Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.146/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_146/2013

Urteil vom 3. Mai 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Michel Meier,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn, Barfüssergasse 28, Postfach 157, 4502
Solothurn.

Gegenstand
Nachverfahren; Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 12. März 2013 des Obergerichts des Kantons
Solothurn, Strafkammer, Präsident.

Sachverhalt:

A.
Das Kriminalgericht des Kantons Solothurn sprach X.________ am 9. Dezember 1999
schuldig des Mordes, der mehrfachen Veruntreuung, der Falschbeurkundung, des
mehrfachen Diebstahls, des mehrfachen Nichtanzeigen eines Fundes, des
mehrfachen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage sowie der
mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und verurteilte ihn
zu acht Jahren Freiheitsstrafe. Der Strafvollzug wurde zugunsten einer
stationären Massnahme nach aArt. 43 Ziff. 1 Abs. 1 StGB aufgeschoben.
Das Amtsgericht Olten-Gösgen verlängerte die stationäre Massnahme in der Folge
mehrmals.
Das Gesuch vom 16. August 2012 des Straf- und Massnahmenvollzugs um erneute
Verlängerung der stationären Massnahme wies das Amtsgericht am 30. November
2012 ab.

B.
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft beim Obergericht des Kantons Solothurn
Berufung ein und beantragte die Anordnung von Sicherheitshaft. Der Präsident
der Strafkammer des Obergerichts ordnete diese am 14. Dezember 2012 an. Am 12.
März 2013 verlängerte er die Haft bis zum 14. September 2013 (Ziff. 4 der
Verfügung).

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, Ziffer 4 des
Entscheids des Präsidenten der Strafkammer des Obergerichts vom 12. März 2013
aufzuheben; er sei unverzüglich aus der Sicherheitshaft zu entlassen; eventuell
unter Anordnung von Ersatzmassnahmen.
Die Staatsanwaltschaft schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Der Präsident
der Strafkammer des Obergerichts hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.
X.________ hat eine Replik eingereicht.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid steht nach Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen offen. Der Präsident des Obergerichts hat nach Art. 231 Abs. 2
StPO als einzige kantonale Instanz entschieden. Die Beschwerde gegen den
Haftverlängerungsentscheid ist somit zulässig (Art. 80 Abs. 2 Satz 3 BGG;
Urteil 1B_109/2012 vom 13. März 2012 E. 1.2). Da auch die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Nach der Rechtsprechung ist in einem Fall wie hier die Anordnung von
Sicherheitshaft zulässig (BGE 137 IV 333 E. 2 S. 335 f.; 128 I 184 E. 2.3.1 S.
188). Über die Verlängerung der stationären Massnahme gemäss Art. 59 Abs. 4
StGB befindet das Gericht in einem selbstständigen nachträglichen Entscheid im
Sinne von Art. 363 ff. StPO. Verfügt es während des Verfahrens die
Sicherheitshaft, sind die Art. 220 ff. und 229 ff. StPO einschlägig (Urteile
1B_6/2012 vom 27. Januar 2012 E. 2.3 und 2.4; 1B_126/2013 vom 18. April 2013 E.
1.2 und 1.3).

3.
Nach Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungs- und Sicherheitshaft zulässig, wenn
die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig
ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder
Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher
gleichartige Straftaten verübt hat (lit. c).
Da hier eine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, entfällt die Prüfung des
dringenden Tatverdachts (vgl. BGE 137 IV 333 E. 2.3.1 S. 337).
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz habe den besonderen Haftgrund
der Wiederholungsgefahr zu Unrecht bejaht.

3.1 Nach der Rechtsprechung ist Sicherheitshaft wegen Wiederholungsgefahr
zulässig, wenn die Rückfallprognose sehr ungünstig und die zu befürchtenden
Delikte von schwerer Natur sind. Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist so auszulegen,
dass "Verbrechen oder schwere Vergehen" drohen müssen. Die rein hypothetische
Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass
nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen dagegen nicht aus, um eine
Präventivhaft zu begründen (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.; 135 I 71 E. 2.3 S.
73; je mit Hinweisen).
Im Verfahren betreffend nachträgliche Änderung der Sanktion muss es zur
Anordnung von Sicherheitshaft zudem hinreichend wahrscheinlich sein, dass das
Verfahren zu einer Sanktion führt, welche die Sicherstellung des Betroffenen
erfordert (BGE 137 IV 333 E. 2.3.1 S. 337).
Zu prüfen ist folglich, ob Wiederholungsgefahr besteht und die Anordnung einer
stationären Massnahme als wahrscheinlich erscheint.

3.2 Der Beschwerdeführer wurde vom Kriminalgericht des Kantons Solothurn am 9.
Dezember 1999 unter anderem wegen Mordes, mehrfachen Diebstahls und mehrfacher
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz verurteilt. Das
Vortatenerfordernis ist mithin erfüllt.
Aus heutiger Sicht ist sodann die Legalprognose der Sachverständigen in Bezug
auf die Anlasstaten von Bedeutung.
Die Konkordatliche Fachkommission zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit von
Straftätern (KoFako) hat den Beschwerdeführer letztmals am 2. Juli 2012
beurteilt. Diese Fachkommission berät die Einweisungs- und Vollzugsbehörden.
Sie ist mit ausgewiesenen Fachleuten der Psychiatrie, der Strafverfolgung und
des Massnahmenvollzugs besetzt, weshalb ihrer Beurteilung ein hoher Stellenwert
zukommt. Sie stuft den Beschwerdeführer nach wie vor als gemeingefährlich ein.
Es sei weiterhin möglich, dass er schwere Delikte verübe, sofern er ohne den
nötigen Beistand in Konfliktsituationen gerate, was angesichts der ungelösten
Suchtproblematik denkbar sei. Wegen der geringeren Kontrollmöglichkeiten
erachtet sie einen Übertritt des Beschwerdeführers in die Vollzugsstufe des
Wohnexternats weiterhin als verfrüht.
Die Sachverständigen, die den Beschwerdeführer forensisch-psychiatrisch
begutachtet haben, sind im Weiteren der einhelligen Ansicht, für
Betäubungsmittel- und Vermögensdelikte bestehe nach wie vor eine hohe
Rückfallgefahr (vgl. Gutachten vom 9. April 2008 S. 11; vom 24. Oktober 2011 S.
39). Bei der Legalprognose für Gewalttaten geht die Einschätzung der Gutachter
hingegen auseinander. Dr. med. L.P. Hiersemenzel stellt dem Beschwerdeführer
für Gewaltdelikte eine günstige Prognose aus (a.a.O., 9. April 2008 S. 9 ff.).
Dagegen erachtet Dr. med. Chr. Burz die Wahrscheinlichkeit möglicher
Gewalttaten - gerade in Verbindung mit Drogenkonsum - als mittelgradig erhöht
(a.a.O., 24. Oktober 2011 S. 39 und 41). Mit der Vorinstanz ist daraus zu
erkennen, dass zur soliden Beurteilung der Gewaltbereitschaft des
Beschwerdeführers die hinreichende Grundlage fehlt. Insgesamt gilt die
Rückfallgefahr für Betäubungsmittel- wie Beschaffungsdelikte als gross, während
sie für Verbrechen gegen Leib und Leben unklar ist.
Um über die Gewaltproblematik mehr Aufschluss zu erhalten, hat die Vorinstanz
eine ergänzende psychiatrische Begutachtung angeordnet (vgl. angefochtener
Entscheid Ziff. 5). Einstweilen ist es aus Gründen der öffentlichen Sicherheit
nicht angezeigt, den Beschwerdeführer freizulassen. Bei Gewaltdelikten stehen
Leib und Leben, somit die höchsten Rechtsgüter auf dem Spiel. Insoweit darf das
Gericht an die Annahme von Wiederholungsgefahr keinen allzu strengen Massstab
anlegen. Andernfalls setzte es mögliche Opfer einer nicht verantwortbaren
Gefahr aus (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e S. 271).
Würdigt man diese Gesichtspunkte gesamthaft, ist die Wiederholungsgefahr im
Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO zu bejahen. Ohne dem Sachurteil
vorzugreifen, bestehen aus heutiger Sicht zudem Anhaltspunkte dafür, dass die
stationäre Massnahme im Hauptverfahren verlängert wird. Die Sicherheitshaft
erweist sich daher als gerechtfertigt.

3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, Ersatzmassnahmen genügten zur Bannung
der Wiederholungsgefahr.
Die Vorinstanz ist anderer Auffassung. Wegen der grossen Gefahr von
Drogenkonsum und möglicher damit verbundener Gewalttaten reiche eine
Ersatzmassnahme in Freiheit derzeit nicht aus.
Ihr Entscheid ist auch in diesem Punkt nicht zu beanstanden. Ersatzmassnahmen,
welche die Rückfallgefahr wirkungsvoll bannten und den Freiheitsentzug
verzichtbar machten, sind nicht ersichtlich.
Soweit der Beschwerdeführer die Weiterführung der stationären Massnahme als
unverhältnismässig erachtet, zielt seine Rüge am Verfahrensgegenstand vorbei.
Die Sicherheitshaft bezweckt einzig, die Wiederholungsgefahr vorsorglich zu
bannen und den Beschwerdeführer für den möglichen Sanktionsvollzug zur
Verfügung zu halten. Ob die Voraussetzungen für eine stationäre Massnahme
erfüllt sind, ist nicht bei der Haftprüfung, sondern im Hauptverfahren - nach
Vorliegen des Ergänzungsgutachtens - abschliessend zu beurteilen.
Demnach hält es vor Bundesrecht stand, den Beschwerdeführer bis zur
beförderlichen Erledigung des Nachverfahrens in Sicherheitshaft zu belassen.

4.
Die Beschwerde ist danach abzuweisen.
Da die Haft einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt,
konnte der Beschwerdeführer sich zur Beschwerde veranlasst sehen. Die
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG wird daher
bewilligt. Der Vertreter des Beschwerdeführers hat eine Kostennote eingereicht
(act. 4). Der geltend gemachte Betrag von Fr. 1'309.40 (inkl. Mehrwertsteuer)
ist angemessen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen
und dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt Michel Meier als unentgeltlicher
Rechtsbeistand beigegeben.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Rechtsanwalt Michel Meier wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 1'309.40 ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft und dem
Obergericht des Kantons Solothurn, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Mai 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser

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