Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 762/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_762/2012 {T 0/2}

Urteil vom 28. Dezember 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Procap für Menschen mit Handicap,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt,
Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Basel-Stadt vom 4. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 2. Oktober 2007 sprach die IV-Stelle Basel-Stadt
(nachfolgend: IV-Stelle) der 1949 geborenen S.________ ab 1. Juni 2006 eine
halbe Rente der Invalidenversicherung zu. Eine hiegegen erhobene Beschwerde der
S.________ wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit
Entscheid vom 10. April 2008 ab. Nachdem S.________ am 22. Mai 2008 um
Gewährung beruflicher Massnahmen ersucht hatte, veranlasste die IV-Stelle
namentlich eine Begutachtung bei Dr. med. K.________, Psychiatrie und
Psychotherapie, vom 17. September 2008, und holte Berichte ein des Spitals
A.________ vom 6. Februar 2009, sowie der Dr. med. G.________, Allgemeine
Medizin FMH, vom 28. April 2009. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren wies
die IV-Stelle das Gesuch um berufliche Massnahmen ab. Im weiteren Verlauf
reichte S.________ ein Revisionsgesuch betreffend die Rente ein, weil sich ihr
Gesundheitszustand verschlechtert habe. Die IV-Stelle ersuchte Dr. med.
C.________, Spezialarzt für Innere Medizin FMH, um einen Bericht vom 20. Januar
2011 (dem weitere medizinische Akten beilagen) und Dr. med. H.________, FMH für
Psychiatrie und Psychotherapie, um einen Bericht vom 18. März 2011. Nach
Beurteilung durch den Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD; pract. med. D.________
vom 18. Juli 2011) und durchgeführtem Vorbescheid-verfahren wies sie mit
Verfügung vom 1. Dezember 2011 das Erhöhungsgesuch ab.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde der S.________ wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 4. Juni
2012 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und unter Aufhebung des angefochtenen Entscheides die Zusprechung einer ganzen
Rente ab 1. Januar 2011, eventualiter die Rückweisung der Sache zur weiteren
Abklärung an die IV-Stelle beantragen. In prozessualer Hinsicht ersucht sie um
Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
Streitgegenstand ist die von der Beschwerdegegnerin verfügte und vorinstanzlich
bestätigte Ablehnung einer revisionsweisen Rentenerhöhung. Umstritten ist
nurmehr, ob das kantonale Gericht dadurch Bundesrecht verletzte, dass es mit
Bezug auf die Probleme an der Lendenwirbelsäule zwischen 2. Oktober 2007
(Zusprechung einer halben Rente) und 1. Dezember 2011 (Abweisung des
Revisionsgesuchs) eine anspruchserhebliche gesundheitliche Veränderung
verneinte.

2.
Das kantonale Gericht legt die Rechtsgrundlagen zum Anspruch auf eine
Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG), zum Einkommensvergleich (Art. 28 Abs. 1
IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG), zur Rentenrevision (Art. 17 ATSG) und zu
den massgeblichen Vergleichszeitpunkten (BGE 133 V 108 E. 5.4 S. 225) sowie zur
Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten im Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 125 V
256 E. 4 S. 261) und zum Beweiswert medizinischer Berichte und Gutachten (BGE
125 V 351 E. 3a S. 352) zutreffend dar. Darauf wird verwiesen.

3.
Die vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person sind grundsätzlich Entscheidungen über
eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), die das Bundesgericht seiner
Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Analoges gilt auch
für die Frage, ob sich eine Arbeits(un)fähigkeit in einem bestimmten Zeitraum
in einem revisionsrechtlich relevanten Sinne verändert hat (z.B. Urteil 9C_617/
2010 vom 10. Februar 2011 E. 3.1 mit Hinweis). Ebenfalls Tatfrage ist die
konkrete Beweiswürdigung. Dagegen sind die Beachtung des
Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG Rechtsfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.), die das
Bundesgericht im Rahmen der den Parteien obliegenden Begründungs- bzw.
Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1
und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann (Art. 106 Abs. 1 BGG). Der Verzicht der
Vorinstanz auf weitere Abklärungen oder Rückweisung der Sache an die IV-Stelle
zu diesem Zwecke (antizipierte Beweiswürdigung; Urteil 9C_561/2007 vom 11. März
2008 E. 5.2.1) im Besonderen verletzt etwa dann Bundesrecht, wenn der
festgestellte Sachverhalt unauflösbare Widersprüche enthält oder wenn eine
entscheidwesentliche Tatfrage, wie namentlich Gesundheitszustand und
Arbeitsfähigkeit einer versicherten Person, auf unvollständiger Beweisgrundlage
beantwortet wird (Urteil 9C_617/2010 vom 10. Februar 2010 E. 3.1 mit
Hinweisen).

4.
4.1 Die Vorinstanz stellte fest, in somatischer Hinsicht seien die Ärzte im
Wesentlichen von denselben Krankheitsbildern ausgegangen wie sie der
Zusprechung der halben Rente im Oktober 2007 zugrunde lagen. Namentlich seien
Nacken- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden bereits im Gutachten des Prof. Dr.
med. T._______, Chefarzt am Spital X.________, vom 3. Mai 2007 dokumentiert.
Die Beschwerden hätten verschiedentlich zu unterschiedlich intensiven und
wechselnden Schmerzzuständen geführt, indes lasse sich den Arztberichten in
somatischer Hinsicht seit Erlass der Verfügung vom 2. Oktober 2007 keine
wesentliche Veränderung entnehmen. Dass die behandelnden Ärzte bereits im
Oktober 2007 eine andere Einschätzung vertraten, möge damit zusammenhängen,
dass sie der Krankheitsüberzeugung der Versicherten hohes Gewicht beigemessen
und psychosoziale Faktoren berücksichtigt hätten.

4.2 Die Beschwerdeführerin rügt, das kantonale Gericht habe in Verletzung von
Bundesrecht aktenwidrig eine erhebliche gesundheitliche Verschlechterung
verneint, obwohl die Hausärztin Dr. med. G.________ am 15. Juli 2008 und
insbesondere Dr. med. E.________, Facharzt für Anästhesie und Oberarzt am
Spital A.________, am 6. Februar 2009 eine Verschlechterung hinsichtlich der
Lendenwirbelsäule beschrieben hätten. Selbst im Vergleich zum Jahr 2002 (als
bereits LWS-Probleme bestanden, welche nachfolgend während rund fünfeinhalb
Jahren weitgehend keine Beschwerden verursacht hätten) sei zwischen 2007 und
2010 zweifelsfrei eine Verschlechterung eingetreten. Während 2002 nur eine
einzige Diskushernie (L3/L4) dokumentiert sei, habe Dr. med. E.________ im
Februar 2009 deren drei festgestellt (L3/L4, L5/S1, L3/L4).

5.
5.1 Es trifft zu, dass die Versicherte bereits im Jahre 2002 an LWS-Problemen
gelitten hatte. Eine Computertomographie (CT) der LWS vom 1. März 2002 zeigte
eine geringe Chondrose L2/L3, eine deutliche Chondrose L3/L4 und zusätzlich
eine rechtsparamediane Diskushernie, eine leichte Chondrose L4/5 sowie geringe
Fazetten-arthrosen beidseits und geringe Foramenstenose und schliesslich einen
Normalbefund an L5/S1. In der Folgezeit war die Versicherte mit Bezug auf die
Lendenwirbelsäule unbestritten weitgehend beschwerdefrei (z.B. Bericht Spital
A.________ vom 17. Dezember 2004 und Gutachten des Spitals X.________ vom 15.
November/20. De-zember 2006/9. und 18. Januar sowie 3. Mai 2007). Einem
Schreiben des Spitals X.________ vom 13. Januar 2009 ist zu entnehmen, dass die
Versicherte seit August 2008 (wiederum) über langsam aufgetretene Schmerzen im
Bereich der LWS klagte. Am 25. November 2008 wurde eine
Magnetresonanztomographie (MRT) der LWS durchgeführt, die keine relevante
Befundänderung zeigte (Bericht der Dr. med. G.________ vom 28. April 2009). Am
20. Januar 2009 erfolgte eine interventionelle Schmerzdiagnostik und -therapie
(Protokoll Spital A.________ vom 20. Januar 2009), welche keine Linderung
brachte (Bericht Dr. med. G.________ vom 28. April 2009). In der Folge
wechselte die Versicherte den Hausarzt und begab sich am 16. Dezember 2009 zu
Dr. med. C.________ in Behandlung. Diesem gegenüber klagte sie über eine
Zunahme der Beschwerden im Nackenbereich und an den Händen. Prof. Dr. med.
R.________, Neurochirurgie FMH, Spital A.________, der die Beschwerdeführerin
am 11. November 2010 untersuchte, hielt fest, es bestehe zweifellos "ein
fortgeschrittenes rheumatologisches Leiden mit Veränderung der HWS, der LWS,
der Hände etc.". Wegen der sehr wechselnden Schmerzsymptomatik sehe er keine
unmittelbare Indikation für einen Wirbelsäuleneingriff. Die Lumboischialgien
links seien wahrscheinlich auf eine Diskusprotrusion lumbosakral links
zurückzuführen, während die derzeit dominierenden Schmerzen der LWS und
paravertebral rechts "auf eine schwere Spondylarthrose etc. L3/4 rechts
verdächtig" seien. Eine "volle Berentung bei der IV" scheine angezeigt.
Nachdem die Beschwerdeführerin ihr Revisionsbegehren eingereicht hatte, gab Dr.
med. C.________ mit Verlaufsbericht vom 20. Januar 2011 an, der
Gesundheitszustand habe sich verschlechtert, die Einschränkungen durch das
LWS-Schmerzsyndrom und die Polyarthrose der Hände seien zu ausgeprägt, als dass
eine berufliche Tätigkeit zumutbar wäre. Mit Stellungnahme vom 18. Juli 2011
erklärte RAD-Ärztin med. pract. D.________, hinsichtlich der im Oktober 2010
geklagten Schmerzen könne von einer bereits früher dokumentierten akuten
Exazerbation des chronischen Lumbalsyndroms ausgegangen werden. Zugenommen
hätten die Schmerzen aus subjektiver Sicht, während eine objektive
Verschlechterung in den neu eingeholten Arztberichten nicht dokumentiert sei.

5.2 Die Vorinstanz stellte nach ausführlicher Würdigung der medizinischen
Unterlagen (auch) hinsichtlich der LWS-Problematik keine wesentliche und
dauerhafte Verschlechterung fest. In der Tat legen die Akten den Schluss nahe,
dass die Beschwerdeführerin zwar unter zeitweilig exazerbierenden Beschwerden
an der LWS leidet, ohne dass sich die objektivierbaren Befunde zwischen 2.
Oktober 2007 und 1. Dezember 2011 wesentlich verändert hätten. Nicht nur
stellte Dr. med. G.________ am 28. April 2009 unwidersprochen fest, die
bildgebende Untersuchung vom 25. November 2008 habe keine wesentlich andere
Befundlage ergeben. Auch Prof. Dr. med. R.________ führte am 11. November 2010
die (damals) dominierenden Schmerzen der LWS auf eine schwere Spondylarthrose
"etc." L3/4 zurück, bezeichnete die Schmerzsymptomatik als "sehr wechselnd"
(weshalb eine unmittelbare Indikation für einen Wirbelsäuleneingriff zu
verneinen sei) und regte an, zukünftige Facetten-Infiltrationen auf akute
Verschlechterungen zu beschränken. Dass im Bereich L3/4 deutliche Veränderungen
(Chondrose, Diskushernie etc.) bestanden, zeigte aber bereits das am 1. März
2002 angefertigte Computertomogramm der LWS. Sodann fällt auf und passt ins
Bild des wechselhaften Verlaufs ohne dauerhafte Verschlimmerung, dass die
Versicherte gegenüber ihrem neuen Hausarzt Dr. med. C.________ im Dezember 2008
nicht über eine Verschlechterung der LWS-Beschwerden (sondern - nur - über eine
Verschlimmerung an Nacken und Händen) geklagt hatte. Nicht zuletzt legte Dr.
med. C.________ am 20. Januar 2011 nicht näher dar, worin die von ihm
attestierte Verschlechterung bestand, sondern er verwies auf das (seit Jahren
bestehende) chronische LWS-Schmerzsyndrom bei degenerativen
Wirbelsäulenveränderungen und auf die Berichte des Dr. med. M.________,
Neurologe FMH, (der am 29. November 2010 keine wesentlichen pathologischen
Befunde erheben konnte) sowie des Prof. Dr. med. R.________. Vor diesem
Hintergrund kann die vorinstanzliche Feststellung, wonach keine wesentliche
Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten ist, welche eine
revisionsweise Erhöhung der laufenden Invalidenrente zu begründen vermöchte,
nicht als bundesrechtswidrig bezeichnet werden. Dies gilt umso mehr, als sich
den ärztlichen Beurteilungen nicht entnehmen lässt, dass im massgeblichen
Beurteilungszeitraum neu aufgetretene Diskushernien eine dauerhafte und
anspruchsrelevante Verschlimmerung verursacht hätten.

6.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG)
kann jedoch entsprochen werden, da die Bedürftigkeit aktenkundig und das
Rechtsbegehren nicht als von vornherein aussichtslos bezeichnet werden kann
sowie die Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin als
geboten erscheint (BGE 129 I 129 E. 2.3.1 S. 135; 128 I 225 E. 2.5.3 S. 235).
Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach
die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie
später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Advokat T.________ wird als unentgeltlicher Vertreter der Beschwerdeführerin
bestellt und es wird ihm aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr.
2'800.- ausgerichtet.

4.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 28. Dezember 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle