Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 939/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_939/2012 {T 0/2}     

Urteil vom 5. September 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Kaufmann,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 15. Oktober 2012.

Sachverhalt:

A. 
Der 1962 geborene G.________ meldete sich im März 2009 wegen der Folgen eines
am 11. August 2008 erlittenen Arbeitsunfalls bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Bern führte
Frühinterventionsmassnahmen in Form von Eingliederungsberatung durch
(Mitteilung vom 24. März 2009) und liess den Versicherten bei der Medizinischen
Abklärungsstelle (MEDAS) A.________ polydisziplinär begutachten (Expertise vom
6. Mai 2010). Mit Verfügung vom 30. März 2011 stellte die IV-Stelle fest, bei
einem Invaliditätsgrad von 22 Prozent bestehe kein Anspruch auf eine
Invalidenrente.

B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern wies die gegen die Verfügung vom 30.
März 2011 erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 15. Oktober 2012).

C. 
G.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid und die strittige Verfügung seien
aufzuheben und die IV-Stelle sei zu verurteilen, ihm eine Invalidenrente
auszurichten. Eventuell sei die Sache zur weiteren medizinischen Abklärung an
die IV-Stelle oder an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
wegen Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG erhoben
werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).

2. 

2.1. Das kantonale Gericht hielt im Wesentlichen fest, das Gutachten der MEDAS
vom 6. Mai 2010 habe volle Beweiskraft. Die Sachverständigen hätten sich mit
den medizinischen Vorakten, den subjektiven Angaben des Beschwerdeführers und
mit den selber erhobenen objektiven Befunden ausführlich auseinandergesetzt. In
ihrer interdisziplinären Beurteilung legten sie schlüssig dar, dass die
angestammte Tätigkeit des Bauarbeiters nicht mehr zumutbar sei, der
Beschwerdeführer indes in einer angepassten, das heisst leichten bis zuweilen
mittelschweren wechselbelastenden Tätigkeit vollständig arbeitsfähig sei.
Dieses Zumutbarkeitsprofil decke sich mit den fachärztlichen Angaben der Klinik
X.________ (Austrittsbericht vom 17. Februar 2009) und des Regionalen
Ärztlichen Dienstes (RAD) der Invalidenversicherung. Nicht schlüssig begründet
sei die abweichende Einschätzung des Internisten Dr. B.________ (Schreiben vom
3./4. März 2011), wonach der Versicherte auch in einer leichten sitzenden
Tätigkeit nur zu 50 Prozent arbeitsfähig sei; diese Beurteilung stütze sich
augenscheinlich direkt auf die Klagen des Beschwerdeführers. Dr. B.________
setze sich mit früheren fachärztlichen Feststellungen über Diskrepanzen
zwischen geklagten Beschwerden und objektiven Befunden nicht auseinander. Zudem
scheine er seiner Beurteilung auch psychosoziale Faktoren (soziale
Unsicherheit, fehlende Zukunftsperspektiven) zugrundegelegt zu haben, welche
für die Einschätzung der versicherten Beeinträchtigung nicht massgeblich seien
(angefochtener Entscheid, E. 3.4 und 3.5).

2.2. Der Beschwerdeführer zieht den Beweiswert des MEDAS-Gutachtens unter
verschiedenen Aspekten in Zweifel.

2.2.1. Zunächst hat das Bundesgericht in dem vom Beschwerdeführer angerufenen
Urteil 8C_644/2010 vom 17. Dezember 2010 nicht bestimmt, dass Versicherte nur
bei Vorliegen sachlicher Gründe ausserhalb ihrer Wohnregion begutachtet werden
dürften (vgl. Ziff. 2075.1 des Kreisschreibens des BSV [KSVI] in der ab Januar
2010 gültigen Fassung); es hat nur ausgeführt, dass die vom kantonalen Gericht
auferlegte Verpflichtung der IV-Stelle, bei einer Neuvergabe des
Gutachtenauftrags auf die Wohnregion zu achten, keinen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil begründe (a.a.O. E. 2.3.4). Selbst wenn die Wahl
des Begutachtungsinstituts zu der Zeit, als die MEDAS noch nicht
zufallsgeleitet bezeichnet wurden (vgl. zur Publikation vorgesehenes Urteil
9C_207/2012 vom 3. Juli 2013 E. 2.2), ortsgebunden gewesen wäre, führte die
Missachtung einer derartigen Regel allein nicht zur Unverwertbarkeit der
Expertise.
Sodann zieht der Beschwerdeführer die Beweiskraft von Gutachten der MEDAS
generell in Zweifel, weil dessen Leiter, Dr. E.________, mit dem Vorwurf
konfrontiert sei, er habe (Teil-) Gutachten ohne Wissen und Rücksprache mit den
betreffenden Sachverständigen nachträglich abgeändert. Das Bundesgericht hat
indes in früheren Fällen schon festgestellt, dies könne nicht dazu führen,
nunmehr alle Gutachten der MEDAS A.________ pauschal als unglaubwürdig zu
betrachten (Urteil 8C_957/2010 vom 1. April 2011 E. 4.8 mit Hinweis). Weiter
rügt der Beschwerdeführer, die Administrativgutachter hätten keine
Fremdanamnese eingeholt. Deren Notwendigkeit im Einzelfall ist in erster Linie
eine Frage des medizinischen Ermessens. Es ist nicht ersichtlich, dass die
gutachterlichen Schlussfolgerungen auf einer diesbezüglich unzureichenden
Grundlage beruhen. Der Umstand schliesslich, dass das kantonale Gericht dem
Administrativgutachten nicht aufgrund von in der vorinstanzlichen
Beschwerdeschrift näher umschriebenen "Ungereimtheiten und Diskrepanzen"
(betreffend der Einordnung einer "Schmerzausweitung") den Beweiswert
abgesprochen hat, führt ebenfalls nicht dazu, dass die tatsächlichen
Schlussfolgerungen hinsichtlich des gesundheitlichen Zustandes offensichtlich
unrichtig wären (vgl. oben E. 1), dies selbst wenn berücksichtigt wird, dass
das MEDAS-Gutachten vor Erlass von BGE 137 V 210 in Auftrag gegeben wurde,
welchem Umstand bei der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen ist (Urteile 9C_495/
2012 vom 4. Oktober 2012 E. 2.3, 9C_942/2011 vom 6. Juli 2012 E. 5.2 sowie
9C_776/2010 vom 20. Dezember 2011 E. 3.3).

2.2.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, der im parallelen UVG-Verfahren
eingeholte Bericht des SUVA-Arztes Dr. C.________ vom 27. Februar 2012 stehe in
klarem Widerspruch zum Gutachten der MEDAS Dr. C.________ dokumentiere
angeborene schwerste Deformierungen beider Hüftgelenke sowie schwerwiegende
Veränderungen der Lendenwirbelsäule. Die MEDAS spreche dagegen nur von
"mässigen degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule" und einer
"beidseitigen Hüftgelenkdysplasie". Die Vorinstanz stütze sich bei der
Beurteilung der UVG-Angelegenheit auf den Bericht der SUVA, während sie diesen
im gleichentags gefällten, hier angefochtenen IV-Entscheid überhaupt nicht
würdige und gestützt auf das MEDAS-Gutachten zu ganz anderen Schlüssen komme.
Dies zeige, wie ergebnisorientiert das kantonale Gericht den Gesundheitszustand
des Beschwerdeführers beurteilt habe. Dem ist entgegenzuhalten, dass sich der
angerufene SUVA-Bericht vom 27. Februar 2012 allein der Frage nach der
Unfallkausalität widmet, während das MEDAS-Gutachten die im vorliegenden
Zusammenhang wesentliche Frage nach den funktionellen Folgen des Hüft- und
Rückenleidens behandelt. Aus der objektiven Schwere einer organischen
Veränderung kann nicht unmittelbar auf das Ausmass einer Beeinträchtigung in
der Leistungsfähigkeit geschlossen werden. Auch in dieser Hinsicht ist die
Bindung des Bundesgerichts an die vorinstanzliche Feststellung, der
Beschwerdeführer sei in einer angepassten Tätigkeit zu 100 Prozent
arbeitsfähig, nicht in Frage gestellt.

2.3. Schliesslich verweist der Beschwerdeführer auf die im Frühjahr 2012
stattgefundene Hüftoperation und auf den Bericht der behandelnden Orthopäden im
Spital Y.________ vom 11. Juli 2012. Danach werde es ihm auch nach der
Operation kaum möglich sein, längere Zeit zu sitzen, zu stehen oder grösseren
Belastungen standzuhalten, auf unebenem Gelände zu arbeiten oder Tätigkeiten
mit repetitiven Belastungen von über 10 bis 15 Kilogramm auszuführen. Ausserdem
reicht der Beschwerdeführer im bundesgerichtlichen Verfahren einen Bericht vom
10. Dezember 2012 ein, worin sich die Ärzte des Spitals Y.________ kritisch mit
einzelnen Erwägungen des angefochtenen Entscheids auseinandersetzen. Diese
Berichte dürfen nach Art. 99 Abs. 1 BGG letztinstanzlich nicht mehr
berücksichtigt werden. Soweit sie sich auf die Verhältnisse nach Abschluss des
Verwaltungsverfahrens (Verfügung vom 30. März 2011) beziehen, kommt hinzu, dass
neue Entwicklungen im Rahmen des laufenden Verfahrens nicht mehr einbezogen
werden können (BGE 132 V 215 E. 3.1.1 S. 220). Sollte sich nach der
durchgeführten sowie der laut Bericht vom 11. Juli 2012 bevorstehenden zweiten
Hüftoperation eine neue Beurteilung des Gesundheitszustands aufdrängen, müsste
diese allenfalls Gegenstand eines neuen Verfahrens bilden.
Unter diesen Voraussetzungen entfällt (auch insoweit) die eventualiter
beantragte weitere medizinische Abklärung.

3. 
Augenfällige Anhaltspunkte für eine anderweitig rechtswidrige Bemessung des
Invaliditätsgrades bestehen nicht (vgl. BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254; 110 V
48 E. 4a S. 53). Die vorinstanzliche Festlegung des Invaliditätsgrades auf 23
Prozent verletzt kein Bundesrecht. Damit besteht kein Anspruch auf eine
Invalidenrente (vgl. Art. 28 Abs. 2 IVG).

4. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend trägt der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. September 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Traub

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