Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 917/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_917/2012

Urteil vom 14. August 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

I.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dieter Studer,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 23. Oktober 2012.

Sachverhalt:

A.
Der als Baufacharbeiter tätig gewesene I.________ (geboren 1966), verheiratet
und Vater von drei Kindern, meldete sich im Februar 2003 unter Hinweis auf
wiederkehrende Rückenschmerzen zum Bezug beruflicher Massnahmen bei der
IV-Stelle des Kantons St. Gallen an. Nach zwei abgebrochenen
Umschulungsmassnahmen (Umschulung zum Metallbearbeiter an Werkzeugmaschinen und
zum Speditionsfacharbeiter mit Lastwagenführerschein) machte der Versicherte
mit Schreiben vom 14. April 2009 eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes
geltend und beantragte eine Rente der Invalidenversicherung. Nach Beizug eines
Berichts des Dr. med. K.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,
vom 3. Juni 2009 und eines Schlussberichts der Institution X.________, wo der
Versicherte die zweijährige Umschulung zum Speditionsfacharbeiter vom 1.
Dezember 2007 bis zum vorzeitigen Abbruch am 4. Mai 2009 absolviert hatte,
holte die IV-Stelle ein polydisziplinäres Gutachten bei der Medizinischen
Abklärungsstelle (MEDAS) vom 26. Februar 2010 ein. Nach durchgeführtem
Einwandverfahren verneinte sie mit Verfügung vom 13. September 2010 einen
Anspruch auf eine Invalidenrente (Invaliditätsgrad von 21 %).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen mit Entscheid vom 23. Oktober 2012 gut und sprach I.________ mit Wirkung
ab 1. Mai 2009 eine Dreiviertelsrente zu.

C.
Die IV-Stelle des Kantons St. Gallen führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides
sei ihre Verfügung vom 13. September 2010 zu bestätigen.
I.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Kantonales Gericht
und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Im Rahmen der Invaliditätsbemessung - namentlich bei der Ermittlung von
Gesundheitsschaden, Arbeitsfähigkeit und Zumutbarkeitsprofil sowie bei der
Festsetzung von Validen- und Invalideneinkommen - sind zwecks Abgrenzung der
(für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen) Tatsachenfeststellungen von
den (letztinstanzlich frei überprüfbaren) Rechtsanwendungsakten der Vorinstanz
weiterhin die kognitionsrechtlichen Grundsätze heranzuziehen, wie sie in BGE
132 V 393 E. 3 S. 397 ff. für die bis 31. Dezember 2006 gültig gewesene Fassung
von Art. 132 des seither aufgehobenen OG entwickelt wurden. Soweit die
Beurteilung der Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen auf die allgemeine
Lebenserfahrung gestützt wird, geht es um eine  Rechtsfrage; dazu gehören auch
Folgerungen, die sich auf medizinische Empirie stützen, zum Beispiel die
Vermutung, dass eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder ein
vergleichbarer ätiologisch unklarer syndromaler Zustand mit zumutbarer
Willensanstrengung überwindbar sei (BGE 131 V 49 mit Hinweisen; SVR 2008 IV Nr.
8 S. 24, I 649/06 E. 3.2 am Ende). Im Übrigen gilt in diesem Zusammenhang
Folgendes: Zu den vom Bundesgericht nur eingeschränkt überprüfbaren
Tatsachenfeststellungen zählt zunächst, ob eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung (oder ein damit vergleichbarer syndromaler Zustand) vorliegt,
und bejahendenfalls sodann, ob eine psychische Komorbidität oder weitere
Umstände gegeben sind, welche die Schmerzbewältigung behindern. Als Rechtsfrage
frei überprüfbar ist, ob eine festgestellte psychische Komorbidität hinreichend
erheblich ist und ob einzelne oder mehrere der festgestellten weiteren
Kriterien in genügender Intensität und Konstanz vorliegen, um gesamthaft den
Schluss auf eine nicht mit zumutbarer Willensanstrengung überwindbare
Schmerzstörung und somit auf eine invalidisierende Gesundheitsschädigung zu
gestatten (SVR 2008 IV Nr. 23 S. 72, I 683/06 E. 2.2).

2.

2.1.

2.1.1. Das kantonale Gericht stellte in seinem Entscheid auf das Gutachten der
MEDAS vom 26. Februar 2010 ab. Darin werden als Hauptdiagnosen mit
Einschränkung der zumutbaren Arbeitsfähigkeit eine mittelgradige depressive
Störung mit somatischem Syndrom sowie ein chronisches cervikocephales Syndrom
mit vielen vegetativen Begleitbeschwerden mit/bei Status nach
Bandscheibenoperation mit ventraler Spondylodese C6/7 im Dezember 2005
aufgeführt. Als Nebendiagnosen ohne wesentliche Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit werden eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine
akzentuierte Persönlichkeit mit narzisstischen und passiv-aggressiven Zügen
(DD: dissoziale Anteile) rezidivierende lumbale Beschwerden, ein Tinnitus bei
Hochtonsenke links mehr als rechts sowie eine Adipositas (BMI 29 kg/m2)
erwähnt.

2.1.2. Zusammenfassend ging das kantonale Gericht davon aus, dass eine 50%ige
Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ausgewiesen sei, dies für körperlich leichte
bis mittelschwere Erwerbstätigkeiten ohne ausschliessliches Stehen und mit der
Möglichkeit zum Haltungswechsel ganztags mit halber Leistung. In der
psychiatrischen Beurteilung werde ausgeführt, dass sich die Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit auf die bisherige als auch auf eine adaptierte Tätigkeit
beziehe. Dem Schlussbericht der Institution X.________ lasse sich entnehmen,
dass der Versicherte für einfache Fahr- und Speditionsaufträge eingesetzt
werden könne, dies in einem verständnisvollen Umfeld, mit genauen und klaren
Anweisungen. Zudem sei es möglich, dass er körperlich leichte Hilfsarbeiten im
Lagerbereich ausführen könne. Auszugehen sei gemäss dem MEDAS-Gutachten und dem
Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) somit insgesamt von einer Arbeitsfähigkeit
von 50 % in einer adaptierten körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit.
Beim Einkommensvergleich ging das kantonale Gericht gestützt auf die
Tabellenlöhne für das Jahr 2002 von einem statistischen Durchschnittslohn für
einfache und repetitive Tätigkeiten von Männern mit Fr. 57'008.- aus. Es hielt
einen Abzug vom Tabellenlohn von 10 % für angemessen und setzte das
Durchschnittseinkommen auf Fr. 51'307.20 herab. Bei einer Arbeitsfähigkeit von
50 % ergebe sich ein zumutbares Invalideneinkommen von Fr. 25'653.60. Bei einem
Valideneinkommen von Fr. 75'773.- und einem zumutbaren Invalideneinkommen von
Fr. 25'653.60 stelle sich der Invaliditätsgrad auf rund 66.15 %. Damit habe der
Beschwerdeführer Anspruch auf eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung.
Den Beginn der Rente setzte es auf den 1. Mai 2009 fest.

2.2. Die IV-Stelle weist darauf hin, dass aus den Berichten des Hausarztes des
Versicherten, Dr. med. B.________, vom 25. April 2006 und 12. Juli 2007, zu
schliessen sei, dass der Versicherte vorerst einzig über Schmerzen klagte und
sich daraus allmählich eine depressive Symptomatik entwickelt habe. Dem
MEDAS-Gutachten sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Der Umstand, dass der
Beschwerdegegner narzisstische und passiv-aggressive Persönlichkeitszüge mit
dissoziativen Anteilen aufweise, schliesse nicht aus, dass die festgestellte
Depression eine Begleiterscheinung zur somatoformen Schmerzstörung sei. Aus
diesem Grund sei sie nach der zitierten Rechtsprechung nicht invalidisierend.
Unerheblich sei in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die MEDAS die
somatoforme Schmerzstörung unter den Nebendiagnosen aufgeführt habe. Im
Weiteren sei das genannte psychische Leiden auch auf psychosoziale Faktoren
zurückzuführen. Die MEDAS weise auf emotionale Konflikte beim Versicherten im
Zusammenhang mit seiner Familie und die belastende finanzielle Situation
aufgrund des Arbeitsplatzverlustes hin. Solche Umstände begründeten nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichts für sich allein keine Invalidität im Sinne
von Art. 8 Abs. 1 ATSG. Etwas anderes würde nur gelten, wenn nebst diesen
psychosozialen Faktoren beim Versicherten eine davon abschichtbare ausgeprägte
psychische Störung vorläge. Dies sei hier nicht der Fall und werde vom
kantonalen Gericht nicht substanziiert dargetan. Selbst wenn die mittelgradige
Depression des Versicherten in keinem Zusammenhang mit einem pathogenetisch
bzw. ätiologisch unklaren syndromalen Zustand stünde, wäre sie nicht zwingend
invalidisierend. Die MEDAS selbst halte im Übrigen fest, dass der Versicherte
nicht an einer psychischen Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität,
Ausprägung und Dauer leide. Auch andere mit einer Komorbidität vergleichbare
Faktoren, welche die ansonsten zumutbare Willensanstrengung für die Aufnahme
einer Erwerbstätigkeit behindern könnten, verneine die MEDAS. Das kantonale
Gericht führe ebenfalls keine Foerster-Kriterien zur Begründung der
Arbeitsunfähigkeit auf. Es sei mit der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht
vereinbar, einerseits eine Komorbidität im notwendigen Schweregrad und auch
andere mit einer Komorbidität vergleichbare Faktoren zu verneinen und
anderseits trotzdem nur von einer teilweisen Überwindbarkeit der vom
Versicherten geltend gemachten Überzeugung, nicht arbeitsfähig zu sein,
auszugehen. Es würden beim Versicherten im Wesentlichen einzig
ätiologisch-pathogenetisch unerklärliche syndromale Leidenszustände
beschrieben, denen infolge der fehlenden Objektivierbarkeit jedoch keine
invalidisierende Wirkung zukomme. Es sei demnach gemäss der vom Bundesgericht
seit dem Urteil vom 12. März 2004 (I 683/03) gefestigten Praxis von einer
vollen Arbeitsfähigkeit des Versicherten aus psychischen Gründen auszugehen. In
diesem Ausmass könne vom MEDAS-Gutachten abgewichen werden, ohne dass diesem
deshalb im restlichen Teil der Beweiswert abgesprochen werden müsse. Der
Versicherte sei somit in einer adaptierten Tätigkeit voll arbeitsfähig. Nehme
man das von der Vorinstanz errechnete Valideneinkommen von Fr. 75'377.- und den
Tabellenlohn von Fr. 51'307.20 bei einer vollen Erwerbstätigkeit (inklusive
einem Abzug von 10 %) ergebe sich ein rentenausschliessender Invaliditätsgrad
von 32 %.

3.
Nach den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Entscheid
steht fest, dass der Beschwerdegegner an einer psychischen Komorbidität in Form
der von der MEDAS diagnostizierten mittelgradigen depressiven Störung mit
somatischem Syndrom und als (Nebendiagnose) an einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung leidet. Streitig und zu prüfen ist einzig die frei überprüfbare
Rechtsfrage, ob diese psychische Komorbidität von erheblicher Schwere,
Intensität, Ausprägung und Dauer ist, was ausnahmsweise wegen der Schmerzen
einen Wiedereinstieg in den Arbeitsprozess und die Ausübung einer angepassten
Erwerbsarbeit als unzumutbar erscheinen lässt.

3.1. Nach der Rechtsprechung kommt einer anhaltenden somatoformen
Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) ebenso wie grundsätzlich sämtlichen
pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage (BGE 136 V 279 E. 3.2.3 S. 283) nur
ausnahmsweise invalidisierender, d.h. einen Rentenanspruch begründender
Charakter zu (Art. 4 Abs. 1 IVG sowie Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 ATSG;
grundlegend BGE 130 V 352). Entscheidend ist, ob und inwiefern die versicherte
Person über psychische Ressourcen verfügt, die es ihr erlauben, trotz den
subjektiv erlebten Schmerzen einer Arbeit nachzugehen (BGE 130 V 352 E. 2.2.4
S. 355; 127 V 294 E. 4b/cc in fine und E. 5a S. 299 unten). Umstände, die bei
Vorliegen eines solchen Krankheitsbildes die Verwertung der verbliebenen
Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt als unzumutbar erscheinen lassen können,
sind: Eine Komorbidität im Sinne eines vom Schmerzgeschehen losgelösten
eigenständigen psychischen Leidens von erheblicher Schwere, Intensität,
Ausprägung und Dauer oder aber das Vorhandensein anderer qualifizierter, mit
gewisser Intensität und Konstanz erfüllter Kriterien wie chronische körperliche
Begleiterkrankungen mit mehrjährigem Krankheitsverlauf bei unveränderter oder
progredienter Symptomatik ohne längerfristige Remission, sozialer Rückzug, ein
verfestigter, therapeutisch nicht mehr angehbarer innerseelischer Verlauf einer
an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung (primärer
Krankheitsgewinn), unbefriedigende Ergebnisse von konsequent durchgeführten
Behandlungen (auch mit unterschiedlichem therapeutischem Ansatz) und
gescheiterte Rehabilitationsmassnahmen bei vorhandener Motivation und
Eigenanstrengung der versicherten Person (BGE 132 V 65 E. 4.2.2 S. 71; 130 V
352 E. 2.2.3 S. 353 ff.; Urteil 9C_1061/2009 vom 11. März 2010 E. 5.4.3.1.1).
Umgekehrt sprechen u.a. eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geschilderten
Schmerzen und dem gezeigten Verhalten oder der Anamnese, die Angabe intensiver
in der Umschreibung vager Schmerzen oder behauptete schwere Einschränkungen im
Alltag bei weitgehend intaktem psychosozialen Umfeld gegen das Vorliegen eines
invalidisierenden Gesundheitsschadens (BGE 131 V 49 E. 2.1 S. 51; Urteil 9C_736
/2011 vom 7. Februar 2012 E. 1.1).

3.2. Das kantonale Gericht hat gestützt auf das Gutachten der MEDAS vom 26.
Februar 2010 eine durch die mittelgradige depressive Störung mit somatischem
Syndrom bedingte Arbeitsunfähigkeit von 50 % angenommen. Wie die IV-Stelle in
der Beschwerde zutreffend ausführt, ergibt sich aus den Berichten des
Hausarztes, dass der Beschwerdegegner vorerst einzig über Schmerzen klagte. Dr.
med. K.________, Chefarzt der Klinik Y.________, hält im Bericht vom 3. Juni
2009 ebenfalls eine sich seit 2003 schleichend entwickelnde, anhaltende
somatoforme Schmerzstörung fest. Die rezidivierende depressive Störung besteht
nach ihm erst seit Januar 2006. Aufgrund der Akten ist mithin keine
vorbestandene depressive Störung erstellt. Auch aus dem psychiatrischen
Konsiliargutachten der MEDAS vom 22. Dezember 2009 lässt sich nichts anderes
entnehmen. Selbst wenn eine invalidisierende Wirkung einer mittelschweren
depressiven Störung nicht schlechthin auszuschliessen ist, bedingt deren
Annahme jedoch, dass es sich nicht bloss um die Begleiterscheinung einer
Schmerzkrankheit, sondern um ein selbstständiges, vom psychogenen
Schmerzsyndrom losgelöstes depressives Leiden handelt (Urteil 9C_210/2012 vom
9. Juli 2012 E. 3.1), und im Weitern, dass eine konsequente Depressionstherapie
befolgt wird, deren Scheitern das Leiden als resistent ausweist. Fehlt es
daran, ist nach der Rechtsprechung in der Regel keine invalidisierende Wirkung
des Gesundheitsschadens anzunehmen (BGE 137 V 64, 130 V 352).
Wie die IV-Stelle überdies in der Beschwerde zu Recht einwendet, ist das
Beschwerdebild wesentlich durch invaliditätsfremde psychosoziale Umstände
geprägt. Laut Gutachten der MEDAS liegen verschiedene emotionale Konflikte
(Familie, Arbeitsplatz) sowie psychosoziale Belastungen (Finanzen, fehlender
Arbeitsplatz) vor. Solche Faktoren vermögen medizinisch die Diagnose einer
mittelschweren Depression, aber rechtlich keine Invalidität zu begründen. Ganz
entscheidend ist hiebei, dass der Beschwerdegegner, dessen Exploration sich
laut wiederholtem Hinweis im MEDAS-Gutachten (S. 19, S. 22) "sehr schwierig"
gestaltete (inhaltlich sehr karge Antworten, fehlende Informationen), nur
sporadisch (einmal pro Monat; wenn es gut gehe, sogar nur alle zwei Monate,
vgl. psychiatrisches Konsiliargutachten der MEDAS vom 22. Dezember 2009 S. 4)
einen Termin beim behandelnden Psychiater Dr. med. K.________ wahr- und die
Medikamente mitunter nicht regelmässig einnimmt, namentlich während des vom 1.
Dezember 2007 bis 4. Mai 2009 dauernden Aufenthaltes in der Institution
X.________. Nach Einschätzung im psychiatrischen Konsiliargutachten der MEDAS
vom 22. Dezember 2009 wird eine adäquate psychiatrisch-psychotherapeutische
Behandlung schwierig sein, da sich der Versicherte "nichts sagen lässt". Daraus
ist zu schliessen, dass die psychische Beeinträchtigung keinen
invalidisierenden Charakter aufweist (Urteil 9C_936/2011 vom 21. März 2012 E.
4.2.1), zumal der Versicherte sein psychisches Leiden selber offenbar nicht als
besonders schwer erlebt, andernfalls er sich einer konsequenten
Depressionsbehandlung unterzöge. Schliesslich kommt dem Umstand, dass
fachärztlicherseits nicht bloss eine depressive Episode, sondern eine
mittelschwere depressive Störung diagnostiziert wird, keine entscheidende
Bedeutung zu, da sich eine depressive Episode von einer depressiven Störung
hauptsächlich hinsichtlich ihrer Dauer, nicht aber bezüglich der Schwere der
Erkrankung, unterscheidet (vgl. Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts I 138/06
vom 21. Dezember 2006 E. 4.2). Leichte bis höchstens mittelschwere Störungen
aus dem depressiven Formenkreis sind therapierbar (Urteile 9C_696/2012 vom 19.
Juni 2013 E. 4.3.2.1, 9C_250/2012 vom 29. November 2012 E. 5, 9C_736/2011 vom
7. Februar 2012 E. 4.2.2.1). Es ist nicht ersichtlich, weshalb es sich im Falle
des Beschwerdegegners anders verhalten sollte. Nach der Feststellung des
kantonalen Gerichts ist erst seit Mai 2009 - rund 1 1/4 Jahre vor Erlass der
rentenablehnenden Verfügung vom 13. September 2010 - eine Verschlechterung des
psychischen Gesundheitszustandes anzunehmen, zuvor sei ihm eine
leidensangepasste Tätigkeit zu 100 % zumutbar gewesen, womit es von vornherein
am Element der erheblichen Dauer fehlt. Der Beschwerdegegner leidet an keiner
IV-rechtlich relevanten Krankheit, was die Vorinstanz in Verletzung von
Bundesrecht verkannt hat (E. 1.1 hievor).

3.3. Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass entgegen der Auffassung des
kantonalen Gerichts die mittelgradige depressive Störung mit somatischem
Syndrom als eigenständiges Beschwerdebild betrachtet keinen invalidisierenden
Charakter aufweist. Was die somatoforme Schmerzstörung betrifft, so ist nach
dem psychiatrischen Konsiliargutachten vom 22. Dezember 2009 keine im Sinne der
Rechtsprechung hinsichtlich Schwere, Intensität, Ausprägung und Dauer
hinreichend erhebliche psychische Komorbidität gegeben. Das Vorhandensein
anderer qualifizierter, mit gewisser Intensität und Konstanz erfüllter
Kriterien (E. 3.1 hievor; BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 354) ist aufgrund der
Aktenlage, namentlich auch nach dem psychiatrischen Konsiliargutachten der
MEDAS vom 22. Dezember 2009 nicht erstellt und vom Beschwerdegegner im
vorinstanzlichen Verfahren auch nicht geltend gemacht worden. Weder schränken
die körperlichen Begleiterkrankungen (Chronisches cervicocephales Syndrom,
rezidivierende lumbale Beschwerden, Tinnitus, Adipositas) den Beschwerdegegner
in einer leidensangepassten Arbeit nach dem Gutachten der MEDAS vom 26. Februar
2010 ein, noch bestehen Anhaltspunkte dafür, dass sie eine ausgeprägte, die
zumutbare Willensanstrengung negativ beeinflussende psychische
Belastungssituation verursachen. Es bestehen auch keine Indizien für einen
schwerwiegenden, nahezu umfassenden sozialen Rückzug mit gleichsam apathischem
Verharren in sozialer Isolierung, kümmert sich doch der Beschwerdegegner bei
Abwesenheit seiner Ehefrau um seine Kinder und pflegt regelmässigen Kontakt zu
seinen in der Nähe lebenden Brüdern und weiteren Verwandten, wie aus dem
psychiatrischen Konsiliargutachten der MEDAS vom 22. Dezember 2009 hervorgeht.
In diesem Gutachten werden auch die weiteren Kriterien verneint, namentlich ein
verfestigter therapeutisch nicht mehr angehbarer innerseelischer Verlauf einer
an sich missglückten, psychisch aber entlastenden Konfliktbewältigung.
Schliesslich wird der im MEDAS-Gutachten als Nebendiagnose aufgeführten
anhaltenden somatoformen Schmerzstörung ein wesentlicher Einfluss auf die
Arbeitsfähigkeit abgesprochen.
Nach dem Gesagten steht fest, dass der Beschwerdegegner, objektiv betrachtet,
eine leidensangepasste Erwerbsarbeit ohne wesentliche Einschränkung verrichten
könnte (vgl. BGE 130 V 352 E. 2.2.4 S. 355). Damit könnte er, gestützt auf die
vom kantonalen Gericht ermittelten Einkommen ohne (Fr. 75'773.-) und mit
Invalidität (Fr. 51'307.20 [Fr. 57'008.-Tabellenlohn minus Abzug von 10 %]) ein
rentenausschliessendes Erwerbseinkommen erzielen (Invaliditätsgrad von rund 33
%). Der vorinstanzliche Entscheid verletzt mithin Bundesrecht. Entgegen der
Einwendung des Beschwerdegegners enthält die Beschwerde der IV-Stelle
klarerweise eine rechtsgenügende Begründung, da es sich hier um eine frei
überprüfbare Rechtsfrage handelt (vgl. E. 3 am Anfang hievor).

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons St. Gallen vom 23. Oktober 2012 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen
zurückgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. August 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Nussbaumer

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