Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 833/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_833/2012 {T 0/2}     

Urteil vom 19. Juni 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Borella,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen,
Aufsicht Berufliche Vorsorge,
Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

T.________,
vertreten durch Rechtsanwalt George Hunziker,
Beschwerdegegner,

Freizügigkeitsstiftung der Zürcher Kantonalbank, Postfach, 8010 Zürich-Mülligen
Postzentrum.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 30. August 2012.

Sachverhalt:

A.
T.________ wurden im Rahmen seiner 2010 erfolgten Ehescheidung Fr. 4'109.90 als
Vorsorgeausgleich auf ein Freizügigkeitskonto bei der Zürcher Kantonalbank
überwiesen. Seine Gesuche vom 9. Januar und 9. Februar 2011, ihm die
Freizügigkeitsleistung wegen seiner selbstständigen Tätigkeit bar auszuzahlen,
blieben ohne Erfolg.

 Am 25. März 2011 reichte T.________ Klage beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ein und beantragte, die Freizügigkeitsstiftung der Zürcher
Kantonalbank (nachfolgend: Freizügigkeitsstiftung) sei zu verpflichten, das auf
ihn lautende Freizügigkeitskonto Nr. 635'227 aufzuheben und ihm den Saldo von
ca. Fr. 4'109.90 auszuzahlen.

B.
Mit Entscheid vom 30. August 2012 hiess das Sozialversicherungsgericht die
Klage in dem Sinne gut, als es feststellte, dass T.________ Anspruch auf
Barauszahlung seiner Freizügigkeitsleistung habe, soweit hinreichend belegt
sei, dass er selbstständig erwerbend sei und der obligatorischen beruflichen
Vorsorge nicht unterstehe; unerheblich bleibe, ob die Barauszahlung zur
Finanzierung der selbstständigen Erwerbstätigkeit genutzt werde oder nicht. In
der Folge überwies es die Sache an die Freizügigkeitsstiftung zur Nennung und
Prüfung der entsprechenden Legitimationsmittel.

C.
Dagegen erhebt das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag auf Aufhebung des
Entscheids vom 30. August 2012 und Rückweisung des Verfahrens an das
Sozialversicherungsgericht zum neuen Entscheid.
T.________ schliesst auf die Bestätigung des Entscheids vom 30. August 2012 und
weist neu darauf hin, dass er im Mai 2012 in die Unselbstständigkeit gewechselt
habe. Die Freizügigkeitsstiftung beantragt, in Gutheissung der Beschwerde des
BSV sei der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts vollumfänglich aufzuheben
und die Klage abzuweisen. Das Sozialversicherungsgericht verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Neue Tatsachen und Beweismittel sind nur zulässig, als erst der Entscheid der
Vorinstanz dazu Anlass gegeben hat (Art. 99 Abs. 1 BGG). Das Novenverbot gilt
auch für die Vernehmlassung des Beschwerdegegners (SVR 2013 BVG Nr. 19 S. 82,
9C_325/2012 E. 1.3). Dessen neue Vorbringen bleiben unbeachtlich, da sie nicht
Antwort auf ein in der Beschwerde vorgetragenes (zulässiges) Novum sind (SVR
2012 KV Nr. 16 S. 59, 9C_794/2011 E. 2.2 in fine mit Hinweisen).

2.

2.1. Gemäss Art. 5 Abs. 1 FZG (SR 831.42) können Versicherte die Barauszahlung
der Austrittsleistung verlangen, wenn sie die Schweiz endgültig verlassen (lit.
a) oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen und der obligatorischen
beruflichen Vorsorge nicht mehr unterstehen (lit. b) oder aber wenn die
Austrittsleistung weniger als ihr Jahresbeitrag beträgt (lit. c).

2.2. Der Wortlaut von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG, der hier im Vordergrund steht,
ist unmissverständlich. Die Barauszahlung setzt (kumulativ) die Aufnahme einer
selbstständigen Erwerbstätigkeit und das Fehlen eines
Versicherungsobligatoriums voraus (SVR 2011 BVG Nr. 24 S. 91, 9C_610/2010 E.
4.2.2). Es sind keine Gründe ersichtlich, von diesem Wortlaut abzuweichen.
Ratio legis von Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG ist die finanzielle Unterstützung beim
Aufbau einer Unternehmung; dies als Ausnahme vom Grundsatz, dass das
Vorsorgeguthaben als Altersvorsorge erhalten bleiben soll (SVR 2011 BVG Nr. 24
S. 91, 9C_610/2010 E. 4.2.3). Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass der
Aufbau einer selbstständigen Existenz als Grundlage für eine ausreichende
Altersvorsorge durch Selbstvorsorge dient, weshalb der Versicherte keiner
beruflichen Vorsorge mehr bedarf ( GEISER/SENTI, in: BVG und FZG, 2010, N. 41
zu Art. 5 FZG; RIEMER/RIEMER-KAFKA, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der
Schweiz, 2. Aufl. 2006, S. 139 Rz. 119; Mitteilungen des BSV über die
berufliche Vorsorge Nr. 11 vom 28. Dezember 1988 Rz. 59 mit Hinweis auf die
Botschaft zum BVG vom 19. Dezember 1975, Sonderdruck S. 92 oben).

2.3. Der Beschwerdegegner machte resp. macht nicht geltend, im Zeitpunkt der
Scheidung eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufgenommen zu haben. Vielmehr
begründete er seinen Anspruch auf Barauszahlung damit, dass er damals bereits
selbstständig erwerbend war.

3.

3.1. Art. 122 ZGB räumt jedem Ehegatten Anspruch auf die Hälfte der für die
Ehedauer zu ermittelnden Austrittsleistung des anderen Ehegatten ein, wenn
mindestens ein Ehegatte einer Einrichtung der beruflichen Vorsorge angehört und
bei keinem Ehegatten ein Vorsorgefall eingetreten ist (Abs. 1). Stehen den
Ehegatten gegenseitige Ansprüche zu, so ist nur der Differenzbetrag zu teilen
(Abs. 2).
Ein Ehegatte kann in der Vereinbarung auf seinen Anspruch ganz oder teilweise
verzichten, wenn eine entsprechende Alters- und Invalidenvorsorge auf andere
Weise gewährleistet ist. Das Gericht kann die Teilung ganz oder teilweise
verweigern, wenn sie aufgrund der güterrechtlichen Auseinandersetzung oder der
wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Scheidung offensichtlich unbillig wäre
(Art. 123 Abs. 1 und 2 ZGB).

3.2. Bei Ehescheidung werden die für die Ehedauer zu ermittelnden
Austrittsleistungen nach den Artikeln 122 und 123 des Zivilgesetzbuches (ZGB)
sowie den Artikeln 280 und 281 der Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008
(ZPO) geteilt; die Artikel 3-5 FZG sind auf den zu übertragenden Betrag
sinngemäss anwendbar (Art. 22 Abs. 1 FZG).

3.3. Die Vorinstanz vertritt die Meinung, der Anwendungsbereich von Art. 5 FZG
gehe im Scheidungsfalle insofern über die eigentlichen Tatbestände von Abs. 1
hinaus, als verschiedene Gesetzesbestimmungen eine analoge oder sinngemässe
Anwendbarkeit von Art. 5 FZG vorsehen. Dass die wortgetreue Anwendung des Art.
5 Abs. 1 FZG nicht zur Anwendung komme, rechtfertige sich auch, weil es sich
beim Vorsorgekapital, das im Rahmen eines Scheidungsverfahrens an den
Ehepartner übertragen werde, nicht um von diesem selber angespartes Kapital
handle. Ausserdem führe die wortwörtliche Anwendung des Art. 5 Abs. 1 FZG zu
stossenden und rechtsungleichen Ergebnissen. So wäre eine Barauszahlung für
denjenigen zulässig, der die Schweiz nach der Ehescheidung endgültig verlasse,
während sie für den Ehepartner, der bereits vor der Scheidung die Schweiz für
immer verlassen habe, unmöglich bliebe. Ferner vermöge ein Ehepartner, der im
Zeitpunkt der Scheidung noch in einem unselbstständigen Arbeitsverhältnis
steht, die Voraussetzung der Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit zu
erfüllen, was für den bereits vor der rechtskräftigen Scheidung
Selbstständigerwerbenden unerreichbar bleibe. Dies könne nicht Sinn und Zweck
der genannten Bestimmung sein, weshalb sich eine wortwörtliche Anwendung von
Art. 5 Abs. 1 FZG zu Gunsten einer vom Gesetz vorgesehenen sinngemässen
Anwendung verbiete.

 Das BSV macht im Wesentlichen geltend, die Auslegung durch das kantonale
Gericht entspreche weder dem Willen des Gesetzgebers noch der Lehrmeinung oder
der Rechtsprechung.

3.4. Das Gesetz muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach
dem Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen auf der
Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Die
Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der
Wortlaut die Norm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und
konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im
normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis der ratio
legis. Dabei befolgt das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus
und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer
hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien
können beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort
geben (BGE 137 V 434 E. 3.2 S. 437 mit Hinweisen).

3.5.

3.5.1. Der Wortlaut des zweiten Teilsatzes von Art. 22 Abs. 1 FZG besagt
lediglich, dass die Art. 3, 4 und 5 FZG im Scheidungsfall nicht direkt, sondern
sinngemäss, d.h. "nur" vergleichbar, anzuwenden sind. Er lässt Raum sowohl für
eine versicherungstechnische als auch inhaltliche Analogie.

3.5.2. Art. 3, 4 und 5 FZG beziehen sich auf den Fall, dass eine versicherte
Person aus ihrer Vorsorgeeinrichtung austritt, und regeln die Erfüllung ihres
Austrittsleistungsanspruchs resp. den Erhalt ihres Vorsorgeschutzes (vgl. auch
den Titel des 2. Abschnittes: Rechte und Pflichten der Vorsorgeeinrichtung bei
Austritt von Versicherten). Der zweite Teilsatz von Art. 22 Abs. 1 FZG hat wohl
ebenfalls die Austrittsleistung zum Inhalt, jedoch nicht die eigene und nicht
in Verbindung mit einem Austritt (vgl. E. 3.1). Er beinhaltet primär eine
Schuldenregelung zwischen den Ehegatten, die von vorsorgerechtlichem Charakter
ist, wobei der zu übertragende Betrag dem beruflichen Vorsorgeschutz erhalten
bleiben soll (vgl. den Titel des 5. Abschnittes: Erhaltung des Vorsorgeschutzes
in besonderen Fällen; vgl. auch E. 3.5.3 nachfolgend). Insoweit stellt der
zweite Teilsatz von Art. 22 Abs. 1 FZG vor allem eine Zahlungsmodalität dar
(vgl. Hans-Ulrich Stauffer, Berufliche Vorsorge, 2. Aufl. 2012, S. 514 Rz.
1390). Das Wort "sinngemäss" weist demnach - in systematischer Hinsicht - einen
versicherungstechnischen Gehalt auf, indem für den scheidungsrechtlichen
Vorsorgeausgleich die gleichen Erfüllungsregeln resp. der gleiche
Vorsorgeschutz zur Anwendung gelangen resp. gelangt, wie wenn es um die eigene
Austrittsleistung geht.

 Nichts Gegenteiliges ergibt sich aus dem Umstand, dass "verschiedene
Gesetzesbestimmungen eine analoge oder sinngemässe Anwendbarkeit von Art. 5 FZG
vorsehen", wie die Vorinstanz erwogen hat. Gemäss Art. 14 FZV (SR 831.425) gilt
Art. 5 FZG für Freizügigkeitseinrichtungen sinngemäss. Das BSV hielt dazu in
seinen Erläuterungen, die es mit Schreiben vom 6. Oktober 1994 verschiedenen
Institutionen wie u.a. dem Bundesgericht zustellte, fest: "Für die vorzeitige
Barauszahlung des Vorsorgekapitals wird auf die Bestimmungen in Artikel 5 FZG
verwiesen. Das bedeutet, dass eine Barauszahlung des Vorsorgekapitals geltend
gemacht werden kann, wenn die Tatbestände und Voraussetzungen dieser Bestimmung
gegeben sind. Allerdings kann diese gesetzliche Regelung angesichts der
unterschiedlichen Einrichtungen und Situationen nicht unbesehen übernommen
werden, worauf das Wort sinngemäss hinweist. So kann nach Artikel 5 Absatz 1
Buchstabe b FZG bei einer Freizügigkeitseinrichtung nicht verlangt werden, dass
die versicherte Person nicht mehr dem Obligatorium der beruflichen Vorsorge
untersteht. Auch die Voraussetzung, dass der sog. geringe Betrag nach Artikel 5
Absatz 1 Buchstabe c FZG nicht mehr als einen Jahresbeitrag ausmachen darf, hat
in diesem Zusammenhang nicht dieselbe Bedeutung wie bei einer
Vorsorgeeinrichtung. Es soll hier jedoch dem Sinn der Bestimmung nach Bezug
genommen werden können auf den Jahresbeitrag bei der letzten
Vorsorgeeinrichtung vor der Übertragung der Freizügigkeitsleistung auf eine
Freizügigkeitseinrichtung" (abgedruckt in: Carl Helbling, Personalvorsorge und
BVG, 8. Aufl. 2006, S. 268 f.). Dem Wort "sinngemäss" - im systematischen
Kontext mit Art. 5 FZG - kommt demnach auch andernorts versicherungstechnische
Relevanz zu.

3.5.3. Mit dem Verweis in Art. 22 Abs. 1 FZG auf Art. 3-5 FZG folgte der
Gesetzgeber wortwörtlich dem Entwurf des Bundesrates. Hintergrund ist, dass die
Mittel der beruflichen Vorsorge bei einer Scheidung grundsätzlich weiter dieser
dienen sollen (Botschaft vom 26. Februar 1992 zu einem Bundesgesetz über die
Freizügigkeit in der beruflichen Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenvorsorge, BBl 1992 III 599 Abs. 3 Ziff. 635.3; vgl. auch Botschaft vom
15. November 1995 zur Änderung des Scheidungsrechts, BBl 1996 I 104 Abs. 2
Ziff. 233.432). Die gewählte Formulierung ("sinngemäss") gab im Rahmen der
parlamentarischen Beratungen - weder in Bezug auf das FZG noch hinsichtlich des
revidierten Scheidungsrechts - zu keiner Diskussion Anlass. Zwar hielt der
Bundesrat, wie das BSV meint, in den Erörterungen zum dem Parlament vorgelegten
Entwurf von Art. 22 FZG fest, "eine Barauszahlung kommt allenfalls unter den
Voraussetzungen von Artikel 5 in Frage" (BBl 1992 III 599 Ziff. 635.3), resp.
"unter den Voraussetzungen von Artikel 5 FZG ist im übrigen eine Barauszahlung
denkbar" (BBl 1996 I 107 Abs. 1 Ziff. 233.441). Entgegen der Auffassung des BSV
lässt sich indessen daraus nicht zwingend ableiten, der Gesetzgeber habe im
Scheidungsfall keine Lockerung der Barauszahlungsgründe gewollt. Die fraglichen
Aussagen dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind im
Gesamtzusammenhang zu sehen: Früher konnte eine Frau, die wegen Verheiratung
ihre Erwerbstätigkeit aufgab, sich ihre Freizügigkeitsleistung auszahlen lassen
und für die Bedürfnisse des (in Gründung befindenden) gemeinsamen Haushaltes
verwenden (Art. 30 Abs. 2 lit. c BVG in der bis Ende 1994 geltenden Fassung; AS
1983 804). In der Folge stand die Ehefrau im Falle einer Scheidung nicht selten
ohne genügende Vorsorge da. Dem sollte anlässlich der Konzeptionierung des
Freizügigkeitsgesetzes u.a. aus Gründen der Gleichbehandlung von Mann und Frau
Einhalt geboten werden (BBl 1992 III 576 oben Ziff. 632.4). Der dabei - unter
dem Titel Ehescheidung - gemachte Hinweis des Bundesrates auf die
Barauszahlungsmöglichkeit gemäss Art. 5 Abs. 1 FZG lässt sich deshalb auch in
dem Sinne verstehen, dass er lediglich signalisieren wollte, dass eine
Barauszahlung auch zukünftig nicht per se ausgeschlossen sei. Ein klarer Wille
des Gesetzgebers, die Barauszahlungsgründe von Art. 5 Abs. 1 FZG im Fall einer
Ehescheidung 1:1 anzuwenden, ist demnach nicht auszumachen.

3.5.4. Wer von der unselbstständigen Erwerbstätigkeit in eine selbstständige
wechselt, verfügt in diesem Moment - soweit nicht mehr der obligatorischen
beruflichen Vorsorge unterstehend - über die Möglichkeit, sich das angesparte
Alterskapital gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. b FZG bar auszahlen zu lassen. Wer im
Scheidungszeitpunkt bereits selbstständig erwerbstätig ist, kommt nicht (mehr)
in den Genuss eines solchen Wahlrechts, auch wenn er gar keiner beruflichen
Vorsorge (mehr) bedarf (vgl. E. 2.2). Dessen ungeachtet kann nicht von
Rechtsungleichheit gesprochen werden, da sich die beiden Konstellationen
sachlich erheblich unterscheiden. Zum einen handelt es sich bei dem nach Art.
22 Abs. 1 FZG zu übertragenden Vorsorgekapital nicht um eine selber angesparte
Austrittsleistung (vgl. E. 3.5.2 Abs. 1). Zum andern basiert die Übertragung
nicht auf einer beruflichen, sondern persönlichen resp. familiären Änderung der
Verhältnisse. Dem steht jedoch - mit Blick auf den hier zu beurteilenden Fall -
folgende Gegebenheit gegenüber: Wer selbstständig erwerbend ist und nicht der
obligatorischen Versicherung unterstellt ist, sich aber der freiwilligen
Vorsorge angeschlossen hat, kann sich gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung
die entsprechenden geäufneten Mittel in klar bestimmten Schranken, namentlich
zum Zwecke betrieblicher Investitionen, auszahlen lassen, wenn er den
Vorsorgevertrag kündigt und seine vertragliche Beziehung mit seiner
Vorsorgeeinrichtung beendet (BGE 135 V 418 und 134 V 170).

 Nachdem Selbstständigerwerbende sich jederzeit - zumindest solange kein
Vorsorgefall eingetreten ist - freiwillig versichern lassen können (sei es bei
einer Vorsorgeeinrichtung oder bei der Auffangeinrichtung [vgl. Art. 44 BVG und
Art. 28 BVV 2]), kann dies auch erst im Scheidungsfall erfolgen und der gemäss
Art. 22 Abs. 1 FZG zustehende Betrag auf die freiwillige Vorsorge übertragen
werden, um ihn sodann bar erhältlich zu machen. Werden dabei die rechtlichen
und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzten Grenzen eingehalten,
liegt kein Umgehungsgeschäft vor. Der Umweg verursacht jedoch - vor allem auf
Seiten der Vorsorge- oder Auffangeinrichtung - nicht unbedeutende Kosten
(Kontoeröffnung und -saldierung innert kurzer Zeit). Es ist daher zweckmässig
und in Ausrichtung auf die herrschende Rechtslage objektiv angemessen, einem
(nachgewiesenermassen) Selbstständigerwerbenden und nicht der obligatorischen
beruflichen Vorsorge Unterstehenden die Möglichkeit einzuräumen, sich den im
Scheidungsfall zu übertragenden Betrag unter den gleich restriktiven
Bedingungen, wie sie für eine Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen
Vorsorge angesparten Alterskapitals gelten (vgl. BGE 135 V 418 und 134 V 170),
bar auszahlen zu lassen. Dies gilt umso mehr, als der gesetzlich statuierte
Vorsorgegedanke bei Selbstständigerwerbenden keine vordergründige Rolle (mehr)
spielt (vgl. E. 2.2). Mit anderen Worten kann ein Selbstständigerwerbender die
Barauszahlung des ihm scheidungsrechtlich zustehenden Vorsorgekapitals
verlangen, wenn er sich wirtschaftlich in der gleichen Situation wie ein
freiwillig Versicherter befindet.

 Soweit sich das BSV auf das vorne (vgl. E. 2.2) zitierte Urteil 9C_610/2010
(publiziert in: SVR 2011 BVG Nr. 24 S. 91) beruft, lässt es ausser Acht, dass
dort eine andere als die hier zu beurteilende Sachverhaltskonstellation vorlag;
streitig war die Barauszahlung der Austrittsleistung an den berechtigten
Ehegatten, der eine Invalidenrente aus vorehelicher Zeit bezog.

3.6. Im Lichte der Auslegung von Art. 22 Abs. 1 FZG ergibt sich somit für die
vorliegende Situation grundsätzlich das folgende Ergebnis: Wer im
Scheidungszeitpunkt nachweislich bereits selbstständig erwerbstätig ist und
nicht der obligatorischen beruflichen Vorsorge untersteht, kann sich die zu
übertragende Summe unter denselben Voraussetzungen, wie sie für eine
Barauszahlung des in der freiwilligen beruflichen Vorsorge angesparten
Alterskapitals gelten, bar auszahlen lassen.

4.

4.1. Im vorinstanzlichen Entscheid finden sich keine Feststellungen betreffend
die Voraussetzungen einer Barauszahlung gemäss BGE 135 V 418 und 134 V 170. Der
Sachverhalt lässt sich indessen ergänzen (Art. 105 Abs. 2 BGG).

4.2. Der Beschwerdegegner macht geltend, seit August 1998 selbstständig
erwerbend zu sein. Das Scheidungsurteil erwuchs am 2. No-vember 2010 in
Rechtskraft. Darauf wurden ihm gestützt auf Art. 22 Abs. 1 FZG Fr. 4'109.90 als
Austrittsleistung auf ein Freizügigkeitskonto überwiesen. Anfangs Januar 2011
ersuchte er die Freizügigkeitsstiftung vergeblich um Barauszahlung. Aus der
Klageschrift ist ersichtlich, dass der Betrieb aus einem kleinen Kiosk besteht,
der keinerlei betriebliche Investitionen erfordert und dass der
Beschwerdegegner selber über den Verwendungszweck der Austrittsleistung
bestimmen will. Bei dieser Sachlage vermag er von vornherein die
Voraussetzungen für eine Barauszahlung nicht zu erfüllen (vgl. E. 3.5.4 Abs. 1
und 2; BGE 134 V 170).

Die Prüfung weiterer Bedingungen in diesem Zusammenhang erübrigt sich.
Gleichzeitig kann offenbleiben, ob und inwieweit der hier fragliche
Barauszahlungsantrag an eine bestimmte Frist gebunden ist, so wie die
Verwaltungspraxis die Barauszahlung bei Aufnahme einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit innert Jahresfrist verlangt (vgl. Mitteilungen des BSV über
die berufliche Vorsorge Nr. 118 vom 2. Juni 2010 Rz. 744), oder ob er allein im
Scheidungszeitpunkt gestellt werden kann.

4.3. Bei diesem Ergebnis bleibt zu prüfen, ob die Barauszahlung des
Freizügigkeitskapitals aufgrund der Geringfügigkeit des Betrages (vgl. Art. 14
FZV in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 lit. c FZG) verlangt werden kann, was der
Beschwerdeführer in der Klage vom 25. März 2011 geltend machte. Diesbezüglich
hat sich die Vorinstanz weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht
geäussert; sie wird dies nachzuholen und über die Klage neu zu entscheiden
haben.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht
geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 30. August 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 700.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Freizügigkeitsstiftung der Zürcher
Kantonalbank und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich schriftlich
mitgeteilt.

Luzern, 19. Juni 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Dormann

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