Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 696/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_696/2012

Urteil vom 19. Juni 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau,
Beschwerdeführerin,

gegen

V.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. Hans Ulrich Ziswiler, Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau
vom 12. Juli 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene V.________, von Beruf Kellner, arbeitete seit August 2001 als
Aushilfe auf Abruf bei der Firma R.________ AG. Am 30. März 2004 meldete er
sich unter Hinweis auf Rückenbeschwerden und Probleme mit dem rechten Knie bei
der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons
Aargau zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) bei,
welche für die Folgen von Unfällen in den Jahren 2003 (Sturz) und 2004
(Verkehrsunfall) die gesetzlichen Leistungen erbrachte, und ordnete ein
bidisziplinäres Gutachten durch den Psychiater Dr. med. W.________ und Dr. med.
J.________, Innere Medizin, speziell Rheumatologie, vom 17. September 2010/29.
März 2011 an. Am 21. Mai 2010 beantworteten die beiden Experten aus
interdisziplinärer Sicht die ihnen unterbreiteten Fragen. Mit Verfügung vom 29.
August 2011 lehnte die IV-Stelle das Leistungsgesuch ab. Die
rheumatologisch-somatische Untersuchung habe kein invalidisierendes Leiden
ergeben, und eine eigenständige psychische Störung mit Auswirkungen auf die
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sei nicht feststellbar.

B.
In Gutheissung der von V.________ hiegegen eingereichten Beschwerde hob das
Versicherungsgericht des Kantons Aargau die angefochtene Verfügung auf und
sprach dem Versicherten vom 1. Juli 2005 bis 31. Juli 2008 eine ganze und ab 1.
August 2008 eine halbe Invalidenrente zu (Entscheid vom 12. Juli 2012).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
IV-Stelle, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben; eventuell sei dem
Versicherten ab 1. Januar 2006 eine halbe Invalidenrente zu gewähren. Ferner
ersucht sie darum, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

 V.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen und um unentgeltliche
Rechtspflege ersuchen.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Im Rahmen der Invaliditätsbemessung - namentlich bei der Ermittlung von
Gesundheitsschaden, Arbeitsfähigkeit und Zumutbarkeitsprofil sowie bei der
Festsetzung von Validen- und Invalideneinkommen - sind zwecks Abgrenzung der
(für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlichen) Tatsachenfeststellungen von
den (letztinstanzlich frei überprüfbaren) Rechtsanwendungsakten der Vorinstanz
weiterhin die kognitionsrechtlichen Grundsätze heranzuziehen, wie sie in BGE
132 V 393 E. 3 S. 397 ff. für die ab 1. Juli bis 31. Dezember 2006 gültig
gewesene Fassung von Art. 132 des nunmehr aufgehobenen OG entwickelt wurden.
Soweit die Beurteilung der Zumutbarkeit von Arbeitsleistungen auf die
allgemeine Lebenserfahrung gestützt wird, geht es um eine Rechtsfrage; dazu
gehören auch Folgerungen, die sich auf medizinische Empirie stützen, zum
Beispiel die Vermutung, dass eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung oder
ein vergleichbarer ätiologisch unklarer syndromaler Zustand mit zumutbarer
Willensanstrengung überwindbar sei (BGE 131 V 49 mit Hinweisen; SVR 2008 IV Nr.
8 S. 24, I 649/06 E. 3.2 am Ende). Im Übrigen gilt in diesem Zusammenhang
Folgendes: Zu den vom Bundesgericht nur eingeschränkt überprüfbaren
Tatsachenfeststellungen zählt zunächst, ob eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung (oder ein damit vergleichbarer syndromaler Zustand) vorliegt,
und bejahendenfalls sodann, ob eine psychische Komorbidität oder weitere
Umstände gegeben sind, welche die Schmerzbewältigung behindern. Als Rechtsfrage
frei überprüfbar ist, ob eine festgestellte psychische Komorbidität hinreichend
erheblich ist und ob einzelne oder mehrere der festgestellten weiteren
Kriterien in genügender Intensität und Konstanz vorliegen, um gesamthaft den
Schluss auf eine nicht mit zumutbarer Willensanstrengung überwindbare
Schmerzstörung und somit auf eine invalidisierende Gesundheitsschädigung zu
gestatten (SVR 2008 IV Nr. 23 S. 72, I 683/06 E. 2.2).

2.

2.1. In Würdigung des interdisziplinären Gutachtens der Dres. med. W.________
und J.________ (vom 17. September 2010/ 29. März 2011) sowie eines früheren
Berichts des Psychiaters PD Dr. med. S.________ vom 24. September 2007 stellte
die Vorinstanz fest, der Beschwerdegegner sei aus psychiatrischer Sicht hälftig
arbeitsunfähig, wobei die vorhandenen psychosozialen Faktoren nicht in die
Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit eingeflossen seien. Zusätzliche somatische
Beschwerden mit Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit lägen nicht vor. Die
gegenwärtig mittelgradige depressive Episode mit somatischem Syndrom im Rahmen
einer depressiven Entwicklung und eine damit in ungünstiger Wechselwirkung
stehende chronische Schmerzkrankheit mit körperlichen und psychischen Faktoren
lägen den geklagten Beschwerden zugrunde und bewirkten die Arbeitsunfähigkeit
von 50 %. Die depressive Störung sei nicht bloss Begleiterscheinung der
ebenfalls beschriebenen Schmerzstörung, sondern es komme ihr eigenständiger
Krankheitswert zu. Die beteiligten Psychiater hätten die depressive Störung,
welcher anhaltender respektive chronischer Charakter attestiert wurde, klar von
der Schmerzstörung abgegrenzt. Gestützt auf die Beurteilung des PD Dr. med.
S.________ sei drei Monate nach dem Unfall vom 29. April 2004, somit ab Juli
2004, von einer schweren Depression mit voller Arbeitsunfähigkeit auszugehen.
Ab Mai 2008 sei sodann aufgrund der Einschätzung des Dr. med. W.________ eine
mittelgradige Depression mit einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % anzunehmen. Der
Rentenanspruch sei unter Berücksichtigung der Wartezeit von einem Jahr am 1.
Juli 2005 entstanden, während die im Mai 2008 eingetretene Besserung gemäss
Art. 88a Abs. 1 IVV nach drei Monaten, ab August 2008, zu berücksichtigen sei.

2.2. Die IV-Stelle bestreitet, dass der depressiven Störung eigenständiger
Krankheitswert zuzumessen sei. Die Depression sei erst unter dem Eindruck
chronifizierter Schmerzen eingetreten, und der Beschwerdegegner beklage sich
stets an erster Stelle über seine Schmerzen, wogegen vor den beiden Unfällen
nie eine affektive Erkrankung bestanden habe. Ebenso wenig fänden sich andere
psychiatrische Erkrankungen, die sekundär zur Entwicklung depressiver Symptome
führen könnten. Mit der Annahme, dass ein invalidisierender Gesundheitsschaden
vorliegt, habe die Vorinstanz Bundesrecht verletzt.

3.
Die Vorinstanz hat die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen, unter denen einer
somatoformen Schmerzstörung in Ausnahmefällen invalidisierender Charakter
zuerkannt wird (BGE 130 V 352), zwar zitiert, jedoch nicht angewendet, weil sie
zur Auffassung gelangt ist, der beim Versicherten diagnostizierten depressiven
Störung komme eigenständiger Krankheitswert zu. Sie stelle nicht nur eine
Begleiterscheinung der ebenfalls beschriebenen Schmerzstörung dar, weshalb sie
selbstständig zu beurteilen sei.

4.

4.1. Die gesundheitliche Situation des Beschwerdegegners ist gestützt auf die
vorinstanzlich festgehaltenen fachärztlichen Angaben im Hinblick auf die
Beurteilung des Leistungsanspruchs in zwei Phasen aufzuteilen: In den Zeitraum
ab Juli 2004 bis April 2008 und in die Periode ab Mai 2008. Soweit es um die
Zeitspanne ab Juli 2004 bis April 2008 geht, ist aufgrund der Einschätzung des
Dr. med. S.________ von einer schweren Depression mit voller Arbeitsunfähigkeit
auszugehen. Diesen Angaben pflichten Dr. med. W.________ sowie der behandelnde
Psychiater Dr. med. C.________ bei. In der Zeitspanne ab Mai 2008 ist die
medizinische Situation demgegenüber weniger klar.

4.2. Das kantonale Gericht hält diesbezüglich fest, gemäss Gutachten des Dr.
med. W.________ vom 17. September 2010 leide der Beschwerdegegner an einer
mittelgradig-depressiven Episode mit somatischem Syndrom im Rahmen einer
depressiven Entwicklung. Zusätzlich liege eine chronische Schmerzkrankheit mit
körperlichen und psychischen Faktoren vor. Laut Dr. med. W.________ präge die
chronische Schmerzstörung das klinische Bild. Schmerz- und depressive Störung
stünden in einer ungünstigen Wechselwirkung zueinander, da die depressive
Störung zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung und Fixierung der erlebten
Beschwerden führe und anderseits die anhaltenden Schmerzen die depressive
Symptomatik triggerten. Für die Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit habe der
Gutachter anhand der Kriterien gemäss BGE 130 V 352 die Zumutbarkeit einer
willentlichen Schmerzüberwindung geprüft. Er habe dafür gehalten, dass die
mittelgradig ausgeprägte depressive Symptomatik als psychisch ausgewiesene
Komorbidität zu gelten habe und ein gewisser sozialer Rückzug vorliege. Eine
Willensanstrengung zur Schmerzüberwindung sei daher nicht verunmöglicht, aber
erschwert. Insgesamt hielt Dr. med. W.________ fest, aus psychischer Sicht sei
von hälftiger Arbeitsunfähigkeit auszugehen.

4.3. Gestützt auf die für das Bundesgericht verbindlichen Feststellungen der
Vorinstanz zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers (E. 1.1 hievor) ist
namentlich aufgrund der weiter von Dr. med. W.________ erwähnten und
diagnostizierten undifferenzierten Somatisierungsstörung (ICD-10:F45.1), die
zum Symptomenkomplex der somatoformen Störungen zählt, die Rechtsprechung
gemäss BGE 130 V 352 anzuwenden (Urteil 8C_663/2010 E. 5.2.5 vom 15. November
2010), wovon - wie erwähnt (E. 4.2 hievor) für die Einschätzung der
Arbeitsfähigkeit auch der Experte Dr. med. W.________ ausgegangen ist. Zu
beurteilen ist mit Blick auf die Entwicklung des psychischen
Gesundheitsschadens vorab das Vorliegen einer hinreichend erheblichen
psychischen Komorbidität.

4.3.1. Mit Bezug auf den Zeitraum von Juli 2004 bis April 2008 ist eine
psychische Komorbidität von erheblicher Schwere, Intensität, Ausprägung und
Dauer in Form einer schweren Depression aufgrund der fachärztlichen Diagnosen
ausgewiesen.

4.3.2.

4.3.2.1. Was die Zeit ab Mai 2008 betrifft, ist laut Gutachten des Dr. med.
W.________ vom 17. September 2010 von einer mittelgradig-depressiven Episode
mit somatischem Syndrom auszugehen, welche nicht die rechtsprechungsgemäss
erforderliche Erheblichkeit aufweist, um als psychisch ausgewiesene
Komorbidität einer willentlichen Schmerzüberwindung entgegenzustehen: Zu
beachten ist, dass Dr. med. W.________ selbst die Relevanz der Komorbidität
nicht einleuchtend begründet und ferner festhält, eine entsprechende
Willensanstrengung zur Schmerzüberwindung sei erschwert, aber nicht
verunmöglicht. Dazu kommt, dass leichte bis höchstens mittelschwere psychische
Störungen aus dem depressiven Formenkreis als therapeutisch angehbar gelten
(Urteile 9C_250/2012 vom 29. November 2012 E. 5, 9C_736/2011 vom 7. Februar
2012 E. 4.2.2.1). Des Weiteren ist das Behandlungspotenzial noch nicht
ausgeschöpft, wie sich dem Gutachten des Dr. med. W.________ entnehmen lässt:
Der Beschwerdegegner zeigt ein äusserst passives Copingverhalten; ferner lassen
(invaliditätsfremde) psychosoziale Kontextfaktoren die Erfolgschancen als
limitiert erscheinen.

4.3.2.2. Die ausnahmsweise anzunehmende Unzumutbarkeit einer willentlichen
Schmerzüberwindung und eines Wiedereinstiegs in den Arbeitsprozess kann auch
gegeben sein, wenn qualifizierte, mit gewisser Intensität und Konstanz erfüllte
Kriterien gegeben sind. Gemäss BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 353 f. erheblich sind
unter Umständen: chronische körperliche Begleiterkrankungen und mehrjähriger
Krankheitsverlauf bei unveränderter oder progredienter Symptomatik ohne
längerfristige Remission, (2) ein ausgewiesener sozialer Rückzug in allen
Belangen des Lebens, (3) ein verfestigter, therapeutisch nicht mehr angehbarer
innerseelischer Verlauf einer an sich missglückten, psychisch aber entlastenden
Konfliktbewältigung (primärer Krankheitsgewinn ["Flucht in die Krankheit"])
oder schliesslich (4) unbefriedigende Behandlungsergebnisse trotz konsequent
durchgeführter ambulanter und/oder stationärer Behandlungsbemühungen und
gescheiterte Rehabilitationsmassnahmen bei vorhandener Motivation und
Eigenanstrengung der versicherten Person.

4.3.2.3. In seinem Teilgutachten vom 17. September 2010 nimmt der Experte Dr.
med. W.________ zu diesen Kriterien Stellung. Er verneint einen verfestigten,
therapeutisch nicht mehr angehbaren innerseelischen Verlauf einer
Konfliktbewältigung, bejaht jedoch einen gewissen sozialen Rückzug, wobei er
darauf hinweist, dass intakte Familienstrukturen sowie Aussenkontakte
bestünden. Gleichzeitig lässt sich der psychiatrischen Expertise entnehmen,
dass eine Psychotherapie eine wichtige Option darstelle und die
medikamentös-antidepressive Behandlung fortgesetzt und intensiviert werden
sollte (Umstellung auf ein potenteres Antidepressivum, gegebenenfalls
Kombinationsbehandlung). Damit steht fest, dass die nach der Rechtsprechung
massgebenden Kriterien nicht oder nur zu einem kleinen Teil erfüllt sind,
nachdem laut Dr. med. W.________ auch von konsequent durchgeführten ambulanten
oder stationären Behandlungsmassnahmen nicht die Rede sein kann.

4.3.3. Gestützt auf die fachärztliche Beurteilung im zitierten Teilgutachten
steht somit fest, dass der Versicherte über psychische Ressourcen verfügt, die
es ihm erlauben, mit den Schmerzen umzugehen, und er objektiv betrachtet die
Möglichkeit hat, trotz seiner subjektiv erlebten Schmerzen eine Arbeit zu
verrichten (vgl. BGE 130 V 352 E. 2.2.4 S. 355).
Dabei ist der Beginn der Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes und
der wiedergewonnenen Arbeitsfähigkeit auf den 1. Mai 2008 festzusetzen (E. 4.1
hievor). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist zufolge Zumutbarkeit einer
willentlichen Schmerzüberwindung ab diesem Datum nicht bloss von hälftiger,
sondern von voller Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit auszugehen.

5. In erwerblicher Hinsicht präsentiert sich die Situation wie folgt: Ausgehend
von voller Arbeitsunfähigkeit in der Zeit von Juli 2004 bis April 2008 hat der
Beschwerdegegner ab 1. Juli 2005, nach Ablauf der Wartezeit von einem Jahr
gemäss Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG (in der vorliegend anwendbaren, bis Ende 2007
gültig gewesenen Fassung), Anspruch auf eine ganze Invalidenrente. Dieser
Anspruch erlischt am 31. Juli 2008, drei Monate nach Eintritt der Verbesserung
der Erwerbsfähigkeit (Art. 88a Abs. 1 IVV). Ab 1. August 2008 beläuft sich der
Invaliditätsgrad bei einem zumutbarerweise vollzeitlich ausgeübten
Arbeitspensum auf weit unter 40 %, auch wenn die von der Vorinstanz
herangezogenen, auf eine Ganztagesbeschäftigung umgerechneten Zahlen,
einschliesslich eines bei vollschichtiger Arbeit nicht begründeten
leidensbedingten Abzugs von 10 % vom Invalideneinkommen, übernommen werden. Der
Rentenanspruch ist daher bis 31. Juli 2008 zu befristen.

6. Die Beschwerde führende IV-Stelle obsiegt insoweit teilweise, als die
Zusprechung einer halben Invalidenrente gemäss angefochtenem Entscheid für den
Zeitraum ab 1. August 2008 aufzuheben ist. Dem Verfahrensausgang entsprechend
sind die Gerichtskosten den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1
BGG), wobei der auf den Beschwerdegegner entfallende Anteil auf die
Gerichtskasse zu nehmen ist, da seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
stattzugeben ist, weil die gesetzlichen Voraussetzungen (Art. 64 Abs. 1 und 2
BGG) erfüllt sind. Soweit der Beschwerdegegner obsiegt, hat die IV-Stelle ihm
eine reduzierte Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG);
für den ungedeckten Teil der Parteikosten wird der Beschwerdegegner aus der
Gerichtskasse entschädigt. Er wird jedoch auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam
gemacht. Danach hat er der Gerichtskasse Ersatz zu leisten, wenn er später dazu
in der Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Beschwerde wird der Entscheid des
Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 12. Juli 2012 insoweit aufgehoben,
als dem Beschwerdegegner ab 1. August 2008 eine halbe Invalidenrente
zugesprochen wurde. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdegegner wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden den Parteien je zur Hälfte auferlegt.
Der auf den Beschwerdegegner entfallende Anteil von Fr. 250.- wird vorläufig
auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 600.- zu entschädigen.

5.
Rechtsanwalt Dr. Hans Ulrich Ziswiler, Aarau, wird als unentgeltlicher
Rechtsanwalt des Beschwerdeführers bestellt und ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 600. - ausgerichtet.

6.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Versicherungsgericht des Kantons Aargau
zurückgewiesen.

7.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 19. Juni 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident:              Der Gerichtsschreiber:

Kernen                                                                             Widmer

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