Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 829/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
9C_829/2012 {T 0/2}     

Urteil vom 8. Juli 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Keel Baumann.

Verfahrensbeteiligte
R.________, vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Wyss,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 31. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1964 geborene R.________ meldete sich wiederholt bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Mit Verfügungen vom 15. Juli 1994,
30. Juli 1998 und 21. Juni 2007 verneinte die IV-Stelle des Kantons Zürich
einen Rentenanspruch.

Am 16. September 2009 ersuchte R.________ um Neubeurteilung seines Anspruchs
unter Beilage eines Berichtes der Dr. med. W._________, Fachärztin FMH
Neurologie, und der Prof. Dr. phil. A._________, Neuropsychologin, vom 11. Juni
2009. Mit Vorbescheid vom 9. November 2009 stellte die IV-Stelle die (erneute)
Verneinung des Rentenanspruchs in Aussicht. Daran hielt sie mit Verfügung vom
10. Dezember 2010 fest, nachdem sie die vom Versicherten erhobenen Einwände
geprüft und weitere Arztberichte zu den Akten genommen hatte, darunter auch
eine Stellungnahme des für den Regionalen Ärztlichen Dienst der
Invalidenversicherung (RAD) tätigen Dr. med. H._________, Facharzt für
Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 15. September 2010.

B.
Beschwerdeweise liess R.________ beantragen, die Verfügungen vom 10. Dezember
2010 und 21. Juni 2007 seien aufzuheben, es sei ihm (revisionsweise)
rückwirkend eine ganze Rente zuzusprechen, und subeventualiter sei die Sache
unter Feststellung des grundsätzlichen Rentenanspruches an die Vorinstanz zur
weiteren Abklärung zurückzuweisen. Mit Entscheid vom 31. August 2012 wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.

C.
R.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben
und das Rechtsbegehren stellen, der kantonale Entscheid sei aufzuheben, unter
Kosten- und Entschädigungsfolge. Es sei ihm (revisionsweise) rückwirkend eine
ganze Rente zuzusprechen. Es sei ihm die unentgeltliche Prozessführung unter
Rechtsverbeiständung mit dem Unterzeichnenden zu gewähren. In
verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt er die Durchführung eines zweiten
Schriftenwechsels.

Erwägungen:

1.
Der Beschwerdeführer fordert die Durchführung eines (zweiten)
Schriftenwechsels.

Die Beschwerde an das Bundesgericht ist innert der Beschwerdefrist (Art. 100
BGG) mit Antrag, Begründung und Angabe der Beweismittel (Art. 42 Abs. 1 BGG)
einzureichen. Ein Schriftenwechsel findet nur ausnahmsweise auf Anordnung des
Gerichts statt (Art. 102 Abs. 1 BGG). Davon - und mithin auch vom geforderten
zweiten Schriftenwechsel - ist vorliegend abzusehen, war doch der
Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in der Lage, sich substanziiert mit dem
angefochtenen Entscheid auseinanderzusetzen und kann ein Schriftenwechsel
insbesondere nicht dazu dienen, in der Beschwerdeschrift Versäumtes nachzuholen
(Urteil 9C_88/2011 vom 15. Februar 2012 E. 2).

2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), unter anderem
eine unvollständige Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen (BGE 135 V 23
E. 2 S. 25). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den
die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2
BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle einen Rentenanspruch auf
Neuanmeldung des Versicherten hin zu Recht verneint hat. Soweit der Versicherte
über den Streitgegenstand hinaus (wie im kantonalen Verfahren) die Aufhebung
der rentenablehnenden Verfügung vom 21. Juni 2007 beantragt, kann auf sein
Begehren nicht eingetreten werden (und hätte auch die Vorinstanz nicht
eintreten dürfen).

4.
Im angefochtenen Entscheid werden die Bestimmungen und Grundsätze zur
Invalidität (Art. 4 IVG; Art. 7 und 8 ATSG), zum Rentenanspruch (Art. 28 IVG)
und zur Neuanmeldung (Art. 17 ATSG; Art. 87 Abs. 4 IVV in der bis 31. Dezember
2011 gültig gewesenen und hier anwendbaren Fassung; BGE 130 V 71; vgl. auch BGE
134 V 131 E. 3 S. 132 f.; Urteil 9C_904/2009 vom 7. Juni 2010 E. 3.2, in: SVR
2011 IV Nr. 2 S. 7) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

5.

5.1. Nach Würdigung der medizinischen Aktenlage, insbesondere der vom
Versicherten im Neuanmeldungsverfahren eingereichten medizinischen Berichte,
gelangte die Vorinstanz zum Ergebnis, es sei auf die von ihr als schlüssig
erachtete Stellungnahme des RAD-Arztes Dr. med. H._________ vom 15. September
2010 abzustellen. Dieser attestierte dem Versicherten in einer dem Leiden des
Bewegungsapparates angepassten Tätigkeit eine volle Arbeitsfähigkeit. Zur
Begründung führte Dr. med. H._________ an, trotz Vorschädigung des Gehirns und
langjährigem Suchtmittelgebrauch hätten Dr. phil. A._________ und Prof. Dr.
med. W._________ weder ein Korsakow-Syndrom (ein organisches-amnestisches
Syndrom mit auffallender Beeinträchtigung des Kurzzeit- und
Langzeitgedächtnisses oder erheblich reduzierter Fähigkeit, neues Material zu
lernen) noch andere schwerwiegende kognitive Einbussen feststellen können.
Gestützt darauf bestätigte die Vorinstanz die rentenablehnende Verfügung vom
10. Dezember 2010 (und ebenso diejenige vom 21. Juni 2007, vgl. dazu E. 3
hiervor).

5.2. Was in der Beschwerde dagegen vorgebracht wird, ist nicht geeignet, die
vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung als offensichtlich unrichtig oder
sonst wie bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen:

Zu Recht hat die Vorinstanz ein sekundäres (das heisst gegebenenfalls
leistungsbegründendes [vgl. AHI 2002 S. 28, I 454/99]) Suchtgeschehen
sinngemäss verneint mit dem Hinweis, angesichts des Fehlens schwerwiegender
kognitiver Einbussen - bei unauffälligem MRI des Neurokraniums und weitgehend
unauffälligem neurologisch-klinischen Befund - sei es spekulativ, wenn Dr. med.
W._________ und Prof. Dr. phil. A._________ in ihrem Bericht vom 11. Juni 2009
einen Zusammenhang zwischen einem in früher Kindheit erlittenen
Schädelhirntrauma (mit eineinhalb Jahren beieinem Sturz zugezogenes
Schädelhirntrauma) und dem Suchtverhalten im Erwachsenenalter postulierten. Dr.
med. W._________ und Prof. Dr. phil. A._________ begründeten Ihre Einschätzung,
wonach das Suchtverhalten als Folge von "frühkindlich erworbenen zerebralen
Dysfunktionen" zu betrachten sei, damit, dass in der Literatur eine
Hirnschädigung als "charakteristischer Risikofaktor für
Abhängigkeitskrankheiten" gelte. Dies bedeutet indessen lediglich, dass
frühkindlich erworbene Hirnschädigungen die Suchtgefahr erhöhen können. Ob dies
bereits ausreichte, einen Zusammenhang als überwiegend wahrscheinlich
erscheinen zu lassen, erscheint fraglich. Weiterungen dazu erübrigen sich
allerdings, weil entscheidend ist, dass auch Dr. med. W._________ und Prof. Dr.
phil. A._________ keine schwerwiegenden pathologischen Befunde (wie
hirnorganisch-neurologische Schädigungen oder schwerwiegende kognitive
Einbussen) feststellen konnten. Unzutreffend ist sodann die Behauptung des
Beschwerdeführers, die Vorinstanz habe den Bericht des Dr. med. O._________,
Oberarzt Somatik am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen der Klinik
X.________, vom 25. Juni 2010 überhaupt nicht gewürdigt, legte sie doch im
angefochtenen Entscheid dar, weshalb sie nicht darauf abstellte. Soweit der
Beschwerdeführer schliesslich eine Auseinandersetzung mit den somatischen
Beschwerden vermisst, übersieht er, dass diese im Rahmen der vorangehenden
IV-Anmeldung berücksichtigt worden waren und die seit der damals ergangenen,
rentenablehnenden Verfügung vom 21. Juni 2007- insbesondere im Verlaufe des
Neuanmeldungsverfahrens -erstatteten Berichte (namentlich der Klinik Y.________
vom 23. und 31. März 2010) keine Hinweise auf eine somatisch bedingte
Arbeitsunfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit (wechselbelastend,
ohne Notwendigkeit ungünstiger Dauerpositionen wie beispielsweise häufiges
Knien oder Hocken) enthalten.

6.
Die Gerichtskosten gehen zu Lasten des Beschwerdeführers (Art. 66 Abs. 1 BGG),
werden jedoch zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege vorerst auf
die Gerichtskasse genommen. Ferner hat der Beschwerdeführer Anspruch auf
unentgeltliche Verbeiständung (Art. 64 BGG; BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371
E. 5b S. 372), wofür er ebenfalls der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben
wird, wenn er später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung
gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
zufolge Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung vorerst auf die
Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Thomas Wyss wird als unentgeltlicher Anwalt des Beschwerdeführers
bestellt und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der
Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 8. Juli 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Keel Baumann

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