Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.154/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_154/2013, 1B_155/2013

Urteil vom 2. Mai 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Dold.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Markus Häfliger,

gegen

Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich, Selnaustrasse 28, Postfach, 8027
Zürich.

Gegenstand
1B_154/2013
Entlassung aus der Untersuchungshaft,

1B_155/2013
Entlassung aus der Untersuchungshaft,

Beschwerden gegen die Beschlüsse vom 9. April 2013 und 10. April 2013 des
Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft II des Kantons Zürich führt gegen X.________ ein
Strafverfahren wegen Veruntreuung und weiterer Delikte. Am 2. Oktober 2012
wurde er in Untersuchungshaft versetzt. Ein am 18. Februar 2013 gestelltes
Haftentlassungsgesuch wies das Zwangsmassnahmengericht des Bezirks Zürich ab.
Darauf erhob X.________ Beschwerde ans Obergericht des Kantons Zürich. Da er
seinen Antrag auf Haftentlassung unter anderem mit seinem Gesundheitszustand
begründete, forderte das Obergericht die Psychiatrische Universitätsklinik
Zürich auf, sich zur Hafterstehungsfähigkeit zu äussern. Noch während der
Rechtshängigkeit des Verfahrens stellte X.________ am 15. März 2013 ein
weiteres Haftentlassungsgesuch. Dieses wurde vom Zwangsmassnahmengericht
ebenfalls abgewiesen, worauf X.________ erneut Beschwerde ans Obergericht
erhob.
Mit Beschluss vom 9. April 2013 bestätigte das Obergericht die erste, mit
Beschluss vom 10. April 2013 die zweite Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts.
In der Begründung des Beschlusses vom 9. April 2013, auf welche im Beschluss
vom 10. April 2013 verwiesen wird, führte das Obergericht aus, es liege ein
dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr vor.

B.
Mit zwei verschiedenen Beschwerden in Strafsachen ans Bundesgericht, beide
datierend vom 19. April 2013, beantragt X.________ die Aufhebung der Beschlüsse
des Obergerichts vom 9. April 2013 (Verfahren 1B_154/2013) und vom 10. April
2013 (Verfahren 1B_155/2013). Ebenfalls beantragt er die Aufhebung der
entsprechenden Verfügungen des Zwangsmassnahmengerichts. Er selbst sei zudem
sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen, eventualiter unter Anordnung von
Ersatzmassnahmen.
Die Staatsanwaltschaft weist in ihrer Vernehmlassung darauf hin, dass der
Beschwerdeführer am 22. April 2013 von der Psychiatrischen Universitätsklinik
Zürich ins Gefängnis Pfäffikon verlegt worden sei. Zur Sache nimmt sie keine
Stellung. Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme ebenfalls verzichtet. In
seiner Replik hält der Beschwerdeführer an seinen Anträgen und
Rechtsauffassungen fest. Zudem reicht er eine Bestätigung des Generalkonsulats
der Republik Kroatien ein, woraus hervorgehe, dass im Falle einer
Schriftensperre keine Ersatzreisepapiere ausgestellt würden.

Erwägungen:

1.
1.1 Die beiden Beschwerden betreffen im Wesentlichen den gleichen Sachverhalt
und werfen die gleichen Rechtsfragen auf. Die Verfahren 1B_154/2013 und 1B_155/
2013 sind deshalb zu vereinigen.

1.2 Die angefochtenen Beschlüsse des Obergerichts betreffen die Entlassung aus
der Untersuchungshaft. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78
ff. BGG gegeben. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil
und befindet sich nach wie vor in Haft. Er ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG
zur Beschwerde berechtigt. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind in dieser
Hinsicht erfüllt. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerden dagegen insoweit,
als sie sich gegen die Verfügungen des Zwangsmassnahmengerichts richten. Diese
sind durch die Beschlüsse des Obergerichts ersetzt worden (Devolutiveffekt) und
gelten als inhaltlich mitangefochten (BGE 134 II 142 E. 1.4 S. 144 mit
Hinweis).

2.
2.1 Nach Art. 221 StPO ist Untersuchungshaft unter anderem zulässig, wenn die
beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist
und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren
oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (Abs. 1 lit. a). Das zuständige
Gericht ordnet gemäss Art. 237 Abs. 1 StPO an Stelle der Untersuchungshaft eine
oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft
erfüllen.
Das Obergericht bejahte sowohl den dringenden Tatverdacht als auch den
besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer bestreitet den
dringenden Tatverdacht nicht (vgl. dazu das ebenfalls ihn betreffende Urteil
des Bundesgerichts 1B_72/2013 vom 11. März 2013 E. 3.2). Er macht hingegen
geltend, es bestehe keine Fluchtgefahr.

2.2 Der Beschwerdeführer kritisiert, das Obergericht stelle zur Bejahung der
Fluchtgefahr in erster Linie auf die mögliche Strafdrohung ab, was unzulässig
sei. Daneben argumentiere es mit seinen psychischen Problemen (einer
posttraumatischen Belastungsstörung infolge schlimmer Kriegserlebnisse), welche
jedoch nicht für, sondern gegen Fluchtgefahr sprächen. Er könne nämlich davon
ausgehen, dass er bezüglich eines normalen Untersuchungshaftregimes als nicht
hafterstehungsfähig beurteilt werde und weiterhin in der Psychiatrischen
Universitätsklinik Zürich bleiben könne, wofür auch der vom Obergericht
eingeholte Bericht vom 2. April 2013 spreche. Das Haftregime in der
Psychiatrischen Universitätsklinik sei nicht derart abschreckend, dass er sich
deswegen zur Flucht entschliessen würde. In diesem Zusammenhang sei auch darauf
hinzuweisen, dass eine allenfalls zu erwartende Freiheitsstrafe trotz seiner
psychischen Probleme für ihn nicht bedrohlich sei. Die posttraumatische
Belastungsstörung wirke sich nämlich primär im äusserst beengenden Regime der
Untersuchungshaft aus. Auch im Hinblick auf den Strafvollzug könne deshalb
nicht von einer Fluchtgefahr ausgegangen werden. Das Obergericht habe zudem
kaum gewürdigt, dass er seit mehr als 20 Jahren in der Schweiz lebe und hier
Familie und Freunde habe. Auch seine beiden Kinder lebten hier. Mit seinem
Heimatland Kroatien verbinde ihn dagegen gar nichts mehr. Zu berücksichtigen
sei schliesslich, dass er sich in den früheren Strafverfahren stets zur
Verfügung der Strafverfolgungsbehörden gehalten habe. Auch im vorliegenden
Verfahren sei er der Vorladung, die zu seiner Verhaftung geführt habe,
freiwillig gefolgt.
Nach Ansicht des Beschwerdeführers könnte eine allfällige Fluchtgefahr mit
einer Ersatzmassnahme gebannt werden. Das Obergericht habe seinen ablehnenden
Entscheid in dieser Hinsicht nicht begründet, was seinen Anspruch auf
rechtliches Gehör verletze. Zudem wäre sogar die Staatsanwaltschaft bereit
gewesen, ihn gegen Kaution aus der Haft zu entlassen.

2.3 Das Obergericht legt dar, die dem Beschwerdeführer drohende Freiheitsstrafe
bilde einen erheblichen Anreiz zur Flucht. Veruntreuung sei mit bis zu fünf
Jahren Gefängnis bedroht. Zudem habe der Beschwerdeführer zahlreiche Vorstrafen
und stehe der Widerruf einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten im
Raum. Hinzu komme, dass die drohende Freiheitsstrafe für den Beschwerdeführer
offensichtlich ein sehr grosses Übel darstelle. Aus dem Bericht der
Psychiatrischen Universitätsklinik gehe hervor, dass er immer wieder gesagt
habe, er halte die Haft nicht aus und werde sich das Leben nehmen, sollte er
erneut ins Gefängnis müssen. Nachdem es zu einer gewissen Beruhigung gekommen
sei, sei am 20. März 2013 die Hafterstehungsfähigkeit festgestellt worden.
Unmittelbar nachdem der Beschwerdeführer darüber informiert worden sei, habe er
einen Selbststrangulationsversuch unternommen und notfallmässig im
Universitätsspital behandelt werden müssen. Rückblickend habe er den
Suizidversuch zwar als Fehler bezeichnet, aber gleichwohl wiederum damit
gedroht, sollte er wieder ins normale Haftregime versetzt werden. Der
Beschwerdeführer fühle sich laut dem Bericht völlig zu Unrecht verfolgt und
könne kaum einen Bezug zu den ihm vorgeworfenen Handlungen oder zu seiner
früheren Delinquenz herstellen. Da sich insgesamt keine Hinweise auf eine
schwere akute psychotische Symptomatik oder eine ähnlich schwere Störung
fänden, sei prinzipiell von der Hafterstehungsfähigkeit auszugehen. Es seien
jedoch geeignete Massnahmen zu treffen, um der Suizidgefahr zu begegnen.
Angesichts dieser Ausführungen im Bericht der Psychiatrischen
Universitätsklinik sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer
ausserordentlich grosse Angst vor einer unbedingten Strafe habe. Die
Fluchtgefahr sei deshalb zu bejahen und eine Ersatzmassnahme erweise sich als
nicht ausreichend.

2.4 Beim Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO geht es
um die Sicherung der Anwesenheit der beschuldigten Person im Verfahren. Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von
Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte
Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht
entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland,
denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob
Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu
berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als
möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der
drohenden Strafe darf als Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt jedoch
für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62
mit Hinweisen). Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen Bindungen,
die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland (Urteil
1B_424/2011 vom 14. September 2011 E. 4.1 mit Hinweis). Selbst bei einer
befürchteten Reise in ein Land, welches die beschuldigte Person grundsätzlich
an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, ist die
Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen (Urteil 1B_422/2011 vom 6.
September 2011 E. 4.2 mit Hinweis).

2.5 Dem Beschwerdeführer droht eine deutlich länger als die bisher erstandene
Untersuchungshaft dauernde Freiheitsstrafe. Wie die Vorinstanz zu Recht
festgehalten hat, sind dabei die zahlreichen Vorstrafen und die Möglichkeit der
Anordnung des Vollzugs einer bedingt ausgefällten Freiheitsstrafe von fünf
Monaten zu berücksichtigen. Dies stellt einen wesentlichen Anreiz zur Flucht
dar. Hinzu kommt, dass das Verhalten des Beschwerdeführers in der
Untersuchungshaft gezeigt hat, dass er den Freiheitsentzug als unerträgliche
Einschränkung empfindet. Dass dies nur in Bezug auf die Untersuchungshaft,
nicht aber den Strafvollzug zutreffen soll, ist schwer nachvollziehbar. Der
Beschwerdeführer hat einen Suizidversuch unternommen, nachdem er vom Entscheid
über seine Hafterstehungsfähigkeit unterrichtet worden war. Die Psychiatrische
Universitätsklinik hält auch weiterhin konkrete Massnahmen für notwendig, um
der Suizidgefahr zu begegnen. Ging der Beschwerdeführer indessen derart weit,
um dem normalen Untersuchungshaftregime zu entgehen, so besteht auch die
ernsthafte Gefahr, dass er sich durch Flucht dem drohenden Strafvollzug
entzieht. Der Umstand, dass er Familie und Freunde hat, die ihm wichtig sind,
vermochte den Beschwerdeführer nicht von einem Suizidversuch abzuhalten. Es ist
nicht davon auszugehen, dass dies bei einem Fluchtversuch anders wäre.
Vor diesem Hintergrund hat die Vorinstanz den besonderen Haftgrund der
Fluchtgefahr zu Recht bejaht. Sie hat auch kein Bundesrecht verletzt, indem sie
die Anordnung von Ersatzmassnahmen als nicht ausreichend bezeichnete. Die Rüge
des Beschwerdeführers, der angefochtene Entscheid sei in dieser Hinsicht nicht
begründet worden (Art. 29 Abs. 2 BV), geht fehl. Dass nach Ansicht des
Obergerichts mit Ersatzmassnahmen die Fluchtgefahr nicht hinreichend gebannt
werden kann, geht aus seinen Erwägungen zur Fluchtgefahr hervor.

3.
Es ergibt sich, dass die Beschwerden abzuweisen sind, soweit darauf eingetreten
werden kann.
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung und
Rechtsverbeiständung. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann
dem Gesuch entsprochen werden (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 1B_154/2013 und 1B_155/2013 werden vereinigt.

2.
Die Beschwerden werden abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.1 Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.2 Rechtsanwalt Markus Häfliger wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand
ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse
mit Fr. 2'000.-- entschädigt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft II und dem
Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 2. Mai 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Dold

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