Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 907/2012
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_907/2012

Urteil vom 19. August 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Borella,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
D.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 25. September 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1954 geborene D.________, Mutter eines 1976 geborenen Sohnes, ist seit 1979
verwitwet. Seit 1. April 2003 ist sie bei der Migros als
Reinigungsmitarbeiterin angestellt. Im Oktober 2009 meldete sie sich bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau
klärte die medizinischen und erwerblichen Verhältnisse ab und führte eine
Haushaltabklärung durch (Bericht vom 30. Juli 2010). Mit Vorbescheid vom 2.
Februar 2011 stellte sie die Verneinung des Rentenanspruchs in Aussicht. Daran
hielt sie mit Verfügung vom 4. Oktober 2011 fest (ermittelter Invaliditätsgrad:
26 %).

B.
Mit Entscheid vom 25. September 2012 wies das Versicherungsgericht des Kantons
Aargau die hiegegen erhobene Beschwerde ab und überband D.________ die
Gerichtskosten.

C.
D.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Antrag auf Aufhebung des kantonalen Entscheides und Zusprechung einer
Invalidenrente oder Rückweisung an das kantonale Gericht zu weiteren
medizinischen Abklärungen und neuem Entscheid.
Während die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherungen auf
Vernehmlassung verzichten, schliesst die IV-Stelle auf Abweisung der
Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Die IV-Stelle ermittelte den Invaliditätsgrad nach der gemischten Methode
mit einem Anteil von 32 % Erwerbstätigkeit (Einschränkung: 27.74 %) und 68 %
Haushalt (Einschränkung: 25 %) und gelangte so zu einem rentenausschliessenden
Invaliditätsgrad (gerundet 26 % [8.88 % + 17 %]).

2.2. Die Vorinstanz brachte demgegenüber die allgemeine Methode des
Einkommensvergleichs zur Anwendung. Zur Begründung gab sie an, die
Beschwerdeführerin sei auch "vor dem Eintritt des Gesundheitsschadens im Jahre
2009" nie in einem höheren Pensum als zu 32 % tätig gewesen. Aufgrund der im
individuellen Konto (IK) verbuchten, vergleichsweise tiefen Löhne sei für sie
das Erzielen eines hohen Einkommens nie massgebend gewesen, weshalb früher wie
heute Zweck der zeitlichen Reduktion der Arbeit bzw. der Innehaltung eines
Pensums von lediglich 32 % die Erlangung von Freizeit sei. Dem
Abklärungsbericht (vom 30. Juli 2010) sei sodann zu entnehmen, dass die
Versicherte zusammen mit ihrem Partner, welcher als Hauswart tätig sei, in
einer 3.5-Zimmer-Wohnung mit Terrasse im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses
wohne. Ein Garten sei nicht aufgeführt. Die Beschwerdeführerin habe keine
Kinder. Gerade die Tatsache, dass sie keine Betreuungsaufgaben habe und auch
früher nicht gehabt hatte, hätte es ihr erlaubt, in einem höheren Arbeitspensum
ausserhäuslich tätig zu sein, wovon sie jedoch nie Gebrauch gemacht habe. Der
Zweipersonenhaushalt in einer 3.5-Zimmer-Wohnung verursache keinen grossen
Aufwand, zumal der Partner - gerade unter Berücksichtigung seines Berufes als
Hauswart, welcher erfahrungsgemäss in Teilzeit ausgeübt werde - bei der
Bewältigung des Haushaltes mithelfen könne. Aus diesem Grunde leuchte es ein,
dass sie zu keiner Zeit den Haushalt als Grund für ein reduziertes
Arbeitspensum angegeben habe. Unter diesen Umständen stehe mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit der Anteil von 68 % als Freizeit fest und richte sich der
Invaliditätsgrad ausschliesslich nach der Einbusse im erwerblichen Pensum, was
die Einkommensvergleichsmethode zur Folge habe.
Dem Valideneinkommen legte die Vorinstanz den von der Beschwerdeführerin in
ihrem 32 %-Pensum bezogenen Lohn zugrunde. Gestützt auf die Angaben der
Arbeitgeberin setzte sie es auf Fr. 19'669.- (13 x Fr. 1'513.-) fest. Das
Invalideneinkommen ermittelte sie gestützt auf die Tabellenlöhne gemäss
Lohnstrukturerhebung (LSE). Auf diese Weise gelangte sie bei einem (aufgrund
der insoweit übereinstimmenden ärztlichen Angaben) zumutbaren Pensum von 25
Stunden pro Woche zu einem Einkommen von Fr. 25'245.91 und nach Vornahme eines
leidensbedingten Abzuges von 15 % zu einem Invalideneinkommen von Fr.
21'459.02. Bei Gegenüberstellung der beiden Vergleichseinkommen resultierte ein
rentenausschliessender Invaliditätsgrad (0 %). Nach Auffassung der Vorinstanz
ergäbe sich ein solcher selbst bei Anwendung der gemischten Methode mit einem
Erwerbstätigkeitsanteil von 32 % und einem Haushaltsanteil von 68 %
(Invaliditätsgrad von 31 %).

2.3. Die Versicherte macht im Wesentlichen geltend, entgegen dem angefochtenen
Entscheid sei sie nicht kinderlos, sondern habe einen Sohn (geb. 1976) aus
ihrer Ehe mit dem 1979 verstorbenen Mann. Ihr jetziger Lebenspartner sei nicht
nebenamtlicher, sondern vollamtlicher Hauswart einer grossen Überbauung, wo er
164 Wohnungen und 8 Einfamlienhäuser in einer Umgebung von mehr als 20'000 m2
betreue. Aus diesem Grunde sei er nicht in der Lage, sich am Haushalt in dem
von der Vorinstanz behaupteten Ausmass zu beteiligen. Des Weitern habe sie ihr
Arbeitspensum nicht aus Faulheit oder aus Freude an der Freizeit nicht
gesteigert, sei sie doch seit Jahren gesundheitlich schwer angeschlagen und aus
diesem Grunde nicht in der Lage gewesen, ein höheres Pensum zu leisten.

2.4. Angesichts der zahlreichen, im Wesentlichen übereinstimmenden ärztlichen
Einschätzungen, gemäss welchen der Beschwerdeführerin eine leichte, sitzende
Tätigkeit im Rahmen von zirka fünf Stunden pro Tag zumutbar ist, lässt sich
nicht beanstanden, dass die Vorinstanz auf weitere Abklärungen in medizinischer
Sicht verzichtet hat. Hingegen zeigen die Vorbringen der Beschwerdeführerin
auf, dass die Vorinstanz den für die Beurteilung der hier entscheidenden
Statusfrage (Teil- oder Vollerwerbstätigkeit) wesentlichen Sachverhalt
einerseits offensichtlich unrichtig festgestellt und andererseits, sich auf
unvollständige Abklärungen stützend, ungesicherte Sachverhaltsannahmen
getroffen hat. Es betrifft dies namentlich die für die Ermittlung des
hypothetischen Umfanges der Erwerbstätigkeit massgebenden Umstände (wobei es
sich hier um eine Tatfrage handelt; vgl. Urteil I 708/06 vom 23. November 2006
E. 3.1 und 3.2), die Frage des Bestehens eines Aufgabenbereichs im Sinne von
Art. 5 Abs. 1 IVG (vgl. dazu BGE 131 V 51 E. 5.1.2 S. 53 f.; vgl. auch BGE 135
V 58 E. 3.4.1 S. 61) sowie die der Versicherten im Rahmen des Haushaltes noch
möglichen Tätigkeiten, insbesondere unter Berücksichtigung der dem voll- und
nicht bloss teilzeitlich (wie von der Vorinstanz unzutreffenderweise
angenommen) erwerbstätigen Lebenspartner möglichen Mithilfe im Haushalt (vgl.
dazu BGE 133 V 504 E. 4.2 S. 509 f.). Angesichts der Bedeutung dieser von der
Versicherten als unrichtig festgestellt beanstandeten Umstände im Rahmen der
Invaliditätsbemessung, insbesondere bei der Wahl der anwendbaren Methode, bei
der Frage des Bestehens eines Aufgabenbereichs und bei der Ermittlung der
Einschränkung im Haushaltsbereich, rechtfertigt es sich, die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die erforderlichen Abklärungen nachhole.
Anschliessend wird sie über den Rentenanspruch der Beschwerdeführerin neu zu
befinden haben.

3.
Die Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht zu erneuter Abklärung (mit
noch offenem Ausgang) gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten als
vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 BGG, unabhängig davon, ob
sie beantragt wird (BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235). Entsprechend dem Ausgang des
Verfahrens sind die Gerichtskosten daher der unterliegenden Beschwerdegegnerin
aufzuerlegen.
Der nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführerin steht keine
Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 25. September 2012 wird
aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau,
der Ausgleichskasse der Migros-Betriebe und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. August 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben