Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 630/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_630/2012

Urteil vom 17. Dezember 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
swissana clinic meggen,
Huobmattstrasse 9, 6045 Meggen,
vertreten durch Rechtsanwalt Beat Meyer, Brunnenstrasse 8, 8303 Bassersdorf,
Beschwerdeführerin,

gegen

KPT/CPT Krankenkasse AG, Tellstrasse 18, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Krankenversicherung (Tarifstreitigkeit),

Beschwerde gegen den Entscheid des Schiedsgerichts gemäss Art. 89 KVG des
Kantons Luzern vom 19. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a Der im Kanton Nidwalden wohnhafte J.________ war in der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung bei der KPT Krankenkasse AG und für Leistungen
"allgemeine Abteilung ganze Schweiz" bei der KPT Versicherungen AG versichert.
Vom 8. - 14. Juli 2005 unterzog er sich in der allgemeinen Abteilung der
swissana clinic meggen im Kanton Luzern einer Hüftimplantation. Die Klinik
stellte J.________ insgesamt den Betrag von Fr. 14'640.20 in Rechnung (7
Tagespauschalen zu je Fr. 790.- und ein Hüftimplantat zu Fr. 5'458.70 sowie
zusätzliche Rechnungen für Arztleistungen, Physiotherapie und Labor). Der von
J.________ bezahlte gesamte Betrag wurde ihm von den Versicherern vergütet. Mit
Schreiben vom 9. August 2006 teilte die KPT der Klinik mit, laut
bundesrätlichem Tarifentscheid vom 4. März 2005 betrage ihre Tagespauschale Fr.
887.- (Kliniktarif von Fr. 493.- plus Arzttarif von Fr. 394.-). Dies ergebe für
den Spitalaufenthalt von J.________ (inklusive Implantat) den Betrag von Fr.
6'209.-. Darum habe die Klinik von der bereits bezahlten Summe (Fr. 14'640.20)
den Differenzbetrag (Fr. 8'431.20) an die KPT zurückzuerstatten. Sie werde dann
die erforderliche Korrektur vornehmen (Rückabwicklung der Abrechnung/
Kostenbeteiligung des Versicherten).
A.b Nach erfolgloser Vermittlungsverhandlung am 18. Oktober 2006 reichte die
KPT am 21. November 2006 beim Schiedsgericht gemäss Art. 89 KVG des Kantons
Luzern Klage gegen die Klinik ein und stellte die folgenden Rechtsbegehren:
1. Die swissana clinic meggen sei zu verpflichten, für den Aufenthalt von Herrn
J.________ auf der allgemeinen Abteilung der swissana clinic vom 8. bis 14.
Juli 2005 Rechnung nach dem vom Bundesrat im Entscheid vom 4. März 2005
festgesetzten Kliniktarif von Fr. 493.- pro Tag zu stellen, wobei die Kosten
für das Implantat im Kliniktarif enthalten sein müssen.

2. Die swissana clinic meggen sei zu verpflichten, Herrn J.________ die über
den vom Bundesrat für die obligatorische Krankenpflegeversicherung
festgesetzten Kliniktarif hinausgehenden Zahlungen zurückzuerstatten.
A.c Mit Entscheid vom 26. Mai 2009 trat das Schiedsgericht auf die Klage wegen
fehlender sachlicher Zuständigkeit nicht ein.
A.d Mit Urteil 9C_569/2009 vom 22. März 2010 hiess das Bundesgericht die
dagegen von der KPT eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten gut, soweit darauf einzutreten war. Es hob den Entscheid des
Schiedsgerichts vom 26. Mai 2009 auf und wies die Sache an dieses zurück, damit
es über die Klage materiell entscheide.
A.e Ein von der Klinik gegen das erwähnte Urteil eingereichtes Revisionsgesuch
wies das Bundesgericht mit Urteil 9F_4/2010 vom 21. Juni 2010 ab.

B.
Mit Neuentscheid vom 19. Juni 2012 hiess das Schiedsgericht die Klage der KPT
gut. Es stellte fest, dass für den Aufenthalt des Versicherten J.________ in
der ausserkantonalen Klinik ein Tarif der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung von Fr. 493.- pro Tag (Spitaltaxe) festzusetzen sei.
Soweit darüber hinausgehend, habe die Klinik den bereits bezahlten Betrag der
KPT zurückzuerstatten.

C.
Die Klinik reicht dagegen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
ein und beantragt Aufhebung des angefochtenen Entscheides; soweit darauf
einzutreten sei, sei die Klage abzuweisen; eventualiter sei der Entscheid
insofern aufzuheben, als die Klinik verpflichtet werde, der KPT eine
Rückzahlung zu leisten; subeventualiter sei der Entscheid aufzuheben und die
Sache zur Bestimmung des Referenztarifs gemäss Art. 41 Abs. 1 Satz 3 KVG
(Wohnortstarif) an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die KPT beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Klinik sei zu verpflichten, für
den Aufenthalt des J.________ vom 8. - 14. Juli 2005 in der allgemeinen
Abteilung nach dem vom Bundesrat im Entscheid vom 4. März 2005 festgesetzten
Kliniktarif Fr. 493.- pro Tag Rechnung zu stellen, wobei die Kosten für das
Hüftimplantat darin gemäss den anrechenbaren Kosten enthalten sein müssten. Die
Klinik sei zu verpflichten, die über den vom Bundesrat mit Entscheid vom 4.
März 2005 für die obligatorische Krankenpflegeversicherung festgesetzten Tarif
hinausgehenden Zahlungen an J.________ zurückzuerstatten.

Vorinstanz und Bundesamt für Gesundheit verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ist die Kostenübernahme
bei stationärer Behandlung in Art. 41 KVG geregelt. Am 1. Januar 2009 trat die
durch Ziff. I der Änderung des KVG vom 21. Dezember 2007 (Spitalfinanzierung)
eingefügte Neufassung von Art. 41 Abs. 1bis KVG (AS 2008 2049; BBl 2004 5551)
in Kraft. Für die im Juli 2005 durchgeführte Behandlung bleibt das bisherige
Recht anwendbar. Nach aArt. 41 KVG können die Versicherten unter den für die
Behandlung ihrer Krankheit geeigneten zugelassenen Leistungserbringern frei
wählen. Bei stationärer Behandlung muss der Versicherer die Kosten höchstens
nach dem Tarif übernehmen, der im Wohnkanton der versicherten Person gilt (Abs.
1). Die Leistungen umfassen den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung (aArt.
25 Abs. 2 lit. e KVG). Beanspruchen Versicherte aus medizinischen Gründen einen
anderen Leistungserbringer, so richtet sich die Kostenübernahme nach dem Tarif,
der für diesen Leistungserbringer gilt (aArt. 41 Abs. 2 KVG). Medizinische
Gründe liegen bei einem Notfall vor oder wenn die erforderlichen Leistungen im
Wohnkanton oder in einem auf der Spitalliste des Wohnkantons nach Art. 39 Abs.
1 lit. e KVG aufgeführten ausserkantonalen Spital nicht angeboten werden (aArt.
41 Abs. 2 lit. b KVG).

2.
Fest steht, dass für die ausserkantonale Behandlung des Versicherten nicht
medizinische Gründe den Ausschlag gaben, da die Leistung im Kantonsspital des
Wohnkantons angeboten wurde und kein Notfall vorlag (aArt. 41 Abs. 2 lit. b KVG
e contrario). Umstritten ist, wie die Klinik die Kosten der Wahloperation in
der allgemeinen Abteilung gegenüber der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung abzurechnen hatte. Streitig ist konkret, ob sie - wie
eingeklagt - verpflichtet war, für Aufenthalt und Behandlung des Versicherten
die Rechnung nach dem vom Bundesrat mit Entscheid vom 4. März 2005
festgesetzten Kliniktarif auszustellen.

3.
Die Vorinstanz kam zum Schluss, der vom Bundesrat am 4. März 2005 festgesetzte
Tarif der obligatorischen Krankenpflegeversicherung sei massgebend und die
Kosten des Implantats seien darin eingeschlossen. Der Tarif unterscheide nicht
zwischen in- und ausserkantonalen Patienten und lasse für eine solche
Differenzierung keinen Raum. Auch sei nicht erheblich, ob die Behandlung aus
medizinischen oder aus anderen Gründen erfolgt sei.

4.
Die Beschwerdeführerin rügt, der angefochtene Entscheid beachte nicht die
Vorgaben des Bundesgerichts im Rückweisungs- und im Revisionsurteil. Nach
diesen habe die Vorinstanz lediglich die Vergütung der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung anhand von aArt. 41 Abs. 1 Satz 3 KVG zu bestimmen
gehabt. Sie habe jedoch nicht den massgebenden Referenztarif im Wohnkanton des
Versicherten ermittelt, sondern für die ausserkantonal durchgeführte
Wahlbehandlung einen konkreten Behandlungstarif festgesetzt. Dies habe nicht in
ihrer Kompetenz gelegen. Der von ihr als massgebend bezeichnete bundesrätliche
Tarif vom 4. März 2005 gelte nur für die im Rahmen des Leistungsauftrags von
der Klinik gegenüber Kantonseinwohnern erbrachten obligatorischen
Krankenpflegeleistungen. Die Wahlpatienten aus anderen Kantonen hätten keinen
Rechtsanspruch auf die Behandlung nach dem Standorttarif für Einheimische. Der
Leistungserbringer sei im Rahmen des im Behandlungsvertrag Vereinbarten in der
Rechnungsstellung frei. Die Kostendifferenz zum Referenztarif habe zu Lasten
des Patienten oder einer Zusatzversicherung zu gehen. Dies sei eine
privatrechtliche Angelegenheit. Es fehle hier an einer Rechtsgrundlage für die
vorinstanzlich angeordnete Kostenrückerstattung an den Versicherten.

5.
Die Beschwerdegegnerin wendet ein, es stehe der Klinik nicht frei, den zulasten
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu vergütenden Tarif bei der
Wahlbehandlung ausserkantonaler Versicherter selber zu bestimmen. Sie habe dazu
den vom Bundesrat festgesetzten Tarif anzuwenden, denn die obligatorisch
versicherte Person sei auch bei einer ausserkantonalen Wahlhospitalisierung in
der allgemeinen Abteilung tarifgeschützt. Ein sachgerechter Referenztarif sei
nur zu ermitteln, wenn kein Vertrags- oder Behördentarif bestehe. Da der Tarif
eines privat finanzierten Listenspitals in jedem Fall sämtliche anrechenbaren
Kosten decke, sei nicht ersichtlich, inwiefern bei der Behandlung
ausserkantonaler Patienten ungedeckte Kosten entstehen sollten. Die Klinik
dürfe darum auch bei ausserkantonalen Patienten nicht von einem behördlich
festgesetzten Tarif mit Vollkostendeckung in der allgemeinen Abteilung
abweichen.

6.
Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der wahlweisen ausserkantonalen
stationären Behandlung der Tarif des Wohnkantons der versicherten Person
Richtgrösse für die Vergütung (BGE 133 V 123 E. 4 S. 127). Massgeblich ist
aArt. 41 Abs. 1 letzter Satz KVG, wonach der Versicherer die Kosten höchstens
nach dem Tarif übernehmen muss, der im Wohnkanton der versicherten Person gilt.
Für die ausserkantonale Wahlbehandlung besteht kein Tarifschutz in dem Sinne,
dass die versicherte Person sämtliche ihr in Rechnung gestellten Kosten über
die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgedeckt hätte. Tarifschutz
bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sie in dem Umfang keine Kosten zu tragen
hat, in dem diese bei der Behandlung im Wohnkanton durch den KVG-Versicherer zu
vergüten gewesen wären. Wie im Rückweisungsentscheid darauf hingewiesen wurde
(Urteil 9C_569/2009 E. 3.3 am Schluss mit Hinweis auf BGE 132 V 352 E. 2.5.4 S.
356), kann die Höhe des anwendbaren KVG-Tarifs durchaus Auswirkungen auf die
vom Patienten selber bzw. einer abgeschlossenen Zusatzversicherung zu leistende
Vergütung haben. Nach dem Gesagten dringt die Beschwerdegegnerin mit den am 21.
November 2006 vor Schiedsgericht eingeklagten und letztinstanzlich erneuerten
Rechtsbegehren nicht durch. Wie weit Leistungen durch die vom Versicherten
abgeschlossene Zusatzversicherung abzudecken wären und daraus erbrachte
Zahlungen dort zurückzuerstatten wären, kann nicht Streitgegenstand eines
sozialversicherungsrechtlichen Schiedsgerichtsverfahrens sein (BGE 132 V 352 E.
2.5 S. 354).

7.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat der
Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs.
1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Schiedsgerichts gemäss Art.
89 KVG des Kantons Luzern vom 19. Juni 2012 wird aufgehoben. Die Klage der KPT/
CPT Krankenkasse AG vom 21. November 2006 wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen
Verfahrens an das Schiedsgericht gemäss Art. 89 KVG des Kantons Luzern
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Schiedsgericht gemäss Art. 89 KVG des
Kantons Luzern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Dezember 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Schmutz