Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 701/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_701/2012

Urteil vom 10. April 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Borella,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
F.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Viktor Györffy,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Schwyz,
Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz
vom 28. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
F.________, geboren 1961, gelernter Metzger, arbeitete seit 1995 in der
Metzgerei X._________ AG. Am 23. Dezember 2008 meldete er sich unter Hinweis
auf unfallbedingte Knieschäden bei der IV-Stelle Schwyz zum Leistungsbezug an.
Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren lehnte die IV-Stelle mit Verfügung vom
17. Oktober 2011 den Rentenanspruch ab (Invaliditätsgrad von 21 %).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
mit Entscheid vom 28. Juni 2012 ab.

C.
F.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen.
Er beantragt, der Entscheid des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben. Die Sache
sei an die Vorinstanz (eventualiter an die IV-Stelle) zurückzuweisen, damit sie
weitere Abklärungen vornehme und hernach neu entscheide.
Vorinstanz, IV-Stelle und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Streitig ist, ob beim Beschwerdeführer eine Invalidität im Sinne von Art. 4 IVG
in Verbindung mit Art. 8 ATSG vorliegt.

2.
Wie die Vorinstanz zutreffend festgehalten hat, begründet ein - vorliegend zur
Debatte stehender - Alkoholismus (wie auch Drogensucht und
Medikamentenabhängigkeit) für sich allein keine Invalidität im Sinne des
Gesetzes. Vielmehr wird er invalidenversicherungsrechtlich erst relevant, wenn
er eine Krankheit oder einen Unfall bewirkt hat, in deren Folge ein
körperlicher, geistiger oder psychischer (vgl. Urteil I 750/04 vom 5. April
2006 E. 1.2 mit Hinweisen), die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigender
Gesundheitsschaden eingetreten ist, oder wenn er selber Folge eines
körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheitsschadens ist, dem
Krankheitswert zukommt (BGE 124 V 265 E. 3c S. 268 mit Hinweis; Urteil I 505/05
vom 22. Februar 2006 E. 2.3 mit Hinweisen). Dabei ist das ganze für die
Alkoholsucht massgebende Ursachen- und Folgespektrum in eine Gesamtwürdigung
einzubeziehen (erwähntes Urteil I 505/05 E. 2.3 mit Hinweisen), was impliziert,
dass einer allfälligen Wechselwirkung zwischen Suchtmittelabhängigkeit und
psychischer Begleiterkrankung Rechnung zu tragen ist (Urteile I 758/01 vom 5.
November 2002 E. 3.2 und I 390/01 vom 19. Juni 2002 E. 2b). Erforderlich ist,
dass dem Alkoholismus eine ausreichend schwere und ihrer Natur nach für die
Entwicklung einer Suchtkrankheit geeignete Gesundheitsstörung zugrunde liegt,
welche zumindest eine erhebliche Teilursache der Alkoholsucht darstellt (Urteil
I 192/02 vom 23. Oktober 2002 E. 1.2.2 mit Hinweis). Mit dem Erfordernis des
Krankheitswerts einer allfälligen verursachenden psychischen Krankheit wird
verlangt, dass diese die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit einschränkt (BGE 99 V 28
E. 2; Urteil I 940/05 vom 10. März 2006 E. 2.2; erwähntes Urteil I 758/01 E.
3.1). Wenn der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Alkoholsucht und
krankheitswertigem psychischem Gesundheitsschaden besteht, sind für die Frage
der noch zumutbaren Erwerbstätigkeit die psychischen und die suchtbedingten
Beeinträchtigungen gesamthaft zu berücksichtigen (Urteil I 366/01 vom 12.
Februar 2003 E. 3.2; erwähntes Urteil I 130/93). Die Frage nach der objektiv zu
verstehenden Zumutbarkeit [einer Tätigkeit] beurteilt sich entscheidend nach
dem, was der Arzt, im Kontext der Psychiater als Facharzt, dazu sagt (ULRICH
MEYER, Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], 2. Aufl. 2010, S. 20
mit Hinweisen).

3.
Die Vorinstanz kam zum Schluss, es sei nicht zu erwarten, dass die vom
Beschwerdeführer geforderten fachärztlichen Abklärungen gesundheitliche und die
Erwerbsfähigkeit beeinträchtigende Folgeschäden eines Alkoholproblems zu Tage
fördern würden. Die einzige psychopathologische Diagnose sei im Rahmen des
psychosomatischen Konsiliums während des Rehabilitationsaufenthaltes vom 6. Mai
2009 bis 17. Juni 2009 in der Klinik Y.________ gestellt worden. In den
aktuelleren Berichten sei keine depressive Störung mehr diagnostiziert. Es sei
nicht zu erwarten, dass eine psychiatrische Untersuchung etwas an diesem
Ergebnis ändern würde.

4.
Der Beschwerdeführer widerspricht dem mit dem Hinweis, es sei auch nach dem
psychosomatischen Konsilium eine depressive Störung diagnostiziert worden. Er
verweist dazu auf den Bericht der Dr. med. R.________, Spital Z.________, vom
11. August 2010, in dem als Diagnose mit Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit
auch eine Depression genannt wurde. Ob ein geistiger Gesundheitsschadens mit
Krankheitswert gegeben sei, und ebenso, ob irreversible Folgeschädigungen der
Sucht die Erwerbstätigkeit beeinträchtigten, sei gestützt auf ein Gutachten zu
beantworten. Es könne offenkundig nicht ausgeschlossen werden, dass eine für
die Invalidenversicherung relevante psychische Störung nicht bestanden habe und
auch weiterhin nicht bestehe.

5.
Entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts ist der rechtserhebliche
Sachverhalt durch die Beschwerdegegnerin nicht vollständig abgeklärt worden,
indem der Beschwerdeführer bisher psychiatrisch nicht begutachtet wurde. Der
Konsiliarbericht vom 16. Juni 2009 wurde von der Psychologin Frau lic. phil.
T.________ verfasst und nicht wie vorgedruckt vom Leitenden Arzt Psychosomatik
visiert, sondern in seiner Vertretung von einer aufgrund der Unterschrift nicht
zu identifizierenden Person. Es bestehen, wie aus dem kantonalen Entscheid
selber hervorgeht, in den Akten zahlreiche Indizien, dass eine Suchtproblematik
sich im Privat- und Berufsleben schon über längere Zeit erheblich ausgewirkt
haben könnte (vorinstanzliche E. 5.2 und 5.3 mit Hinweisen), zumal der
Beschwerdeführer sich immer wieder unzuverlässig verhielt und offensichtliche
Zeichen der Verwahrlosung zeigte (vgl. auch psychosomatischer Konsiliarbericht
vom 16. Juni 2009).
Bei dieser Sachlage kann ohne aktuelle psychiatrische Abklärung nicht
festgelegt werden, ob der Beschwerdeführer an einer
invalidenversicherungsrechtlich relevanten Gesundheitsstörung leidet oder nicht
(vorne E. 2). Dem Eventualantrag auf Rückweisung der Sache an die Verwaltung
ist stattzugeben. Sie wird ein psychiatrisches Gutachten einholen und
anschliessend über den Rentenanspruch neu verfügen.

6.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Schwyz vom 28. Juni 2012 und die Verfügung der IV-Stelle Schwyz vom 17.
Oktober 2011 werden aufgehoben. Die Sache wird an die IV-Stelle Schwyz
zurückgewiesen, damit sie, nach Aktenergänzung im Sinne der Erwägungen, über
den Anspruch auf eine Invalidenrente neu verfüge.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. April 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Schmutz