Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 854/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_854/2012

Urteil vom 30. Januar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
K.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Guido Brusa,
Beschwerdeführerin,

gegen

CPV/CAP Pensionskasse Coop, Dornacherstrasse 156, 4002 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Rückerstattung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 28. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1959 geborene K.________ zog sich am 28. Mai 1999 bei einem Unfall
Verletzungen am rechten Fuss zu. Für die erwerblichen Folgen bezog sie
Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung (bis 31. Mai 2005 Taggelder,
ab 1. Juni 2005 eine Invalidenrente) und der Invalidenversicherung (vom 1. Mai
2000 bis 31. Mai 2006 eine ganze, ab 1. Juni 2006 eine halbe Invalidenrente
samt Zusatzrente für den Ehegatten und zwei bzw. eine Kinderrente bis Ende Mai
2006). Zur Durchsetzung ihrer Ansprüche musste sie mehrmals den Gerichtsweg
beschreiten (u.a. Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 23. September 2008 betreffend Invalidenrente der Unfallversicherung).
Ebenfalls richtete die CPV/CAP Coop Personalversicherung (heute: CPV/CAP
Pensionskasse Coop) Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge
(Invalidenrente, Kinderrenten) aus. Mit Schreiben vom 10. März 2008 teilte sie
dem Rechtsvertreter von K.________ mit, die Überentschädigungsberechnung für
die Zeit ab 1. November 2002 habe unter Berücksichtigung der Zahlungen bis 29.
Februar 2008 eine Differenz von Fr. 8'044.10 zu Gunsten seiner Mandantin
ergeben. Weiter wies die Vorsorgeeinrichtung auf die Vereinbarung vom 24. März
2003 hin, worin sich die Rentenbezügerin verpflichtet habe, allenfalls bis zum
Abschluss des Einspracheverfahrens zuviel überwiesene Leistungen
zurückzuerstatten.
Nach rechtskräftiger Festsetzung der Leistungsansprüche gegenüber der
Unfallversicherung (Verfügung vom 26. November 2008) und der
Invalidenversicherung nahm die CPV/CAP Pensionskasse Coop eine neue
Überentschädigungsberechnung vor. Diese ergab unter Berücksichtigung ihrer
Zahlungen bis 31. Mai 2009 eine Differenz von Fr. 56'592.90 zu ihren Gunsten.
Mit Schreiben vom 5. Juni 2009 teilte sie K.________ mit, sie werde ab diesem
Monat ihre Rentenzahlungen einstellen: gleichzeitig ersuchte sie unter Hinweis
auf die Vereinbarung vom 24. März 2003 um Rückerstattung der zuviel
ausgerichteten Leistungen. Schliesslich setzte sie die Forderung in Betreibung.
Auf den Zahlungsbefehl vom 8. November 2010 erhob die Betriebene
Rechtsvorschlag.

B.
B.a Am 21. März 2011 erhob die CPV/CAP Pensionskasse Coop beim
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Klage gegen K.________ mit dem
Rechtsbegehren, die Beklagte sei zu verurteilen, ihr den Betrag von Fr.
56'592.90 nebst Zins zu 5 % ab Klageeinreichung zuzüglich der Kosten des
Zahlungsbefehls von Fr. 100.- zu bezahlen, der Rechtsvorschlag in der
Betreibung Nr. ________ des Betreibungsamtes X.________ sei zu beseitigen und
ihr für die eingeklagte Summe die definitive Rechtsöffnung zu erteilen. Auf
Aufforderung des Gerichts reichte die Vorsorgeeinrichtung am 29. März 2011 eine
neu unterzeichnete Klageschrift ein.
In ihrer Klageantwort beantragte K.________, auf das Rechtsmittel sei nicht
einzutreten, eventualiter sei es abzuweisen; gleichzeitig erhob sie Widerklage
mit den Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass sie Anspruch auf eine
Erwerbsunfähigkeitsrente habe, und die Widerbeklagte sei zur Erbringung der
gesetzlichen Leistungen (Nachzahlung der ab Juni 2009 zu Unrecht
zurückbehaltenen Rentenleistungen zuzüglich Zins von 5 %) zu verpflichten;
weiter seien eine Referentenaudienz und eine öffentliche Gerichtsverhandlung
durchzuführen. Im Rahmen des weiteren Schriftenwechsels präzisierte die
Beklagte ihre Anträge dahingehend, die Klägerin sei zu verpflichten, die
grundsätzlich anerkannten, aber ab Juni 2009 zurückbehaltenen Renten
nachzuzahlen.
B.b Am 19. Januar 2012 erliess das kantonale Gericht eine Verfügung, in der sie
auf der Grundlage der Überentschädigungsberechnung der Vorsorgeeinrichtung vom
5. Juni 2009 und ihres Entscheids vom 23. September 2008 eine Liste der
massgeblichen "Eckdaten" erstellte. Es gab der Klägerin und Widerbeklagten auf,
Belege für die Zahlung der provisorischen Rentenbetreffnisse einzureichen.
Weiter hielt es fest, die Parteien seien im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht
gehalten, Einwendungen gegen die Annahme des Gerichts nachvollziehbar
darzulegen und insbesondere zu substantiieren. Dieser Aufforderung kamen
Klägerin und Beklagte bzw. Widerbeklagte und Widerklägerin nach, wobei sie zu
den gegnerischen Eingaben jeweils Stellung nehmen konnten.
Mit Entscheid vom 28. August 2012 hiess das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich die Klage teilweise gut und verpflichtete die Beklagte und
Widerklägerin, der Klägerin den Betrag von Fr. 54'574.75 inklusive Zins von 5 %
ab 22. März 2011 zu bezahlen; im Mehrbetrag wies es die Klage ab
(Dispositiv-Ziffer 1). Weiter hob das Gericht den Rechtsvorschlag in der
Betreibung Nr. ________ des Betreibungsamtes X.________ im Umfang von Fr.
54'574.75 auf (Dispositiv-Ziffer 2). Die Widerklage wurde abgewiesen
(Dispositiv-Ziffer 3).

C.
K.________ hat Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben mit
dem Rechtsbegehren, der Entscheid vom 28. August 2012 sei aufzuheben und die
Klage abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne; weiter sei der
Beschwerde aufschiebende Wirkung einzuräumen.
Die CPV/CAP Pensionskasse Coop beantragt, die Beschwerde, soweit darauf
eingetreten werden könne, und das Gesuch um Einräumung der aufschiebenden
Wirkung seien abzuweisen. Das kantonale Sozialversicherungsgericht und das
Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerdeführerin rügt wie schon in der Klageantwort, die Klage sei ohne
rechtsgültige Unterschrift eingereicht bzw. von Personen unterschrieben worden,
die nicht Mitglieder des Stiftungsrates und damit nicht zur Vertretung im
Prozess berechtigt gewesen seien. Die Unterschriftsberechtigung sei zweifelhaft
und unbelegt. Ebenfalls sei die Klage unzureichend begründet und die von der
Vorinstanz in unzulässiger Weise selber verfasste Begründung stütze sich auf
fremde (UV- und IV-)Verfahrensakten. Auf die Klage hätte nicht eintreten werden
dürfen bzw. das Rechtsmittel ohne materielle Prüfung der Begehren
zurückgewiesen werden müssen.

1.1 Die Vorinstanz hat die Prozessfähigkeit der Unterzeichnenden in der zweiten
diesbezüglich verbesserten Klageschrift vom 29. März 2011 als hinreichend
belegt bezeichnet. Dem vermag die Beschwerdeführerin nichts entgegenzuhalten.
Gemäss Art. 18 des mit Replik und Widerklageantwort eingereichten
Organisationsreglements (in der ab 17. September 2009 gültigen Fassung) hat die
Geschäftsleitung alle Aufgaben und Kompetenzen, die nicht dem Stiftungsrat,
dessen Präsidenten oder den Ausschüssen vorbehalten sind. Daraus leitete die
Klägerin auch die Befugnis der Geschäftsleitung zur Aufnahme und/ oder
Einstellung von Prozessen ab. Die Beschwerdeführerin nennt keine Bestimmung des
Organisationsreglements, die diese Kompetenz allenfalls einem anderen Organ,
namentlich dem Stiftungsrat, zuordnen könnte. Unbestritten ist, dass die beiden
Personen, welche die Eingabe vom 29. März 2011 unterzeichnet hatten, der
Geschäftsleitung der Beschwerdegegnerin angehörten.

1.2 Die Beschwerdegegnerin begründete die Rückforderung zuviel ausgerichteter
Leistungen mit der Überentschädigungsberechnung vom 5. Juni 2009, welche zwar
nicht in der Klageschrift enthalten war, jedoch in den aufgelegten Akten.
Belege für ihre Zahlungen fehlten. Es ist nicht ersichtlich und die
Beschwerdeführerin legt auch nicht dar, inwiefern es ihr mit zumutbarem Aufwand
nicht möglich gewesen sein soll, die fragliche Berechnung etwa durch Vorlage
eigener Belege über die erhaltenen Zahlungen substanziiert zu bestreiten (vgl.
SVR 2011 AHV Nr. 13 S. 42, 9C_325/2010 E. 7.1.1; Urteil 9C_314/2008 vom 25.
August 2008 E. 3.2). Abgesehen davon betrafen ihre Haupteinwendungen nicht in
erster Linie die angerechneten Beträge als solche, sondern ob diese überhaupt
berücksichtigt werden durften, was sie insbesondere in Bezug auf das
zumutbarerweise noch erzielbare Erwerbseinkommen bestritt. Was schliesslich die
Bezifferung der "Eckdaten" der Überentschädigungsberechnung in der Verfügung
vom 19. Januar 2012 anbetrifft, bewegte sich die Vorinstanz damit durchaus im
Rahmen von Art. 73 Abs. 2 BVG, wonach im erstinstanzlichen
berufsvorsorgerechtlichen Verfahren der Untersuchungsgrundsatz gilt,
eingeschränkt durch eine verstärkte Mitwirkungspflicht der Parteien (Urteil
9C_140/2012 vom 12. April 2012 E. 3.2.2.).

1.3 Schliesslich befanden sich - mit Ausnahme der Belege für die eigenen
Zahlungen - die wesentlichen Unterlagen für die Überentschädigungsberechnung,
die der Rückforderung zugrundeliegen, bei den von der Beschwerdegegnerin
eingereichten Akten, wie sich auch der vorinstanzlichen Begründung entnehmen
lässt. Jedenfalls nennt die Beschwerdeführerin kein einziges Dokument, welches
das kantonale Berufsvorsorgegericht aus einem fremden Verfahren beigezogen
haben soll, ohne dass sie dazu Stellung nehmen konnte.
Es verletzt somit kein Bundesrecht, dass die Vorinstanz auf die Klage
eingetreten ist. Die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der Parteilichkeit
des Berufsvorsorgegerichts ist unbegründet.

2.
Die Beschwerdeführerin beantragte in der Klageantwort eine öffentliche
mündliche Gerichtsverhandlung (mindestens Parteiöffentlichkeit). In der Duplik
hielt sie an diesem Begehren fest. Die Vorinstanz hat von einer öffentlichen
Verhandlung abgesehen mit der Begründung bei der im Streite stehenden Frage der
Überentschädigung handle es sich um eine rein rechnerische Frage von hoher
Technizität. Es sei schlicht undenkbar, dass eine mündliche Verhandlung für die
Falllösung erhebliche Informationen liefern könnte. Im Übrigen lasse das
Verhalten der Beklagten auf eine Verzögerungstaktik schliessen, weshalb auch
aus diesem Grund von einer öffentlichen Verhandlung abzusehen sei. Die
Beschwerdeführerin rügt diese Rechtsauffassung zu Recht als bundesrechtswidrig.

2.1 Aufgrund des klaren und unmissverständlichen Antrags der Beklagten war nach
Art. 6 Ziff. 1 Satz 1 EMRK grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung
durchzuführen (vgl. auch Art. 61 lit. a ATSG, wonach das Verfahren vor den
kantonalen Versicherungsgerichten in der Regel öffentlich ist; Urteil des Eidg.
Versicherungsgerichts I 453/04 vom 21. Juli 2005 E. 2.2.2). Da sie zudem auch
eine Referentenaudienz verlangte, ging ihr Begehren über eine bloss persönliche
Anhörung oder Befragung hinaus (Urteil 8C_390/2012 vom 10. Oktober 2012 E. 2.1
und 2.3 mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung kann zwar von einer
ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung abgesehen werden bei hoher
Technizität der zur Diskussion stehenden Materie, worunter etwa rein
rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme zu
verstehen sind (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281; Urteil 8C_106/2011 vom 1. Juni 2011
E. 2.1). Wie die Beschwerdeführerin indessen richtig vorbringt, sind die
rechnerischen Operationen im Rahmen der Überentschädigungsberechnung einfach.
Die allenfalls zu berücksichtigenden Faktoren sind von Gesetz (Art. 24 BVV 2 in
Verbindung mit Art. 34a Abs. 1 BVG) und Vorsorgereglement (hier: Art. 24
Versicherungsreglement 2005) vorgegeben. Im Vordergrund stehen dagegen etwa die
Höhe des mutmasslich entgangenen Verdienstes oder ob und in welcher Höhe ein
zumutbarerweise noch erzielbares Erwerbseinkommen anzurechnen ist. Es kann
diesbezüglich nicht ohne weiteres auf das im invalidenversicherungsrechtlichen
Verfahren ermittelte Invalideneinkommen abgestellt werden (BGE 137 V 20 E. 2.2
S. 23).

2.2 Auch die weiteren Tatbestände, die das Absehen von einer öffentlichen
Verhandlung rechtfertigen können, sind zu verneinen. Vorab hat die Vorinstanz
nicht näher begründet, weshalb der bereits in der Klageantwort gestellte
diesbezügliche Antrag als schikanös zu betrachten war und auf eine
Verzögerungstaktik schliessen liess. Ebenfalls kann nicht gesagt werden, auch
ohne öffentliche Verhandlung sei der Ausgang des Verfahrens prozessual oder
materiell offensichtlich gewesen (BGE 136 I 279 E. 1 S. 281).

2.3 Der Verzicht der Vorinstanz auf eine mündliche öffentliche Verhandlung
verletzt Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Der angefochtenen Entscheid ist somit aufzuheben,
ohne dass auf die materiellen Vorbringen der Parteien in ihren Rechtsschriften
einzugehen wäre. Die Sache geht an die Vorinstanz zurück, damit sie eine
öffentliche Verhandlung durchführe und danach über die Klage und die Widerklage
neu entscheide.

3.
Mit dem Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung der
Beschwerde gegenstandslos.

4.
Dem Prozessausgang entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 28. August 2012 aufgehoben
und Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der
Erwägungen verfahre und über die Klage und die Widerklage neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. Januar 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Fessler