Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 983/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_983/2012

Urteil vom 20. Juni 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
nebenamtlicher Bundesrichter Weber,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Fürsprecher Peter Bezzola,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 26.
Oktober 2012.

Sachverhalt:

A.
K.________, geboren 1960, meldete sich am 1. Dezember 1999 zum Bezug von
Leistungen der Invalidenversicherung an. Mit Verfügung vom 8. November 2000
wies die IV-Stelle Bern einen Rentenanspruch ab. Am 20. Oktober 2009 reichte
K.________ erneut ein Gesuch um Ausrichtung von Leistungen der
Invalidenversicherung ein. Die IV-Stelle Bern verfügte am 7. September 2010 den
Abschluss der beruflichen Eingliederung, da aufgrund des Gesundheitszustandes
keine Eingliederungsmassnahmen möglich seien. Sie gab am 1. März 2011 dem
Zentrum X.________ die Erstellung eines polydisziplinären Gutachtens (vom 26.
Januar 2012) in Auftrag. Nach Vorbescheid vom 20. Februar 2012 wies die
IV-Stelle mit Verfügung vom 17. April 2012 das Leistungsbegehren ab.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 26. Oktober 2012 ab.

C.
K.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, der Entscheid vom 26. Oktober 2012 und die Verfügung vom 17.
April 2012 seien aufzuheben. Die laufende psychosomatische Behandlung im Spital
sei in Koordination mit der SUVA weiterzuführen. Im Anschluss daran sei er
beruflich seinen Fähigkeiten entsprechend einzugliedern. Eventualiter sei ein
medizinisches Obergutachten anzuordnen.
Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Beschwerde. Vorinstanz und Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Der Beurteilung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art.
82 ff. BGG) liegt der Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesen kann das Bundesgericht von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl.
auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Zu den Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit. a
BGG gehören auch die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen
Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer
wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteil 9C_53/2008 vom 18. Februar 2009 E.
1.3 mit Hinweisen).

2.
Erstmals im letztinstanzlichen Verfahren beanstandet der Beschwerdeführer,
nicht alle an der Begutachtung des Zentrums X.________ beteiligten Ärzte hätten
an der Schlusskonferenz teilgenommen und das Gutachten sei nicht von allen
begutachtenden Ärzten unterschrieben. Es handelt sich hier prozessual um neue
Angriffsmittel tatsächlicher Natur, was als unzulässig im Sinne von Art. 99 BGG
zu bewerten ist (Ulrich Meyer/Johanna Dormann, Basler Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 19 und 20 zu Art. 99 BGG). Da das
Gutachten bereits im Verwaltungsverfahren vorlag und diese angeblichen Mängel
dort wie auch im vorinstanzliche Verfahren nicht beanstandet wurden, kann der
Beschwerdeführer nicht geltend machen, diese Vorbringen seien erst durch den
Entscheid der Vorinstanz erforderlich geworden. Vielmehr hatte sich die
Vorinstanz dazu mangels entsprechender Rügen nicht zu äussern. Hätte der
Beschwerdeführer diese Beanstandungen rechtzeitig im Vorbescheidverfahren oder
vor der kantonalen Instanz vorgebracht, hätte ein allfälliger Mangel des
Gutachtens ohne Weiteres dadurch behoben werden können, dass das Zentrum
X.________ aufgefordert worden wäre, nachträglich das Gutachten durch sämtliche
daran beteiligten Ärzte unterzeichnen zu lassen, wie dies praxisgemäss so
gehandhabt wird. Wenn ein beteiligter Gutachter sich mit den Ergebnissen der
Begutachtung nicht hätte einverstanden erklären können, so wäre dies spätestens
dann manifest geworden. Angesichts der offensichtlich verspäteten Rügen besteht
keine Veranlassung, dies nun nachzuholen. Vielmehr ist von einem formell und -
wie nachstehend dargelegt - materiell korrekt erstellten Gutachten auszugehen.

3.

3.1. Die Vorinstanz hat zur Invaliditätsbemessung auf das Gutachten des
Zentrums X.________ abgestellt. Der Beschwerdeführer übt daran weitgehend
appellatorische Kritik, auf die das Bundesgericht nicht eintritt (BGE 134 II
244 E. 2.2 S. 246 mit Hinweis). Insbesondere zeigt er nicht auf, dass eine
Bundesrechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG vorliegt. Ebenso ist
keine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhaltes gemäss Art. 97
Abs. 1 BGG erkennbar. Im polydisziplinären Gutachten des Zentrums X.________
werden als Diagnosen mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit eine chronische
Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren im Sinne eines
Schmerzsyndroms verbunden mit sensomotorischen Störungen im Bereich des rechten
oberen Körperquadranten; Complex regional pain syndrome, CRPS, Typ II (laut
Angabe); ein Status nach Schulterkontusion und fraglich undislozierter
Clavikulafraktur (Schlüsselbeinbruch) mit posttraumatischem
Thoracic-outlet-Syndrom sowie ein Status nach supraklavikulärer Plexusrevision
und Desinsertion des musculus scalenus anterior und medius rechts gestellt. In
der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Kriminalbeamter in der technischen
Überwachung bestehe seit der Plexusoperation vom April 2009 eine 100%ige
Arbeitsunfähigkeit. In Tätigkeiten, welche keine Anforderungen an die
Feinmotorik und die rohe Kraft des rechten Armes stellen, bei denen dieser also
nur als Hilfshand eingesetzt werden muss, sei der Beschwerdeführer zu 100 %
arbeitsfähig. Die Einschätzung dürfe seit etwa drei Monaten nach der
Plexusoperation, d.h. seit Juli 2009 gelten.

3.2.

3.2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die CRPS-Problematik durch die
Gutachter des Zentrums X.________ nicht hinreichend berücksichtigt worden sei.
Diese begründen jedoch nachvollziehbar, dass aktuell kein CRPS mehr
diagnostiziert werden könne und eine chronische Schmerzstörung besteht, die von
psychischen Faktoren relevant überlagert wird. Der Neurologe Dr. med.
L.________ setzt sich im neurologischen Status ausführlich mit dem CRPS
auseinander. Er führt an, dass, auch wenn ein organisches Korrelat anzunehmen
sei, von einer relevanten funktionellen Überlagerung der Symptomatik
ausgegangen werden müsse. Diese Aussage begründet er insbesondere mit dem
Resultat der Kraftprüfung: Relevante trophische Störungen im Bereiche des
rechten Arms finden sich keine mehr und auch gemessen an den (Arm-) Umfängen
besteht keine relevante Differenz. Er vermerkt, der ursprüngliche Linkshänder
könne den rechten Arm als Hilfshand benützen, was beim Aus- und Anziehen der
Kleider beobachtet worden sei. Die Gutachter des Zentrums X.________ haben die
Beeinträchtigung des rechten Arms auch in der Beschreibung des
Belastungsprofils berücksichtigt: Sie bezeichnen Tätigkeiten als zumutbar,
welche keine Anforderungen an die Feinmotorik und die rohe Kraft des rechten
Armes stellen, bei denen dieser also nur als Hilfshand eingesetzt werden muss.
Der Vorwurf ist verfehlt, sie würden sich mit der CRPS-Problematik nicht
hinreichend auseinander setzen. Der Beschwerdeführer kann auch nichts aus dem
von ihm angeführten Urteil 8C_1021/2010 vom 19. Februar 2011 ableiten:
Einerseits kamen vorliegend die Gutachter des Zentrums X.________ zum Schluss,
dass aktuell kein CRPS mehr diagnostiziert werden könne. Anderseits wurden die
Einschränkungen beim rechten Arm wie dargelegt bei der Festlegung des
Belastungsprofils berücksichtigt.

3.2.2. Die beanstandete unterschiedliche Beurteilung durch die behandelnden
Ärzte und die Gutachter des Zentrums X.________ ergibt sich aus der Divergenz
zwischen Behandlungs- und Abklärungsauftrag (vgl. dazu Urteil 8C_260/2011 vom
25. Juli 2011 E. 5.2). Ebenso ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer von
den Gutachtern des Zentrums X.________ in der angestammten Tätigkeit als
Kriminalbeamter in der technischen Überwachung als zu 100 % arbeitsunfähig
beurteilt wird. Diesbezüglich besteht kein Widerspruch zu den von ihm
aufgelisteten Arbeitsunfähigkeitsgraden. Ein solcher ist auch nicht
ersichtlich, wenn er in einer Tätigkeit, die dem zumutbaren Belastungsprofil
entspricht, als zu 100 % arbeitsfähig eingeschätzt wird. Der Beschwerdeführer
scheint die Arbeitsunfähigkeit der Erwerbsunfähigkeit gleichzusetzen, was
gemäss Art. 7 ATSG nicht zulässig ist. Mit der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit
in einer angepassten Tätigkeit lieferten die Gutachter des Zentrums X.________
die für die Invaliditätsbemessung (Art. 8 ATSG) notwendigen Voraussetzungen.
Darum konnte und kann entgegen dem gestellten Antrag in zulässiger
antizipierender Beweiswürdigung auf weitere medizinische Abklärungen verzichtet
werden (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 mit Hinweisen).

3.2.3. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz vor, dass sie die weiteren
Abklärungen der SUVA nicht abgewartet habe. Dazu ist vorab festzuhalten, dass
keine Bindungswirkung der Beschwerdegegnerin an die Beurteilung der SUVA
gegeben ist (BGE 133 V 549 E. 6 S. 552 f.). Überdies äusserte sich der
SUVA-Kreisarzt Dr. med. B.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und
Traumatologie des Bewegungsapparates FMH, in seinem Bericht vom 16. März 2010
bezüglich Drehschwindel, Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit sowie
vermehrte Empfindlichkeit auf äussere Einflüsse nicht innerhalb seines
Fachgebietes. Der Beschwerdeführer erwähnte bei der neurologischen
MZR-Begutachtung durch Dr. med. L.________ Drehschwindel. Gemäss dessen Angaben
war der Beschwerdeführer in der Exploration allseits orientiert, er berichtete
klar, und im Gespräch waren keine neurokognitiven Defizite auszumachen. Wenn
der neurologische Gutachter daher aus dem ihm gegenüber erwähnten Drehschwindel
keine Diagnose ableitete, so kann dies nicht als Mangel der Begutachtung
gewertet werden.

3.2.4. Auch negierten die Gutachter des Zentrums X.________ nicht somatische
Faktoren der Schmerzstörung. Sie begründen ausführlich, dass es auf der
Grundlage eines organischen Korrelates sekundär zu einer relevanten psychischen
Überlagerung gekommen ist und diese nun im Vordergrund steht. Dazu bleibt
anzumerken, dass eine somatoforme Schmerzstörung (lediglich) voraussetzt, dass
die geklagten Beschwerden organisch nicht hinreichend erklärbar sind; deshalb
schliesst eine teilweise organische Ursache eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung nicht aus (Urteile 9C_942/2011 und 9C_70/2012 vom 6. Juli 2012
E. 5.2).

4.
Die an der Begutachtung des Zentrums X.________ geübte Kritik ist
ungerechtfertigt. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz ihre
Beurteilung massgebend auf dieses Gutachten abgestellt und keinen
invalidisierenden Gesundheitsschaden ermittelt hat. Was die im Anschluss an die
laufende psychosomatische Behandlung im Spital beantragte berufliche
Wiedereingliederung betrifft, ist abschliessend darauf hinzuweisen, dass der
Beschwerdeführer sich bei der Beschwerdegegnerin für die Inanspruchnahme von
Arbeitsvermittlung melden kann, sobald er sich zu einer Erwerbsaufnahme
tatsächlich wieder auch selber im Stande sieht. Die Beschwerde ist abzuweisen.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung
mit Art. 66 Abs. 1 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. Juni 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

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