Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 807/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_807/2012

Urteil vom 29. Januar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Lukas Nater,
Beschwerdegegner,

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse
13, 8500 Frauenfeld.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; vorinstanzliches Verfahren),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 29. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 17. Januar und 3. Februar 2003 sprach die IV-Stelle des
Kantons Thurgau dem 1955 geborenen S.________ bei einem Invaliditätsgrad von
100 % eine ganze Rente der Invalidenversicherung ab 1. Februar 2001 zu. Am 24.
April 2006 bestätigte sie einen unveränderten Invaliditätsgrad und
Rentenanspruch. Im März 2011 leitete die IV-Stelle erneut ein
Revisionsverfahren ein. Nach Abklärungen und Durchführung des
Vorbescheidverfahrens hob sie die Rente mit Verfügung vom 7. November 2011 auf
das Ende des der Zustellung folgenden Monats auf mit der Begründung, der
Gesundheitszustand habe sich erheblich verbessert und beim aktuellen
Invaliditätsgrad von 9 % bestehe kein Rentenanspruch. Gleichzeitig entzog sie
einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

B.
B.a Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 21. März 2012 in dem Sinne gut, als es die
angefochtene Verfügung vom 7. November 2011 aufhob und die Sache an die
Verwaltung zurückwies, damit sie die erforderlichen Abklärungs- und
Eingliederungsmassnahmen treffe und danach über den Rentenanspruch des
Beschwerdeführers neu entscheide.
B.b In Gutheissung des von S.________ am 26. Juni 2012 (Poststempel)
eingereichten Erläuterungsgesuchs stellte das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 29. August 2012 fest, dass die IV-Stelle dem
Versicherten die bisherige Rente bis zum Erlass des neuen Entscheides weiterhin
auszurichten habe (Dispositiv-Ziff. 1). Ferner hat es die IV-Stelle
verpflichtet, eine Verfahrensgebühr von Fr. 1'500.- zu bezahlen
(Dispositiv-Ziff. 2).

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) führt Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der Entscheid vom 29.
August 2012 sei aufzuheben.
S.________ verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die IV-Stelle schliesst auf
Gutheissung des Rechtsmittels. Das kantonale Gericht beantragt die Abweisung
der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden kann.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren)
Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29
Abs. 1 BGG; BGE 135 II 94 E. 1 S. 96; Urteil 8C_264/2009 vom 19. Mai 2009 E. 1;
je mit Hinweisen).

2.
2.1 Das BSV macht geltend, die Voraussetzungen für eine Erläuterung seien
klarerweise nicht gegeben gewesen, weshalb das kantonale Gericht das
entsprechende Gesuch hätte abweisen müssen. Einerseits hält es das Dispositiv
des Entscheids vom 21. März 2012 für klar und widerspruchsfrei. Anderseits ist
es der Auffassung, mit dem Erläuterungsentscheid vom 29. August 2012 sei in
unzulässiger Weise eine neue materielle Anordnung getroffen worden. Zudem
hätten der IV-Stelle keine Gerichtskosten überbunden werden dürfen, weil die
Bestimmungen des Sozialversicherungsverfahrens (Art. 61 lit. a ATSG und Art. 69
Abs. 1bis IVG) anwendbar bleiben müssten.

2.2 Die Erläuterung des Entscheides eines kantonalen
Sozialversicherungsgerichts ist bundesrechtlich nur insofern geregelt, als aus
Art. 8 Abs. 1 BV ein verfassungsmässiger Erläuterungsanspruch abgeleitet wird (
BGE 130 V 320 E. 2.2 in fine und E. 2.3 S. 325 f.; UELI KIESER, ATSG-Kommentar,
2. Aufl. 2009, N. 132 zu Art. 61 ATSG); darüber hinaus folgt das
Erläuterungsverfahren ausschliesslich den Regeln kantonalen Rechts (Art. 61
ATSG in initio; BGE 130 V 320 E. 1.1 und S. 323 und E. 3 S. 326; Urteil I 172/
06 vom 26. April 2006 E. 1). Das gilt auch für die Festsetzung und Verlegung
der Kosten eines solchen Verfahrens, weshalb Art. 61 lit. a ATSG, der die
grundsätzliche Kostenlosigkeit des sozialversicherungsgerichtlichen Prozesses
statuiert, als bundesrechtliche Regelung nicht (direkt) anwendbar ist.
2.3
2.3.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a.
die Verletzung von Bundesrecht und von kantonalen verfassungsmässigen Rechten,
nicht aber von kantonalem Gesetzesrecht gerügt werden (Art. 95 BGG). Beruht der
angefochtene Entscheid ausschliesslich auf kantonalem Recht, fällt deshalb bei
der Beschwerde dagegen praktisch nur die Rüge der Willkür (vgl. Art. 9 BV) -
sei es durch die Anwendung der einschlägigen kantonalen Bestimmungen, sei es
wegen deren Ausgestaltung oder aufgrund des Ergebnisses im konkreten Fall - als
Verletzung von Bundesrecht in Betracht (vgl. BGE 125 V 408 E. 3a S. 408 f. mit
Hinweisen; Urteil 9C_257/2012 vom 11. Juli 2012 E. 4.1).
2.3.2 Ein Rechtsmittel hat u.a. die Begehren und deren Begründung zu enthalten,
wobei in der Begründung in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern der
angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Hinsichtlich der
Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht gilt
eine qualifizierte Rügepflicht (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht
prüft eine solche Rüge nur insofern, als sie in der Beschwerde präzise
vorgebracht und begründet wird. Wird eine Verletzung des Willkürverbots geltend
gemacht, muss im Einzelnen dargelegt werden, inwiefern der angefochtene Erlass
an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel leidet (BGE 136 I 49 E.
1.4.1 S. 53; vgl. auch BGE 136 II 304 E. 2.5 S. 314; Urteil 5D_118/2009 vom 17.
November 2009).

2.4 Aus den Vorbringen des BSV ist nicht ersichtlich und geht erst recht keine
den erhöhten Anforderungen genügende Begründung hervor, inwiefern durch den
vorinstanzlichen Entscheid etwa das Willkürverbot (Art. 9 BV) oder anderes
Bundesrecht verletzt sein soll. Auf die Beschwerde ist daher nicht einzutreten.

3.
Vom BSV als unterliegende Partei sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der IV-Stelle des Kantons Thurgau und dem
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Januar 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Dormann