Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Spezialdossiers, Aufsichtsanzeige 12T.1/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
12T_1/2013

Entscheid vom 8. April 2013
Verwaltungskommission

Besetzung
Bundesrichter Kolly, Präsident,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Generalsekretär Tschümperlin.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Anzeiger,

gegen

Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungskommission, Postfach, 9023 St. Gallen,
Angezeigter.

Gegenstand
Aufsichtsanzeige (BGG); Koordination der Rechtsprechung.

Sachverhalt:

A.
X.________ vertrat die Familie Y.________ aus Serbien im Asylverfahren und im
Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Verfahren 1). Das Bundesamt für
Migration (BFM) lehnte mit Verfügung vom 21. Oktober 2009 die Asylbegehren ab
und ordnete die Wegweisung der Familie aus der Schweiz sowie den Vollzug an.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht am 18. Juli
2012 ab. Auf ein Revisionsgesuch trat es mangels Leisten des Kostenvorschusses
nicht ein.

 Mit Zwischenverfügung vom 23. November 2012 hielt das Bundesverwaltungsgericht
fest, dass ein vom BFM überwiesenes Wiedererwägungsgesuch der Familie
Y.________ als weiteres Revisionsgesuch zu betrachten sei. Mit Urteil vom 24.
Januar 2013 wies es das Revisionsgesuch ab, soweit darauf einzutreten war. Es
überwies die Akten dem BFM zur Behandlung der eigenen Asylgesuche der Kinder
A.Y.________ und B.Y.________. Das Urteil wurde von drei Richtern gefällt
(Verfahren D-5972/2012).

B.
X.________ vertrat auch die Familie Z.________ aus Mazedonien im Asylverfahren
und im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (Verfahren 2). Mit Verfügung
vom 19. Mai 2010 stellte das BFM fest, die Familienmitglieder erfüllten die
Flüchtlingseigenschaft nicht. Es lehnte das Asylgesuch ab, verfügte die
Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug an. Die dagegen eingereichte
Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 19. März 2012 ab.
Auf das Revisionsgesuch trat es mit Urteil vom 5. Dezember 2012 nicht ein.

 Am 9. November 2012 ersuchten die Kinder C.Z.________ und D.Z.________ beim
BFM noch separat um Asyl. Im Rahmen des Asylverfahrens der Familie seien sie
nie zu ihren eigenen Asylgründen angehört worden. Das BFM nahm die Eingabe als
Wiedererwägungsgesuch entgegen und trat mit Verfügung vom 7. Dezember 2012
nicht darauf ein. Das Gesuch um Anhörung der beiden Kinder lehnte es ab.

 Mit Urteil vom 30. Januar 2013 trat das Bundesverwaltungsgericht auf eine
Rechtsverweigerungsbeschwerde von C.Z.________ nicht ein, weil die Vorinstanz
eine anfechtbare Verfügung erlassen hatte und einer
Rechtsverzögerungsbeschwerde damit zum Vornherein der Boden entzogen war
(Verfahren E-379/2013).

 Ebenfalls mit Urteil vom 30. Januar 2013 wies das Bundesverwaltungsgericht die
Beschwerde der Kinder C.Z.________ und D.Z.________ betreffend Asyl und
Wegweisung ab, soweit darauf einzutreten war. Das Urteil wurde vom
Einzelrichter mit Zustimmung eines zweiten Richters gefällt (Verfahren E-380/
2013).

C.
Eine Vernehmlassung ist nicht eingeholt worden.

Erwägungen:

1.
Der Anzeiger beschränkt seine Aufsichtsanzeige ausdrücklich auf die mögliche
Verletzung der Koordinationspflicht nach Art. 25 VGG. Nachdem im Verfahren 1 am
24. Januar 2013 ein Dreier-Spruchkörper entschieden habe, dass die Akten zur
Behandlung der Asylgesuche vom 19. November 2012 der beiden Kinder dem BFM
zurückzugeben seien, sei der Einzelrichter nicht mehr frei gewesen, im
Verfahren 2 mit Urteil vom 30. Januar 2013 das am 9. November 2012 eingereichte
Asylgesuch der Kinder als inexistent zu betrachten.

 Gründe, auf eine der zahlreichen weiteren Kritiken des Anzeigers an den
Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts einzugehen, bestehen nicht. Das
Aufsichtsverfahren ist kein Ersatz für ein gesetzlich nicht vorgesehenes
Rechtsmittel. Auf appellatorische Kritik an den beanstandeten Urteilen ist
nicht einzugehen.

2.
Der Anzeiger erblickt die mangelnde Koordination der Rechtsprechung darin, dass
das Bundesverwaltungsgericht in einem Fall das nach Abweisung des Asylgesuchs
der Familie von den Kindern eingereichte Asylgesuch dem BFM zur Behandlung
zurückgeschickt hat, während es im anderen Fall die Beschwerde gegen den
Wiedererwägungsentscheid des BFM einzelrichterlich abgewiesen hat.

2.1. Eine unzulängliche Organisation oder Durchführung der Koordination der
Rechtsprechung am Bundesverwaltungsgericht fällt grundsätzlich in die
aufsichtsrechtliche Kompetenz des Bundesgerichts. Zwar liegt die
Einheitlichkeit der Rechtsprechung im Grenzbereich zwischen Rechtsprechung und
administrativer Aufsicht. Ob die Rechtsprechung im konkreten Fall entsprechend
dem Geschäftsreglement durchgeführt wird und diese zweckmässig organisiert ist,
fällt jedoch in den der Aufsicht des Bundesgerichts unterstehenden Bereich der
Organisation und Geschäftsführung. Inwieweit die Einheitlichkeit der
Rechtsprechung als solche Prüfungsgegenstand der Aufsichtsbeschwerde ans
Bundesgericht sein kann, hat das Bundesgericht dagegen offengelassen (BGE 135
II 429).

 Demzufolge ist zunächst vorfrageweise zu prüfen, ob überhaupt ein Widerspruch
in der Rechtsprechung vorliegt. Denn nur in diesem Fall kann sich überhaupt die
Frage einer mangelnden Koordination der Rechtsprechung stellen. Dabei ist es
dem Bundesgericht in seiner Rolle als Aufsichtsinstanz indessen in jedem Fall
verwehrt, die beiden Verfahren auf ihre rechtliche Richtigkeit hin zu
überprüfen.

2.2. Im von drei Richtern beurteilten Verfahren 1 hielt das
Bundesverwaltungsgericht zur Frage der persönlichen Befragung der Kinder fest,
dass es den Eltern möglich und zumutbar gewesen sei, die nunmehr geltend
gemachten Umstände und Rügen bereits im vorangegangenen ordentlichen
Beschwerdeverfahren einzubringen, wie dies teilweise auch geschehen sei. Dem
Umstand, dass die Kinder im ordentlichen Asylverfahren nicht separat befragt
wurden, sei die revisionsrechtliche Neuheit abzusprechen. Wohl sei Art. 12 des
UNO-Übereinkommens über die Rechte der Kinder (SR 0.107) unmittelbar anwendbar.
Die Garantie beinhalte jedoch nicht zwingend eine persönliche mündliche
Anhörung des Kindes, sondern lediglich eine Anhörung in angemessener Weise. Der
Standpunkt des Kindes könne auch schriftlich oder durch einen behördlichen oder
gewillkürten Vertreter vorgebracht werden. Soweit sich die Interessenlagen des
Kindes und der Eltern deckten, könne auf eine gesonderte Anhörung des Kindes
verzichtet werden. Im vorliegenden Fall könne davon ausgegangen werden, dass
der Standpunkt aller Gesuchsteller im Rahmen des ordentlichen Verfahrens
genügend zum Ausdruck gebracht worden sei (E. 4).

2.3. Im einzelrichterlich beurteilten Verfahren 2 hielt das
Bundesverwaltungsgericht fest, dass das BFM die Eingabe zu Recht nicht als neue
Asylgesuche entgegengenommen hat. Die beiden Kinder hätten im ordentlichen
Verfahren nie eigene Asylgründe geltend gemacht. Namentlich hätten ihre Eltern
als gesetzliche Vertreter nie geltend gemacht, die im Zeitpunkt der Einreichung
des Asylgesuchs zwölf- und achtjährigen Kinder seien in asylrechtlich
relevanter Weise beeinträchtigt worden. Soweit die Eltern als gesetzliche
Vertreter im Rahmen des ordentlichen Asylverfahrens Asylgründe nicht geltend
gemacht hätten, sei der Sachverhalt mit Rechtskraft belegt (E. 5).

2.4. Daraus erhellt, dass das Bundesverwaltungsgericht in beiden Verfahren für
die persönliche Anhörung der Kinder von den gleichen rechtlichen Grundsätzen
ausgegangen ist, indem es in beiden Verfahren einen unbedingten Anspruch der
Kinder auf persönliche Anhörung abgelehnt hat. Aus dem unterschiedlichen
Ausgang der beiden Verfahren kann entgegen der Auffassung des Anzeigers nicht
auf eine mangelnde Koordination der Rechtsprechung geschlossen werden. Den zwei
Verfahren lag vielmehr eine unterschiedliche prozessrechtliche Situation
zugrunde. Im teilweise an das BFM überwiesenen Verfahren 1 lag dem
Bundesverwaltungsgericht ein Revisionsverfahren der Familie vor, wobei die
eigenen Anträge der Kinder noch nicht beurteilt waren, während im Verfahren 2
über das Wiedererwägungsgesuch der Kinder entschieden wurde. Dementsprechend
wurden die Akten nur im Verfahren 1 dem BFM überwiesen, damit dieses die noch
nicht beurteilten Asylanträge der beiden Kinder behandle. Ob der Richter einen
Fall entscheidet oder an die Vorinstanz zurückweist, ist im Übrigen in aller
Regel eine Ermessensfrage, die sich einer aufsichtsrechtlichen Prüfung durch
das Bundesgericht entzieht.

 Fehlt es aber an einer Divergenz in der Rechtsprechung, so stellt sich die
Frage nicht, ob ein Mangel in der Organisation oder Durchführung der
Koordination der Rechtsprechung vorliegt.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Der Aufsichtsanzeige wird keine Folge geleistet.

2.
Er werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieser Entscheid wird dem Bundesverwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt. Dem
Anzeiger wird eine Orientierungskopie zugestellt.

Lausanne, 8. April 2013
Im Namen der Verwaltungskommission
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kolly

Der Generalsekretär: Tschümperlin

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