Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.13/2013
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_13/2013

Urteil vom 17. April 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Y.________, Staatsanwalt,
Beschwerdegegner,

Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten, Kloster-Südflügel, Seetalstrasse 8, 5630
Muri.

Gegenstand
Strafverfahren; Ausstandsgesuch gegen den ermittelnden Staatsanwalt,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 8. November 2012 des Obergerichts des
Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A.
Der damalige Bezirksamtmann-Stellvertreter des Bezirksamts Muri, Y.________,
führte 2004/2005 eine Strafuntersuchung gegen X.________ wegen sexueller
Handlungen mit Kindern. Dieser wurde verdächtigt, am 15. Oktober 2004 über den
Computer seiner Eltern auf der Gemeindehomepage der Stadt A.________ einen Text
platziert zu haben, mit welchem er "zwecks Abbau sexueller Spannungen weibliche
Minderjährige" suchte. Anlässlich einer Akteneinsichtnahme äusserte sich
Bezirksamtmann-Stellvertreter Y.________ nach seinen eigenen Angaben gegenüber
X.________ wie folgt: "Wenn ich ihr Vater wäre und Sie meinen PC für solche
Veröffentlichungen verwendet hätten, damit zuerst der Verdacht auf den Vater
fällt, hätten Sie von mir links und rechts eins an die Ohren bekommen." Nach
Darstellung von X.________ lautete die Aussage Y.________s: "Das sind also Sie
gewesen! Ihnen hätte man links und rechts an den Grind geben sollen!" Das
Strafverfahren wurde in der Folge eingestellt.

B.
Am 17. Juni 2012 war X.________ am Steuer eines Traktors in einen
Verkehrsunfall verwickelt. Staatsanwalt Y.________ erliess wegen dieses
Vorfalls am 6. September 2012 einen Strafbefehl, mit dem er X.________ wegen
verschiedener Verkehrsregelverletzungen zu einer Busse von Fr. 300.--
verurteilte.
X.________ erhob Einsprache gegen den Strafbefehl und machte dabei auch
geltend, Staatsanwalt Y.________ sei parteiisch und mit ihm im Sinn von Art. 56
lit. f StPO verfeindet.
Das Obergericht wies das Ausstandsgesuch am 8. November 2012 ab.

C.
X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, den Entscheid des
Obergerichts kostenfällig aufzuheben, ihm eventualiter ein "letztstaatliches"
Urteil zu geben oder subeventualiter den Entscheid des Obergerichts aufzuheben
und die Sache an dieses zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung
zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er sinngemäss um unentgeltliche Rechtspflege.

D.
Das Obergericht und Staatsanwalt Y.________ für die Staatsanwaltschaft
Muri-Bremgarten verzichten auf Vernehmlassung.
X.________ hält mit mehreren Eingaben an der Beschwerde fest.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den
Beschwerdeführer nicht ab, er ermöglicht vielmehr dessen Weiterführung. Es
handelt sich um einen selbständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen
Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in
Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig ist. Als Beschuldigter ist der
Beschwerdeführer zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG).
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass,
weshalb auf die Beschwerde einzutreten ist.

2.
Der Beschwerdeführer verlangte im bundesgerichtlichen Verfahren Einsicht in die
Akten, worauf ihm diese für fünf Tage beim Obergericht zur Einsicht
bereitgelegt wurden. Er hat von seinem Einsichtsrecht keinen Gebrauch gemacht,
worauf das Verfahren weitergeführt wurde. Der Beschwerdeführer hat keinen
Anspruch darauf, dass ihm die Akten privat zugestellt oder bei einer
Gemeindebehörde - dem Steueramt, der Ackerbaustelle oder der
Feuerwehrkommission - zur Einsicht aufgelegt werden. Die Einsichtnahme am
Obergericht war zumutbar, ist doch Aarau von seinem Wohnort B.________ in gut
einer Dreiviertelstunde mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

3.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht eine Verletzung seines
konventionsrechtlichen Anspruchs auf eine "öffentliche Parteiverhandlung" vor.
Zu Unrecht. Das Verfahren der Beschwerdeinstanz ist nach der ausdrücklichen
Vorschrift von Art. 69 Abs. 3 lit. c StPO nicht öffentlich, was mit Art. 6
Ziff. 1 EMRK vereinbar ist, da sie nicht über eine Anklage im Sinne dieser
Bestimmung entscheidet.

4.
Das Obergericht hat festgestellt, dass die beanstandete Bemerkung von
Y.________ im Strafverfahren wegen sexueller Handlungen mit Kindern ungeschickt
und für einen Bezirksamtmann-Stellvertreter unziemlich war. Diese Beurteilung
trifft zu, und zwar unabhängig vom genauen Wortlaut.
Bezirksamtmann-Stellvertreter Y.________ hat offensichtlich für einen Moment
die gebotene professionelle Distanz zur Sache verloren und mit seinem Ausbruch
jedenfalls den Anschein erweckt, er stehe dem Beschuldigten nicht unbefangen
gegenüber. Damit hätte ihn der Beschwerdeführer mit guten Erfolgsaussichten
wegen des Anscheins von Befangenheit - nach heute anwendbarem Recht im Sinn von
Art. 56 lit. f StPO - ablehnen können. Er hat dies indessen nicht getan, das
Verfahren wurde - notabene auf Antrag von Bezirksamtmann-Stellvertreter
Y.________ - eingestellt. 2009/2010 führte Staatsanwalt Y.________ sodann auf
Strafanzeige des Beschwerdeführers hin ein Verfahren gegen den Gemeinderat
B.________ bzw. nach der Darstellung des Beschwerdeführers nur gegen den
"Steueramtschef", ohne dass ihn der Beschwerdeführer abgelehnt hätte.
Ausstandsgründe sind sowohl nach Art. 58 Abs. 1 StPO als auch gemäss
langjähriger konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts nach Treu und Glauben
ohne Verzug geltend zu machen (BGE 136 I 207 E. 3.4; 134 I 20 E. 4.3.1; 132 II
485 E. 4.3; 124 I 121 E. 2). Es erweist sich daher als rechtsmissbräuchlich,
Staatsanwalt Y.________ im aktuellen Strafverfahren wegen dessen Jahre
zurückliegenden, einmaligen Ausrutschers abzulehnen, nachdem der
Beschwerdeführer dies sowohl im damaligen als auch im späteren Verfahren von
2009/2010 unterliess. Das Obergericht hat im Ergebnis kein Bundesrecht
verletzt, indem es das Ausstandsgesuch ablehnte, die Beschwerde ist
unbegründet.

5.
Soweit der Beschwerdeführer Stil und Grammatik der von den Gerichten in diesem
Verfahren erstellten Dokumente sowie die mangelhafte Leserlichkeit von
Unterschriften und die angeblich fehlende Unterschriftsberechtigung ihrer
Verfasser bemängelt, so ist diese Kritik teils unzutreffend und teils
irrelevant und jedenfalls für den Ausgang des Verfahrens ohne Belang. Darauf
ist nicht einzutreten.

6.
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs.
1 BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches
indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1
BGG); den bescheidenen finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers ist bei
der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Staatsanwalt Y.________, der
Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 17. April 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben