeführer der ihm vorgeworfenen Diebstähle und
Betäubungsmitteldelikte dringend verdächtig ist.

3.2 Das Strafgericht ist zum Schluss gekommen, dass der seit Jahren von Heroin
und Methadon abhängige Beschwerdeführer sich darauf eingerichtet hat, die ihm
monatlich ausbezahlte Sozialhilfe von 848 Franken durch Einbrüche in
unverschlossene Autos aufzubessern und hat dieses Vorgehen als gewerbsmässigen
Diebstahl im Sinn von Art. 139 Ziff. 2 StGB qualifiziert. Auch wenn der
insgesamt erbeutete Deliktsbetrag von rund 150 Franken objektiv gering
erscheine, stelle er doch einen namhaften Beitrag an die dem Beschwerdeführer
zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel dar. Die Gesamtwürdigung der
Umstände spreche für eine soziale Gefährlichkeit, die eine Qualifikation im
Sinne von Art. 139 Ziff. 2 StGB rechtfertige.

Ob das Vorgehen des Beschwerdeführers als gewerbsmässig einzustufen ist und
damit den qualifizierten Tatbestand von Art. 139 Ziff. 2 StGB erfüllt oder
"bloss" als einfacher Diebstahl im Sinn von Art. 139 Ziff. 1 StGB strafbar ist,
wird im Berufungsverfahren abschliessend zu klären sein. Immerhin ist nach dem
erstinstanzlichen Urteil davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sein
Auskommen aufbessern wollte, indem er immer wieder Parkplätze systematisch nach
unverschlossenen Autos absuchte, um nach Bargeld und Wertgegenständen zu suchen
und sie zu stehlen. Er war dabei zwar nicht sehr erfolgreich, was indessen nur
daran liegt, dass er zufällig weder grössere Geldbeträge noch teure
Wertgegenstände fand. Insgesamt erscheint das Vorgehen des Beschwerdeführers
als typische Beschaffungskriminalität, die in nicht unerheblichem Mass
sozialschädlich ist. Nachdem sich der Beschwerdeführer zudem völlig
uneinsichtig zeigte und sich auch von wiederholten Verhaftungen nicht davon
abhalten liess, unbeirrt weiter zu delinquieren, steht ernsthaft zu befürchten,
dass er nach einer allfälligen Entlassung weiterhin versuchen würde, sein
Einkommen durch Diebstähle aufzubessern. Da keine Anhaltspunkte ersichtlich
sind, dass er ernsthaft versucht, seine Lebensführung entscheidend zu ändern,
muss ihm diesbezüglich eine sehr ungünstige Rückfallprognose gestellt werden.

3.3 Der Beschwerdeführer wurde am 3. Oktober 2012 verhaftet und hat sich im
Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids vom 8. April 2013 rund 7 Monate in
Untersuchungs- und Sicherheitshaft (bzw. im vorzeitigen Strafvollzug) befunden.
Bei einer Verlängerung der Sicherheitshaft bis zur Berufungsverhandlung vom 25.
Juni 2013 werden noch 2 Monate dazukommen, sodass er dannzumal rund 9/10 seiner
erstinstanzlichen Strafe verbüsst haben wird. Das erscheint unter dem
Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit nicht ganz unproblematisch, zumal die
Staatsanwaltschaft keine Anschlussberufung erhoben hat und damit eine
Verschärfung der Strafe aufgrund des Verschlechterungsverbots ausser Betracht
fällt. Allerdings steht nach dem Gesagten zu befürchten, dass der
Beschwerdeführer nach einer allfälligen Entlassung umgehend in seine schlechten
Gewohnheiten zurückfallen und noch vor der Berufungsverhandlung weitere
Diebstähle begehen wird, was es unter dem Gesichtspunkt der beförderlichen
Führung von Strafverfahren nach Möglichkeit zu vermeiden gilt.

3.4 Insgesamt ergibt sich, dass es sich vorliegend sowohl in Bezug auf die für
die Annahme von Wiederholungsgefahr erforderliche Schwere der nach einer
Entlassung zu erwartenden Delikte als auch in Bezug auf die Dauer der
Untersuchungs- und Sicherheitshaft im Verhältnis zur zu erwartenden Strafe um
einen Grenzfall handelt. In einem solchen räumt das Bundesgericht der
sachnäheren Vorinstanz einen gewissen Ermessensspielraum ein und weicht nicht
leichthin von ihrem Entscheid ab (Urteil 1B_497/2012 vom 3. Oktober 2012 E.
2.2.3). Der angefochtene Entscheid ist daher zu schützen, die
Appellationsgerichtspräsidentin hat mit der Abweisung des
Haftentlassungsgesuchs kein Bundesrecht verletzt.

4.
Die Beschwerde wird demnach abgewiesen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird
der Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat
indessen ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt,
welches gutzuheissen ist, da seine Bedürftigkeit ausgewiesen scheint und die
Beschwerde nicht aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Advokat Christoph Dumartheray, Basel, wird für das bundesgerichtliche
Verfahren als amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 2'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft und dem
Appellationsgericht Basel-Stadt, Präsidentin, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Mai 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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