Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 738/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_738/2012

Urteil vom 17. Dezember 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
L.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Gasche Bühler,
Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Alters- und Hinterlassenenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 29. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
L.________ war seit der Gründung der E.________ GmbH im Jahr 2006 deren
Geschäftsführer, ab 13. Februar 2008 bis 8. Juni 2009 Gesellschafter und
Geschäftsführer. Mit Verfügung vom .... November 2009 wurde über die
Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Das Verfahren wurde am .... Juli 2010
mangels Aktiven eingestellt und die Gesellschaft am .... Juli 2010 von Amtes
wegen gelöscht. Als Arbeitgeberin war die E.________ GmbH der
Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich (SVA) angeschlossen. Diese
forderte mit Verfügung vom 13. August 2010 (unter anderem) von L.________
Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von Fr.
30'841.30. Die dagegen erhobene Einsprache des L.________ wies sie mit
Einspracheentscheid vom 15. Oktober 2010 ab.

B.
L.________ beantragte beschwerdeweise beim Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich die Aufhebung des Entscheides. Das kantonale
Sozialversicherungsgericht änderte in teilweiser Gutheissung der Beschwerde den
Einspracheentscheid dahingehend ab, als es L.________ verpflichtete,
(solidarisch) Schadenersatz in Höhe von Fr. 28'681.50 zu bezahlen (Entscheid
vom 29. Juni 2012).

C.
L.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er
beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides, eventualiter die
Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. In prozessualer
Hinsicht ersucht er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf
eingetreten werden könne. Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
1.1 Mit BGE 137 V 51 hat das Bundesgericht entschieden, dass Streitigkeiten aus
Art. 52 AHVG (Arbeitgeberhaftung) staatshaftungsrechtlichen Charakter haben und
demzufolge unter Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG fallen. Die Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen kantonale Entscheide betreffend
Streitigkeiten nach Art. 52 AHVG ist grundsätzlich nurmehr zulässig, wenn der
Streitwert mindestens Fr. 30'000.- beträgt. Diese Voraussetzung ist hier nicht
erfüllt, nachdem die Vorinstanz die Schadenersatzforderung auf Fr. 28'681.50
reduziert hat. Auf die Beschwerde kann daher nur eingetreten werden, wenn sich
eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt, was hier - mit Blick auf
die gefestigte Rechtsprechung zu Art. 52 AHVG, von welcher abzugehen kein
Anlass besteht - nicht zutrifft (vgl. BGE 134 V 184 E. 1.3 S. 187 f.), oder die
Eingabe als subsidiäre Verfassungsbeschwerde entgegen genommen werden kann, was
voraussetzt, dass in substantiierter Weise eine Verletzung verfassungsmässiger
Recht gerügt wird (Art. 116 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG).

1.2 Im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde prüft das Bundesgericht die
Verletzung von Grundrechten nur unter Rüge- und Begründungsvorbehalt (Art. 42
Abs. 2, 117 i.V.m. 106 Abs. 2 BGG; BGE 134 I 83 E. 3.2 S. 88 mit Hinweisen).
Der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen gilt insofern nicht. Die
bundesgerichtliche Praxis verlangt, dass die angebliche Verfassungsverletzung
klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids
dargelegt wird. Auf rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid
tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 136 II 489 E. 2.8 S. 494 mit Hinweisen;
zum Ganzen Urteil 2C_705/2011 vom 26. April 2012 E. 1.6 mit Hinweisen).

2.
Der Beschwerdeführer rügt, der angefochtene Entscheid setze sich nicht mit
seinen entscheidwesentlichen Vorbringen auseinander und stelle den Sachverhalt
willkürlich und offensichtlich unrichtig fest. Dadurch werde er in seinen
verfassungsmässigen Rechten (Art. 9 und 29 BV) verletzt. Im Einzelnen habe das
kantonale Gericht die Beweismittel ignoriert, welche er gegen die Höhe der ihm
auferlegten Restschuld anerboten habe. Ebenfalls verletzt würden Art. 9 und 29
BV, weil die Vorinstanz eine Grobfahrlässigkeit unterstelle, ohne den von ihm
veranlassten Schuldenabbau zu würdigen und ohne auf das Argument der
Fremdkonkurse einzugehen.

3.
3.1 Gemäss ständiger bundesgerichtlicher Praxis liegt Willkür in der
Rechtsanwendung vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar
ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm
oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender
Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen
angefochtenen Entscheid aber nur auf, soweit nicht bloss die Begründung,
sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als
vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (statt vieler BGE 137
I 1 E. 2.4 S. 5 mit Hinweis).

3.2 Ruft der Beschwerdeführer im Rahmen der subsidiären Verfassungsbeschwerde
das Willkürverbot an, muss er dartun, dass und inwiefern der angefochtene
Entscheid willkürlich ist (BGE 133 III 393 E. 6 S. 397; vgl. auch E. 1.2
hievor). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdeschrift jedenfalls insoweit
nicht, als der Beschwerdeführer geltend macht, das kantonale Gericht habe sein
Verhalten trotz des stetigen Schuldenabbaus gegenüber den Sozialversicherungen
und der "Fremdkonkurse" (d.h. der Konkurse von Drittfirmen, welche sich negativ
auf die Liquidität der E.________ GmbH auswirkten) als grobfahrlässig
qualifiziert. Damit legt er lediglich seine Sicht dar, ohne rechtsgenüglich zu
begründen, inwiefern sich die Rechtsauffassung der Vorinstanz als willkürlich
erweist. Massgebend für die Vorinstanz war insbesondere, dass der
Beschwerdeführer, obwohl die finanzielle Situation der GmbH seit ihrer Gründung
"prekär" gewesen war und sie ihre Sozialversicherungsbeiträge nie fristgerecht
bezahlt hatte, im Jahr 2007 den Arbeitnehmerbestand und damit die Lohnsumme
erheblich erhöhte, ohne über ausreichend liquide Mittel zur Begleichung der
Sozialversicherungsbeiträge zu verfügen. Es hätte aber zu seinen
vordringlichsten Aufgaben gehört, dafür zu sorgen, dass Löhne nur unter
gleichzeitiger Abrechnung und Einzahlung oder Sicherstellung der darauf
anfallenden Sozialversicherungsbeiträge ausgerichtet wurden. Bekanntlich ist
ein Arbeitgeber gehalten, die Lohnzahlungen auf ein Mass zu reduzieren, das die
Entrichtung der darauf entfallenden paritätischen Beiträge erlaubt, wenn die
Liquiditätssituation eines Unternehmens die Begleichung der vollen Bruttolöhne
zuzüglich des Arbeitgeberanteils nicht mehr zulässt (Marco Reichmuth, Die
Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, 2008, Rz. 673 und
952 mit weiteren Hinweisen). Daran vermögen auch die Folgen eines am 10.
Oktober 2008 erlittenen Unfalles nichts zu ändern. Der Vorwurf, das
Verwaltungsgericht habe - entgegen seiner Verpflichtung, den relevanten
Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen - im angefochtenen Entscheid die als
Beweismittel offerierte "Zahlungsübersicht" nicht verifiziert und die für die
Zahlungsausstände mitursächlichen Fremdkonkurse unberücksichtigt gelassen, ist
insoweit unbegründet und eine Verletzung des Willkürverbots wie auch des
Gehörsanspruches nicht ersichtlich.

3.3 Hinsichtlich der Schadenshöhe rügt der Beschwerdeführer die Verletzung
verfassungsmässiger Rechte nicht mit Bezug auf die Gesamtschuld der Jahre 2007
bis 2009 in Höhe von Fr. 94'414.40 (welche er ausdrücklich anerkennt), sondern
- nurmehr - einzig in Zusammenhang mit den vorinstanzlich berücksichtigten
Einzahlungen der Arbeitgeberfirma. Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdeführer
habe nicht belegt, dass die Firma mehr als die in der Beitragsübersicht der
Beschwerdegegnerin vom 10. April 2012 aufgelisteten Fr. 54'597.75 überwiesen
hätte. Darin sieht der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 9 und 29 BV,
namentlich weil das kantonale Gericht die von ihm anerbotenen Beweismittel
"ignoriert" habe. Es trifft zu, dass der Beschwerdeführer im kantonalen
Beschwerdeverfahren eine detaillierte Übersicht betreffend die (behaupteten)
Zahlungen der vormaligen E.________ GmbH eingereicht hatte, auf welche die
Vorinstanz mit keinem Wort eingegangen ist. Indes begründet das kantonale
Gericht unter Hinweis auf die Beitragsübersicht der Beschwerdegegnerin vom 10.
April 2012 hinreichend (BGE 136 I 184 E. 2.2.1 S. 188), auf welcher Grundlage
es die berücksichtigten Zahlungen ermittelte. Lediglich der Vollständigkeit
halber sei angemerkt, dass der Beschwerdeführer in seiner vorinstanzlichen
Beschwerde die Einzahlungen der Arbeitgeberin auf Fr. 62'207.50 bezifferte, was
unter Berücksichtigung der hievon in Abzug zu bringenden Rückzahlung der
Beschwerdegegnerin in Höhe von Fr. 7'640.- Fr. 54'567.50 ergibt und damit in
etwa den im angefochtenen Entscheid anerkannten Überweisungen von insgesamt Fr.
54'597.75 entspricht. Soweit der Beschwerdeführer letztinstanzlich (erstmals)
geltend macht, die von der Arbeitgeberin einbezahlte Summe sei höher gewesen
(Fr. 86'708.- bzw. Fr. 86'780.-), sind seine Vorbringen, soweit sie nicht neu
und damit unzulässig sind (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. Urteil 9C_465/2007 vom 20.
Dezember 2007 E. 8.1), nicht stichhaltig. Der vorinstanzliche Entscheid
verletzt somit auch mit Bezug auf die Höhe der Schadenersatzforderung keine
verfassungsmässigen Rechte.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem
Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten dem
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

5.
Mit dem sofortigen Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Dezember 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle