Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 989/2012
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_989/2012

Urteil vom 5. September 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Advokat Dr. Yves Waldmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 2.
August 2012.

Sachverhalt:

A. 
K.________, geboren 1965, arbeitete zuletzt von Juni 2000 bis Juni 2003 als
Küchenhilfe im Spital X.________. Am 4. Juni 2003 meldete sie sich unter
Hinweis auf verschiedene Leiden bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an und ersuchte um Arbeitsvermittlung. Gestützt auf die
durchgeführten Abklärungen in gesundheitlicher und erwerblicher Hinsicht
ermittelte die IV-Stelle Basel-Landschaft einen Invaliditätsgrad von 55 %,
worauf sie K.________ mit Verfügung vom 16. März 2005 rückwirkend ab 1. Juni
2003 eine halbe Invalidenrente zusprach. Hieran hielt sie mit
Einspracheentscheid vom 30. August 2006 fest. Das Kantonsgericht
Basel-Landschaft wies die von K.________ hiegegen erhobene Beschwerde mit
Entscheid vom 14. März 2007 ab.
Am 4. Juni 2009 reichte K.________ unter Beilage eines Attests der Kantonalen
Psychiatrischen Klinik Y.________ vom 15. Mai 2009 ein Gesuch um Rentenrevision
ein. Die IV-Stelle gab in der Folge zwei medizinische Fachgutachten in Auftrag
(Gutachten des Dr. med. B.________, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
FMH, Praxisschwerpunkte: Psychosomatische und psychosoziale Medizin,
Vertrauensarzt, Ausserordentliches Mitglied der schweizerischen Gesellschaft
für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 29. Januar 2011; Expertise des
Aerztlichen Begutachtungsinstituts GmbH, [ABI], vom 9. Juni 2011). Auf der
Grundlage dieser beiden Gutachten ermittelte die IV-Stelle einen
Invaliditätsgrad von nunmehr noch 31 %, worauf sie die laufende halbe Rente mit
Verfügung vom 6. Februar 2012 auf Ende März 2012 aufhob.

B. 
Die von der Versicherten hiegegen eingereichte Beschwerde wies das
Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 2. August 2012 ab.

C. 
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Rückweisung der Sache zu
weiterer medizinischer Abklärung und neuer Festsetzung des Rentenanspruchs an
die IV-Stelle beantragen. Ferner ersucht sie um die Bewilligung der
unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung; die Versicherte
lässt daraufhin weitere Bemerkungen einreichen.

Erwägungen:

1. 
Das kantonale Gericht umschreibt die Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG), zum Einkommensvergleich (Art. 28 Abs. 1
IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG), zur Rentenrevision (Art. 17 ATSG), zu den
dabei zu vergleichenden Sachverhalten (BGE 133 V 108 E. 5.4 S. 225), zur
Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V
256 E. 4 S. 261) sowie zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE
125 V 351 E. 3a S. 352) zutreffend. Darauf wird verwiesen.

2. 
Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sind grundsätzlich Entscheidungen über
eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), die das Bundesgericht seiner
Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Analoges gilt auch
für die Frage, ob sich eine Arbeits (un) fähigkeit in einem bestimmten Zeitraum
in einem revisionsrechtlich relevanten Sinne verändert hat (z.B. Urteil 9C_617/
2010 vom 10. Februar 2011 E. 3.1 mit Hinweis). Ebenfalls Tatfrage ist die
konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind die Beachtung des
Untersuchungsgrundsatzes sowie der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG und die Einhaltung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Rechtsfragen (BGE
132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; zum Anspruch auf rechtliches Gehör: Urteil
5A_519/2008 E. 3.3 vom 12 Oktober 2009), die das Bundesgericht im Rahmen der
den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 und Art.
106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann
(Art. 106 Abs. 1 BGG).

3.

3.1. Die Vorinstanz stellte fest, dass seit Erlass des in zeitlicher Hinsicht
massgeblichen Einspracheentscheides vom 30. August 2006 (Zusprechung einer
halben Invalidenrente) eine Verbesserung in den gesundheitlichen Verhältnissen
und entsprechend auch eine Änderung in der Arbeitsfähigkeit der Versicherten
eingetreten sei. Die Verbesserung des Gesundheitszustandes sei im Wegfall der
mittelgradigen depressiven Episode, welche im Gutachten der Medizinischen
Poliklinik des Spitals Z.________ vom 10. Januar 2006 und im psychiatrischen
Untergutachten der Poliklinik vom 21. September 2005 diagnostiziert wurden,
begründet. Das kantonale Gericht betrachtete daher die Voraussetzungen für eine
Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG) als erfüllt. Gemäss dem dem Entscheid zu
Grunde gelegten ABI-Gutachten vom 9. Juni 2011 verbleibe der Beschwerdeführerin
für eine körperlich leichte, wechselbelastende, unter adaptierten
Arbeitsplatzbedingungen auszuübende berufliche Tätigkeit eine ganztägig
verwertbare Arbeits- und Leistungsfähigkeit von 75 %. Der Einkommensvergleich
ergab laut angefochtenem Entscheid einen Invaliditätsgrad von nunmehr noch 31
%, was in Bestätigung der Verwaltungsverfügung vom 6. Februar 2012 zur
revisionsweisen Aufhebung der Invalidenrente führte.

3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, das kantonale Gericht habe sich bei seiner
Sachverhaltsfeststellung auf Berichte und Gutachten abgestützt, welche den
rechtlichen Anforderungen nicht genügten. Insbesondere das Gutachten des ABI
vom 9. Juni 2011 weise Widersprüche auf, welche es unglaubwürdig erscheinen
liessen. Folglich sei eine erhebliche Verbesserung der gesundheitlichen
Situation nicht in hinreichendem Masse ausgewiesen, weshalb sich eine
Rentenrevision nicht rechtfertige und der angefochtene Gerichtsentscheid
aufzuheben sei. Obwohl die Beschwerdeführerin die Widersprüchlichkeit bereits
im kantonalen Verfahren aufgezeigt habe, habe sich die Vorinstanz mit dem
genannten Einwand nicht auseinandergesetzt. Daher verletze der angefochtene
Entscheid den Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher auch ein Anrecht auf eine
Begründung enthalte.

4.

4.1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Die Verletzung des
rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde in der
Sache selbst grundsätzlich zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Die
gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs ist daher vorweg zu prüfen (BGE 126 I
19 E. 2d/bb S. 24; 125 I 113 E. 3 S. 118).

4.2. Der Umfang des Gehörsanspruchs bestimmt sich in erster Linie nach den
kantonalen Verfahrensvorschriften. Wo sich dieser kantonale Rechtsschutz als
ungenügend erweist, greifen die unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden
bundesrechtlichen Minimalgarantien zur Sicherung des rechtlichen Gehörs Platz.
Deren Anwendung prüft das Bundesgericht mit freier Kognition (BGE 126 I 19 E.
2a S. 21 f., 15 E. 2a S. 16).

4.3. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs als persönlichkeitsbezogenes
Mitwirkungsrecht verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in
seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, sorgfältig und
ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die
grundsätzliche Pflicht der Behörden, ihren Entscheid zu begründen. Der Bürger
soll wissen, warum die Behörde entgegen seinem Antrag entschieden hat. Die
Begründung eines Entscheids muss deshalb so abgefasst sein, dass der Betroffene
ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Dies ist nur möglich, wenn
sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des
Entscheides ein Bild machen können. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die
Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf
welche sich ihr Entscheid stützt (BGE 126 I 97 E. 2b S. 102 mit Hinweisen).
Indessen bedeutet dies nicht, dass sich die Behörde ausdrücklich mit jeder
tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinander setzen
muss. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen
Gesichtspunkte beschränken (BGE 112 Ia 107 E. 2b S. 110, mit Hinweisen). An die
Begründungspflicht dürfen von Verfassungs wegen keine hohen Anforderungen
gestellt werden (BGE 114 Ia 233 E. 2d S. 241 f.).

4.4. Die Beschwerdeführerin wirft der Vorinstanz vor, sich mit ihrem Einwand,
die Aussagen des Dr. med. B.________ bei früheren Begutachtungen seien im
ABI-Gutachten unberücksichtigt geblieben, nicht auseinander gesetzt zu haben.
Dr. med. B.________ stellte im Gutachten vom 29. Januar 2011 die früher
gestellten Diagnosen einer mittelgradigen depressiven Episode in Frage.
Indessen hielt auch er fest, dass die Beschwerdeführerin seit der Begutachtung
in der Klinik Z.________ vom 21. September 2005 in der Lage gewesen sei, im
Ausmass von 50 % einer Vollzeittätigkeit im angestammten Beruf zu arbeiten.
Bereits zuvor, seit 2001, habe bloss eine hälftige Arbeitsfähigkeit vorgelegen.
In der Folge hätte sie die Arbeitsfähigkeit jährlich um 10 % steigern können,
bis sie im Juni 2009 100 % erreicht hätte, wobei sie auf häufige Pausen
angewiesen sei, sodass die tatsächliche Belastungsfähigkeit von 100 % um 20 %
reduziert sei. Diese Angaben zeigen, dass auch der Experte Dr. med. B.________
für den Zeitraum ab Juni 2003, für welchen der Versicherten ursprünglich eine
halbe Rente zuerkannt wurde, eine hälftige Arbeitsunfähigkeit annimmt. Die
Tatsache, dass er die von anderen Fachleuten gestellte Diagnose einer
mittelgradigen depressiven Episode oder Störung als verfehlt erachtet, ist
nicht entscheidend. Denn für die Belange der Rentenrevision sind - wie auch bei
der erstmaligen Rentenzusprechung - nicht die fachärztlich gestellten, oftmals
divergierenden Diagnosen entscheidend. Ausschlaggebend ist vielmehr der im
jeweils massgebenden Zeitpunkt ärztlicherseits bescheinigte Grad der
Arbeitsunfähigkeit und daraus abgeleitet der Invaliditätsgrad. In diesem Punkt
stimmt Dr. med. B.________ mit den anderen Ärzten im Wesentlichen überein.
Sowohl bei Rentenbeginn als auch bei Aufhebung der Invalidenrente attestiert
auch dieser Gutachter entsprechende Arbeitsunfähigkeitsgrade. Mit Blick auf die
streitige Rentenrevision ist es somit unerheblich, dass die Vorinstanz von
einer Auseinandersetzung mit der Kritik des Dr. med. B.________ an den von den
Vorgutachtern gestellten psychiatrischen Diagnosen abgesehen hat. Eine
Verletzung des rechtlichen Gehörs stellt der Verzicht auf die Erörterung
verschiedener gutachtlicher Auffassungen hinsichtlich der Diagnostik, soweit
sie sich nicht in einer wesentlichen Unterscheidung hinsichtlich der
Arbeitsunfähigkeit niederschlagen, entgegen der beschwerdeweise vorgetragenen
Auffassung nicht dar. Sodann hält der angefochtene Entscheid auch hinsichtlich
der Begründungsdichte vor Bundesrecht stand, indem die Vorinstanz gestützt auf
die von den Experten des ABI gewonnenen Erkenntnisse zum Schluss gelangt, dass
bei Rentenaufhebung am 6. Februar 2012 kein rentenbegründender Invaliditätsgrad
von mindestens 40 % mehr vorgelegen hat.

5. 
Dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist stattzugeben, da die gesetzlichen
Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Die Beschwerdeführerin
wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht. Danach hat die Partei
der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn sie später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Advokat Dr. Yves Waldmann, Basel, wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. September 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Widmer

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben