Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 918/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_918/2012

Urteil vom 28. Januar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
L.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Hübscher,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 12. September 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 7. September 1999 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich dem
1956 geborenen L.________ bei einem Invaliditätsgrad von 100 % eine ganze Rente
der Invalidenversicherung ab 1. August 1997 zu. Die zwischenzeitlich zuständig
gewordene IV-Stelle des Kantons Aargau bestätigte mit Mitteilung vom 19. April
2004 einen unveränderten Rentenanspruch. Im Dezember 2009 leitete die
Verwaltung erneut ein Revisionsverfahren ein. Nach Abklärungen und Durchführung
des Vorbescheidverfahrens hob sie die Rente mit Verfügung vom 21. November 2011
auf Ende Dezember 2011 auf mit der Begründung, die ursprüngliche Verfügung
werde in Wiedererwägung gezogen und beim aktuellen Invaliditätsgrad von 22 %
bestehe kein Rentenanspruch. Gleichzeitig entzog sie einer allfälligen
Beschwerde gegen diese Verfügung die aufschiebende Wirkung.

B.
Mit Beschwerde vom 16. Januar 2012 beantragte L.________ u.a., die
aufschiebende Wirkung der Beschwerde sei per sofort wieder herzustellen. In
teilweiser Gutheissung des Rechtsmittels hob das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau mit Entscheid vom 12. September 2012 die Verfügung vom 21.
November 2011 auf und wies die Sache zur Vornahme ergänzender Abklärungen im
Sinne der Erwägungen sowie zum anschliessenden Erlass einer neuen Verfügung an
die Verwaltung zurück. Den Antrag betreffend die aufschiebende Wirkung hielt es
für obsolet geworden, weshalb es darüber dispositivmässig nicht befand.

C.
L.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit folgenden Rechtsbegehren:
"1. In Ergänzung des Urteils vom 12. September 2012 des Versicherungsgerichts
des Kantons Aargau sei die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 16. Januar
2012 wieder herzustellen.
2. Eventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen und
diese zu verpflichten, den mit Beschwerde vom 16. Januar 2012 gestellten
Verfahrensantrag zu beurteilen.
3. Dem Beschwerdeführer sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und der
unterzeichnete Anwalt sei zu seinem unentgeltlichen Rechtsvertreter zu
ernennen."
Ferner lässt er folgenden Verfahrensantrag stellen:
"Der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten sei per sofort die
aufschiebende Wirkung zu erteilen."

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren)
Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29
Abs. 1 BGG; BGE 135 II 94 E. 1 S. 96; Urteil 8C_264/2009 vom 19. Mai 2009 E. 1;
je mit Hinweisen).

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat es unterlassen, über den Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu befinden, weil es ihn mit dem
Urteil in der Sache für gegenstandslos gehalten hat. Der Beschwerdeführer sieht
darin eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).
Er ist der Auffassung, aufgrund der Rechtsprechung über die Weitergeltung der
aufschiebenden Wirkung während des nachfolgenden Abklärungsverfahrens (SVR 2011
IV Nr. 33 S. 96, 8C_451/2010 E. 4) hätte das Gericht auf sein Rechtsbegehren
eintreten und es gutheissen müssen, zumal vor der Durchführung von
Eingliederungsmassnahmen der bisherige Invaliditätsgrad von 100 % unverändert
bleibe.

2.2 Die Vorinstanz hat nicht abschliessend über den Rentenanspruch entschieden,
sondern die Sache zu zunächst weiterer medizinischer Abklärung an die
Verwaltung zurückgewiesen. Angesichts des Alters des Beschwerdeführers hat sie
lediglich in allgemeiner Weise auf die allfällige Erforderlichkeit von
Eingliederungsmassnahmen gemäss SVR 2011 IV Nr. 73 S. 220, 9C_228/2010 E. 3.3 -
resp. des Mahn- und Bedenkzeitverfahrens nach Art. 21 Abs. 4 ATSG - verwiesen,
ohne eine konkrete Feststellung über die (Un-)Verwertbarkeit der erst noch
festzustellenden Arbeitsfähigkeit zu treffen. Damit handelt es sich beim
angefochtenen Entscheid, namentlich in Bezug auf die aufschiebende Wirkung, um
einen Vor- oder Zwischenentscheid im Sinne von Art. 93 Abs. 1 BGG.
Dagegen ist die Beschwerde nur zulässig, (a) wenn er einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil bewirken kann oder (b) wenn die Gutheissung der
Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden
Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen
würde. Der nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne des Art. 93 Abs. 1 lit.
a BGG muss rechtlicher Natur sein, was voraussetzt, dass er durch einen
späteren günstigen Endentscheid nicht oder nicht mehr vollständig behoben
werden kann. Eine rein tatsächliche oder wirtschaftliche Erschwernis reicht in
der Regel nicht (BGE 137 V 314 E. 2.2.1 S. 317 mit Hinweisen).

2.3 Ein Eintreten auf die Beschwerde gestützt auf Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG
fällt von vornherein ausser Betracht, da es sich bei der Wiederherstellung der
aufschiebenden Wirkung um eine vorsorgliche Massnahme handelt.
Auch mit Blick auf Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde unzulässig:
Einerseits stellt die notwendig gewordene finanzielle Unterstützung durch die
Wohnsitzgemeinde keinen Nachteil von rechtlicher Natur dar. Anderseits wird
nicht dargelegt und ist nicht ersichtlich, weshalb ein dem Versicherten durch
die vorläufige Rentensistierung allenfalls erwachsender Nachteil nicht wieder
gutzumachen sein soll etwa in dem Sinn, dass die Einstellung der
Rentenzahlungen ihn zu kostspieligen oder sonstwie unzumutbaren Massnahmen
zwingen könnte (vgl. BGE 109 V 229 E. 2b S. 233). Zudem werden die Leistungen
bei späterer Bejahung des Anspruchs in vollem Umfang nachgezahlt.

2.4 Im Übrigen legt der Beschwerdeführer auch nicht substanziiert (vgl. Art.
106 Abs. 2 BGG) dar, inwiefern durch die Rentensistierung an sich
verfassungsmässige Rechte (vgl. Art. 98 BGG) verletzt sein sollen.

3.
3.1 Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens gehen die Gerichtskosten
grundsätzlich zu Lasten des Beschwerdeführers (Art. 66 Abs. 1 BGG); sie werden
jedoch zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege auf die Gerichtskasse
genommen. Ferner hat der Beschwerdeführer Anspruch auf unentgeltliche
Verbeiständung (Art. 64 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371 E. 5b S. 372),
wofür er ebenfalls der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn er
später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

3.2 Der unentgeltliche Rechtsbeistand hat Anspruch auf eine angemessene
Entschädigung aus der Gerichtskasse (Art. 64 Abs. 2 BGG). Nach Art. 68 BGG und
Art. 2 des Reglements über die Parteientschädigung und die Entschädigung für
die amtliche Vertretung im Verfahren vor dem Bundesgericht vom 31. März 2006
(SR 173.110.210.3) umfasst die Parteientschädigung die Anwaltskosten und die
notwendigen Auslagen für die Prozessführung, wobei sich die Anwaltskosten aus
dem Anwaltshonorar und dem Auslagenersatz zusammensetzen. Praxisgemäss wird für
einen Normalfall Fr. 2'800.- zugesprochen, Auslagen und Mehrwertsteuer
inbegriffen (Urteile 8C_675/2012 vom 7. Dezember 2012 E. 6.2; 8C_370/2010 vom
7. Februar 2011 E. 8.2).
Die Höhe der Entschädigung, die sich grundsätzlich an jener einer
Parteientschädigung im Sinn von Art. 68 BGG orientiert, ist entgegen der vom
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eingereichten Honorarnote vom 5. November
2012 nicht auf Fr. 6'565.30 festzusetzen. Darin werden weder der Arbeitsaufwand
noch die Auslagen detailliert ausgewiesen; zudem fehlen Ausführungen zum
Streitwert, zur Wichtigkeit der Streitsache und dem Umfang der Arbeitsleistung
(vgl. Art. 3 Abs. 1 und 3 des genannten Reglements). Der Rechtsvertreter
verweist lediglich in pauschaler Weise auf Art. 4 des Reglements, der
Rahmenbeträge für den Streitwerttarif festlegt. Mit Blick darauf, dass die
Streitsache nicht als überaus schwierig einzustufen ist, erscheint eine
Entschädigung in praxisgemässer Höhe als angemessen.

4.
Mit dem Urteil wird das vom Beschwerdeführer gestellte Gesuch um aufschiebende
Wirkung gemäss Art. 103 BGG - die sich allein auf den vorinstanzlichen
Entscheid bezieht und gegebenenfalls sich nur auf die Dauer des
letztinstanzlichen Verfahren erstreckt - gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Andreas Hübscher wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers wird aus der Gerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. Januar 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Dormann