Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 697/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_697/2012

Urteil vom 6. November 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Verfahrensbeteiligte
V.________ vertreten durch
Rechtsanwalt Marcel Baeriswyl,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 9.
August 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 17. April 2012 verneinte die IV-Stelle Bern einen Anspruch
des V.________ (geboren 1963) auf eine Invalidenrente nach Ermittlung eines
Invaliditätsgrades von 9 %.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 9. August 2012 ab unter Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt V.________
beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der
Verwaltungsverfügung sei ihm die ihm rechtlich zustehende IV-Rente ab
frühestmöglichem Zeitpunkt zuzusprechen. Eventuell sei die IV-Stelle
anzuweisen, die erforderlichen Abklärungen vorzunehmen und ein ergänzendes
medizinisches Gutachten betreffend tatsächliche Arbeitsfähigkeit einzuholen.
Ferner beantragt er die unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2
BGG und Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die
Beschwerde führende Person genau darzulegen. Dazu genügt es nicht, einen von
den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu
behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 137 II 353 E. 5.1
S. 356; SVR 2012 BVG Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.2 [nicht publ. in: BGE
137 V 446]).

1.2 Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze
gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteile 9C_999/2010 vom
14. Februar 2011 E. 1 und 9C_735/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3; SVR 2012 BVG
Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.1).

1.3 Dem Sachgericht steht im Bereich der Beweiswürdigung ein erheblicher
Ermessensspielraum zu (BGE 120 Ia 31 E. 4b). Das Bundesgericht greift auf
Beschwerde hin nur ein, wenn das Sachgericht diesen missbraucht, insbesondere
offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder
solche willkürlich ausser Acht lässt (BGE 132 III 209 E. 2.1; zum Begriff der
Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 mit Hinweisen). Inwiefern das kantonale Gericht sein
Ermessen missbraucht haben soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert
aufzuzeigen (BGE 130 I 258 E. 1.3). Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss
allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das
Bundesgericht nicht ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 mit Hinweis).

1.4 Einem ärztlichen Bericht kommt Beweiswert zu, wenn er für die streitigen
Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die
geklagten Beschwerden berücksichtigt und in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, wenn die Beschreibung der medizinischen Situation und
Zusammenhänge einleuchtet und die Schlussfolgerungen begründet sind (BGE 125 V
351 E. 3a S. 352). Der Arzt muss über die notwendigen fachlichen
Qualifikationen verfügen (Urteil 9C_736/2009 vom 26. Januar 2010 E. 2.1).
Untersuchungsberichte regionaler ärztlicher Dienste können, sofern sie diesen
Anforderungen genügen, einen vergleichbaren Beweiswert wie ein Gutachten haben
(Art. 49 Abs. 2 IVV; BGE 137 V 210 E. 1.2.1 S. 219; 135 V 254 E. 3.3.2 S. 257;
Urteil 9C_999/2010 vom 14. Februar 2011 E. 5.1.2). Auch reine Aktengutachten
können beweiskräftig sein, sofern ein lückenloser Befund vorliegt und es im
Wesentlichen nur um die fachärztliche Beurteilung eines an sich feststehenden
medizinischen Sachverhalts geht, mithin die direkte ärztliche Befassung mit der
versicherten Person in den Hintergrund rückt (SVR 2010 IV Nr. 46 S. 143,
9C_1063/2009 E. 4.2.1; Urteil 8C_119/2012 vom 30. März 2012 E. 4 mit Hinweis).
Dies gilt grundsätzlich auch in Bezug auf Berichte und Stellungnahmen
regionaler ärztlicher Dienste (SVR 2011 IV Nr. 2 S. 7, 9C_904/2009 E. 2.2 mit
Hinweisen).

2.
2.1 Das kantonale Gericht stellte in Würdigung der medizinischen Akten,
insbesondere gestützt auf die Einschätzung des RAD-Arztes Dr. med. A.________
vom 19. Januar 2012 fest, dass der Beschwerdeführer in einer angepassten
Tätigkeit zu 100 % arbeitsfähig sei. Dem Beschwerdeführer sei es im Rahmen der
Schadenminderungspflicht nach Art. 7 Abs. 1 IVG zumutbar, die von Dr. med.
A.________ erwähnte Dekonditionierung mit einem entsprechenden Training zu
überwinden. Medizinische Gründe für die geklagten Rückenbeschwerden seien den
Akten nicht zu entnehmen. Da eine Wirbelsäulenproblematik fehle, könne der
Beschwerdeführer eine sitzende Tätigkeit ohne weiteres ausüben. Es bestehe kein
Anlass für weitere Abklärungen. Die Ergebnisse der
arbeitsmarktlich-medizinischen Abklärungen änderten am Ergebnis nichts. Dass
der Beschwerdeführer nur eine geringe Leistung erbracht habe, könne nicht auf
gesundheitliche Gründe zurückgeführt werden. Er fühle sich, im Widerspruch zur
medizinischen Befundlage, nicht arbeitsfähig und habe die an ihn gestellten
Aufgaben jeweils rasch wieder abgebrochen. Ausgehend von einer vollen
Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit und gestützt auf die
Tabellenlöhne unter Berücksichtigung eines Abzuges von 10 % ermittelte das
kantonale Gericht einen Invaliditätsgrad von 10 %.

2.2 Im Lichte der eingangs erwähnten Beweisregeln und Grundsätze zur
Beweiswürdigung ist die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung und die
entsprechende Beweiswürdigung nicht mangelhaft im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG.
Namentlich hat das kantonale Gericht eingehend begründet, weshalb es den
Bericht des RAD-Arztes für schlüssig und beweiskräftig hält und weshalb der
Beschwerdeführer aus der arbeitsmarktlich-medizinischen Abklärung nichts zu
seinen Gunsten ableiten kann. Die entsprechenden Feststellungen und
Schlussfolgerungen sind nach der Aktenlage nicht offensichtlich unrichtig, noch
ist darin eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung oder eine willkürliche
Beweiswürdigung zu erblicken. Dies trifft namentlich auch auf die Feststellung
des kantonalen Gerichts zu, die geringe Leistung des Beschwerdeführers in der
AMA sei nicht auf gesundheitliche Gründe zurückzuführen und die gemessene
Leistung entspreche nicht dem effektiv Möglichen.

2.3 Der Beschwerdeführer legt nicht in rechtsgenüglicher Weise dar (vgl. E. 1.3
hievor), inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung willkürlich oder sonst
wie Bundesrecht verletzen sollte. Fehl geht der Einwand, Dr. med. K.________
erachte im Bericht vom 15. November 2011 sitzende Tätigkeiten für nicht
zumutbar und wechselbelastende Tätigkeiten nur im Umfang von 20 - 30 %, weshalb
die vorinstanzlichen Ausführungen schlichtweg falsch seien. Das kantonale
Gericht hat in E. 3.1.2 den Bericht und die Einschätzung des Dr. med.
K.________ vom 15. November 2011 richtig wieder gegeben. Es hat daraus und aus
den übrigen medizinischen Unterlagen den Schluss gezogen, dem Beschwerdeführer
sei mit Bezug auf die Knieprobleme eine sitzende Tätigkeit zumutbar und Dr.
med. K.________ gebe die Rückenbeschwerden als Grund an, dass er den
Beschwerdeführer auch für eine sitzende Tätigkeit nicht für arbeitsfähig halte.
Inwiefern diese Differenzierung hinsichtlich der Auswirkung der
unterschiedlichen Leiden auf die Arbeitsfähigkeit offensichtlich unrichtig sein
soll, wird indessen nicht dargelegt. Vielmehr hat das kantonale Gericht
aufgrund des richtig festgestellten Sachverhalts eine willkürfreie
Beweiswürdigung vorgenommen. Dies gilt namentlich auch hinsichtlich der
zumutbaren Überwindung der Rückenbeschwerden. Schliesslich macht der
Beschwerdeführer auch zu Unrecht geltend, die Vorinstanz verkenne, dass sich
der Beschwerdeführer aufgrund der medizinischen Gegebenheiten (Schmerzen etc.)
laufend in medizinischer Behandlung befinde. Dies ist dem kantonalen Gericht
indessen nicht entgangen, sondern es hat lediglich festgestellt, dass
gegenwärtig die organischen Ursachen der geltend gemachten Rückenprobleme nicht
abgeklärt würden und kein Anlass für weitere Abklärungen bestünden. Inwiefern
es damit den Untersuchungsgrundsatz verletzt haben sollte, wird nicht näher
substantiiert.

2.4 Die konkrete Invaliditätsbemessung durch Einkommensvergleich ist nicht
angefochten. Es besteht kein Anlass zu einer näheren Prüfung (BGE 125 V 413 E.
1b und 2c S. 415 ff.; 110 V 48 E. 4a S. 53).
3. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie sind vorläufig auf die
Gerichtskasse zu nehmen, da die Voraussetzungen für die Gewährung der
beantragten unentgeltlichen Rechtspflege (fehlende Aussichtslosigkeit des
Rechtsmittels, Bedürftigkeit des Gesuchstellers, Notwendigkeit der anwaltlichen
Vertretung [Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 125 V 201 E. 4a S. 202 und 371
E. 5b S. 372]) erfüllt sind. Ferner wird seinem Rechtsvertreter eine
Entschädigung aus der Gerichtskasse ausgerichtet (Art. 64 Abs. 2 BGG). Der
Beschwerdeführer wird indessen auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht,
wonach er als Begünstigter der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn
er später dazu in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Rechtsanwalt Marcel Baeriswyl, Bern, wird als unentgeltlicher Anwalt des
Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.-
ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. November 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Nussbaumer