Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 834/2012
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]               
{T 0/2}
                             
9C_834/2012, 9C_835/2012

Urteil vom 1. Juli 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokatin Raffaella Biaggi,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau, Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerden gegen die Entscheide des Versicherungs-gerichts des Kantons Aargau
vom 28. August 2012.

Sachverhalt:

A.
A.________, geboren 1969, war zuletzt als Produktionsmitarbeiterin bei der
X.________ AG tätig. Am 22. Oktober 2007 meldete ihr Ehemann sie unter Hinweis
auf psychische Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Gestützt auf die getätigten Abklärungen sowie unter Berücksichtigung des von
der Krankentaggeldversicherung eingeholten psychiatrischen Gutachtens des Dr.
med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH (26. Februar
2007), sprach die IV-Stelle des Kantons Aargau A.________ mit Verfügung vom 30.
April 2009 rückwirkend per 1. August 2007 eine ganze Invalidenrente zu. Mit
einer weiteren Verfügung vom 10. Juli 2009 sprach die IV-Stelle der
Versicherten für den Zeitraum vom 18. Juli bis 31. Dezember 2007 eine
Entschädigung für mittelschwere und hernach für leichte Hilflosigkeit zu.
Eine von der IV-Stelle in Auftrag gegebene Observation der A.________
(Observationsbericht vom 25. Oktober 2011) zeigte ein ganz anderes Bild des
Gesundheitszustandes auf, als aufgrund der medizinischen Aktenlage vermutet
werden durfte. Die IV-Stelle beauftragte daher Dr. med. L.________, Facharzt
für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD)
mit einer Begutachtung der Versicherten. Gestützt auf die Befragung und in
Würdigung der Überwachungsergebnisse gelangte der Experte im Gutachten vom 25.
November 2011 zum Schluss, dass A.________ während des Abklärungsgesprächs ihre
körperlichen sowie psychischen Symptome und Behinderungen zwecks Täuschung
absichtlich erzeugt habe, also eine artifizielle Störung nach ICD-10 F68.1
vorliege. Gestützt auf die Diagnose sistierte die IV-Stelle am 16. November
2011 die Invalidenrente sowie die Hilflosenentschädigung und verfügte am 24.
Januar 2012 die Aufhebung der Rente, am 22. Mai 2012 die Aufhebung der
Hilflosenentschädigung per 27. Mai 2011.

B.
Die von A.________ gegen die beiden Verfügungen eingereichten Beschwerden wies
das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit zwei Entscheiden vom 28. August
2012 ab.

C.
A.________ lässt gegen den Entscheid betreffend Aufhebung der Invalidenrente
Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und unter Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheides sowie der Verfügung vom 24. Januar 2012 die
weitere Ausrichtung der gesetzlichen Invalidenrente, eventualiter die
Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die IV-Stelle, beantragen. Ferner
ersucht sie um die Bewilligung der unentgeltlichen Prozessführung und
Verbeiständung für das kantonale und das letztinstanzliche Beschwerdeverfahren.

D.
Die Versicherte lässt auch den Entscheid betreffend Aufhebung der
Hilflosenentschädigung mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
anfechten und unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheids sowie der
Verfügung der IV-Stelle vom 22. Mai 2012 die weitere Ausrichtung der
gesetzlichen Hilflosenentschädigung, eventualiter die Rückweisung der Sache zur
Neubeurteilung an die Verwaltung, beantragen. Ausserdem sei ihr die
unentgeltliche Verbeiständung für das kantonale und die unentgeltliche
Prozessführung und Verbeiständung für das letztinstanzliche Beschwerdeverfahren
zu bewilligen.

Erwägungen:

1.
Da den beiden Beschwerden derselbe Sachverhalt zu Grunde liegt, die gleiche
Vorinstanz sowie die gleichen Parteien beteiligt sind und sich die gleichen
Rechtsfragen stellen, rechtfertigt es sich, die beiden Verfahren zu vereinigen
und in einem einzigen Urteil zu erledigen (vgl. BGE 128 V 124 E. 1 S. 126).

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist (Art. 97 Abs.
1 BGG) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht. Bei den
vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit
der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um Entscheidungen über
eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.). Die konkrete Beweiswürdigung
stellt ebenfalls eine Tatfrage dar.
Mit Blick auf die so umschriebene Kognition ist aufgrund der Vorbringen in der
Beschwerde zu prüfen, ob der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung
der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen Bundesrecht
verletzt, einschliesslich einer offensichtlich unrichtigen oder sonst wie unter
Verletzung von Bundesrecht erfolgten Tatsachenfeststellung. Dabei ist die
Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art.
61 lit. c ATSG eine Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und E. 4 S. 397 ff.), die
das Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw.
Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1
und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann.

3.
Die Versicherte macht geltend, die Vorinstanz habe gegen Art. 53 Abs. 1 ATSG
verstossen, indem sie die gesetzlichen Anforderungen für eine prozessuale
Revision als gegeben erachtete.

3.1.

3.1.1. Laut Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen und
Einspracheentscheide in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person
oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen
entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich
war. Der Begriff "neue Tatsachen oder Beweismittel" ist bei der (prozessualen)
Revision eines Verwaltungsentscheides nach Art. 53 Abs. 1 ATSG gleich
auszulegen wie bei der Revision eines kantonalen Gerichtsentscheides gemäss
Art. 61 lit. i ATSG oder bei der Revision eines Bundesgerichtsurteils gemäss
Art. 123 Abs. 2 lit. a BGG (vgl. SVR 2010 IV Nr. 55 S. 169, 9C_764/2009 E. 3.1
mit Hinweisen; Urteile 8C_152/2012 vom 3. August 2012 E. 5.1 und 8C_422/2011
vom 5. Juni 2012 E. 4).

3.1.2. Neu sind demnach Tatsachen, die sich vor Erlass der formell
rechtskräftigen Verfügung oder des Einspracheentscheides verwirklicht haben,
jedoch trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren (Urteil U 22/07 vom 6.
September 2007 E. 4.1 mit Hinweisen). Neue Beweismittel haben entweder dem
Beweis der die Revision begründenden neuen Tatsachen oder dem Beweis von
Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum
Nachteil des Gesuchstellers unbewiesen geblieben sind. (vgl. BGE 134 III 669 E.
2.1 S. 670; 127 V 353 E. 5b S. 358; SVR 2012 UV Nr. 17 S. 63, 8C_434/2011 E.
7.1; erwähnte Urteile SVR 2010 IV Nr. 55 E. 3.2; 8C_152/2012 E. 5.1; 8C_422/
2011 E. 4; Urteil 8F_9/2010 vom 10. März 2011 E. 3.1; je mit Hinweisen).

3.1.3. Eine neue Tatsache muss zudem erheblich sein. In der Regel ist eine neue
Tatsache unerheblich, wenn der Revisionsgrund eine materielle
Anspruchsvoraussetzung betrifft, deren Beurteilung massgeblich auf Schätzung
oder Beweiswürdigung beruht, auf Elementen also, die notwendigerweise
Ermessenszüge aufweisen. Ein (prozessrechtlicher) Revisionsgrund fällt demnach
überhaupt nur in Betracht, wenn bereits im ursprünglichen Verfahren der
untersuchende Arzt und die entscheidende Behörde das Ermessen wegen eines neu
erhobenen Befundes zwingend anders hätten ausüben und infolgedessen zu einem
anderen Ergebnis hätten gelangen müssen. An diesem prozessualrevisionsrechtlich
verlangten Erfordernis fehlt es, wenn sich das Neue im Wesentlichen in
(differenzial-) diagnostischen Überlegungen erschöpft und somit auf der Ebene
der medizinischen Beurteilung anzusiedeln ist (Urteil 9C_955/2012 vom 13.
Februar 2013 E. 3.3.1).

3.2. Das Versicherungsgericht bezeichnet in seinem Entscheid vom 28. August
2012 zunächst jene Unterlagen, die von der IV-Stelle in ihren Verfügungen vom
30. April und 10. Juli 2009 zur Begründung der Rentenzusprechung und der
Hilflosenentschädigung herangezogen wurden. Anschliessend beschreibt es die von
der IV-Stelle neu erhobenen Daten. Die Vorinstanz argumentiert, dass der
Observationsbericht ein völlig neues Bild des gesundheitlichen Zustandes der
Beschwerdeführerin eröffne. Die Diskrepanz zwischen dem Verhalten in der
ärztlichen Untersuchungssituation und jenem während der Überwachung habe Dr.
med. L.________ nachvollziehbar zur Diagnose einer artifiziellen Störung
geführt. Ebenfalls der behandelnde Psychiater Dr. med. D.________ (Bericht vom
26. Juni 2012) sowie die Ärzte der Psychiatrischen Klinik Y.________ (Bericht
vom 26. April 2012) äusserten aufgrund des stationären Aufenthaltes vom 4.
April bis 2. Mai 2012 den Verdacht auf eine Simulation. In retrospektiver
Hinsicht sei davon auszugehen, dass auch im Zeitpunkt der IV-Anmeldung am 22.
Oktober 2007 kein iv-rechtlich relevanter Gesundheitsschaden vorliegend war,
beklage die Versicherte doch seit jeher das gleiche Beschwerdebild. Darüber
hinaus fehlten - wie Dr. med. L.________ im Gutachten vom 25. November 2011
ausführe - seit dem Jahr 2006 klare Diagnosen. In der Expertise vom 26. Februar
2007 habe Dr. med. B.________ bereits darauf hingewiesen, dass sich aus
psychiatrischer Sicht ein vollkommen bizarr wirkendes Bild darstelle; es handle
sich dabei um ein bis anhin unklares Krankheitsbild. Die Tatsache, dass die
Versicherte für den Zeitraum vom 18. März bis 16. Juni 2008 bei der AXA
Winterthur eine Motorfahrzeughaftpflichtversicherung abgeschlossen habe, wobei
sie als häufigste Fahrerin vermerkt wurde, bestätige den Verdacht auf das
Vorhandensein einer artifiziellen Störung seit der IV-Anmeldung am 22. Oktober
2007.
Die artifizielle Störung der Beschwerdeführerin sei sodann trotz hinreichender
Sorgfalt der IV-Stelle - es habe immerhin eine Begutachtung durch einen
Facharzt stattgefunden - bei Erlass der Verfügungen vom 9. Januar und 10. Juli
2009 nicht bekannt gewesen. Diese neue Tatsache sei erheblich, hätte doch die
Versicherte weder eine Invalidenrente noch eine Hilflosenentschädigung erlangt,
wenn die neu gestellte Diagnose bereits bei Verfügungserlass bekannt gewesen
wäre. Das kantonale Gericht folgert daraus, dass die Voraussetzungen gemäss
Art. 53 Abs. 1 ATSG für eine (prozessuale) Revision erfüllt seien.

3.3. Die Versicherte macht geltend, die angefochtenen Entscheide gingen nicht
auf ihre Argumentation im kantonalen Verfahren ein. Insbesondere nehme das
Gericht keine Stellung dazu, weshalb sich sämtliche fachlich unstrittig
kompetenten vorbegutachtenden und -beurteilenden Ärzte getäuscht haben sollten.
Zudem stütze sich die Vorinstanz für ihre Begründung in beiden Fällen lediglich
auf den Observationsbericht und die Stellungnahme des RAD vom 25. November
2011, wobei Dr. med. L.________ die Versicherte nicht selber untersucht,
sondern einzig das Bildmaterial gesichtet habe.

3.4.

3.4.1. Die Sachverhaltsfeststellung sowie die Beweiswürdigung durch die
Vorinstanz wurden nicht offensichtlich unrichtig oder anderweitig
bundesrechtswidrig vorgenommen (vgl. E. 1 hievor). Das Gericht ging auf die für
die Beurteilung der Revision (gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG) wesentlichen
Gesichtspunkte ein, zeigte es doch plausibel auf, dass die früheren Expertisen
nicht in Kenntnis des Observationsberichts vom 25. Oktober 2011 erstellt worden
waren und daher keine artifizielle Störung diagnostiziert werden konnte. Alle
medizinischen Berichte, die unter Berücksichtigung der Überwachungsergebnisse
erstellt worden sind, gehen von einer artifiziellen Störung aus. Des Weiteren
durfte sich die Vorinstanz im vorliegenden Fall auf die Beurteilung des RAD
stützen. Begründete Zweifel, welche die von Dr. med. L.________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie, gestellte Diagnose in Frage zu stellen
vermöchten, werden nicht namhaft gemacht. Namentlich hat der Spezialarzt am 14.
November 2011 entgegen den Ausführungen in der Beschwerde die Versicherte
untersucht. Indem er mit ihr kleinere Tests durchführte (Nachspielen eines
Zahlungsvorganges an der Kasse, Bezeichnen eines leeren Ziffernblatts), stellte
er fest, dass sich die Beschwerdeführerin in der Untersuchungssituation
komplett anders verhält, als es der Observationsbericht vermuten lassen würde.
Die körperlichen oder psychischen Symptome und Behinderungen sind laut
psychiatrischem Gutachten zweifellos gespielt. Damit ist ausgewiesen, dass die
Versicherte an keinem in iv-rechtlicher Hinsicht relevanten Gesundheitsschaden
leidet, womit zugleich auch feststeht, dass sie aufgrund ihrer gesundheitlichen
Verfassung nicht als hilflos einzustufen ist. Zufolge korrekter und
vollständiger Feststellung des Sachverhalts durfte auf Aktenergänzungen
verzichtet werden (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148).

3.4.2. In Bezug auf die Erheblichkeit (E. 2.1.3) der neuen Tatsachen
(Observationsbericht vom 25 Oktober 2011 mit ärztlicher Stellungnahme vom 25.
November 2011) ist anzumerken, dass die neu gestellte Diagnose einer
artifiziellen Störung kaum auf Schätzung oder Beweiswürdigung beruht, sondern -
wäre der Observationsbericht bereits bekannt gewesen - bereits in den früheren
Untersuchungen hätte gestellt werden müssen. Da sich der neue Befund demnach
nicht in (differenzial-) diagnostischen Überlegungen erschöpft und nicht auf
der Ebene der medizinischen Beurteilung anzusiedeln ist, darf von dessen
Erheblichkeit ausgegangen werden.

3.4.3. Nach Art. 88bis Abs. 2 IVV erfolgt die Herabsetzung u.a. der
Hilflosenentschädigung rückwirkend vom Eintritt der für den Anspruch
erheblichen Änderung, wenn die unrichtige Ausrichtung einer Leistung darauf
zurückzuführen ist, dass der Bezüger sie unrechtmässig erwirkt hat. Da sich die
Versicherte durch Täuschung der untersuchenden Ärzte und der IV-Stelle
unrechtmässig bereichert hat, ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die
Verfügung vom 22. Mai 2012, mit welcher die Hilflosenentschädigung rückwirkend
per 27. Mai 2011 (Datum des Observationsbeginns) aufgehoben wurde, bestätigt
hat.

4.

4.1. Die Versicherte rügt ferner, die Vorinstanz habe ihren Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt, indem sie sich im angefochtenen Entscheid auf den
Bericht der Psychiatrischen Klinik Y.________ vom 26. April 2012 beruft,
welcher ihr als Beschwerdeführerin zwar unterbreitet, aber bundesrechtswidrig
nicht zur Stellungnahme zugestellt worden sei.

4.2. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe den Anspruch auf rechtliches Gehör
verletzt, ist unbegründet. Der Austrittsbericht der Psychiatrischen Klinik
Y.________ vom 26. April 2012 wurde der anwaltlich vertretenen
Beschwerdeführerin zur Kenntnisnahme zugestellt. Wenn sie sich dazu hätte
äussern wollen, hätte sie dies tun können, erging doch der vorinstanzliche
Entscheid erst am 28. August 2012. Der Anwältin, welche die Versicherte in
beiden kantonalen Gerichtsverfahren vertreten hat, musste bekannt sein, dass
sie zu dem ihr zugestellten Arztbericht unverzüglich hätte Stellung nehmen
müssen, wenn sie dies für erforderlich hielt. Es hat insofern das Gleiche zu
gelten wie bei der Einreichung von Eingaben nach Abschluss des
Schriftenwechsels im bundesgerichtlichen Verfahren (BGE 132 I 42; Urteil des
EGMR 43245/07 vom 15. November 2012, Plädoyer 2013/1 A. 68).

5.
Zum Schluss bringt die Versicherte vor, dass ihr die Vorinstanz zu Unrecht in
beiden Verfahren die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung
verweigert und damit gegen Art. 37 Abs. 4 ATSG verstossen habe.

5.1. Die vom Bundesgericht zum Begriff der Aussichtslosigkeit entwickelte
Praxis besagt, dass jene Begehren als aussichtslos anzusehen sind, bei denen
die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die
deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren
nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr
die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist,
ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger
Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen
Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht
deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Ob im Einzelfall
genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen
und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im
Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 133 III 614 E. 5 S.
616 mit Hinweisen).

5.2. Das kantonale Gericht begründet die Abweisung der jeweiligen Gesuche
damit, dass die Ausführungen der Versicherten im gerichtlichen Verfahren
schlicht aktenwidrig seien. Der in der Beschwerde geschilderte Sachverhalt
widerspreche diametral den Observationsergebnissen. Unter diesen Umständen
hätte die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin bei objektiver Betrachtung
der vorhandenen Akten voraussehen müssen, dass - obwohl an die Beweiswürdigung
von Berichten versicherungsinterner Fachpersonen strenge Anforderungen zu
stellen sind - dem Bericht des Dr. med. L.________ Beweiswert beigemessen
würde. Es spreche nichts gegen die Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit desselben.
Die Erfolgsaussichten der eingereichten Beschwerden seien von Anfang an gering
gewesen, weshalb die Beschwerde gegen die beiden Verwaltungsverfügungen von
vornherein aussichtslos gewesen seien.

5.3. Die Versicherte wendet ein, dass die Aussichten auf Erfolg der Beschwerde
nicht gering gewesen seien. Sie verweist insbesondere auf ein Gutachten des Dr.
med. D.________ (ohne Datumsangabe), welches eine artifizielle Störung
ausschliesse. Des Weiteren habe sie nicht damit rechnen müssen, dass
Videoüberwachungsmaterial für eine Rentenrevision (Art. 53 Abs. 1 ATSG) als
genügend beweistauglich beurteilt würde und ohne vorgängige fachärztliche
Begutachtung für die Annahme eines Revisionsgrundes ausreiche.

5.4. Wenn die Versicherte ausführt, Dr. med. D.________ gehe von einer
psychischen Störung aus, so nimmt sie Bezug auf das Gutachten vom 3. Mai 2011,
welches ohne Kenntnis des erst später erstellten Observierungsberichts vom 25.
Oktober 2011 verfasst wurde. Es erstaunt daher kaum, dass in dieser Expertise
noch keine artifizielle Störung beschrieben wird. Des Weiteren wird aus der
Beschwerde nicht klar, inwiefern Videoüberwachungsmaterial kein genügendes
Beweismittel für eine Revision gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG darstellen solle.
Insbesondere kann aus dem Umstand, dass ein kantonales Gericht in einem
Einzelfall ein Überwachungsvideo als nicht ausreichend beweistauglich
eingeschätzt hat, nicht gefolgert werden, Videoüberwachungsmaterial sei als
Beweismaterial generell nicht geeignet oder gar unzulässig. Zum Schluss ist
anzumerken, dass die von der Rechtsprechung für eine Observation verlangte
objektive Gebotenheit (vgl. BGE 136 III 410 E. 4.2.1 S. 417 f.) vorlag. Es gab
Anhaltspunkte, die Zweifel an den geäusserten gesundheitlichen Beschwerden
aufkommen lassen mussten. Gemäss Dr. med. B.________ zeigte sich bei der
Versicherten in psychiatrischer Hinsicht bereits Anfang 2007 ein vollkommen
bizarr wirkendes Bild (Gutachten vom 26. Februar 2007). Auch die anderen Ärzte,
welche die Beschwerdeführerin untersucht haben, waren ausserstande, eine klare
Diagnose zu stellen. Die Versicherte musste unter Berücksichtigung all dieser
Punkte damit rechnen, dass ihre Erfolgsaussichten vor dem Versicherungsgericht
äusserst gering waren. Nach dem Gesagten durfte die Vorinstanz die beiden
Beschwerden als aussichtslos betrachten und einen Anspruch auf unentgeltliche
Prozessführung und Verbeiständung verneinen.

6.
Die letztinstanzlich gestellten Anträge der Beschwerdeführerin erschienen
sowohl hinsichtlich der Aufhebung der Invalidenrente als auch bezüglich des
Anspruchs auf Hilflosenentschädigung von vornherein als aussichtslos, weshalb
in beiden Fällen dem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
für das bundesgerichtliche Verfahren nicht entsprochen werden kann (Art. 64
Abs. 1 BGG). Dem Ausgang der beiden Verfahren entsprechend sind die
Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs.
1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Verfahren 9C_834/2012 und 9C_835/2012 werden vereinigt.

2.
Die Beschwerden werden abgewiesen.

3.
Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung
für das bundesgerichtliche Verfahren werden abgewiesen.

4.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- für beide Verfahren werden der
Beschwerdeführerin auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der BVG-Sammelstiftung Swiss Life, dem
Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 1. Juli 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Widmer

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben