Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 965/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_965/2012 {T 0/2}
                        
9C_21/2013 {T 0/2}

Urteil vom 5. August 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer und Borella,
Gerichtsschreiber Scartazzini.

Verfahrensbeteiligte
9C_965/2012
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

K.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Jürg Jakob,
Beschwerdegegnerin,

und

9C_21/2013
K.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Jürg Jakob,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerden gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St.
Gallen
vom 5. November 2012.

In Erwägung,
dass die IV-Stelle des Kantons St. Gallen einen Rentenanspruch der K.________
(Jg. 1967), Mutter von drei Kindern, mit rechtsbeständig gewordenen Verfügungen
vom 22. Februar 2002 und 30. September 2008 abgelehnt hatte,
dass die Durchführungsstelle ein drittes Leistungsgesuch vom 5. Februar 2009 an
die Hand nahm, verschiedene Abklärungen vornahm (zum Teil - so das
Verlaufsgutachten des Institutes X.________ vom 7. Juni 2010 - auf Vorbescheide
vom 14. Oktober 2009 und 5. August 2010 hin) und den Rentenanspruch unter
Beizug unveränderter Grundlagen gemäss Verfügung vom 30. September 2008
(gemischte Methode, Gewichtung Erwerb/Haushalt mit je 50%; Invaliditätsgrad
10%), erneut verneinte (Verfügung vom 29. September 2010),
dass das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen die hiegegen erhobene
Beschwerde (bei einem IV-rechtlichen Status von 80% Erwerb / 20% Haushalt,
Arbeitsunfähigkeiten von 50% / 20% und Gewährung eines 15%igen Abzuges vom
Invalidenlohn [gesamter Invaliditätsgrad: 41,5%]) mit Entscheid vom 5. November
2012 teilweise guthiess und der Versicherten mit Wirkung ab 1. August 2009 eine
Viertels-Invalidenrente zusprach,
dass die IV-Stelle Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führt
(Verfahren 9C_965/2012) und die Aufhebung des kantonalen Entscheides sowie die
Bestätigung der Verfügung vom 29. September 2010 beantragt,
dass die Versicherte Abweisung der Beschwerde anbegehrt, wogegen das Bundesamt
für Sozialversicherungen auf deren Gutheissung schliesst,
dass auch K.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
erhebt (Verfahren 9C_21/2013) mit dem Begehren, der kantonale Gerichtsentscheid
sei aufzuheben; es sei ihr ab 1. August 2009 eine halbe Invalidenrente
zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zu erneuter polydisziplinärer
Begutachtung zwecks Ermittlung der Restarbeitsfähigkeit in angestammter
Tätigkeit mit anschliessender Neufestlegung des Invaliditätsgrades an die
IV-Stelle zurückzuweisen,
dass die beiden Verfahren 9C_965/2012 und 9C_21/2013 zu vereinigen sind (BGE
128 V 124 E. 1 S. 126 mit Hinweisen), da sie denselben Anfechtungs- und
Streitgegenstand haben, d.h. den vorinstanzlich zu einem Viertel anerkannten
Rentenanspruch, dessen Bestand die beschwerdeführende IV-Stelle, unterstützt
durch die Aufsichtsbehörde, verneint und um dessen Erhöhung auf die Hälfte die
beschwerdeführende Versicherte ersucht,
dass der Haupteinwand der IV-Stelle, das kantonale Gericht sei  prinzipiell
 nicht befugt gewesen, abweichend von der rechtsbeständigen Ablehnungsverfügung
vom 30. September 2008 die Bereiche neu zu gewichten (80%ige hypothetische
Erwerbstätigkeit im Gesundheitsfall laut angefochtenem Entscheid), nach BGE 117
V 198 E. 4b S. 200 unbegründet ist, weil - wenn (wie hier) im gesamten für die
Anspruchsberechtigung erheblichen Tatsachenspektrum eine Änderung glaubhaft
gemacht und auf die Neuanmeldung eingetreten worden ist - die Verwaltung das
neue Leistungsgesuch in tatsächlicher (wie auch in rechtlicher) Hinsicht
allseitig zu prüfen hat, welche Kompetenz im Streitfall dementsprechend auch
dem angerufenen Gericht zusteht,
dass im Weiteren die Rechtsprechung eine Rechtsbeständigkeit von Teilaspekten,
Faktoren oder Begründungselementen einer Verfügung in der Regel verneint (vgl.
BGE 125 V 413 E. 2b, c S. 415 f.), was auch für einen ablehnenden
Verwaltungsakt gilt, dessen Tragweite jedenfalls in zeitlicher Hinsicht
beschränkt ist, lässt sich doch gerade die Frage nach dem Umfang der ohne
Behinderung hypothetisch ausgeübten Erwerbstätigkeit zwei Jahre nach Erlass
einer negativen (ablehnenden) Verfügung mit Blick auf eine seitherige
persönliche, familiäre und wirtschaftliche Entwicklung unter Umständen durchaus
abweichend beantworten,
dass der erwähnte Haupteinwand der IV-Stelle auch  fallgebunden keine
Bundesrechtsverletzung (Art. 95 lit. a BGG) dartut, ist doch die
vorinstanzliche Annahme einer nun 80%igen Erwerbstätigkeit mit Blick auf
andauernde Sozialhilfeabhängigkeit, wirtschaftliche Notwendigkeit und die sich
im Wesentlichen nur noch auf den Aeltesten beziehenden Betreuungspflichten (der
zweite Sohn ist beim Vater wohnhaft, der über ihn das Sorgerecht hat, wogegen
die Tochter unter der Woche im Heim lebt) nicht offensichtlich unrichtig (Art.
97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG), d.h. unhaltbar oder gar willkürlich (BGE 132
III 209 E. 2.1 S. 211),
dass die zweite Rüge der IV-Stelle, die Vorinstanz habe zu Unrecht einen
Abschlag (15%) vom Invalidenlohn gewährt, ebenfalls nicht durchzudringen
vermag, weil die dafür namhaft gemachten Aspekte zwar im Lichte von BGE 126 V
75 als diskutabel erscheinen, indessen auf dem Weg der substituierten
Begründung (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254) im Ergebnis
als bundesrechtskonform bestätigt werden kann, da die beschwerdeführende
Versicherte wegen ihrer psychischen Störung sich, je nach Situation,
ausserhäuslich eines Rollstuhles bedienen zu müssen glaubt, was ihre
Lohnerwartungen mit Blick auf einen durchschnittlichen Arbeitgeber doch ganz
erheblich schmälern dürfte, so dass der vorinstanzlich getätigte Abzug von 15%
unter behinderungsbedingtem Aspekt nicht gegen Bundesrecht verstösst,
dass die Beschwerde der IV-Stelle somit unbegründet ist,
dass dies auch für die Beschwerde der Versicherten zutrifft, nachdem ihre
Vorbringen - im Kern - sich darauf beschränken, als willkürliche,
unvollständige, in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln ergangene Sachverhaltsfeststellung und als unrichtige
Rechtsanwendung den Umstand zu rügen, dass die Gutachter des Institutes
X.________ "in unhaltbarer Art und Weise" sowie "widersprüchlich" ihr die für
eine halbtägige Arbeitsleistung nötige Willensanstrengung attestiert und es
unterlassen hätten, die für ihren Beruf als Hochbauzeichnerin essentiell
wichtigen "feinmotorischen Anforderungen" bzw. "feinmotorischen Fähigkeiten"
zuverlässig abzuklären, zu welchen Punkten sich das kantonale Gericht nicht
geäussert habe,
dass diese Einwände dadurch zu entkräften sind, (1.) dass die Sachverständigen
des Institutes X.________ als einer sehr erfahrenen, mit hauptberuflich
klinisch tätigen Ärzten und Ärztinnen arbeitenden medizinischen
Abklärungsstelle (vgl. dazu Urteil 9C_799/2012 vom 16. Mai 2013 E. 2.5)
zweifellos darauf hingewiesen hätten, wenn die beschwerdeführende Versicherte
in neurologischer Hinsicht im angestammten Beruf als Hochbauzeichnerin
feinmotorisch erheblich beeinträchtigt wäre, woran die (teilweise abweichende)
Sichtweise der behandelnden Mediziner mit Blick auf die Verschiedenheit von
Expertise und Therapie nicht aufzukommen vermag (erwähntes Urteil 9C_799/2012
E. 2.3 mit Hinweis), sodann, (2.) dass die in der Beschwerde der Versicherten
beanstandeten Punkte nach der klaren medizinisch-psychiatrischen Aktenlage Teil
der histrionischen Persönlichkeits- mit dissoziativer Bewegungsstörung bilden,
welchen die Gutachter - und ihnen folgend das kantonale Gericht - mit der
Anerkennung einer bloss noch 50%igen Arbeitsfähigkeit Rechnung getragen haben,
was unter keinem Gesichtswinkel Bundesrecht verletzt,
dass bei diesem Verfahrensausgang die beschwerdeführende IV-Stelle die
Versicherte als Beschwerdegegnerin im Verfahren 9C_965/2012 zu entschädigen
(Art. 68 BGG) und insoweit die Gerichtskosten zu bezahlen hat (Art. 66 BGG),
wogegen der Versicherten als unterliegenden Beschwerdeführerin im Verfahren
9C_21/2013 die unentgeltliche Rechtspflege gewährt werden kann (Art. 64 BGG);
sie wird darauf aufmerksam gemacht, dass sie der Bundesgerichtskasse hiefür
Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie dazu in der Lage ist.

erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerdeverfahren 9C_965/2012 und 9C_21/2013 werden vereinigt.

2.
Die Beschwerden werden abgewiesen.

3.
Der beschwerdeführenden IV-Stelle werden Gerichtskosten von Fr. 500.-
auferlegt.

4.
Der beschwerdeführenden Versicherten werden Gerichtskosten von Fr. 800.-
auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

5.
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen hat Rechtsanwalt Jürg Jakob eine
Parteientschädigung von Fr. 1'500.- zu bezahlen.

6.
Rechtsanwalt Jürg Jakob wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand von K.________
ernannt und aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.- entschädigt.

7.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. August 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Scartazzini

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