Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.113/2013
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_113/2013

Urteil vom 5. Dezember 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Karlen,
Gerichtsschreiber Forster.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Fürsprecher Kurt Gaensli,

gegen

Staatsanwaltschaft Sursee.

Gegenstand
Beschlagnahme,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 6. Februar 2013 des Obergerichts des Kantons
Luzern, 2. Abteilung.

Sachverhalt:

A. 
Die Staatsanwaltschaft Sursee führt eine Strafuntersuchung gegen X.________
wegen schweren Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz. Am 2. Oktober
2012 verfügte die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme eines Personenwagens des
Beschuldigten. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des
Kantons Luzern, 2. Abteilung, mit Beschluss vom 6. Februar 2013 ab.

B. 
Gegen den Beschluss des Obergerichtes gelangte der Beschuldigte mit Beschwerde
vom 13. März 2013 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Entscheides und der verfügten Beschlagnahme.

Am 27. März 2013 reichte der Beschwerdeführer eine weitere Eingabe ein. Das
Obergericht und die Staatsanwaltschaft beantragen mit Stellungnahmen vom 24.
April bzw. 1. Mai 2013 je die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
einzutreten ist. Der Beschwerdeführer replizierte am 11. Juni 2013.

Erwägungen:

1. 
Streitig ist eine strafprozessuale Einziehungsbeschlagnahme. Es droht damit ein
nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
(vgl. BGE 128 I 129 E. 1 S. 131; nicht amtl. publizierte E. 1 von BGE 139 IV
250). Auch die übrigen Sachurteilserfordernisse von Art. 78 ff. BGG sind
erfüllt.

Die verfügte Beschlagnahme führt zu einem Eingriff in die Eigentumsgarantie des
Beschwerdeführers (Art. 26 BV). Eine Einschränkung dieser Grundrechte ist
zulässig, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen
Interesse liegt und verhältnismässig ist; zudem darf sie den Kerngehalt des
Grundrechts nicht beeinträchtigen (Art. 36 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und
Abs. 2 StPO). Die Kognitionsbeschränkung von Art. 98 BGG gelangt bei
strafprozessualen Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung (BGE 137 IV 122 E. 2 S.
125, 340 E. 2.4 S. 346; Urteil 1B_277/2011 vom 28. Juni 2011 E. 1.2). Soweit
jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu
beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art.
105 Abs. 2 BGG; BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f.).

2. 
Der Beschwerdeführer macht Folgendes geltend: Ein Personenwagen in den Händen
eines "berechtigten Lenkers" gefährde die öffentliche Ordnung nicht über
Gebühr. Wenn ein Führerausweis entzogen wurde, dürfe keine Sicherungseinziehung
des verwendeten Fahrzeuges erfolgen. Die Beschlagnahme sei als
verkehrssichernde Zwangsmassnahme ungeeignet, da er auch das Fahrzeug eines
Dritten verwenden oder ein neues Fahrzeug erwerben könnte. Beim Vorfall vom 2.
Oktober 2012, der zur Beschlagnahme führte, sei er zwar ohne Fahrerlaubnis
unterwegs gewesen, aber ansonsten als korrekter Fahrzeuglenker. Die
Streifkollision habe nicht er verursacht, sondern der ihm entgegen kommende
Unfallgegner. Er, der Beschwerdeführer, sei auf das Fahrzeug angewiesen, um
seine Mobilität "mittels eines Chauffeurs" sicherzustellen. Gestützt auf Art. 2
Abs. 2 StGB müsse auf Sicherungseinziehungen von Fahrzeugen das
zwischenzeitlich in Kraft gesetzte mildere Recht zur Anwendung kommen, nämlich
Art. 90a SVG. Es könne ihm keine in skrupelloser Weise begangene grobe
Verkehrsregelverletzung (Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG) vorgeworfen werden,
weshalb eine Sicherungseinziehung zum Vornherein nicht in Frage komme. Seit
2002 habe er sich "normal am Verkehr beteiligt, wie jeder andere
Verkehrsteilnehmer". Der angefochtene Entscheid verletze die Eigentumsfreiheit,
den Verhältnismässigkeitsgrundsatz sowie materielles Bundesstrafrecht (Art. 1,
Art. 2 Abs. 2 und Art. 69 StGB).

3.

3.1. Strafprozessuale Beschlagnahmen setzen voraus, dass ein hinreichender,
objektiv begründeter konkreter Tatverdacht besteht (Art. 197 Abs. 1 lit. b
i.V.m. Art. 263 StPO). Die Zwangsmassnahme muss ausserdem vor dem
Verhältnismässigkeitsgrundsatz standhalten (Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2
StPO). Einziehungsbeschlagnahmen sind auch aufzuheben, falls eine
strafrechtliche Sicherungs- oder Ausgleichseinziehung des beschlagnahmten
Gegenstandes aus materiellrechtlichen Gründen bereits als offensichtlich
unzulässig erscheint (BGE 137 IV 145 E. 6.4 S. 151 f.; 124 IV 313 E. 4 S. 316;
s. auch BGE 128 I 129 E. 3.1.3 S. 133 f.; 126 I 97 E. 3d/aa S. 107).

3.2. Der angefochtene Entscheid und die am 2. Oktober 2012 erstinstanzlich
verfügte Einziehungsbeschlagnahme stützen sich auf Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO
i.V.m. Art. 69 Abs. 1 StGB (Einziehungsbeschlagnahme im Hinblick auf eine
allfällige Sicherungseinziehung). Die am 1. Januar 2013 (im Rahmen des
Handlungsprogramms "Via sicura") in Kraft getretenen Bestimmungen über die
Einziehung von Motorfahrzeugen (Art. 90a Abs. 1 SVG) gelangten hier nicht zur
Anwendung. Mit dem neuen Art. 90a SVG wollte der Gesetzgeber die an sich nach
Art. 69 StGB schon bisher mögliche und in verschiedenen Kantonen auch
praktizierte Einziehung und Verwertung von Motorfahrzeugen auf Bundesebene
einheitlich regeln (BGE 139 IV 250 E. 2.3.3 S. 254).

3.3. Gemäss Art. 69 Abs. 1 StGB verfügt das Gericht (ohne Rücksicht auf die
Strafbarkeit einer bestimmten Person) die Einziehung von Gegenständen, die zur
Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine
Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von
Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden. Im Hinblick
auf eine Sicherungseinziehung eines beschlagnahmten Motorfahrzeuges hat der
Richter im Sinne einer Gefährdungsprognose zu prüfen, ob das Fahrzeug in der
Hand des Beschuldigten künftig die Verkehrssicherheit gefährdet bzw. ob dessen
Einziehung geeignet ist, den Beschuldigten vor weiteren groben
Verkehrswidrigkeiten abzuhalten (BGE 139 IV 250 E. 2.3.3 S. 254; 137 IV 249 E.
4.4. S. 255; je mit Hinweisen).

3.4. Im angefochtenen Entscheid wird Folgendes dargelegt: Der Beschwerdeführer
sei am 4. Juni 2011 von einer Polizeipatrouille angehalten worden, als er ohne
gültigen Führerausweis einen Personenwagen gelenkt habe. Mit Urteil vom 16.
April 2012 des Bezirksgerichtes Willisau sei er deswegen des Führens eines
Personenwagens trotz entzogenem Führerausweis schuldig gesprochen worden. Das
Bezirksgericht habe im Strafurteil darauf hingewiesen, dass im
Wiederholungsfall das verwendete Motorfahrzeug einzuziehen sei. Am 2. Oktober
2012 habe der Beschwerdeführer erneut einen Personenwagen ohne gültigen
Führerausweis gelenkt, wobei es zu einer Streifkollision gekommen sei. Die
Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, er habe den Unfall verursacht, indem er nicht
ausreichend rechts gefahren sei. In Verletzung seiner Meldepflicht habe er sich
von der Unfallstelle entfernt und die Entnahme einer Blutprobe vereitelt.

Zwar sei das Strafverfahren betreffend den Vorfall vom 4. Juni 2011 (nach einem
Rückweisungsentscheid des Obergerichtes vom 23. Oktober 2012) noch nicht
rechtskräftig abgeschlossen. Bei ihrem Beschlagnahmeentscheid habe die
Staatsanwaltschaft jedoch die polizeilich protokollierten Vorfälle vom 4. Juni
2011 und 2. Oktober 2012 sowie die rechtskräftigen Vorstrafen des
Beschwerdeführers berücksichtigen dürfen. Das Amtsgericht Willisau habe ihn am
21. September 2000 des zweimaligen Führens eines Motorfahrzeuges in
angetrunkenem Zustand (mit 1,72 bzw. 1,64 Promille Blutalkokolgehalt) schuldig
gesprochen und eine Gefängnisstrafe von zwei Monaten (bedingt) sowie eine Busse
von Fr. 1'500.-- gegen ihn verhängt. Am 15. Mai 2003 habe ihn dasselbe Gericht
wegen einer neuerlichen Trunkenheitsfahrt (1,13 Promille) sowie wegen
mehrfachen Führens eines Personenwagens trotz entzogenem Führerausweis mit drei
Wochen Gefängnis (unbedingt) sowie einer Busse von Fr. 1'500.-- bestraft. Am
22. Februar 2008 habe das Obergericht des Kantons Luzern den Beschwerdeführer
erneut des Fahrens (mit einem Lieferwagen) trotz entzogenem Führerausweis
schuldig gesprochen; es habe gegen ihn eine Geldstrafe von Fr. 7'500.--
ausgefällt und eine ambulante Massnahme (nach Art. 63 StGB) angeordnet. Mit
ebenfalls rechtskräftigem Strafbefehl vom 9. März 2011 sei er wegen erneuten
Führens eines Personenwagens trotz entzogenem Führerausweis sowie Fälschens
eines Führerausweises zu einer Geldstrafe von Fr. 1'750.-- verurteilt worden.
Der erste der beiden neu untersuchten (bzw. gerichtshängigen) Vorfälle vom 4.
Juni 2011 bzw. 2. Oktober 2012 sei knapp drei Monate nach der letzten
rechtskräftigen Verurteilung erfolgt. Die Beschlagnahme des am 2. Oktober 2012
verwendeten Personenwagens (im Hinblick auf eine mögliche Sicherungseinziehung)
sei daher zulässig.

3.5. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers zieht Art. 2 Abs. 2 StGB hier
nicht die Anwendung des neuen Art. 90a SVG nach sich. Es wurde keine
strafrechtliche Sanktion (im Sinne von Art. 1 und Art. 2 Abs. 2 StGB) gegen ihn
ausgefällt, sondern erst eine strafprozessuale sichernde Zwangsmassnahme
gestützt auf Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO angeordnet. Für Rechtsmittel dagegen
gilt grundsätzlich das massgebliche Recht im Zeitpunkt des erstinstanzlichen
Entscheides (vgl. Art. 454 Abs. 1 StPO). Als die Beschlagnahmeverfügung am 2.
Oktober 2012 erging, war Art. 90a SVG noch nicht in Kraft. Und selbst wenn die
Bestimmung hier bereits anwendbar wäre, hätte der Beschlagnahmerichter das
materielle Einziehungserfordernis der Skrupellosigkeit (Abs. 1 lit. a) noch
nicht abschliessend zu prüfen. Dies bliebe vielmehr dem Straf- und
Einziehungsrichter vorbehalten (vgl. BGE 139 IV 250 E. 2.3.4 S. 254 f.).

3.6. Der Beschwerdeführer ist dringend verdächtig, mehrfach trotz
Führerausweisentzug einen Personenwagen gelenkt zu haben. Aufgrund der
vorliegenden Akten, insbesondere der diversen einschlägigen Vorstrafen und der
Polizeiberichte über die neuesten Vorfälle vom 4. Juni 2011 und 2. Oktober 2012
durften die kantonalen Instanzen willkürfrei davon ausgehen, dass ernsthaft zu
befürchten ist, dass der Beschwerdeführer ständig neue schwere Verkehrsdelikte
begeht und dabei die Sicherheit anderer Personen massiv gefährdet. Damit
erscheint eine Sicherungseinziehung des am 2. Oktober 2012 verwendeten
Fahrzeugs (im Hinblick auf auf Art. 69 Abs. 1 StGB) nicht ausgeschlossen.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist die vorsorgliche Beschlagnahme
angesichts der drohenden neuen Delikte und Verkehrsgefährdungen auch
verhältnismässig (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. c-d und Abs. 2 StPO; BGE 139 IV 250
E. 2.4 S. 255). Die vorläufige Einziehungsbeschlagnahme erweist sich als
bundesrechtskonform.

4. 
Die Beschwerde ist als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 und Art. 68
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Sursee und dem
Obergericht, 2. Abteilung, des Kantons Luzern, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. Dezember 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Forster

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben