Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.138/2013
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_138/2013

Urteil vom 24. September 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Gelzer.

Verfahrensbeteiligte
A.X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y._____ ___, Leitender Staatsanwalt,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Strafverfahren; Ausstand,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 20. Februar 2013, des Kantonsgerichts
von Graubünden, II. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.

 A.X.________ wurde mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Graubünden vom 27.
Juli 2012 des Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen schuldig gesprochen und
mit einer Busse von Fr. 500.-- bestraft. Dagegen hat A.X.________ am 12. August
2012 Einsprache erhoben.

 Mit Verfügung vom 14. August 2012 eröffnete die Staatsanwaltschaft Graubünden
gegen B.X.________ und A.X.________ eine Strafuntersuchung wegen Ungehorsams
gegen amtliche Verfügungen und lud Letztere mit Schreiben vom 12. Dezember 2012
als Beschuldigte vor. In diesem Schreiben wurde Y.________ als zuständiger
Staatsanwalt genannt.

 A.X.________ stellte mit Schreiben vom 22. Dezember 2012 das Gesuch, in ihrem
Fall habe Staatsanwalt Y.________ und die gesamte Staatsanwaltschaft Graubünden
in den Ausstand zu treten und der Fall sei an eine neutrale, unbefangene,
ausserkantonale Institution weiterzuleiten. Zur Begründung brachte die
Beschwerdeführerin namentlich vor, Staatsanwalt Y.________ habe ihr 1998
persönlich gesagt, dass sie bei ihnen nie Recht bekommen werde.
Die Staatsanwaltschaft Graubünden leitete das Ausstandsbegehren in Anwendung
von Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO an das Kantonsgericht von Graubünden weiter,
welches das Gesuch mit Beschluss vom 20. Februar 2013 abwies, soweit es darauf
eintrat.

B.

 A.X.________ erhebt beim Bundesgericht Beschwerde, mit der sie dem Sinn nach
die Anträge stellt, der Entscheid des Kantonsgerichts vom 20. Februar 2013 sei
aufzuheben und ihr Ausstandsbegehren gegen Y.________ bzw. die gesamte
Staatsanwaltschaft Graubünden sei zu bewilligen. Zudem sei die Vorinstanz
anzuweisen, gemäss Schweizer Gesetz die gültigen, ihr Grundeigentum
betreffenden Verträge von 1976 mit m ^2 -Angaben zu benützen, statt sie
weiterhin wie seit 1997 zu missachten.

C.

 Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme zur Beschwerde.
Y.________ beantragt unter Verweis auf den angefochtenen Entscheid, sein
Schreiben an die Beschwerdeführerin vom 3. Januar 2013 und auf seine
Stellungnahme an das Kantonsgericht vom 15. Januar 2013 die Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1.

 Die Vorinstanz hat in einem Strafverfahren gestützt auf die Schweizerische
Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0) entschieden. Gegen
ihren Entscheid ist damit gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in
Strafsachen gegeben.

1.1. Gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 380 StPO hat die Vorinstanz als
einzige kantonale Instanz entschieden. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80
BGG zulässig.

1.2. Die Beschwerdeführerin ist als beschuldigte Person gemäss Art. 81 Abs. 1
lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt (vgl. BGE 138 IV 258 E.
2.1).

1.3. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen selbständig
eröffneten Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren. Dagegen ist die
Beschwerde nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig. Die weiteren
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, weshalb auf die
Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.

1.4. Mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht kann insbesondere
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft
die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf
Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und
begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Erhöhte Anforderungen an die
Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten gerügt wird (Art. 106
Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).

2. 

2.1. Nach Art. 56 StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person
namentlich in den Ausstand, wenn sie in einer anderen Stellung, insbesondere
als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als
Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen
Sache tätig war (lit. b) oder aus anderen Gründen, insbesondere wegen
Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand,
befangen sein könnte (lit. f).

 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann sich ein Ausstandsbegehren nur
gegen Personen und nicht gegen Behörden richten, da nur die für eine Behörde
tätigen Personen, nicht jedoch die Behörde als solche, befangen sein können (
BGE 137 V 210 E. 1.3.3 S. 227 mit Hinweisen). Dies schliesst Ausstandsbegehren
gegen sämtliche Mitglieder einer Behörde nicht aus, wenn gegen jedes einzelne
Mitglied spezifische Ausstandsbegehren geltend gemacht werden, die über die
Kritik hinausgehen, die Behörde als solche sei befangen (Urteil I 874/06 vom 8.
August 2007 E. 4.1 mit Hinweisen).

2.2. Das Kantonsgericht trat unter Berufung auf diese Grundsätze auf das
Ausstandsbegehren gegenüber der gesamten Staatsanwaltschaft Graubünden nicht
ein, da die Beschwerdeführerin nicht Ausstandsgesuche gegen alle
Einzelmitglieder gestellt und entsprechend begründet habe.

2.3. Die Beschwerdeführerin wendet ein, sie habe in zahlreichen sie
betreffenden Verfahren gegen alle involvierten Staatsanwälte und Kantonsrichter
bisher persönliche Ausstandsgesuche gestellt, welche jedoch bisher "abgewürgt"
worden seien, weshalb sie heute die gesamte Staatsanwaltschaft und das gesamte
Kantonsgericht ablehne. Sie misstraue sowohl der Staatsanwaltschaft wie dem
Kantonsgericht Graubünden, da beide in ihren Fällen immer gegen die gültigen
Verträge entschieden hätten.

2.4. Mit diesen Ausführungen zeigt die Beschwerdeführerin nicht auf, inwiefern
im vorliegenden Verfahren ein Abweichen vom Grundsatz, dass Behörden als solche
nicht befangen sein können, gerechtfertigt sein soll, was auch nicht
ersichtlich ist. Insoweit ist auf die Beschwerde mangels einer
rechtsgenüglichen Begründung nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 BGG).

3. 

3.1. Art. 56 StPO konkretisiert hinsichtlich der Staatsanwaltschaft in ihrer
Funktion als Strafuntersuchungs- und Anklagebehörde den in Art. 29 Abs. 1 BV
und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Anspruch jeder Person auf ein faires
Verfahren. Die Garantie ist verletzt, wenn bei objektiver Betrachtungsweise
Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit zu begründen
vermögen. Vom Staatsanwalt als Untersuchungs- und Anklagebehörde ist dabei
Sachlichkeit, Unbefangenheit und Objektivität namentlich insofern zu erwarten,
als er sich vor Abschluss der Untersuchung grundsätzlich nicht darauf festlegen
darf, dass dem Beschuldigten ein strafbares Verhalten zur Last zu legen sei (
BGE 138 IV 142 E. 2.2 S. 145 f.; 127 I 196 E. 2d S. 199 f.; je mit Hinweisen).
Materielle oder prozessuale Rechtsfehler stellen dagegen nur dann einen
Ausstandsgrund dar, wenn sie besonders krass sind und wiederholt auftreten,
sodass sie einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig
zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 138 IV 142 E. 2.3 S. 146; 125
I 119 E. 3e S. 124; Urteile 1B_11/2013 vom 11. März 2013 E. 2; 1B_224/2010 vom
11. Januar 2011 E. 4.5.2; 1B_69/2013 vom 27. Juni 2013 E. 4.2 mit weiteren
Hinweisen). Diesbezüglich sind auch die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel
gegen beanstandete Untersuchungsmassnahmen auszuschöpfen (vgl. BGE 114 Ia 153
E. 3b/bb S. 158 f.). Die Mehrfachbefassung mit derselben Angelegenheit, zum
Beispiel wegen der Rückweisung der Sache durch eine übergeordnete
Rechtsmittelinstanz, vermag den Anschein der Befangenheit nicht zu bewirken,
solange das Verfahren noch als offen erscheint (Urteil 1B_170/2012 vom 19. Juni
2012 E. 4.2, vgl. auch BGE 138 IV 142 E. 2.2 S. 145 f.).

3.2. Das Kantonsgericht führte zum Ausstandsbegehren betreffend Staatsanwalt
Y.________ aus, die Beschwerdeführerin habe ihre Behauptung, er habe ihr
persönlich gesagt: "Bei uns bekommen Sie nie Recht", nicht in einen
Zusammenhang gebracht oder konkretisiert. Zudem habe Y.________ die Behauptung
bestritten und seine Bestreitung durch eine beigelegte Einstellungsverfügung
aus dem Jahr 1998 bezüglich einer Strafuntersuchung gegen ihren Ehemann
untermauert.

3.3. Ohne auf diese Erwägung des Kantonsgerichts einzugehen, wiederholt die
Beschwerdeführerin vor Bundesgericht die behauptete Aussage von Y.________.
Damit tut die Beschwerdeführerin nicht dar, inwiefern das Kantonsgericht
Bundesrecht verletzt haben soll, wenn es die von Y.________ bestrittene und
widerlegte Aussage als nicht bewiesen bzw. mangels Darlegung des Zusammenhangs
als nicht aussagekräftig erachtete.

4. 

4.1. Weiter führte das Kantonsgericht aus, ansonsten begnüge sich die
Beschwerdeführerin, zur Begründung des Ausstandsbegehrens auf einige
abgeschlossene Verfahren, eingereichte Schadenersatzklagen, Strafklagen etc.
hinzuweisen. Jedoch sei weder aus den Akten noch sonst wie ersichtlich, dass
sich Staatsanwalt Y.________ in den erwähnten Verfahren einer
Amtspflichtverletzung schuldig gemacht habe oder dass ihm beanstandete
materielle oder prozessuale Rechtsfehler unterlaufen seien, die sich zu
Ungunsten der Beschwerdeführerin ausgewirkt hätten. Für die Annahme von
Befangenheit genüge eben so wenig, dass Y.________ bereits verschiedene
Verfahren gegen die Gesuchstellerin oder deren Ehemann durchgeführt habe und
auch die Hinweise auf abgeschlossene Verfahren, die nicht in ihrem Sinne
ausgefallen seien, könnten objektiv betrachtet nicht den Anschein der
Befangenheit von Staatsanwalt Y.________ erwecken, weshalb das gegen ihn
gerichtete Ausstandsgesuch abzuweisen sei.

4.2. Die Beschwerdeführerin rügt dem Sinn nach eine Verletzung von Art. 56
StPO, indem sie vorbringt, ihr Ausstandsbegehren sei bereits deshalb begründet,
weil sie in früheren Verfahren bei der Staatsanwaltschaft und dem
Kantonsgericht des Kantons Graubünden trotz der vorgelegten eindeutigen und
gültigen Verträge von 1976 mit fixen Flächenmassen der Landteile nicht
durchgedrungen sei, weil ihre Beweismittel nicht beachtet worden und die
Gerichte Beweisanträgen auf amtliche Nachmessung der Grundstückflächen nicht
nachgekommen seien und statt dessen wissentlich falsche Pläne verwendet hätten.
Deshalb sei unabdingbar, alle während 15 Jahren ergangenen Entscheide, Urteile,
Verfügungen bezüglich der Verträge von 1976 durch eine neutrale Behörde, welche
diese Verträge als Basis ihrer Entscheide brauche, neu beurteilen zu lassen.
Durch die Abweisung ihres Ausstandsbegehrens würden diese Verträge weiterhin
missachtet. Y.________, die Staatsanwaltschaft Graubünden und das
Kantonsgericht Graubünden hätten sich seit 1997/98 in allen Verfahren einer
Amtspflichtverletzung schuldig gemacht, indem sie alle Urteile und
Entscheidungen ohne Bezug auf diese mit m ^2 -Angaben getroffen hätten. Die
Gegenpartei werde durch diese Behörden seit 15 Jahren begünstigt. Somit sei
nach objektiver Betrachtung offensichtlich, dass ihr Ausstandsgesuch gegen
Y.________ bzw. die gesamte Staatsanwaltschaft begründet sei.

4.3. Mit diesen Ausführungen der Beschwerdeführerin, die sie bereits vor dem
Kantonsgericht vorbrachte, vermag sie eine Amtspflichtverletzung von
Staatsanwalt Y.________ nicht aufzuzeigen, zumal sie ihre Behauptung, er und
die übrige Staatsanwaltschaft Graubünden hätten gültige Verträge von 1976
missachtet und insoweit zu Unrecht Beweisanträge abgelehnt, nicht belegt und
sie nicht darlegt, in welchen Verfahren Staatsanwalt Y.________ welche
Amtspflichtverletzungen begangen haben soll. So zeigt sie auch nicht auf, dass
sie Verfügungen von Staatsanwalt Y.________ erfolgreich mit Rechtsmitteln
angefochten hat. Demnach hat das Kantonsgericht kein Bundesrecht verletzt, wenn
es davon ausging, die Beschwerdeführerin habe keine durch Staatsanwalt
Y.________ begangene Amtspflichtverletzungen nachweisen können und es das damit
begründete Ausstandsbegehren ablehnte.

4.4. Da das Ausstandsverfahren nur die Prüfung der Unvoreingenommenheit des
Staatsanwalts Y.________ zum Gegenstand hat, kann auf die Beschwerde insoweit
nicht eingetreten werden, als die Beschwerdeführerin damit die Neubeurteilung
verschiedener Verfügungen bzw. Entscheide der Staatsanwaltschaft Graubünden
bewirken möchte und dazu den Beweisantrag stellt, betreffend die Grenzen der
Parzellen der Verträge von 1976 mit m ^2 -Angaben eine amtliche Nachmessung
durchzuführen. Auch kann das Ausstandsverfahren nicht dazu dienen, dem
Kantonsgericht allgemeine Weisungen zu erteilen, weshalb auf die Beschwerde
nicht eingetreten werden kann, soweit die Beschwerdeführerin damit beantragt,
die Vorinstanz anzuweisen, gemäss Schweizer Gesetz die gültigen Verträge von
1976 mit m ^2 -Angaben einzuhalten.

5. 

 Somit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des bundesgerichtlichen Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die
Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. September 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Gelzer

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben