Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 675/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_675/2012

Urteil vom 15. November 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St.
Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

G.________,
vertreten durch Soziale Dienste X.________
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 10. Juli 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1948 geborene G.________ meldete sich am 8. Juli 2011 zum Bezug einer
Ergänzungsleistung zur Invalidenrente an. Mit Verfügung vom 8. August 2011
lehnte die Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen einen Anspruch auf
Ergänzungsleistungen ab 1. Juni 2011 ab, weil sich gemäss Berechnungsblatt bei
Ausgaben von Fr. 27'738.- und Einnahmen von Fr. 27'824.- ein
Einnahmenüberschuss von Fr. 86.- im Jahr ergebe. Als Vermögensertrag
angerechnet hatte die Sozialversicherungsanstalt u.a. einen Ertrag von Fr.
184.- aus einem UBS Termingeldkonto von Fr. 15'000.- mit einer Laufzeit von
fünf Jahren (25. Oktober 2010 bis 25. Oktober 2015) und einem Zinssatz von
1,375 %. Auf Einsprache von G.________ hin hielt die Sozialversicherungsanstalt
an ihrem Standpunkt fest (Entscheid vom 19. März 2012).

B.
In Gutheissung der von G.________ hiegegen eingereichten Beschwerde hob das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen den angefochtenen
Einspracheentscheid auf und wies die Sache zu neuer Berechnung der
Ergänzungsleistung und neuer Verfügung an die Sozialversicherungsanstalt zurück
(Entscheid vom 10. Juli 2012).

C.
Die Sozialversicherungsanstalt führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten mit dem Antrag, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben.
Während G.________ sich mit dem Rechtsbegehren um Abweisung der Beschwerde
vernehmen lässt, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine
Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
Die jährliche Ergänzungsleistung, auf welche laut Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG u.a.
Bezüger einer Invalidenrente Anspruch haben, entspricht dem Betrag, um den die
anerkannten Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1
ELG). Als Einnahmen angerechnet werden nach Art. 11 Abs. 1 lit. b ELG u.a.
Einkünfte aus beweglichem und unbeweglichem Vermögen. Gemäss dem gestützt auf
die Delegationsnorm des Art. 33 ELG vom Bundesrat erlassenen Art. 23 Abs. 1 ELV
sind für die Berechnung der jährlichen Ergänzungsleistung zeitlich in der Regel
die während des vorausgegangenen Kalenderjahres erzielten anrechenbaren
Einnahmen sowie das am 1. Januar des Bezugsjahres vorhandene Vermögen
massgebend. Nach der Rechtsprechung dürfen bei der Anspruchsberechnung nur
tatsächlich vereinnahmte Einkünfte und vorhandene Vermögenswerte berücksichtigt
werden, über die der Leistungsansprecher ungeschmälert verfügen kann (BGE 127 V
248 E. 4a S. 249; Urteil 9C_59/2011 vom 12. Mai 2011, E. 5.1).

2.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob der auf dem Termingeldkonto des
Beschwerdegegners erstmals am 25. Oktober 2011 anfallende Zins von brutto Fr.
206.25 (1,375 % x Fr. 15'000.-) erst für das Folgejahr (2012) in die Berechnung
einzufliessen hat, wie die Vorinstanz annimmt, oder ob der Betrag bereits bei
der EL-Berechnung ab 1. Juni 2011 zu berücksichtigen ist, wie die
Sozialversicherungsanstalt geltend macht.

2.1 Die Vorinstanz hielt zunächst fest, dass der Beschwerdegegner am 25.
Oktober 2010 einen Betrag von Fr. 15'000.- mit einer Laufzeit bis 25. Oktober
2015 auf ein Termingeldkonto zu einem Zinssatz von 1,375 % einbezahlt habe. Die
Zinsen seien jährlich am 25. Oktober fällig, folglich erstmals am 25. Oktober
2011. Gestützt auf Art. 23 Abs. 1 ELV sei der Zins erst im darauf folgenden
Jahr in die Einkommensberechnung einzusetzen.

2.2 Die Sozialversicherungsanstalt wendet ein, der Zins des Termingeldkontos
sei ab dem Abschlussmonat angerechnet worden, weil zu diesem Zeitpunkt der Zins
zu laufen begonnen habe. Dass die Zinszahlung erst ein Jahr später erfolgt sei,
sei unerheblich. Weil die Einzahlung auf das Termingeldkonto eine ins Gewicht
fallende Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse bewirke, müsse sie gemäss
Art. 24 ELV bei der Durchführungsstelle gemeldet werden. Die EL-Anpassung sei
bei einer längere Zeit dauernden Erhöhung der anrechenbaren Einnahmen nach Art.
25 Abs. 1 lit. c ELV vorgeschrieben. Hiefür massgebend seien die neuen, auf ein
Jahr umgerechneten Einnahmen.

3.
3.1 Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass der Zins, den das Termingeldkonto
abwirft, gemäss Art. 23 Abs. 1 ELV erst im Kalenderjahr, das der ersten
Zinszahlung folgt, für die EL-Berechnung heranzuziehen ist. Art. 25 Abs. 1 lit.
c ELV, auf den sich die Beschwerdeführerin beruft, bestimmt, dass bei Eintritt
einer voraussichtlich längere Zeit dauernden Verminderung oder Erhöhung der vom
ELG anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen sowie des Vermögens die
jährliche Ergänzungsleistung zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben ist;
massgebend sind die neuen, auf ein Jahr umgerechneten dauernden Ausgaben und
Einnahmen und das bei Eintritt der Veränderung vorhandene Vermögen; macht die
Änderung weniger als 120 Franken im Jahr aus, so kann auf eine Anpassung
verzichtet werden. Diese Verordnungsbestimmung ist jedoch revisionsrechtlicher
Natur, d.h. sie betrifft die Änderung der jährlichen Ergänzungsleistung, wie
sich auch aus der Sachüberschrift des Art. 25 ELV ergibt, und was die
Beschwerdeführerin offensichtlich übersehen hat, steht doch im vorliegenden
Fall keine Änderung einer laufenden Ergänzungsleistung in Frage. Vielmehr geht
es um einen erstmaligen Anspruch aufgrund der Anmeldung vom 8. Juli 2011. Der
massgebende Zeitpunkt für die Anrechnung des Zinses aus dem UBS Terminkonto
bestimmt sich demzufolge nach Art. 23 Abs. 1 ELV, wie das kantonale Gericht
richtig festgehalten hat; hieran ändert der Hinweis der Beschwerdeführerin im
Einspracheentscheid auf das Urteil 9C_59/2011 vom 12. Mai 2011 nichts. In jenem
Fall ging es um einen Vermögensverzicht und den Beginn der Anrechnung einer
hypothetischen Leibrentenzahlung. Das Bundesgericht legte dar, es verhalte sich
nicht anders als bei einer Bankspareinlage, bei welcher die ebenfalls
nachschüssig ausbezahlten Zinsen auch ab Beginn des Vertragsverhältnisses mit
der Bank angerechnet würden. Diese Aussage bezieht sich auf die Gegenstand des
Urteils 9C_59/2011 vom 12. Mai 2011 bildende Änderung einer laufenden
Ergänzungsleistung, was schon daraus erhellt, dass kein Bezug auf Art. 23 ELG
genommen wird, der regelt, welche Einnahmen in zeitlicher Hinsicht bei der
Anspruchsberechnung zu berücksichtigen sind.

3.2 Da es im vorliegenden Fall um einen erstmaligen Anspruch und nicht um die
Änderung einer laufenden Ergänzungsleistung geht, kann offenbleiben, ob
gestützt auf Art. 25 Abs. 1 lit. d ELV auf eine Anpassung verzichtet werden
könnte, weil die Änderung weniger als 120 Franken im Jahr ausmacht. Da keine
Verletzung von Bundesrecht gegeben ist, bleibt es beim angefochtenen Entscheid
und der darin angeordneten Neuberechnung des EL-Anspruchs.

4.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden
Bescherdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. November 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Widmer