Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 66/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_66/2012

Urteil vom 25. Juni 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Verfahrensbeteiligte
M.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Haag,
Beschwerdeführer,

gegen

Zuger Pensionskasse, Bahnhofstrasse 16, 6300 Zug, vertreten durch
Rechtsanwältin Dr. Isabelle Vetter-Schreiber,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Berufliche Vorsorge,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungs-gerichts des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, vom 15. Dezember 2011.

Sachverhalt:
Mit Verfügungen vom 26. Juli 2010 sprach die IV-Stelle Luzern M.________ vom 1.
August 2007 bis 30. September 2008 und wiederum ab 1. September 2009 eine ganze
Invalidenrente zu.
Die daraufhin von M.________ gegen die Zuger Pensionskasse eingereichte Klage
vom 7. September 2011 hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Zug mit
Entscheid vom 15. Dezember 2011 insofern gut, als die Beklagte dem Kläger -
vorbehältlich der Überentschädigungsberechnung und der Sistierung der Leistung
für die Zeit, in welcher IV-Taggelder flossen - ab 1. August 2007 eine volle
Invalidenrente zuzüglich Verzugszins von 5 % ab 7. September 2011 auszurichten
hat. Im Übrigen wies es die Klage ab (Ziff. 1 des Dispositivs).
M.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, Ziffer 1 des vorinstanzlichen Entscheides sei insofern
aufzuheben, als ein Anspruch auf Verzugszins vom 1. August 2009 (Datum
mittlerer Verfall) bis 6. September 2011 verneint worden ist, unter
Verpflichtung der Beklagten zur Bezahlung eines Verzugszinses von 5 % für
diesen Zeitraum. Die Zuger Pensionskasse schliesst auf Abweisung der
Beschwerde, soweit darauf einzutreten ist. Das kantonale Gericht beantragt
ebenfalls die Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für
Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist der Beginn der Verzugszinspflicht.

1.1 Gemäss Art. 105 Abs. 1 OR hat ein Schuldner, der mit der Zahlung von Zinsen
oder mit der Entrichtung von Renten oder mit der Bezahlung einer geschenkten
Summe im Verzuge ist, erst vom Tage der Anhebung der Betreibung oder der
gerichtlichen Klage an Verzugszinse zu zahlen.

1.2 § 48 Abs. 1 und 2 der Zuger Pensionskassenverordnung vom 20. November 2007
lautet wie folgt:
"Stellt sich nachträglich heraus, dass eine Leistung unrichtig festgesetzt
worden ist, so berichtigt die Zuger Pensionskasse diese für künftige
Auszahlungen. Geschuldete Leistungen werden mit Zinsen nachbezahlt. (Abs. 1)
Wer eine Leistung der Zuger Pensionskasse entgegennimmt, auf die kein Anspruch
besteht, muss sie zurückerstatten. Die Rückerstattung erfolgt in der Regel mit
Zins. In Härtefällen oder aus verwaltungsökonomischen Gründen kann auf die
Rückerstattung von Leistungen der Zuger Pensionskasse ganz oder teilweise
verzichtet werden. Die Kasse regelt das Nähere. (Abs. 2)"

1.3 Das kantonale Gericht erwog, § 48 des Reglements regle nicht den Fall, wo
Rentenleistungen bislang überhaupt nicht gewährt worden seien; Zinshöhe sowie
der Beginn des Zinsenlaufs bei Invalidenrenten gingen ebenfalls nicht aus
dieser Bestimmung hervor. Solange aber eine diesbezüglich klare
reglementarische oder gesetzliche Regelung fehle, richte sich die
Verzugszinspflicht für fällige Invalidenrenten im Bereich der obligatorischen
und der überobligatorischen Berufsvorsorge nach den Regeln von Art. 102 ff. OR,
insbesondere nach Art. 105 Abs. 1 OR (Hinweis auf BGE 119 V 131 E. 4c S. 135
und Urteil 9C_334/2011 vom 2. August 2011 E. 4.1). Im vorliegenden Fall seien
keine Gründe ersichtlich, davon abzuweichen. Die Klageerhebung datiere vom 7.
September 2011. Es sei aktenkundig und unbestritten, dass der Kläger die
Beklagte weder betrieben noch zu einem früheren Zeitpunkt Klage eingereicht
habe. Somit schulde die Beklagte dem Kläger für die Zeit vor Klageeinreichung
am 7. September 2011 keinen Verzugszins.

2.
2.1 Da es sich bei der Beschwerdegegnerin um eine öffentlich-rechtliche
Vorsorgeeinrichtung handelt (§ 18 Abs. 1 des Gesetzes über die Zuger
Pensionskasse vom 31. August 2006 [PKG]), hat die Auslegung der einschlägigen
Bestimmungen des PKG und der dazu gehörigen Pensionskassenverordnung nach den
gewöhnlichen Regeln der Gesetzesauslegung zu erfolgen (BGE 134 V 208 E. 2.2 S.
211; 133 V 314 E. 4.1 S. 316 f.). Danach ist das Gesetz in erster Linie nach
seinem Wortlaut auszulegen. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene
Auslegungen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter
Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich von Sinn und Zweck sowie
der dem Text zu Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der
einer Norm im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und
unmissverständlichen Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a.
dann nämlich, wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den
wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem
Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 137 V 167 E. 3.1 S. 169 f.;
135 II 78 E. 2.2 S. 81; 135 V 215 E. 7.1 S. 229 und 249 E. 4.1 S. 252).

2.2 Es ist eine frei überprüfbare Rechtsfrage, ob das kantonale Gericht von
einem richtigen Verständnis der in § 48 Abs. 1 der Zuger
Pensionskassenverordnung geregelten Verzugszinspflicht ausgegangen ist und die
Anwendung dieser Bestimmung auf erstmals zugesprochene Invalidenrenten verneint
hat (BGE 137 V 383 E. 5.1 S. 391; 134 V 369 E. 2 S. 371 und 199 E. 1.2 S. 200;
Seiler und andere, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz [BGG], 2007, N. 13 zu
Art. 97 BGG).

3.
3.1 Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, die Pensionskasse habe
einen falschen Entscheid über die Leistung getroffen, was eine unrichtige
Leistungsfestsetzung im Sinne des Wortlauts der Verordnungsbestimmung
darstelle. Bei grammatikalischer Auslegung habe daher die Nachzahlung mit Zins
zu erfolgen. § 48 Abs. 1 der Pensionskassenverordnung komme somit direkt zur
Anwendung, eventuell aber zumindest analog. Das gleiche Ergebnis ergebe sich
bei einer teleologischen Auslegung. Wenn bereits eine z.B. um 10 % zu tief
festgesetzte Leistung zu einem Zins berechtige, dann müsse dies um so mehr für
eine Nichtausrichtung einer Rente gelten. Auch auf Grund des
Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Art. 8 BV sei eine Gleichbehandlung des
Beschwerdeführers mit einem Versicherten angezeigt, der eine unrichtig
festgesetzte Rente erhalte. Auch aus § 48 Abs. 2 der Verordnung sei auf eine
Verzugszinspflicht zu schliessen. Danach müsse ein Versicherter, der zu Unrecht
eine Rente bezogen habe und diese vollumfänglich zurückzahlen müsse, ebenfalls
einen Verzugszins schulden. Es sei nicht einsichtig, wieso dies bei der hier zu
beurteilenden, umgekehrten Situation nicht der Fall sein sollte. Es bestehe
kein Grund für eine derart einseitige, asymmetrische Regelung. In § 48 der
Verordnung werde zwar nicht geregelt, ab wann der Zins laufe. Dies ändere aber
nichts an der Zinspflicht. Es frage sich nur, ab wann Zins geschuldet sei.
Hiefür komme nur ein Zeitpunkt in Frage: mit Ablauf des jeweiligen Monats, für
den das Rentenbetreffnis geschuldet ist, gerate die Beklagte mit ihrer
Rentenpflicht in Verzug. Die vorinstanzliche Auslegung verletze Art. 8 und Art.
9 der Bundesverfassung. Überdies liege eine Bundesrechtsverletzung in der
Missachtung der Tatsache begründet, dass Art. 105 Abs. 1 OR dispositiver Natur
sei. Von dieser bundesrechtlichen Regelung habe die Beklagte explizit Gebrauch
gemacht und mit § 48 eine klare, abweichende Regelung statuiert, aus welcher
sich eine Zinspflicht ergibt. Mit der Nichtausrichtung der Rente sei dem
Beschwerdeführer ein ausgleichspflichtiger Schaden entstanden, der nur mit Zins
ersetzbar sei.

3.2 Auszugehen ist vom Wortlaut des § 48 Abs. 1 der Pensionskassenverordnung.
Danach werden unrichtig festgesetzte Leistungen für künftige Auszahlungen
berichtigt. Geschuldete Leistungen werden mit Zinsen nachbezahlt. Wie auch aus
dem Ingress von § 48 ("Berichtigung von Leistungen") hervorgeht, regelt die
Bestimmung lediglich die Berichtigung von (laufenden) Leistungen. Die
erstmalige Zusprechung von Leistungen ist vom Wortlaut her klar nicht erfasst.
Ebenso regelt Abs. 2 von § 48 nur die Zinspflicht im Falle der Rückerstattung
von Leistungen, auf die kein Anspruch besteht. Vom Zweck her regelt § 48 Abs. 1
und Abs. 2 die Verzugszinspflicht bei zu tief ausgerichteten Leistungen und bei
unrechtmässigem Leistungsbezug. Sie sanktioniert damit das ungerechtfertigte
Vorenthalten von Leistungen oder einen unrechtmässigen Leistungsbezug. Anders
verhält es sich im Vorfeld der erstmaligen Zusprache von Invalidenleistungen.
Die Vorsorgeeinrichtungen müssen den Entscheid der IV-Organe oder der
Unfallversicherer abwarten (vgl. Art. 23 und 26 Abs. 1 BVG), bevor sie selbst
über die Leistungen entscheiden können (vgl. auch BGE 138 V 125 E. 3.3 S. 129
f. zur Bindung der Vorsorgeeinrichtung an Entscheidungen der IV-Organe). Ihr
Zuwarten mit der Leistungszusprache beruht in diesen Fällen auf sachlichen
Gründen. Zu Unrecht macht der Beschwerdeführer auch eine ungleiche Behandlung
im Verhältnis zu denjenigen Versicherten geltend, die von Anfang an eine
betraglich zu tief angesetzte Rente beziehen. Die Rechtsprechung differenziert
- bei fehlender statutarischer Verzugszinsregelung - zwischen Rentenleistungen
und anderen reglementarischen Leistungsansprüchen. Letztere gelten als
Forderungen mit einem bestimmten Verfalltag, weshalb die Vorsorgeeinrichtung
grundsätzlich in Verzug gerät, ohne dass eine Mahnung des Versicherten nötig
wäre (BGE 127 V 377 E. 5e/bb S. 389 f.; SVR 2009 BVG Nr. 33 S. 124, E. 4.3 und
5.3 [Urteil 9C_98/2009 vom 30. Juni 2009]; Urteil 9C_137/2012 vom 5. April 2012
E. 6.2). Auch die Verzugsregeln des Art. 102 ff. OR unterscheiden je nach
Tatbestand. Das kantonale Gericht hat demzufolge kein Bundesrecht verletzt,
wenn sie § 48 Abs. 1 der Pensionskassenverordnung nicht auf die erstmalige
Zusprechung von Invalidenrenten angewendet und für die Inverzugsetzung gestützt
auf die von ihr zitierte Rechtsprechung (vgl. E. 1.3 vorne) auf Art. 105 Abs. 1
OR abgestellt hat. Die Beschwerde ist daher unbegründet.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegegnerin hat als
mit öffentlichen Aufgaben betraute Vorsorgeeinrichtung keinen Anspruch auf eine
Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug,
Sozialversicherungsrechtliche Kammer, und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. Juni 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Nussbaumer