Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.116/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_116/2013

Urteil vom 12. April 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Manuel Rohrer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Freiburg, Liebfrauenplatz 4, Postfach 156, 1702
Freiburg.

Gegenstand
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug,

Beschwerde gegen das Urteil vom 15. März 2013 des Kantonsgerichts Freiburg,
Strafappellationshof.

Sachverhalt:

A.
X.________ befindet sich seit dem 21. Februar 2011 in Untersuchungs- und
Sicherheitshaft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug.
Am 3. Februar 2012 sprach ihn das Bezirksstrafgericht des Saanebezirks Freiburg
des Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig und verurteilte ihn
zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren.
Dagegen legten sowohl X.________ als auch die Staatsanwaltschaft des Kantons
Freiburg Berufung ein.

B.
Am 12. März 2013 ersuchte X.________ um Entlassung aus dem vorzeitigen
Strafvollzug. Der Vizepräsident des Strafappellationshofes des Kantonsgerichts
Freiburg trat am 15. März 2013 auf das Gesuch nicht ein; im Eventualstandpunkt
erwog er, das Gesuch müsste abgewiesen werden, soweit darauf einzutreten wäre.

C.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des
Strafappellationshofes aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Strafappellationshof und die Staatsanwaltschaft haben auf Gegenbemerkungen
verzichtet.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid betrifft die Entlassung aus dem vorzeitigen
Strafvollzug. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG
gegeben.
Die Vorinstanz hat als einzige kantonale Instanz entschieden (Art. 233 i.V.m.
Art. 222 Satz 2 StPO). Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 Abs. 2 Satz 2 BGG
zulässig.
Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.
Soweit die Vorinstanz auf das Gesuch nicht eingetreten ist, besteht sein
Rechtsschutzinteresse darin, dass sie im Fall eines Obsiegens auf das
Rechtsmittel eintreten müsste (BGE 113 Ia 247 E. 3 S. 250 f.; Urteil 1P.75/2000
vom 7. Juni 2000 E. 1, in: EuGRZ 2001 S. 132; je mit Hinweisen).
Soweit sie das Gesuch im Eventualstandpunkt materiell abweist, handelt es sich
um einen Zwischenentscheid, der für den Beschwerdeführer einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann.
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf
die Beschwerde ist einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer rügt zunächst, die Vorinstanz habe ihre Zuständigkeit zur
Behandlung seines Entlassungsgesuchs aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu
Unrecht verneint; der Nichteintretensentscheid verletze Art. 233 StPO, Art. 31
Abs. 4 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK.

2.1 Ob die Vorinstanz zur Behandlung des Entlassungsbegehrens aus dem
vorzeitigen Strafvollzug zuständig ist, beantwortet sich nach Art. 233 StPO.
Demnach entscheidet während des Berufungsverfahrens die Verfahrensleitung des
Berufungsgerichts über Haftentlassungsgesuche.
Diese Bestimmung gilt nach zutreffender Auffassung auch für Gesuche um
Entlassung aus vorzeitigem Sanktionsvollzug (vgl. MARC FORSTER, in: Basler
Kommentar, StPO, 2011, N. 1 zu Art. 233). Art. 233 StPO beschränkt die
Zuständigkeit des Berufungsgerichts nicht auf die Behandlung von
Entlassungsbegehren aus der Sicherheitshaft, sondern spricht allgemein von
Haftentlassungsgesuchen. Darunter fallen nach dem Zweck der Bestimmung auch
Gesuche um Entlassung aus vorzeitigem Straf- und Massnahmenvollzug. Art. 233
StPO hat zum Ziel, den Betroffenen vor ungerechtfertigter Freiheitsentziehung
zu schützen (vgl. insoweit BGE 133 IV 187 E. 6.4 S. 199 zur Anwendung von
Haftregeln auf den vorzeitigen Sanktionsvollzug). Da sich die
Freiheitsentziehung auch im vorzeitigen Vollzug nicht auf ein rechtskräftiges
Strafurteil stützt, ist sie gegen den Willen des Betroffenen nur so lange
gerechtfertigt, als die Haftvoraussetzungen erfüllt sind (BGE 117 Ia 72 E. 1d
S. 80; FRANZ RIKLIN, StPO Kommentar, 2010, N.1 zu Art. 236). Über die
Rechtmässigkeit der Freiheitsentziehung hat nach Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 5
Ziff. 4 EMRK - auch im vorzeitigen Sanktionsvollzug - eine gerichtliche Behörde
zu befinden (BGE 133 I 270 E. 2 S. 275; 126 I 172 E. 3a S. 174; je mit
Hinweisen; HANS VEST, in: Kommentar BV, 2. Aufl. 2008, N. 33, 35 und 36 zu Art.
31). Der Anspruch auf gerichtliche Haftprüfung ist von Bundesrechts wegen dann
gewährleistet, wenn die Verfahrensleitung des Berufungsgerichts nach Art. 233
StPO neben der Entlassung aus der Sicherheitshaft auch über jene aus dem
vorzeitigen Sanktionsvollzug entscheidet.

2.2 Die Vorinstanz wäre demnach gestützt auf Art. 233 StPO zur Behandlung des
Entlassungsgesuchs zuständig gewesen. Ihr Nichteintretensentscheid verletzt
Bundesrecht. Die Rüge des Beschwerdeführers ist daher begründet.

3.
Es bleibt zu prüfen, ob der Eventualstandpunkt der Vorinstanz, wonach das
Gesuch, soweit darauf einzutreten wäre, abgewiesen werden müsste, vor
Bundesrecht standhält (vgl. BGE 121 I 1 E. 5a/bb S. 11 f. mit Hinweisen).
Insoweit beanstandet der Beschwerdeführer in formeller Hinsicht, die Vorinstanz
habe ihm die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zu seinem Entlassungsgesuch
nicht zugestellt. Damit habe sie sein Recht auf Replik verletzt.

3.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör.
Dieser umfasst auch das Recht, von den beim Gericht eingereichten
Stellungnahmen Kenntnis zu erhalten und sich dazu äussern zu können (sog.
Replikrecht). Die Verfahrensbeteiligten haben Anspruch auf Zustellung von
Vernehmlassungen, unabhängig davon, ob diese neue und erhebliche Gesichtspunkte
enthalten. Das Gericht muss vor Erlass seines Entscheids eingegangene
Stellungnahmen den Beteiligten zustellen, damit sie sich darüber schlüssig
werden können, ob sie sich dazu äussern wollen oder nicht (BGE 137 I 195 E.
2.3.1 S. 197; 133 I 100 E. 4.3 ff. S. 102 ff.; je mit Hinweisen; Urteil 1B_608/
2011 vom 10. November 2011 E. 2.4).

3.2 Die Akten enthalten keinen Beleg dafür, dass die Vorinstanz dem
Beschwerdeführer die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft zugestellt hätte. Die
Vernehmlassung ist beim Strafappellationshof am 15. März 2013 eingegangen, das
heisst am Tag des Entscheids. Eine rechtzeitige Zustellung an den
Beschwerdeführer mit der Möglichkeit, sich dazu zu äussern, war unter diesen
Umständen nicht möglich.
Die Vorinstanz hat damit das Replikrecht des Beschwerdeführers verletzt. Soweit
sie das Entlassungsgesuch im Eventualstandpunkt materiell abweist, hat sie in
Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV entschieden. Die Beschwerde ist auch in dieser
Hinsicht begründet.

4.
Sie ist danach gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die
Sache wird zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen sowie zur Neuregelung
der Kosten- und Entschädigungsfolgen des kantonalen Verfahrens an die
Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 107 Abs. 2 BGG; Art. 67 und Art. 68 Abs. 5
BGG).

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Freiburg hat den anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Damit
wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Vizepräsidenten des
Strafappellationshofes des Kantonsgerichts Freiburg vom 15. März 2013 wird
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an diesen zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Der Kanton Freiburg hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.-- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Freiburg und dem Kantonsgericht Freiburg, Strafappellationshof, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 12. April 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser