Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 903/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_903/2012

Urteil vom 29. August 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
C.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Haag,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Uri,
Dätwylerstrasse 11, 6460 Altdorf,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Obergerichts des Kantons Uri
vom 5. Oktober 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1956 geborene C.________ bezog seit Januar 2002 eine Viertelsrente der
Invalidenversicherung (Beschluss der IV-Stelle des Kantons Uri vom 26. Januar
2004). Die Leistungszusprechung beruhte im Wesentlichen auf einer
Sudeckdystrophie der rechten Hand und des rechten Vorderarms (vgl. den - auch
eine ärztliche Stellungnahme umfassenden - Bericht der Beruflichen
Abklärungsstelle [BEFAS] vom 13. November 2003). Eine erstmalige Überprüfung
des Rentenanspruchs führte zu einer Bestätigung der Viertelsrente (Mitteilung
der IV-Stelle vom 1. Mai 2006). Im Rahmen eines 2009 eingeleiteten weiteren
Rentenrevisionsverfahrens holte die IV-Stelle verschiedene vorab medizinische
Unterlagen, darunter einen Bericht des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom
7. November 2011, ein. Mit Verfügung vom 7. Februar 2012 hob sie die
Invalidenrente auf Ende März 2012 hin auf.

B.
Das Obergericht des Kantons Uri wies die dagegen erhobene Beschwerde ab
(Entscheid vom 5. Oktober 2012).

C.
C.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, es sei ihm, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids,
weiterhin eine Viertelsrente auszurichten. Eventuell sei die Sache zur
ergänzenden medizinischen Abklärung zurückzuweisen.
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen verzichtet auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer über März 2012 hinaus eine Viertelsrente
beanspruchen kann.

2.
Hauptstreitpunkt ist, ob sich die funktionellen Beeinträchtigungen im Bereich
von rechtem Arm und rechter Hand, wie sie für die seit 2002 laufende
Invalidenrente massgeblich sind, seit der letzten rechtskräftigen Verfügung,
die auf einer rechtskonformen Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und
Durchführung eines Einkommensvergleichs beruht (BGE 133 V 108),
leistungswirksam verbessert hat (Art. 17 Abs. 1 ATSG; vgl. auch Art. 87 ff.
IVV). Für die Beurteilung leitend sind die Verhältnisse bis zum Abschluss des
Verwaltungsverfahrens (hier: Verfügung vom 7. Februar 2012).

2.1. Der rentenzusprechende Beschluss der IV-Stelle vom 26. Januar 2004 wurde
nach der ersten Rentenrevision mit Mitteilung der IV-Stelle vom 1. Mai 2006
bestätigt. Letzterer Verwaltungsakt beruht auf einem Formularattest des
behandelnden Allgemeinmediziners, wonach sich die anspruchswesentlichen
medizinischen Gegebenheiten bis dahin nicht verändert hatten. Damit ist
unerheblich, ob die Mitteilung vom 1. Mai 2006 als letztmalige materielle
Überprüfung des Rentenanspruchs im Sinne von BGE 133 V 108 verstanden werden
kann (vgl. hierzu SVR 2010 IV Nr. 54 S. 167 E. 2.1, 9C_899/2009; Urteil 8C_441/
2012 vom 25. Juli 2013 E. 6.2).

2.2.

2.2.1. Das kantonale Gericht stellte fest, dass die ab Beginn 2002 laufende
Viertelsrente wegen der Handgelenksbeschwerden ausgerichtet wurde (E. 4). Auf
den Untersuchungsbericht des RAD vom 7. November 2011 und auf die darin
festgehaltene vollständige Arbeitsfähigkeit in angepassten Tätigkeiten könne
abgestellt werden. Der RAD-Arzt Dr. B.________, Facharzt Orthopädische
Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, habe sich mit den weiteren
geklagten Beschwerden (Rückenschmerzen, Bauchwandhernie, Kniegelenksschmerzen,
obstruktives Schlafapnoesyndrom) fundiert auseinandergesetzt und
nachvollziehbar dargetan, weshalb diese keine Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit begründeten. Ebenfalls nachvollziehbar habe er eine
Verbesserung der funktionellen Einsetzbarkeit der rechten Hand aufgezeigt. Es
handle sich nicht um eine unterschiedliche medizinische Bewertung eines gleich
gebliebenen Sachverhalts (E. 7e). Weitere medizinische Abklärungen seien nicht
notwendig (E. 8).

2.2.2. Der Beschwerdeführer lässt geltend machen, die Beurteilung des
RAD-Arztes werde der Anforderung an den Nachweis einer Verbesserung
hinsichtlich der funktionellen Einschränkung im Bereich der rechten oberen
Extremität nicht gerecht. Insbesondere habe sich der RAD nicht mit den während
mehrerer Arbeitswochen gewonnenen Testergebnissen und klinischen Feststellungen
der BEFAS aus dem Jahr 2003 auseinandergesetzt, wonach sich die Einschränkung
unter längerdauernder Belastung und bei repetitiven Arbeiten verstärke. Der RAD
habe nur eine zweistündige Untersuchung durchgeführt. Die dabei angefallenen
Befunde seien notwendigerweise unvollständig. Aus dem RAD-Bericht vom 7.
November 2011 werde nicht (anhand von klinischen Feststellungen,
gutachterlichen Verhaltensbeobachtungen und anamnestischen Daten) deutlich,
dass die Fakten, mit denen die Veränderung begründet wird, im Vergleich mit den
damaligen Feststellungen der BEFAS neu seien oder dass sich vorbestehende
Tatsachen in ihrer Beschaffenheit oder ihrem Ausmass substantiell verändert
hätten. Er lasse keine Rückschlüsse darauf zu, diese Problematik habe sich
unter konkreter Arbeitsbelastung rentenrelevant verbessert.

2.3.

2.3.1. Eine abweichende medizinische oder rechtliche Einschätzung von im
Wesentlichen unveränderten tatsächlichen Verhältnissen begründet keine
materielle Revision im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG (BGE 115 V 308 E. 4a/bb S.
313; SVR 2004 IV Nr. 5 S. 13 E. 2, I 574/02). Vor diesem Hintergrund gelten für
medizinische Berichte und Gutachten im Hinblick auf die materielle Revision
einer Dauerleistung spezifische inhaltliche Anforderungen (dazu SVR 2012 IV Nr.
18 S. 81 E. 4, 9C_418/2010).

2.3.2. Dem Bezug einer Viertelsrente mit Wirkung ab Januar 2002 lagen die
Schlussfolgerungen des BEFAS-Schlussberichtes vom 13. November 2003 zugrunde.
Dr. K.________, Spezialarzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation,
speziell Rheumatologie, hatte im medizinischen Teil des BEFAS-Berichtes nach
zweiwöchiger Abklärung Folgendes festgehalten (S. 7) :

"Im Rahmen der Eintrittsuntersuchung [...] findet man eine
Funktionseinschränkung von Hand/Arm rechts bei bekannten Residuen nach
Sudeck'scher Dysthrophie im Bereiche von Hand/Vorderarm rechts, mit leichter
Oedemneigung im Bereich von Handgelenk und Handrücken rechts, bei vorallem im
Bereiche des Handgelenkes auch feststellbarem Umfangplus (21,4 cm rechts
verglichen mit 20,0 cm links). Die rechte Hand zeigt auch ein leicht
verstärktes Schwitzen und vorallem unter längerdauernder Belastung eine
zunehmend livide Verfärbung, der Faustschluss rechts ist nicht ganz vollständig
und im Bereiche des rechten Handgelenkes ist auch die Beweglichkeit verglichen
mit links eingeschränkt".
Weiter nimmt der Bericht Bezug auf die in einem Gutachten einer Medizinischen
Abklärungsstelle (MEDAS) im Jahr 1991 festgestellte diskrete
Handgelenksarthrose. Im Rahmen einer Chronifizierung der Hand-/Armschmerzen sei
weiter eine mässiggradig ausgeprägte Epicondylopathia humeri-radialis
("Tennisellenbogen") rechts sowie eine Periarthropathia humero-scapularis
(chronischer Schulterschmerz) feststellbar. Aufgrund dieser Befunde sei die
Leistungsfähigkeit um 30 Prozent eingeschränkt.

2.3.3. Nunmehr geht der RAD laut Untersuchungsbericht vom 7. November 2011 von
einer marginalen residuellen Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenks
bezüglich der Dorsalextension (Streckung in Richtung des Handrückens) aus;
ansonsten seien keine Befunde erkennbar, aus denen sich eine massgeblich
verminderte Arbeitsunfähigkeit ableiten lasse. Zur Begründung führte der
Sachverständige des RAD im Wesentlichen an, es fehlten Hinweise für einen
tatsächlichen Mindergebrauch der rechten Hand, wie er aufgrund der
Schmerzschilderung eigentlich zu erwarten wäre (S. 11 f.).

2.3.4. Die früheren Befunde der BEFAS (belastungsabhängige Schmerzzunahme und
Schwellungsneigung, beeinträchtigte Feinmotorik der rechten Hand) waren
Ergebnisse längerdauernder Belastungstests, die bei der RAD-Untersuchung nicht
wiederholt wurden; hier beschränkten sich die Tests auf das Aufschrauben einer
Bleistiftspitzerdose, das Zusammensetzen einer Taschenlampe und das Verbiegen
einer Büroklammer (Bericht S. 12 unten). Schon der Umstand, dass die im Jahr
2003 erhobenen Auswirkungen einer Dauerbelastung in der RAD-Untersuchung im
Herbst 2011 nicht erneut untersucht wurden, bedeutet, dass keine der aktuellen
ärztlichen Feststellungen geeignet ist, eine im Rahmen von Art. 17 Abs. 1 ATSG
rechtlich erforderliche Veränderung des Zustandes aufzuzeigen, wie er der
ursprünglichen, zur Zusprechung einer Viertelsrente führenden Einschätzung
zugrunde lag; dies indes ist Beweiswertvoraussetzung ärztlicher Grundlagen zur
Rentenrevision (vgl. erwähntes Urteil 9C_418/2010 E. 4.2 und 4.3).
Soweit der Untersucher des RAD bezüglich Hauttemperatur und -beschaffenheit
sowie der Muskel- und Weichteilverhältnisse keine Auffälligkeiten fand, belegt
dies zwar, dass die funktionelle Beeinträchtigung des rechten Handgelenks nicht
schwerwiegend ist; die Feststellungen zeigen indes - und das ist hier allein
entscheidend - nicht auf, dass und  inwiefern sich der tatsächliche Zustand
seit 2003 verändert haben sollte.

2.3.5. Überdies sind die neuen Feststellungen insofern unvollständig, als nur
das Handgelenk, nicht aber auch die früheren Befunde betreffend Ellenbogen und
Schulter in die Betrachtung einbezogen wurden. Jedenfalls unter diesem Aspekt
kann die IV-Stelle aus dem Argument, ein chronisches Sudeckgeschehen sei
bereits im Ruhezustand aufgrund entsprechender Zeichen als solches
diagnostizierbar, nicht ableiten, Belastungstests mit einem gewissen
Mindestumfang, wie sie seinerzeit in der BEFAS durchgeführt wurden, hätten sich
jetzt erübrigt.

2.4. Bei der neuen Beurteilung handelt es sich somit um eine originäre
medizinische Neubeurteilung, das heisst um eine im Sinne der Rechtsprechung
nicht revisionsbegründende abweichende Einschätzung (E. 2.3.1). Sind die
Vorbringen des Beschwerdeführers zum fehlenden Nachweis einer tatsächlichen
Veränderung stichhaltig, kann offenbleiben, wie es sich mit seinen weiteren
Vorbringen verhält.

3.
Die Voraussetzungen einer materiellen Revision (Art. 17 Abs. 1 ATSG) sind nicht
erfüllt. Der gegenteilige Schluss der Vorinstanz verletzt Bundesrecht (Art. 95
lit. a BGG). Damit bleibt es beim bisherigen Leistungsanspruch.

4.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem obsiegenden,
anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer steht eine Parteientschädigung zu (Art.
68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons
Uri, Verwaltungsrechtliche Abteilung, vom 5. Oktober 2012 und die Verfügung der
IV-Stelle Uri vom 7. Februar 2012 werden aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Obergericht des Kantons Uri,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. August 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Traub

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