Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 7/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_7/2012

Urteil vom 19. Oktober 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Vorsorgestiftung der Firma A.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge (Freizügigkeitsleistung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Waadt,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 22. November 2011.

Sachverhalt:

A.
B.________, geboren 1963, schloss am 14. April 2010 mit der Firma A.________
für die Dauer vom 19. April 2010 bis maximal 10. Oktober 2010 einen
Einsatzvertrag für temporäre Mitarbeit in der Firma X.________ ab. Mit
Schreiben vom 15. Juni 2010 ersuchte er die Vorsorgestiftung der Firma
A.________, ihn ab dem 19. April 2010 für die berufliche Vorsorge zu
versichern. Am 6. Juli 2010 kündigte B.________ der Firma A.________ den
Einsatzvertrag auf den 14. Juli 2010. Gemäss den Lohnabrechnungen der Periode
April-Juli 2010 zog die Arbeitgeberin lediglich vom Einkommen der letzten
beiden Arbeitswochen Vorsorgebeiträge ab.

B.
B.a B.________ reichte am 25. Oktober 2010 beim Kantonsgericht Waadt Klage
gegen die Vorsorgestiftung ein. Er beantragte, es sei festzustellen, dass er
von Gesetzes wegen vom 19. April bis 14. Juli 2010 versichert gewesen sei; die
Vorsorgeeinrichtung sei zu verpflichten, rückwirkend für die Zeit vom 19. April
bis 14. Juli 2010 die BVG-Beiträge zu bezahlen ("Il doit être affirmé, que le
fonds de prévoyance A.________ est obligé à payer des primes LPP pour la
période du 19 avril 2010 au 14 juillet 2010 rétroactivement"). Mit
Klageergänzung vom 7. November 2010 stellte B.________ den Antrag, die
Vorsorgestiftung sei zu verpflichten, eine Austrittsleistung im Betrag von Fr.
1'270.70 zuzüglich Zins zu 2 % auf ein Freizügigkeitskonto auszurichten.
In der Klageantwort vom 18. November 2010 führte die Vorsorgestiftung aus, sie
habe am gleichen Tage der Firma A.________ die gesamten geschuldeten Beiträge
im Betrag von Fr. 668.-- in Rechnung gestellt. Der Kläger schulde der Firma
A.________ den Arbeitnehmeranteil von Fr. 334.--. Mit Replik vom 17. Dezember
2010 hielt der Versicherte an seinen Rechtsbegehren fest; er forderte, die
Firma A.________ sei zum Verfahren beizuladen. In der Duplik vom 1. Februar
2011 führte die Vorsorgestiftung aus, die Firma A.________ habe ihr die
Arbeitnehmerbeiträge inzwischen überwiesen.
B.b Am 22. November 2011 wies das Kantonsgericht Waadt die Klage ab, soweit sie
nicht gegenstandslos war. Für die Beiladung der Firma A.________ sah es keinen
Anlass.

C.
B.________ erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er
beantragt, das Verfahren sei in deutscher Sprache zu führen und die Firma
A.________ beizuladen; der vorinstanzliche Entscheid sei soweit aufzuheben, als
er ihn dazu verpflichte, der Firma A.________ Arbeitnehmerbeiträge im Betrag
von Fr. 334.-- zu bezahlen; es sei festzustellen, dass die Firma A.________ die
Entrichtung der Arbeitnehmerbeiträge schulde; sie habe der Vorsorgestiftung
einen Verzugszins von 4 % zu bezahlen; die Vorsorgestiftung sei anzuweisen, der
neuen Vorsorgeeinrichtung eine Austrittsleistung von mindestens Fr. 668.-- zu
überweisen; eventualiter sei die Sache zu deren Bemessung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG wird das Verfahren in einer der Amtssprachen (Deutsch,
Französisch, Italienisch, Rumantsch Grischun) geführt, in der Regel in der
Sprache des angefochtenen Entscheids. Verwenden die Parteien eine andere
Amtssprache, so kann das Verfahren in dieser Sprache geführt werden. Der
Beschwerdeführer begründet den Antrag, das Verfahren deutschsprachig zu führen,
damit, er sei portugiesischer Muttersprache und beherrsche kein Französisch. An
seinem Zürcher Wohnort verständige er sich auf Portugiesisch und Deutsch. Dem
Antrag ist zu entsprechen, denn die Beschwerdegegnerin hat als
gesamtschweizerisch tätige Berufsvorsorgeeinrichtung in allen Landessprachen zu
kommunizieren (vgl. auch Urteil 9C_609/2010 vom 31. August 2010 mit Hinweisen;
Urteil U 327/00 vom 4. April 2002 E. 1), und ihre Versicherungsbestimmungen
liegen denn auch in deutscher Fassung vor.

2.
Es ist erstellt, dass der Beschwerdeführer während des gesamten
Temporärarbeitseinsatzes vorsorgeversichert war und die Firma A.________ (in
Nachachtung von Art. 66 Abs. 2 BVG) der Beschwerdegegnerin auf die Einsatzdauer
entfallende Beiträge überwiesen hat. Damit bleibt zwischen den hier am Recht
stehenden Parteien nur die Auszahlung der Austrittsleistung streitig.

3.
3.1 Zur Auszahlung der Austrittsleistung äussert sich der angefochtene
Entscheid weder in den Erwägungen noch im Urteilsspruch. Die Vorinstanz
entschied ohne Begründung und ohne Eingrenzung der betroffenen Begehren auf
teilweise Gegenstandslosigkeit der Klage. Inwieweit sie die Klage abwies, geht
aus dem Entscheid ebenfalls nicht hervor. Vermutlich bezieht sich die Abweisung
auf das Klagebegehren, wonach die Vorsorgeeinrichtung zur Bezahlung sämtlicher
BVG-Beiträge zu verurteilen sei. Dies ändert aber nichts daran, dass das
gestellte Begehren auf Überweisung der Freizügigkeitsleistung zu beurteilen
blieb.

3.2 Die Vorinstanz meint in den Erwägungen, der Beschwerdeführer schulde der
Firma A.________ den Arbeitnehmerbeitrag von Fr. 334.--. Der Beschwerdeführer
hat aus ihrem Hinweis abgeleitet, er sei zur Bezahlung des betreffenden
Beitrages verurteilt worden und ficht dies letztinstanzlich an. Diese Forderung
war jedoch nicht Streitgegenstand. Darum konnte er von der Vorinstanz nicht zur
Zahlung verurteilt werden, und es ist in diesem Punkte auf die Beschwerde nicht
einzutreten. Ebenfalls nicht einzutreten ist auf das Begehren auf Feststellung,
dass die Arbeitnehmerbeiträge von der Firma A.________ geschuldet seien und sie
dafür der Vorsorgeeinrichtung einen Verzugszins zu bezahlen habe. Im Übrigen
hat nach Aussage der Beschwerdegegnerin in der Duplik vom 1. Februar 2011 die
Firma A.________ die ihr am 18. November 2010 in Rechnung gestellten gesamten
ausstehenden Beiträge bereits bezahlt.

4.
4.1 Was die somit hier einzig noch offene und streitige Frage der Auszahlung
der Austrittsleistung betrifft, beantragte der Kläger im kantonalen Verfahren,
die Vorsorgestiftung sei zu verpflichten, ihm einen Betrag von Fr. 1'270.70
zuzüglich Zins zu 2 % auf ein Freizügigkeitskonto auszurichten. Wie oben
erwähnt (E. 3.1) äussert sich der angefochtene Entscheid dazu nicht. Weder ist
klar, ob das Gericht die Gegenstandslosigkeit der Klage auch auf diese Frage
ausgedehnt haben wollte, noch ob die Abweisung der Klage das entsprechende
Begehren betraf. Diese Unterlassung wiegt umso schwerer, als ganz
offensichtlich gerade die Frage nach der Auszahlung der erworbenen
Austrittsleistung den Versicherten überhaupt zur Klage bewog. Damit hat die
Vorinstanz das rechtliche Gehör des Klägers verletzt. Der Entscheid leidet an
einem Rechtsmangel, der letztinstanzlich nicht geheilt werden kann.

4.2 Nach Art. 8 Abs. 1 FZG muss im Freizügigkeitsfall die Vorsorgeeinrichtung
dem Versicherten eine Abrechnung erstellen, aus der neben anderem auch die
Berechnung der Austrittsleistung ersichtlich sein muss. Die bei den Akten
liegende "Austrittsanzeige am 1. September 2010" (Austrittsleistung von Fr.
29.40) ist veraltet, da hier die am 18. November 2010 eingeforderte Nachzahlung
der BVG-Beiträge für das während der gesamten Einsatzdauer erzielte Einkommen
(oben B.a Abs. 2) noch nicht berücksichtigt ist. Dem Eventualantrag auf
Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht zur Bemessung des
Austrittsleistung ist darum in dem Sinne zu entsprechen, dass es den Parteien
zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme einräumt, bevor es gestützt auf die
aktuelle Sachlage über die Klage materiell entscheidet. Dabei wird das
kantonale Gericht vorgängig den versicherten Lohn bzw. das Vorliegen einer
Nettolohnvereinbarung zu prüfen haben.

5.
Die Durchführung eines Schriftenwechsels ist nicht erforderlich (Art. 102 Abs.
1 BGG).

6.
In Anbetracht der speziellen Verfahrenslage, welche die unterliegende
Beschwerdegegnerin nicht zu vertreten hat, rechtfertigt es sich, auf die
Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Kantonsgerichts Waadt, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, vom 22.
November 2011 wird aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen,
damit sie nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen über die Klage neu
entscheide. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Waadt,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. Oktober 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Schmutz