Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.112/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_112/2013

Urteil vom 12. April 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Steinmann.

Verfahrensbeteiligte
A.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mario Vassalli,

gegen

Obergericht des Kantons Nidwalden, Präsident der Strafabteilung, Marktgasse 4,
6371 Stans.

Gegenstand
Strafverfahren; amtliche Verteidigung,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 28. Februar 2013 des Obergerichts des
Kantons Nidwalden, Präsident der Strafabteilung.

Sachverhalt:

A.
A.________ (geb. 2. Januar 1994) wurde vom Kantonsgericht Nidwalden am 19.
Dezember 2012 schuldig gesprochen wegen Diebstahls, versuchten Diebstahls,
Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch, geringfügiger Erschleichung einer
Leistung und Missbrauchs einer echten, nicht für ihn bestimmen Ausweisschrift;
das Verfahren wurde eingestellt in Bezug auf den Vorwurf mehrfachen
Hausfriedensbruchs und Führens eines Motorfahrzeugs ohne erforderlichen
Führerausweis. Das Kantonsgericht verurteilte A.________ zu einer Geldstrafe
von 15 Tagesansätzen zu Fr. 10.-- (bedingt ausgesprochen mit einer Probezeit
von zwei Jahren) und einer Busse von Fr. 150.--.
Der Rechtsvertreter von A.________ erklärte am 20. Februar 2013 Berufung und
stellte im Wesentlichen die Anträge, anstelle der Einstellungen seien
Freisprüche vorzunehmen, der Beschuldigte sei einer psychiatrischen
Untersuchung zu unterziehen und von den verbleibenden Vorwürfen freizusprechen.
Im Übrigen wurde beantragt, den Rechtsvertreter unter Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege als amtlichen Verteidiger zu bestellen und
allfällige Kosten wegen offensichtlicher Unerhältlichkeit sofort abzuschreiben.
Mit Verfügung vom 28. Februar 2013 wies der Vorsitzende der Strafabteilung des
Obergerichts des Kantons Nidwalden das Gesuch um amtliche Verteidigung ab und
schlug die Kosten der Hauptsache zu.

B.
Gegen diesen Entscheid hat A.________ beim Bundesgericht am 14. März 2013
Beschwerde erhoben. Er beantragt die Bestellung des Rechtsvertreters als
amtlichen Verteidiger und ersucht im Übrigen um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.
Das Obergericht hat auf Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Gegen den im Rahmen eines Jugend-Strafverfahrens ergangenen Entscheid steht die
Beschwerde in Strafsachen offen. Der Entscheid des Obergerichts, mit dem das
Gesuch um Gewährung um amtliche Verteidigung abgewiesen worden ist, stellt
einen Zwischenentscheid dar, der gemäss der Rechtsprechung einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann (BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338). Damit kann
auf die Beschwerde in Strafsachen grundsätzlich eingetreten werden (Art. 78
Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 81 Abs. 1, Art. 93 Abs. 1 lit. a, Art. 100 Abs. 1
BGG).
In der Beschwerdeschrift ist gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG in gedrängter Form
darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Die Verletzung von
Grundrechten prüft das Bundesgericht nach Art. 106 Abs. 2 BGG nur, soweit
solche Rügen präzis vorgebracht und begründet werden. Ob diese Anforderungen
erfüllt sind, wird im entsprechenden Sachzusammenhang zu prüfen sein.

2.
Der Beschwerdeführer bringt als erstes vor, er habe mit seiner
Berufungserklärung vor Obergericht sowohl um Bestellung eines amtlichen
Verteidigers (Übernahme der Verteidigerkosten durch den Staat) wie auch um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung (Verzicht auf Kostenvorschuss oder
Verfahrenskosten) ersucht. Mit dem angefochtenen Entscheid werde nur die
Bestellung eines amtlichen Verteidigers behandelt. Die unentgeltliche
Prozessführung bleibe unerwähnt. Sinngemäss macht er damit geltend, es liege
eine formelle Rechtsverweigerung vor.
Es trifft zu, dass der angefochtene Entscheid das Gesuch um Kostenbefreiung
nicht direkt anspricht. Dennoch kann nicht gesagt werden, dass das Gesuch
unbehandelt blieb. Nach Ziff. 2 des Dispositivs werden die Kosten auf die
Hauptsache genommen. Damit kommt zum Ausdruck, dass die Kostenfrage im Rahmen
der Hauptsache beurteilt wird. Insoweit liegt ein Entscheid zum Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung vor. Der Beschwerdeführer macht
nicht geltend, dass dieser Aufschub der Beurteilung gegen die
Strafprozessordnung oder die Bundesverfassung verstossen würde. Demnach erweist
sich die Beschwerde in diesem Punkte als unbegründet.

3.
3.1 Im angefochtenen Entscheid wird festgehalten, dass bereits die
Jugendanwaltschaft wie auch das Kantonsgericht eine amtliche Verteidigung mit
überzeugender Begründung abgelehnt hätten. Weiter wird davon ausgegangen, dass
die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Lebenssachverhalte umgrenzt und gut
überblickbar seien. Deshalb könne sich der Beschwerdeführer auch im Verfahren
vor dem Obergericht, in dem eine reformatio in peius ausgeschlossen ist, gut
zurecht finden. Somit liege kein Fall von notwendiger Verteidigung vor und
entfalle die Möglichkeit einer amtlichen Verteidigung.

3.2 Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, dass auch der Rechtsvertreter
im Rechtsmittelverfahren nicht geltend mache, es liege ein Fall notwendiger
Verteidigung im Sinne von Art. 24 JStPO vor. Der Beschwerdeführer wundert sich
über diese Formulierung vor dem Hintergrund seiner Berufungserklärung und
bringt vor, der angefochtene Entscheid enthalte insofern eine Verweigerung des
rechtlichen Gehörs.
Der Beschwerdeführer unterlässt es, seine Rüge der Gehörsverletzung
entsprechend den genannten Anforderungen hinreichend zu begründen. Insbesondere
übersieht er, dass zwei verschiedene Ebenen zu unterscheiden sind.
Zum einen zielt der Beschwerdeführer mit seiner Berufungserklärung vom 20.
Februar 2013 auf das erstinstanzliche Urteil des Kantonsgerichts ab. In dessen
Entscheid vom 19. Dezember 2012 sind dem Beschwerdeführer die amtliche
Verteidigung und unentgeltliche Rechtspflege verweigert und sind ihm die Kosten
auferlegt worden (E. VIII und IX sowie Dispositiv-Ziffer 6 und 7). Mit der
Berufungserklärung wird (auch) dieser Punkt des erstinstanzlichen Urteils
angefochten. Diese enthält dazu gemäss Ziff. III unter Bezugnahme auf Art. 24
JStPO sowie gemäss Ziff. IX die entsprechenden Ausführungen. Wie es sich damit
verhält, wird das Obergericht im Berufungsverfahren zu beurteilen haben. Dies
bildet nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
Davon zu trennen sind zum andern die Anträge im Hinblick auf das
Berufungsverfahren vor dem Obergericht. Der Beschwerdeführer beantragte die
Bestellung eines amtlichen Verteidigers und die Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege. Allein diese Begehren bilden Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens.

3.3 Art. 24 JStPO zählt in den litterae a-e die Fälle notwendiger Verteidigung
auf. Es handelt sich um alternative Anspruchsvarianten und nicht um kumulative
Voraussetzungen (vgl. BGE 138 IV 35 E. 6.1 S. 38). Mit seiner Beschwerdeschrift
vermag der Beschwerdeführer nicht aufzuzeigen, dass im Berufungsverfahren die
Voraussetzungen von lit. a, c, d oder e gegeben seien und daher ein Fall von
notwendiger Verteidigung vorliege. Seine diesbezüglichen Ausführungen betreffen
das erstinstanzliche Verfahren, nicht das Berufungsverfahren. Insoweit ist
nicht näher auf die Beschwerde einzugehen.

3.4 Unter dem Gesichtswinkel von Art. 24 lit. b JStPO führt der
Beschwerdeführer aus, er habe hinlänglich dargetan, dass weder er noch seine
Eltern die Interessen ausreichend hätten wahrnehmen können. Der Rechtsvertreter
habe einschlägige Rechtsprechung und Doktrin beigetragen. Der Beschwerdeführer
verfüge nicht über die Fähigkeiten, sich angemessen zu verteidigen. Daran
ändere der Umstand nichts, dass er gut Deutsch könne.
All diese Ausführungen beziehen sich offensichtlich auf das erstinstanzliche
Verfahren, das, wie dargetan, nicht Verfahrensgegenstand bildet. Zum Verfahren
vor Obergericht macht der Beschwerdeführer keine weitern Ausführungen. Er setzt
sich nicht näher mit der Begründung im angefochtenen Entscheid auseinander.
Insbesondere geht er nicht darauf ein, dass das Berufungsverfahren auf die
angefochtenen Punkte beschränkt und eine reformatio in peius ausgeschlossen
ist. Er bezieht sich nicht auf die einzelnen Beschuldigungen und legt nicht
dar, dass die ihm zur Last gelegten Lebenssachverhalte, entgegen dem
angefochtenen Entscheid, nicht umgrenzt, nicht gut überblickbar und nicht
kompliziert seien.
Nach Art. 24 lit. b JStPO muss ein Jugendlicher verteidigt werden, wenn er die
eigenen Verfahrensinteressen nicht ausreichend wahren kann und auch die
gesetzliche Vertretung dazu nicht in der Lage ist. Dafür können persönliche
Gründe, fallbezogene sachliche Gründe oder die Schwere des Tatvorwurfs zählen
(vgl. BGE 138 IV 35 E. 6.3 S. 38). Es wird nicht dargetan und ist vor dem
Hintergrund des erstinstanzlichen Urteils nicht ersichtlich, dass das Verfahren
eine besondere Schwierigkeit oder Komplexität aufweist, der der
Beschwerdeführer nicht gewachsen wäre. Zur Hauptsache steht in Frage, ob er die
ihm vorgeworfenen Delikte tatsächlich begangen hat oder nicht. Das
Kantonsgericht hat einzelne Vorwürfe als erstellt, andere als nicht erstellt
erachtet. Schliesslich kann auch nicht gesagt werden, dass die Tatvorwürfe eine
besondere Schwere aufweisen, die eine notwendige Verteidigung erheischen würde.
Gesamthaft gesehen liegen somit keine Umstände für eine notwendige Verteidigung
im Sinne von Art. 24 lit. b JStPO vor. Damit entfällt auch die Möglichkeit
einer Bestellung einer amtlichen Verteidigung nach Art. 25 Abs. 1 lit. c JStPO.
Die Beschwerde erweist sich auch in diesem Punkte als unbegründet.

4.
Demnach ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Der Beschwerdeführer ersucht für das bundesgerichtliche Verfahren um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege. Diese kann nach Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG
gewährt werden, wenn die Partei nicht über die erforderlichen Mittel verfügt
und sofern die Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheinen. Die Bedürftigkeit
des Beschwerdeführers kann aufgrund der Akten angenommen werden. Indessen
erweist sich die Beschwerde aufgrund der vorstehenden Erwägungen als
aussichtslos. Demnach ist das Begehren abzuweisen. Angesichts der gesamten
Umstände rechtfertigt es sich, auf eine Kostenauflage zu verzichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Obergericht des Kantons
Nidwalden, Präsident der Strafabteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. April 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Steinmann