Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 655/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_655/2012

Urteil vom 29. November 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
N.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Bibiane Egg,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 10. Juli 2012.

Sachverhalt:

A.
N.________ verheiratet, Mutter dreier erwachsener Kinder, war für die Firma
M.________ seit 11. Dezember 1995 fünf Mal drei Stunden wöchentlich tätig
(Einsatz in Schule K.________ am Abend: Reinigungsarbeiten und Kurszimmer
aufräumen), des Weitern ebenfalls als Reinigungsmitarbeiterin für die Bank
X.________, seit 2. August 1994, im Umfang von fünf Mal zwei Wochenstunden. Ab
anfangs Dezember 2009 stellte sie diese Tätigkeiten infolge attestierter
Arbeitsunfähigkeit ein. Am 9./10. März 2010 meldete der Taggeldversicherer
(SWICA Krankenversicherung) sie unter Hinweis auf seit Frühling/Sommer 2006
bestehende rezidivierende Rückenbeschwerden bei der IV-Stelle des Kantons
Zürich zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle holte Berichte der behandelnden
Ärzte ein, insbesondere des Spitals Y.________, vom 23. März 2010 und der
beiden Arbeitgeberinnen vom 8. April und 5. Mai 2010. Nach einer Abklärung der
beeinträchtigten Arbeitsfähigkeit in Beruf und Haushalt, welche die
Erwerbstätigkeit mit 60 %, den Haushalt mit 40 % gewichtete und in diesem
Bereich eine Einschränkung von 21,5 % ergab (Bericht vom 5. August 2010),
schritt die IV-Stelle zum Einkommensvergleich (Valideneinkommen: Fr. 34'993.-;
Invalideneinkommen: Fr. 24'816.-), woraus sich im Rahmen der gemischten Methode
ein Gesamtinvaliditätsgrad von 26 % ergab. Die IV-Stelle ging dabei von einem
zumutbaren 50 %-Pensum in der Reinigungstätigkeit aus, wohingegen sie die
medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit von 80 % in einer
behinderungsangepassten Tätigkeit zufolge altersbedingter Unverwertbarkeit
(keine Anpassungsfähigkeit für eine neue Tätigkeit) nicht in Anschlag brachte.
In diesem Sinne verfügte die Verwaltung, nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens, am 8. November 2010 die Ablehnung des Rentenanspruches.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab. In Würdigung der medizinischen Aktenlage, worunter ein
seitens der Versicherten eingereichter Bericht vom 13. Mai 2011 über eine
Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit, gelangte das Gericht zum
Schluss, dass die Ausübung der angestammten Tätigkeit als Reinigungsangestellte
sowie jede weitere mittelschwere, für Frauen geeignete Tätigkeit zu einem
Pensum von 50 % zumutbar wäre. Das Valideneinkommen legte die Vorinstanz
gestützt auf die Angaben von der Schule K.________ und Bank X.________ für das
Jahr 2010 auf Fr. 32'265.- fest. Das Invalideneinkommen von Fr. 21'198.-
resultierte aus der Lohnstrukturerhebung (LSE) 2008 S. 26, Tabelle TA1, Zeile
93 (Fr. 3'465.-; Lohn gemäss Anforderungsniveau 4 für im Bereich der
persönlichen Dienstleistungen beschäftigte Frauen), der Umrechnung auf die
betriebsübliche Wochenarbeitszeit von 41,6 Wochenstunden, der Anpassung an die
Nominallohnentwicklung und schliesslich unter Gewährung eines Abzuges von 5 %.
Der entsprechende Teilinvaliditätsgrad von 34,3 % oder (gewichtet mit dem
Faktor 0,6) 21 % führte die Vorinstanz zusammen mit der 21,5%igen Einschränkung
gemäss Abklärungsbericht vom 5. August 2010 (mit dem Faktor 0,4 gewichtet 8,6 %
Teilinvaliditätsgrad) insgesamt zu einem nicht rentenbegründenden Wert von
weniger als 40 %, woran selbst die Gewährung eines maximal zulässigen
Abschlages von 15 % infolge Wechselwirkungen zwischen den beiden Bereichen
nichts ändern würde (Entscheid vom 10. Juli 2012).

C.
N.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und, unter Aufhebung von kantonalem Gerichtsentscheid und angefochtener
Ablehnungsverfügung, die Zusprechung einer Viertels-Invalidenrente beantragen.
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, hat das Bundesamt
für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde ficht die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung (Art. 16 ATSG in
Verbindung mit Art. 28a Abs. 1 und Art. 28 Abs. 2 IVG) lediglich bezüglich des
Valideneinkommens (dazu E. 2) und des Abzuges vom Invalideneinkommen (dazu E.
3) an.
Von vornherein nicht gefolgt werden kann der Beschwerde insoweit, als sie
unterstellt, die Vorinstanz sei im Teilbereich Haushalt von einem (gewichteten)
Teilinvaliditätsgrad von 15 % ausgegangen, weshalb sich selbst bei
leidensbedingten Abzügen von lediglich 10 % bis 20 % ein Gesamtinvaliditätsgrad
von über 40 % ergebe. Richtig ist vielmehr, dass das kantonale Gericht den
Abklärungsbericht vom 5. August 2010, welcher eine Einschränkung von 21,5 % und
(mit dem Faktor 0,4 gewichtet) 8,6 % ergab, nicht beanstandete und nur im Sinne
einer Eventualbegründung erwog, selbst bei Hinzurechnung des auf 15
ungewichtete Prozentpunkte festgesetzten Maximalansatzes gemäss der
Rechtsprechung BGE 134 V 9 würde eine Einschränkung im Haushaltsbereich von
36,5 % resultieren, was bei einem 40%igen Anteil der Haushaltsarbeit einen
Teilinvaliditätsgrad von rund 15 % bzw. einen rentenausschliessenden
Gesamtinvaliditätsgrad von 36 % (21 % + 15 %) ergeben würde. Daran ist das
Bundesgericht nicht gebunden, zumal die Voraussetzungen für die Anerkennung von
Wechselwirkungen gemäss BGE 134 V 9 E. 7.3 S. 12 ff. offensichtlich nicht
gegeben sind. In der Tat ist nicht ersichtlich, dass und inwiefern die
Beschwerdeführerin durch Ausübung einer halbtägigen Erwerbsarbeit in der
Besorgung ihres 2-Personen-Haushaltes mit ihrem Ehemann zusätzlich
beeinträchtigt wäre (BGE a.a.O., E. 7.3.5 S. 14). Daher ist im Folgenden von
einer Einschränkung im Haushalt von 21,5 % oder gewichtet 8,6 % auszugehen.

2.
Hinsichtlich des Valideneinkommens ist die Vorinstanz davon ausgegangen, die
Beschwerdeführerin würde für ihre Tätigkeit bei der Bank X.________ seit dem 1.
April 2010 ein Jahressalär von Fr. 11'530.- beziehen. Diese Feststellung wird
in der Beschwerde zu Recht als offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1, Art.
105 Abs. 2 BGG) gerügt, handelt es sich doch hiebei offensichtlich um die nach
Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Dezember 2009 bezogenen Krankentaggelder, die
rund 80 % der 2008 (Fr. 14'231.45) und 2009 (Fr. 14'965.90) von der Bank
X.________ bezogenen Löhne ausmachen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte die
Beschwerdeführerin im Gesundheitsfall im 2010 - dem Jahr des potenziellen
Rentenbeginnes (E. 4 hienach) - zumindest nominal gleich viel verdient wie im
Vorjahr, sodass sich das hypothetische Valideneinkommen 2010 auf Fr. 36'093.60
beläuft, wie in der Beschwerde richtig vorgebracht wird (Bank X.________: Fr.
14'965.90 zuzüglich Firma M.________: Fr. 20'735.- = Fr. 35'700.90, aufgewertet
mit 1,1 % gemäss Schweizerischem Lohnindex des Bundesamtes für Statistik).

3.
Wie in der Beschwerde weiter zutreffend geltend gemacht wird, hat die
Vorinstanz den von ihr auf 5 % festgesetzten Abzug einzig unter
Berücksichtigung der für die in Frage kommenden Tätigkeiten laut Einschätzung
der Ärzte nicht wesentlich einschränkenden körperlichen Behinderung begründet.
Damit hat die Vorinstanz sämtliche weiteren massgeblichen Kriterien (BGE 126 V
75) unberücksichtigt gelassen, weshalb das Bundesgericht an diese Schätzung
nicht gebunden ist (Art. 105 Abs. 2 BGG). Im Falle der Beschwerdeführerin sind
diese Kriterien in erheblicher Weise erfüllt: behinderungsbedingte
Einschränkungen, Alter (59 Jahre), lange Betriebszugehörigkeit bei
ausschliesslicher Tätigkeit als Hilfs- oder Reinigungsarbeiterin mit
körperlicher Schwerarbeit, ohne, wie Vorinstanz und Beschwerdegegnerin
ausdrücklich anerkennen, Möglichkeit zu anderweitiger Integration im
Arbeitsmarkt. Die volle Erfüllung der massgeblichen Kriterien rechtfertigt
einen Abzug von 25 %. Das Invalideneinkommen vermindert sich daher von Fr.
22'314.- auf Fr. 16'735.50. Im Verhältnis zum Valideneinkommen von Fr.
36'093.60 beläuft sich die Erwerbseinbusse auf Fr. 19'358.10, was einem
Teilinvaliditätsgrad von 53,63 % und (mit dem Faktor 0,6 gewichtet) 32,17 %
ergibt. Zusammen mit den 8,6 % aus dem Haushaltsbereich wird der
Mindestinvaliditätsgrad von 40 % erreicht, was der Beschwerdeführerin den
Anspruch auf eine Viertels-Invalidenrente begründet.

4.
Mit Blick auf den Beginn der Wartezeit im Dezember 2009 und unter
Berücksichtigung der Anmeldung vom März 2010 ist der Anspruch auf die Rente am
1. Dezember 2010 entstanden (Art. 28 Abs. 1 lit. b und Art. 29 Abs. 1 IVG).

5.
Bei diesem Verfahrensausgang hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ferner hat sie der Beschwerdeführerin für das
letztinstanzliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts
des Kantons Zürich und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 8.
November 2010 werden aufgehoben. Die IV-Stelle des Kantons Zürich wird
verpflichtet, der Beschwerdeführerin ab 1. Dezember 2010 eine
Viertels-Invalidenrente zu bezahlen.

2.
Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons Zürich zurückgewiesen, damit sie in
masslicher Hinsicht über den Anspruch auf eine Viertels-Invalidenrente befinde.

3.
Die Gerichtskosten in Höhe von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin
auferlegt.

4.
Die Beschwerdegegnerin hat der Beschwerdeführerin für das letztinstanzliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'800.- zu bezahlen.

5.
Die Akten werden dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zugestellt,
damit es die Verfahrens- und Parteikosten, entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Verfahrens, neu verlege.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. November 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Dormann