Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 765/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_765/2012

Urteil vom 19. März 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Borella, Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
Stadt Schaffhausen, vertreten durch den Stadtrat, Stadthaus, 8200 Schaffhausen,
Beschwerdeführerin,

gegen

Bundesamt für Gesundheit, Kranken- und Unfallversicherung, Schwarzenburgstrasse
165, 3003 Bern,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Krankenversicherung (Prämienregion),

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung III,
vom 10. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Die Stadt Schaffhausen und die (ehemalige) Gemeinde Hemmental haben sich auf
den 1. Januar 2009 zusammengeschlossen. Vor der Fusion war Hemmental der
Prämienregion 2 zugeordnet. Nach Berücksichtigung der neuen politischen
Situation teilte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Ortschaft ab 1. Januar
2011 der Prämienregion 1 (teuerster Tarif) zu. Mit Feststellungsverfügung vom
27. Dezember 2011 bestätigte das BAG, dass Hemmental ab 1. Januar 2011 in die
Prämienregion 1 einzureihen sei; dies entspreche der Zuordnung in die gleiche
Prämienregion wie das Restgebiet der bisherigen Gemeinde Schaffhausen.

B.
Das Bundesverwaltungsgericht trat auf die dagegen erhobene Beschwerde nicht ein
(Entscheid vom 10. August 2012). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus,
die Zuordnung zur Prämienregion sei nicht als anfechtbare Verfügung zu
qualifizieren, weil sie weder konkrete Rechte noch Pflichten begründe, ändere
oder aufhebe. Demnach könne es sich auch bei einer nachträglichen Feststellung
über die Zuordnung nicht um eine anfechtungsfähige Feststellungsverfügung
handeln, zumal mit der Zuordnung noch keine konkrete Änderung der Rechtslage
erfolge, sondern erst die Voraussetzung dafür geschaffen werde, dass die
Versicherer in Anwendung dieser Vorgaben die Prämien festlegen würden.

C.
Die Stadt Schaffhausen reicht gegen den Nichteintretensentscheid vom 10. August
2012 Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ein und beantragt,
dieser und die Feststellungsverfügung des BAG vom 27. Dezember 2011 seien
aufzuheben. Die Ortschaft Hemmental sei in der Liste des BAG wieder in die
Prämienregion 2 einzustufen. Es sei festzuhalten, dass ohne diesbezüglich
relevante Veränderungen in der Ortschaft Hemmental keine höhere Einstufung
erfolgen dürfe. Vor einer allfälligen Neueinstufung seien der Kanton und die
Stadt Schaffhausen frühzeitig anzuhören. Das BAG sei anzuweisen, Hemmental bis
zum rechtskräftigen Entscheid über die Beschwerde in der Liste der
Prämienregionen in der Prämienregion 2 aufzuführen. Eventualiter sei der
Nichteintretensentscheid vom 10. August 2012 aufzuheben und die Angelegenheit
zur neuen Beurteilung an das Bundesverwaltungsgericht zurück zu weisen.
Das BAG schliesst in seiner Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde.
Eventualiter sei die Feststellungsverfügung vom 27. Dezember 2011 zu
bestätigen. Subeventualiter seien die Akten an das Bundesverwaltungsgericht
zurück zu weisen, mit der Anweisung, einen Sachentscheid im Sinne der
Feststellungsverfügung vom 27. Dezember 2011 zu treffen. In jedem Fall sei die
ehemalige Gemeinde Hemmental bis zum rechtskräftigen Entscheid in der
Prämienregion 1 zu belassen. Das Bundesverwaltungsgericht verzichtete auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Nach Art. 48 Abs. 1 VwVG, welche Norm die Beschwerdelegitimation vor dem
Bundesverwaltungsgericht regelt (Art. 37 des Bundesgesetzes über das
Bundesverwaltungsgericht [Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG; SR 173.32]), ist zur
Beschwerde berechtigt, wer (kumulativ) vor der Vorinstanz am Verfahren
teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a),
durch die angefochtene Verfügung besonderes berührt ist (lit. b) und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung oder Änderung hat (lit. c).

1.2 Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG sind Verfügungen Anordnungen der Behörden im
Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und die
Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten oder Pflichten (lit. a), die
Feststellung des Bestehens, Nichtbestehens oder Umfanges von Rechten und
Pflichten (lit. b) oder die Abweisung von Begehren auf Begründung, Änderung,
Aufhebung oder Feststellung von Rechten und Pflichten oder das Nichteintreten
auf ein solches Begehren zum Gegenstand haben (lit. c). Als Verfügungen gelten
mithin autoritative, einseitige, individuell-konkrete Anordnungen der Behörde,
die in Anwendung von Verwaltungsrecht ergangen, auf Rechtswirkungen
ausgerichtet sowie verbindlich und erzwingbar sind (vgl. etwa BGE 131 II 13 E.
2.2 S. 17; AEMISEGGER/SCHERRER REBER, in: Basler Kommentar zum
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl., 2011, N. 30 zu Art. 82 BGG; MOSER/BEUSCH/
KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2008, S. 24 Rz. 2.3;
TSCHANNEN/ZIMMERLI/MÜLLER, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 2009, S. 224
ff., insbes. S. 229 ff.).
Eine Allgemeinverfügung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich einerseits an
einen (relativ) unbestimmten Personenkreis richtet, also genereller Natur ist,
anderseits einen konkreten Tatbestand regelt (statt vieler BGE 125 I 313 E. 2a
S. 316). Sie werden in Bezug auf ihre Anfechtbarkeit zumindest dann wie
Verfügungen behandelt, wenn sie ohne konkretisierende Anordnung einer Behörde
angewendet und vollzogen werden können (Urteil 2C_104/2012 vom 25. April 2012
E. 1.2 mit Hinweisen).

1.3 Die in der Sache zuständige Behörde kann über den Bestand, den Nichtbestand
oder den Umfang öffentlichrechtlicher Rechte oder Pflichten von Amtes wegen
oder auf Begehren eine Feststellungsverfügung treffen. Dem Begehren um eine
Feststellungsverfügung ist zu entsprechen, wenn der Gesuchsteller ein
schutzwürdiges Interesse nachweist. Keiner Partei dürfen daraus Nachteile
erwachsen, dass sie im berechtigten Vertrauen auf eine Feststellungsverfügung
gehandelt hat (Art. 25 Abs. 1-3 VwVG).

2.
2.1 Gemäss Art. 61 Abs. 2 KVG kann der Versicherer die Prämien nach den
ausgewiesenen Kostenunterschieden kantonal und regional abstufen. Massgebend
ist der Wohnort der versicherten Person. Das Bundesamt legt die Regionen für
sämtliche Versicherer einheitlich fest.

2.2 Die Festlegung der Prämienregionen innerhalb der Kantone wird vom BAG
ausgehend von den Kostenunterschieden zwischen den Regionen vorgenommen. Nimmt
der Versicherer Abstufungen nach Regionen vor, so darf gemäss Art. 91 Abs. 1
KVV die Differenz für die Prämie innerhalb des gleichen Kantons höchstens 15
Prozent zwischen den Regionen 1 und 2 sowie höchstens 10 Prozent zwischen den
Regionen 2 und 3 betragen.
Der Kanton Schaffhausen verfügte sowohl vor als auch nach der Gemeindefusion
über 2 Prämienregionen (abrufbar unter bag.admin.ch: Themen,
Krankenversicherung, Prämien, Prämienrechner, Prämienarchiv, Prämienregionen).
Das BAG unterzieht die Einteilung der Prämienregionen regelmässig einer
umfassenden Neubeurteilung. Die Zuordnung im System der Prämienregionen steht
insbesondere unter dem Vorbehalt einer notwendigen Anpassung auf Grund von
Änderungen in der Organisation der Kantone. Zu denken sind an Gemeindefusionen
oder die Erweiterung der Agglomerationen (vgl. Antwort des Bundesrates vom 30.
November 2012 auf die Interpellation Nr. 12.3941 von Kathy Riklin betreffend
"Krankenkassen-Prämienregionen. Kompetenzen für die Kantone schaffen" [abrufbar
unter parlament.ch: Dokumentation/Curia Vista].

2.3 Mit der Teilrevision des Krankenversicherungsrechts per 1. Januar 2001
wurde den Versicherern das Recht zur autonomen Prämienregioneneinteilung
entzogen (vgl. Art. 61 Abs. 2 in der bis Ende 2000 in Kraft gewesenen Fassung).
Zum einen sollten künftig sehr kleinräumige örtliche Prämientarife vermieden
werden. Zum andern sollten sich die Prämienunterschiede nach den regionalen
Kostenunterschieden und nicht etwa nach kommerziellen Überlegungen der
Versicherer richten (Botschaft über die Revision der Krankenversicherung vom 6.
November 1991; BBl 1992 I 93, 194 oben). Indes sind die Krankenversicherer nach
wie vor frei, auf regionale Prämienabstufungen zu verzichten. Bei Art. 61 Abs.
2 KVG handelte und handelt es sich weiterhin um eine Kann-Vorschrift (GEBHARD
EUGSTER, Krankenversicherung, in: Ulrich Meyer [Hrsg.], Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht, Bd. 14, Soziale Sicherheit, 2. Aufl., 2007, S. 739 Rz.
1004).
Sinn und Zweck der Schaffung einheitlicher Prämienregionen, die für sämtliche
Versicherer schweizweit Allgemeingültigkeit haben, ist, den Versicherten den
Prämienvergleich und dem Bundesrat die Prämienkontrolle zu erleichtern
(EUGSTER, a.a.O.). Zudem soll die Solidarität verstärkt werden (BBl 1992 I 93,
134 Mitte). So erhebt der Versicherer von seinen Versicherten die gleichen
Prämien (Art. 61 Abs. 1 KVG), wobei die Prämientarife der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung der Genehmigung durch den Bundesrat bedürfen; vor der
Genehmigung können die Kantone zu den für ihre Bevölkerung vorgesehenen
Prämientarifen Stellung nehmen (Art. 61 Abs. 5 KVG).

3.
Nach dem Gesagten sind die Versicherer in erster Linie Adressat der vom BAG
festgelegten Prämienregionen. Einen Einbezug der einzelnen Kantone und Regionen
hinsichtlich deren Einteilung hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. Weder dem
KVG noch den Materialien lässt sich etwas Gegenteiliges entnehmen. Wie denn
auch aus der Antwort des Regierungsrates des Kantons Bern auf die
Interpellation Nr. 155-2012 im Grossen Rat betreffend die Einteilung der
Prämienregionen erhellt (Geschäfts-Nr. 2012.0835 [abrufbar unter gr.be.ch:
Geschäfte]), gehen die Kantone selber davon aus, dass die Kompetenz zur
Festlegung der Prämienregionen ausschliesslich beim BAG liegt. Erst im Rahmen
der konkreten Prämiengestaltung durch die Versicherer werden (allein) sie
angehört. Dabei können die Versicherer - müssen aber nicht - ihre Prämien
kantonal und regional abstufen. Mit anderen Worten lassen sich die
Prämienregionen des BAG nicht ohne konkretisierende Prämienfestsetzung
unmittelbar anwenden und vollziehen.
Unabhängig von der Frage nach der (Allgemein-)Verfügungsqualität der vom BAG
festgelegten Prämienregionen, die nach dem soeben Dargelegten wohl zu verneinen
wäre (vgl. E. 1.2 Abs. 2), womit für eine vorgängige Anhörung von vornherein
kein Raum verbliebe (vgl. Art. 30 Abs. 1 VwVG), kommt der Beschwerdeführerin
bei der Regioneneinteilung keine Rolle zu. Gemäss der klaren gesetzlichen
Konzeption sind ausschliesslich die Kantone ermächtigt, zu den für ihre
Bevölkerung vorgesehenen Prämientarifen, deren Gestaltung eine kantonale und
regionale Abstufung zu Grunde liegen kann, aber nicht muss, Stellung zu nehmen.
Die Legitimation der Beschwerdeführerin zur Anfechtung der vom BAG festgelegten
Prämienregionen gebricht somit schon an der ersten Bedingung von Art. 48 Abs. 1
(lit. a) VwVG (vgl. E. 1.1). Gleichzeitig folgt daraus, dass der
Beschwerdeführerin auch kein Anspruch auf Erlass einer Feststellungsverfügung
zusteht. Dies gilt hier umso mehr, als keine materielle Beschwer (Art. 48 Abs.
1 lit. b und c VwVG) gegeben ist: Die Beschwerdeführerin vermag sich nicht über
ein rechtsgenügliches (Feststellungs-)Interesse auszuweisen. Es ist nicht
ersichtlich, dass die tatsächliche "Umsetzung" der vom BAG festgelegten
Prämienregionen durch die Versicherer genügend wahrscheinlich ist (vgl. Urteil
9C_143/2012 vom 22. März 2012 E. 4.2 mit Hinweisen; vgl. auch ISABELLE HÄNER,
in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das
Verwaltungsverfahren, 2009, N. 18 zu Art. 25 VwVG). Ebenso wenig ist solches
dargetan. Die Beschwerdeführerin bringt lediglich vor, die Zuteilung von
Hemmental zur Prämienregion 1 lasse die Prämienverbilligungsbeträge und die
Sozialhilfekosten der Stadt ansteigen. Ausserdem beruft sie sich auf
finanzielle Nachteile, die den Einwohnerinnen und Einwohnern der ehemaligen
Gemeinde Hemmental drohen. Dem ist entgegen zu halten, dass das
Rechtsschutzinteresse ein eigenes zu sein hat (vgl. Urteil 9C_321/2012 vom 11.
Juli 2012 E. 4 mit Hinweisen), weshalb auch die behauptete Zusicherung des BAG
gegenüber einer Hemmentalerin, es komme trotz Fusion zu keiner
Regionenumteilung, nicht weiter hilft. Schliesslich fehlen hinreichende
Anhaltspunkte, dass die geltend gemachten wirtschaftlichen Nachteile in
unmittelbarem Zusammenhang mit der (Neu-)Einteilung der Prämienregionen stehen.

4.
Bei dieser Sach- und Rechtslage ist der Nichteintretensentscheid des
Bundesverwaltungsgerichts zu bestätigen. Weiterungen zu den (übrigen) Anträgen
materiellen und formellen Inhalts erübrigen sich.

5.
Die Gerichtskosten sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin, die in ihren
vermögensrechtlichen Interessen tangiert ist, zu tragen (Art. 66 Abs. 1 und 4
BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht zuzusprechen (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung III,
und dem Eidgenössischen Departement des Innern schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. März 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Schmutz

X.________