Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 668/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_668/2012

Urteil vom 13. Februar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
R.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Deecke,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Luzern, Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom
16. August 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a R.________, geboren 1957, war als Bauhilfsarbeiter tätig. Am 16. April 2002
meldete er sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach
Abklärung des medizinischen Sachverhalts (u.a. mittels MEDAS-Gutachten vom 14.
Juli 2005) sowie der beruflich-erwerblichen Verhältnisse sprach die IV-Stelle
Luzern R.________ mit Verfügung vom 3. März 2006 rückwirkend ab 1. Oktober 2001
eine ganze Invalidenrente (Invaliditätsgrad von 100 %) und ab 1. August 2002
eine halbe Invalidenrente (Invaliditätsgrad von 58 %) zu. Diese hob sie auf den
31. März 2003 mangels eines rentenbegründenden Invaliditätsgrades auf. Die
Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
A.b Am 17. Oktober 2007 meldete sich R.________ wegen ausstrahlender starker
Rückenschmerzen sowie Nacken- und Kopfschmerzen erneut bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle sprach dem
Versicherten eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ab und trat mit
Verfügung vom 5. September 2008 auf das Gesuch nicht ein. Die dagegen erhobene
Beschwerde hiess das Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern mit Entscheid vom
23. März 2010 in dem Sinne gut, dass es die Nichteintretensverfügung aufhob und
die Sache zur weiteren Abklärung an die IV-Stelle zurückwies.
A.c In der Folge holte die IV-Stelle verschiedene Arztberichte und ein weiteres
Gutachten der Medas (vom 25. August 2011) ein. Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens sprach sie R.________ mit Verfügung vom 12. März 2012 ab
1. April 2012 eine halbe Invalidenrente zu (Invaliditätsgrad von 59 %). Mit
Verfügung vom 11. April 2012 stellte sie ihm die Berechnung des rückwirkenden
Rentenanspruchs vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2012 zu.

B.
Gegen die Verfügungen erhob R.________ Beschwerde beim Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern. Er beantragte die Vereinigung der Verfahren und Zusprache einer
Rente nach Gesetz. Mit Entscheid vom 16. August 2012 vereinigte das kantonale
Gericht die zwei Verfahren. Auf die Beschwerde gegen die Verfügung vom 11.
April 2012 trat es nicht ein. Die Beschwerde gegen die Verfügung vom 12. März
2012 hiess es teilweise gut und legte den Rentenbeginn auf den 1. Juli 2011
fest. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab.

C.
R.________ lässt hiegegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
führen. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei ihm
(bei einem Invaliditätsgrad von 60 %) eine Rente nach Gesetz zuzusprechen.

Erwägungen:

1.
Der Beurteilung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art.
82 ff. BGG) liegt der Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesen kann das Bundesgericht von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl.
auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Soweit sich der Entscheid nach der allgemeinen
Lebenserfahrung richtet (beispielsweise, ob Tabellenlöhne anwendbar sind,
welches die massgebliche Tabelle ist und ob ein [behinderungsbedingt oder
anderweitig begründeter] Leidensabzug vorzunehmen sei; BGE 132 V 393 E. 3.3 S.
399; Urteil 9C_189/2008 vom 19. August 2008 E. 1 in fine und 4, in: SVR 2009 IV
Nr. 6 S. 11) stellt dies eine Rechtsfrage dar. Rechtlicher Natur ist sodann
auch die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Parallelisierung der
Vergleichseinkommen erfüllt sind (z.B. ob die Abweichung vom branchenüblichen
Durchschnittseinkommen die Erheblichkeitsschwelle erreicht; BGE 135 V 297 E.
6.1.1 S. 302).

2.
Umstritten ist einzig die Frage, auf welcher statistischen Grundlage im
Einkommensvergleich die beim Validenlohn zu berücksichtigende (betriebsübliche)
Arbeitszeit zu bestimmen ist.

3.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe das herangezogene
Vergleichseinkommen falsch berechnet. Er sei vor Eintritt des
Gesundheitsschadens im Hochbau tätig gewesen, weswegen die Vorinstanz zur
Berechnung des Valideneinkommens explizit die Lohnstrukturerhebung (LSE) des
Bundesamtes für Statistik (BFS), Tabelle TA 1, Baugewerbe, Hochbau (TA 1, Pos.
41) herangezogen habe. Sie habe es jedoch unterlassen, das Einkommen an die für
diese Sparte betriebsübliche Arbeitszeit anzupassen: Nach der BFS-Statistik
2011 über die betriebsübliche Arbeitszeit nach Wirtschaftsabteilungen (BUR)
habe sie im "Hoch- und Tiefbaugewerbe" 42 Wochenstunden betragen, im "sonstigen
Ausbaugewerbe" lediglich 41.5 Stunden. Das Valideneinkommen sei so konkret wie
möglich zu bestimmen, weshalb es sachgerecht sei, dies auch bei der Ermittlung
des durchschnittlichen Vergleichseinkommens zu berücksichtigen, denn der
Beschwerdeführer sei vor Eintritt des Gesundheitsschadens im Hochbaugewerbe
tätig gewesen. Darum hätte die Vorinstanz auf eine Arbeitszeit von 42 Stunden
abstellen müssen und nicht nur auf eine solche von 41.7 Stunden. So resultiere
bei richtiger Betrachtung ein Einkommen, das um 8,86 % über dem von der
Vorinstanz errechneten Valideneinkommen liege und damit um 3,86 % zu
parallelisieren sei. Es ergebe sich dann ein Invaliditätsgrad von 60,01 % und
damit der Anspruch auf eine Dreiviertels-Invalidenrente.

4.
4.1 Im hier massgebenden Jahr 2011 betrug die betriebsübliche wöchentliche
Arbeitszeit im Baugewerbe/Bau 41.7 Stunden (Die Volkswirtschaft, 12-2012,
Tabelle B 9.2 [Betriebsübliche wöchentliche Arbeitszeit]).

4.2 Der Beschwerdeführer bezieht sich offenbar auf die BFS-Statistik BUR 2011
(Betriebs- und Unternehmensregister), die das Baugewerbe (Ziffern 41-43)
unterteilt in "Hoch- und Tiefbau" einerseits (Ziffern 41-42) und
"Ausbaugewerbe" anderseits (Ziffer 43). Gemäss dieser Statistik habe im Bereich
Hoch- und Tiefbau die durchschnittliche Wochenarbeitszeit 42 Stunden betragen,
im sonstigen Ausbaugewerbe indessen nur 41.5 Wochenstunden. Allein diese
spezifischeren statistischen Angaben lassen die vorinstanzliche Einreihung der
bisherigen Tätigkeit des Beschwerdeführers in die etwas tiefere allgemeine
durchschnittliche Arbeitszeit des Baugewerbes und nicht in die Kategorie "Hoch-
und Tiefbau" nicht als bundesrechtswidrig erscheinen. Im Sammelbereich
"Ausbaugewerbe" ist beispielsweise auch der Gerüstbau aufgeführt (vgl.
BFS-Erläuterungen zum Abschnitt F Baugewerbe/Bau, NOGA 2008, Einführung, S.
126). Die ehemalige Arbeitgeberin des Beschwerdeführers ist nach ihren eigenen
Angaben zu einem guten Teil auch im Gerüstbau tätig.

4.3 Der Beschwerdeführer ist seit 1990 in einem Kleinbetrieb als
Bauhilfsarbeiter tätig gewesen (Fragebogen Arbeitgeber vom 5. Mai 2002). Es ist
nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Betrieb ausschliesslich Hoch- bzw.
Tiefbauarbeiten ausgeführt hat, sondern auch im Bereich der allgemeinen
Ausbauarbeiten tätig war, wo die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit
tiefer war. Konkret betrug die Wochenarbeitszeit im Arbeitgeberbetrieb im Mai
2002 aber sogar nur 41 Stunden. Der von der Vorinstanz berücksichtigte
Baubranchendurchschnitt von 41.7 Stunden erweist sich auf den konkreten Fall
des Beschwerdeführers bezogen nicht als offensichtlich falsch. Es kann darum
offen bleiben, ob wie hier gefordert - anders als nach der Rechtsprechung
üblich (siehe dazu SVR 2012 UV 26 93, E. 5.2 und 6.1 [Urteil 8C_744/2011 vom
25. April 2012]) - auch auf den abweichenden Durchschnittswert einer
NOGA-Branchenabteilung abgestellt werden könnte. Es ist im Gegenteil vertretbar
und auf jeden Fall nicht bundesrechtswidrig, im Rahmen der
Invaliditätsbemessung beim Beschwerdeführer die (bau)branchenspezifische
durchschnittliche wöchentliche Arbeitsstundenzahl von 41.7 heranzuziehen, um
den Einkommensvergleich aufgrund der parallelisierten hypothetischen Validen-
und Invalideneinkommen vorzunehmen.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Verwaltungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 13. Februar 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Schmutz