Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 777/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_777/2012, 9C_752/2012, 9C_775/2012

Urteil vom 27. Dezember 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Helfenstein.

Verfahrensbeteiligte
9C_752/2012
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Winkler,
Beschwerdeführer,

9C_775/2012
H.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Denis G. Humbert,
Beschwerdeführer,

9C_777/2012
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Denis G. Humbert,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

9C_752/2012
T.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Maritz,

U.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Maritz,

H.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Denis G. Humbert,

S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Denis G. Humbert.

9C_775/2012
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Winkler,

T.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Maritz,

U.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Maritz,

S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Denis G. Humbert.

9C_777/2012
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Michael Winkler,

T.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Maritz,

U.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Maritz,

H.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Denis G. Humbert.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid
des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
vom 25. Juli 2012.

Sachverhalt:

A.
Die X.________ AG, war der Ausgleichskasse des Kantons Zürich als
beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Am 19. September 2007 wurden
der Ausgleichskasse auf entsprechende Betreibungen hin vom Betreibungsamt
Zürich 9 die ersten zwei von insgesamt neun Verlustscheinen ausgestellt. Mit
Verfügungen vom 19. Mai 2008 verpflichtete die Ausgleichskasse T.________,
U.________, H.________, S.________ und A.________ als ehemalige Verwaltungsräte
der Gesellschaft zur Bezahlung von Schadenersatz für entgangene
Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich FAK-Beiträge, Verwaltungskosten,
Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten) in der Höhe von Fr.
280'041.30. Schliesslich verpflichtete die Ausgleichskasse mit Verfügung vom
15. Juni 2009 auch B.________ zur Bezahlung von Schadenersatz über Fr.
266'908.85.
Während A.________ die Schadenersatzforderung anerkannte und mit der
Ausgleichskasse einen Abzahlungsvertrag schloss, erhoben die übrigen ins Recht
gefassten Personen Einsprache. Mit Einspracheentscheiden vom 14. und 18. Mai
2010 hiess die Ausgleichskasse die Einsprachen teilweise gut und reduzierte die
Schadenersatzforderungen wie folgt: Sie verpflichtete B.________ zur Bezahlung
von nunmehr Fr. 169'799.95, T.________ zu Fr. 51'234.40, U.________ zu Fr.
164'829.40, H.________ zu Fr. 154'602.10 und S.________ zur Bezahlung von Fr.
164'829.40.

B.
Die hiegegen erhobenen Beschwerden erledigte das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Entscheid vom 25. Juli 2012 wie folgt: Soweit die Verfahren
nicht gegenstandslos geworden waren, wies es die Beschwerden von B.________ und
T.________ (dort Beschwerdeführer 1 und 2) ab, hiess die Beschwerden von
U.________, H.________ und S.________ (dort Beschwerdeführer 3,4 und 5)
teilweise gut und stellte fest, dass B.________ Schadenersatz in der Höhe von
Fr. 149'584.95 zu leisten hat, T.________ und U.________ je in der Höhe von Fr.
31'019.40 sowie H.________ und S.________ über Fr. 51'474.05.

C.
C.a Mit Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lassen S.________
und H.________ neben dem prozessualen Antrag um Erteilung der aufschiebenden
Wirkung beantragen, was folgt:
"1. Es sei Dispositiv Ziff. 1 des Urteils des Sozialversicherungsgerichtes des
Kantons Zürich vom 25. Juli 2012 in dem Sinne aufzuheben, als festzustellen
sei, dass gegen den Beschwerdeführer 4 und 5 keine Schadenersatzansprüche nach
Art. 52 AHVG bestehen.
2. Eventualiter sei die Sache i.S.v. Art. 107 BGG zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen, wobei die Vorinstanz insoweit an die Beurteilung des
Bundesgerichts gebunden ist, als durch die Vorinstanz festzustellen sei, dass
gegen den Beschwerdeführer 4 und 5 keine Schadenersatzansprüche nach Art. 52
AHVG bestehen.
3. Es sei Dispositiv Ziff. 3 des Urteils des Sozialversicherungsgerichtes des
Kantons Zürich vom 25. Juli 2012 in dem Sinne aufzuheben, als die
Beschwerdegegnerin zu verpflichten sei, dem Beschwerdeführer 4 und 5 infolge
seines Obsiegens im vorinstanzlichen Verfahren eine vollumfängliche
Prozessentschädigung zu bezahlen (zzgl. Mehrwertsteuerzusatz).
4. Alles und (recte: unter) Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl.
Mehrwertsteuer) zu Lasten der Beschwerdegegnerin."
C.b Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt B.________
beantragen, was folgt:
"1. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichtes des Kantons Zürich vom 25. Juli
2012, III. Kammer, Verfahrensnummer AK.2010.00014, damit vereinigt
AK.2010.00015, AK.2010.00016, AK.2010.00020 und AK.2010.00021 sei aufzuheben.
2. Es sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer Schadenersatz von CHF
34'394.71 und die vormaligen Beschwerdeführer 2,3,4 und 5 Schadenersatz von CHF
24'167.41 zu leisten haben, wobei unter dem Beschwerdeführer und den vormaligen
Beschwerdeführern 2,3,4 und 5 bis zum Betrag von CHF 24'167.41 Solidarität
besteht.
3. Eventualiter sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer Schadenersatz von
CHF 78'336.50 und die vormaligen Beschwerdeführer 2,3,4 und 5 Schadenersatz von
CHF 68'109.20 zu leisten haben, wobei unter dem Beschwerdeführer und den
vormaligen Beschwerdeführern 2,3,4 und 5 bis zum Betrag von CHF 68'109.20
Solidarität besteht.
4. Subeventualiter sei die Sache an die Beschwerdegegnerin zur neuen
Beurteilung zurückzuweisen.
Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zuzüglich MWSt zu Lasten der
Beschwerdegegnerin."

Erwägungen:

1.
Die Zuständigkeit der II. sozialrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts zum
Entscheid über die streitige Schadenersatzpflicht erstreckt sich auch auf die
Forderung für entgangene Sozialversicherungsbeiträge nach kantonalem Recht
(Urteil 9C_704/2007 vom 17. März 2008 E. 1, nicht publ. in: BGE 134 I 179, aber
in: SVR 2008 FL Nr. 1 S. 1; 9C_720/2008 vom 7. Dezember 2009 E. 1).

2.
Da den drei Beschwerden derselbe Sachverhalt zu Grunde liegt, sich die gleichen
Rechtsfragen stellen und die Rechtsmittel sich gegen einen Entscheid richten,
welcher die Beschwerdeführenden in gleicher Weise zu Schadenersatz
verpflichtet, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, rechtfertigt es sich, die
drei Verfahren betreffend die X.________ AG zu vereinigen und in einem einzigen
Urteil zu erledigen.

3.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG).

4.
Streitig ist die Schadenersatzpflicht der Beschwerdeführer. Dabei ist in
prozessualer Hinsicht zunächst die Frage der Beiladung allfälliger
Mitinteressierter zu prüfen.

4.1 Mit der Beiladung werden Dritte, deren Interessen durch eine Entscheidung
berührt sind, in ein Verfahren einbezogen und daran beteiligt. Der Einbezug
Beteiligter in den Schriftenwechsel hat den Sinn, die Rechtskraft des Urteils
auf den Beigeladenen auszudehnen, so dass dieser in einem später gegen ihn
gerichteten Prozess dieses Urteil gegen sich gelten lassen muss. Das Interesse
an einer Beiladung ist rechtlicher Natur. Es muss eine Rückwirkung auf eine
Rechtsbeziehung zwischen der Hauptpartei und dem Mitinteressierten in Aussicht
stehen (Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, S. 183 f.; Kölz/Häner,
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Auflage, S. 191
N 528; BGE 125 V 80 E. 8b S. 9 f.; vgl. auch BGE 118 Ib 56 E. 1c S. 360; Urteil
H 68/01 vom 23. April 2002). Die Beiladung ermöglicht es, dem Recht auf
vorgängige Anhörung Rechnung zu tragen, bevor ein nachteiliger Entscheid
ergeht; damit ist die Beiladung auch Ausfluss des rechtlichen Gehörs (Kölz/
Häner, a.a.O., S. 191 f. N 528 f.).
Nach der Rechtsprechung (Urteil H 68/01 vom 23. April 2002 E. 2b, Urteil H 365/
01 vom 15. April 2002 E. 3b, Urteil H 134/00 vom 3. November 2000 E. 3d, Urteil
H 256/97 vom 30. September 1998 E. 4b) ist das Sozialversicherungsgericht
gehalten, andere von der Ausgleichskasse belangte Solidarschuldner beizuladen,
und zwar sowohl wenn gegen diese das Verfahren noch hängig ist, als auch wenn
deren Haftung bereits rechtskräftig feststeht. Praxisgemäss nicht beizuladen
sind demgegenüber Dritte, die auch als Mithaftende in Frage kommen könnten, von
der Ausgleichskasse aber nicht belangt worden sind (Urteil H 327/98 vom 30.
Juni 2000 E. 3b; ebenso in anderem Zusammenhang auch RKUV 2003 Nr. U 485 S. 257
E. 3 U 307/01). In SZS 2007 S. 152, H 72/06, hat das Bundesgericht entschieden,
dass an dieser Praxis festzuhalten ist (Beschluss des Gesamtgerichts des
Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 22. August 2006) und hat sie in der
Folge auch weiterhin zur Anwendung gebracht (Urteil 9C_158/2008 vom 30.
September 2008).

4.2 Die Ausgleichskasse ist nicht nur gegen die drei Beschwerdeführer sowie
T.________ und U.________ (welche zwar den Einspracheentscheid, nicht aber den
sie zu einem reduzierten Schadenersatz verpflichtenden vorinstanzlichen
Entscheid angefochten haben) vorgegangen, sondern hat auch gegenüber dem
ehemaligen Vizepräsident und Delegierten des Verwaltungsrats der Gesellschaft,
A.________, eine Schadenersatzverfügung erlassen. Dieser hat die
Schadenersatzforderung anerkannt und mit der Ausgleichskasse eine
Ratenzahlungsvereinbarung geschlossen.
Nach der dargelegten Rechtsprechung (E. 4.1 hievor) hätte das kantonale Gericht
A.________ zum Verfahren beiladen müssen. Zwar rechtfertigt eine solche
Unterlassung nicht in jedem Fall eine Rückweisung an die Vorinstanz.
Rechtsprechungsgemäss kann von einer Rückweisung der Streitsache an die
Vorinstanz zur Gewährung des rechtlichen Gehörs nach dem Grundsatz der
Verfahrensökonomie abgesehen werden, wenn dieses Vorgehen zu einem
formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die
mit dem (gleichlaufenden und der Anhörung gleichgestellten) Interesse an einer
möglichst beförderlichen Beurteilung nicht zu vereinbaren sind (BGE 116 V 182
E. 3d S. 186). So verhält es sich hier jedoch nicht: Die erforderliche
Stellungnahme kann noch eingeholt werden und anders als im erwähnten Urteil H
72/06 vermögen die allfälligen darin vorgebrachten Aspekte durchaus die
Rechtsstellung der einzelnen in Pflicht genommenen ehemaligen Organe der
Gesellschaft noch zu beeinflussen (vgl. BGE 134 V 306 E. 3.2.1 S. 310) und
können damit den Beschwerdeführern zweckdienlich sein. Denn es liegen gerade
die Fragen im Streit, ob noch weitere Ratenzahlungen durch A.________ geleistet
wurden, welche die Vorinstanz nicht berücksichtigt hat (MEYER/DORMANN, in:
Basler Kommentar, 2. A., 2011, N. 11 in fine zu Art. 105 BGG) und inwieweit
diese gegebenenfalls den Beschwerdeführern anzurechnen sind. Die Sache ist
deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese die Beiladung anordne.

5.
Auf einen Schriftenwechsel wird angesichts des Verfahrensausgangs, der auf
formellen Gründen beruht, verzichtet. Die Einholung einer Vernehmlassung zur
Beschwerde, die ausschliesslich materiellen Inhalts ist, käme einem Leerlauf
gleich und würde nur weitere Kosten verursachen. Damit ist aus Gründen der
Prozessökonomie ein Schriftenwechsel nicht erforderlich (Art. 102 Abs. 1 a.A.
BGG, Urteil 9C_477/2012 vom 21. September 2012).

6.
Mit dem sofortigen Entscheid in der Sache ist die Frage der aufschiebenden
Wirkung der Beschwerde gegenstandslos.

7.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Ausgleichskasse die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und den Beschwerdeführern eine
Parteientschädigung zu entrichten. H.________ und S.________ haben diesbzüglich
nur einen reduzierten Anspruch, da sie durch denselben Rechtsanwalt vertreten
und die Beschwerdeschriften identisch sind (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerden werden in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 25. Juli 2012 aufgehoben und
die Sache an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen
wird, damit es im Sinne der Erwägungen verfahre.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1000.- werden der Ausgleichskasse auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat B.________ für das bundesgerichtliche Verfahren mit
Fr. 2800.- sowie H.________ und S.________ je mit Fr. 1500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, T.________, U.________, dem
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 27. Dezember 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Helfenstein