Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 924/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_924/2012

Urteil vom 18. Februar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
B.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Reto Zanotelli,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 11. September 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1965 geborene B.________ bezog vom 1. Juli 2003 bis 30. Juni 2004 eine
ganze Rente der Invalidenversicherung samt Zusatzrente für die Ehefrau und zwei
Kinderrenten (Einspracheentscheid vom 15. Juni 2006). Im Dezember 2009 ersuchte
er um Neubeurteilung des Invaliditätsgrades. Nach Abklärungen (u.a. Expertise
des Instituts X.________ vom 27. Januar 2011) verneinte die IV-Stelle des
Kantons Zürich mit Verfügung vom 8. September 2011 einen Rentenanspruch.

B.
Die Beschwerde des B.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 11. September 2012 ab.

C.
B.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der Entscheid vom 11. September 2012 sei aufzuheben und ihm,
allenfalls gestützt auf ein einzuholendes medizinisches Gerichtsgutachten, eine
Invalidenrente zuzusprechen.

Die IV-Stelle beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das kantonale
Sozialversicherungsgericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer bestreitet den Beweiswert des Gutachtens des Instituts
X.________ vom 27. Januar 2011 (vgl. Urteil 9C_726/2012 vom 31. Oktober 2012 E.
1 mit Hinweisen).

1.1 In formeller Hinsicht macht er geltend, er habe die Gutachtenstelle
abgelehnt, ohne dass die IV-Stelle eine anfechtbare Zwischenverfügung erlassen
habe. In diesem Zusammenhang verweist er auf BGE 137 V 210 E. 3.4.2.6 S. 256.
Die Vorinstanz hat zum selben Einwand einlässlich Stellung genommen. Der
Beschwerdeführer legt auch nicht ansatzweise dar, inwiefern die betreffenden
Erwägungen (Bundes-)Recht verletzen (Art. 41 Abs. 1 und 2 BGG).

1.2 In materieller Hinsicht bringt er vor, die Expertise sei unvollständig,
weil sie keine abschliessende Beurteilung der Arbeitsfähigkeit enthalte. Es
werde ausdrücklich offen gelassen, ob die Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in
einer einhändig ausgeübten Verweisungstätigkeit 20 % oder 60 % betrage. Mit der
Feststellung, er sei in einer adaptierten Tätigkeit zu 80 % arbeitsfähig, setze
sich die Vorinstanz sinngemäss an die Stelle der medizinischen Sachverständigen
und überschreite in unstatthafter und unhaltbarer Weise ihre Kompetenzen.
1.2.1 Die Gutachter des Instituts X.________ waren zum Ergebnis gelangt, der
Explorand sei für eine körperlich leichte Tätigkeit mit fast ausschliesslichem
Einsatz der rechten Hand reduziert arbeits- und leistungsfähig. Sie konnten
sich jedoch nicht auf eine definitive Einschätzung der Arbeitsfähigkeit
festlegen, da unterschiedliche und plausible Argumente vorlägen, die eine
höhergradige (mehr als 60 %), aber auch eine geringe oder gar keine
Einschränkung begründen könnten. Für die definitive Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit erachteten sie (daher) eine Beobachtung im Alltag als
hilfreich, wobei bei Bedarf die betreffenden Aufnahmen der Gutachtenstelle zur
Evaluation vorgelegt werden könnten.
1.2.2 Die Diskrepanz in Bezug auf den Grad der Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit resultierte daher, dass sich der orthopädische und der
handchirurgische Gutachter über das Ausmass der Myoklonien (Muskelzuckungen)
der linken oberen Extremität uneinig waren. Im Wesentlichen aus den in der
Expertise angeführten Gründen, die insbesondere nach Auffassung des Orthopäden
des Instituts X.________ gegen ein häufiges und intensives Auftreten der
Myoklonien sprachen, hat die Vorinstanz lediglich aus psychischen Gründen eine
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von 20 % in einer adaptierten Tätigkeit
angenommen. Dagegen wendet der Beschwerdeführer zu Recht ein, dass die
Gutachter trotz Zweifeln hinsichtlich der Konsistenz der geklagten, auch
während der Untersuchung aufgetretenen Myoklonien eine dadurch bedingte
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit nicht ausschlossen. Unter diesen Umständen
durfte die Vorinstanz nur dann gestützt auf das Administrativgutachten die
Arbeitsfähigkeit festsetzen, wenn von der von den Experten als notwendig
(hilfreich) erachteten Abklärungsmassnahme (Beobachtung im Alltag) keine
verwertbaren Erkenntnisse zu erwarten waren.
1.2.3 Die Vorinstanz hat zur Begründung ihres Standpunktes, weshalb die
Arbeitsfähigkeit in einer adaptierten Tätigkeit lediglich aus psychischen
Gründen eingeschränkt sei, auch auf den Bericht der BEFAS vom 5. Oktober 2009
hingewiesen, wo sich der Versicherte vom 31. August bis 25. September 2009
zwecks Abklärung u.a. von Belastbarkeit und Motivation für berufliche
Massnahmen aufgehalten hatte. Danach habe sich das Zucken und Ausschlagen des
Armes bei stillen Bewegungen in Grenzen gehalten und bei Herantreten und
Ansprechen seien diese Handlungen häufiger geworden, was gemäss Vorinstanz
darauf schliessen lasse, dass in unbeobachteten Situationen nur ein geringes
Zucken erfolge. Der BEFAS-Bericht vom 5. Oktober 2009 war auch den Gutachtern
des Instituts X.________ bekannt. Darauf Bezug nehmend hielten sie fest, dass
eine berufliche Eingliederung durch die während der Abklärung demonstrierte
Leistungseinschränkung verunmöglicht werde. Die Experten einschliesslich
Orthopäde erachteten somit auch in Kenntnis des in diesem Bericht beschriebenen
Verhaltens des Versicherten in der Gesamtbeurteilung zusätzliche Abklärungen
als erforderlich für die definitive Einschätzung der Arbeitsfähigkeit. Dabei
ist offenbar die "Beobachtung im Alltag" in einem weiten Sinne zu verstehen,
nicht nur im Rahmen einer beruflichen Abklärungsmassnahme (Arbeitstraining,
Observation). Darüber konnte sich die Vorinstanz nicht hinwegsetzen, woran die
Beurteilung des regionalen ärztlichen Dienstes vom 23. Februar 2011 nichts
ändert, und zwar umso weniger, als die Beschwerdegegnerin in der
vorinstanzlichen Vernehmlassung ebenfalls die Einholung eines
Gerichtsgutachtens beantragte. Indem sie gleichwohl die Arbeitsfähigkeit
festgesetzt hat, hat sie gleichsam das Ergebnis der von den medizinischen
Sachverständigen als notwendig erachteten Abklärungen vorweggenommen, was unter
den gegebenen Umständen willkürliche antizipierte Beweiswürdigung ist (Urteil
4A_733/2011 vom 16. Juli 2012 E. 4.1).

1.3 Die weiteren Rügen betreffend den Beweiswert des Gutachtens des Instituts
X.________ vom 27. Januar 2011 sind nicht stichhaltig:
1.3.1 Aus der Expertise geht klar hervor, dass von Seiten der rechten Schulter
und des Rückens sowie der somatoformen Schmerzstörung die Arbeitsfähigkeit
nicht in nennenswerter Weise eingeschränkt ist. Insbesondere hatte der
orthopädische Gutachter die Befunde eines nicht auszuschliessenden
subakromialen Impingement sowie einer breitbasigen Diskusprotrusion L5/S1 ohne
Hernierung in seine Beurteilung miteinbezogen, von wo sie Eingang in die
Gesamtbeurteilung fanden.
1.3.2 Der BEFAS-Bericht vom 5. Oktober 2009 war den Experten bekannt und wurde
von ihnen berücksichtigt (vorne E. 1.2.3).
1.3.3 Gegen das Bestehen eines zusätzlichen psychischen Leidens neben der
diagnostizierten leichten depressiven Episode spricht, dass der
Beschwerdeführer, der die Absicht hatte, sich nach der Begutachtung einer
psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen, keinen ärztlichen Bericht
eingereicht hat, der diese Annahme stützen würde. Im Weitern waren dem
psychiatrischen Gutachter die Muskelzuckungen bekannt. Prof. H.________, auf
dessen Bericht vom 13. Februar 2009 er sich beruft, erachtete selber
diesbezüglich eine erneute Beurteilung als notwendig. Eine Angststörung hätte
der Psychiater des Instituts X.________ unzweifelhaft in Erwägung gezogen und
diskutiert, wenn sich hierfür aufgrund von Anamnese und klinischem Befund
Anhaltspunkte ergeben hätten. Schliesslich ist die Aussage in der Stellungnahme
zur Selbsteinschätzung, der Explorand leide nicht unter einer schweren
chronischen somatischen Erkrankung in dem Sinne zu verstehen, aus somatischer
Sicht seien ihm durchaus Tätigkeiten zumutbar. Anzufügen bleibt, dass nach der
Rechtsprechung eine leichte depressive Episode in der Regel keine psychische
Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer
darstellt (Urteil 9C_673/2012 vom 28. November 2012 E. 3.3 mit Hinweisen).

2.
Die IV-Stelle wird, allenfalls nach entsprechender Rückfrage bei der
Gutachtenstelle, die geeigneten Massnahmen durchführen und danach über den
streitigen Rentenanspruch neu verfügen. In diesem Sinne ist die Beschwerde
begründet.

3.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 11. September 2012 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 8. September 2011 werden
aufgehoben. Die Sache wird an die Verwaltung zurückgewiesen, damit sie, nach
erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen, über den Anspruch des
Beschwerdeführers auf eine Rente der Invalidenversicherung neu verfüge

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat die Gerichtskosten und
die Parteientschädigung für das vorangegangene Verfahren neu festzusetzen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 18. Februar 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Fessler