Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 628/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_628/2012

Urteil vom 26. November 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber R. Widmer.

Verfahrensbeteiligte
P.________,
vertreten durch Rechtsanwalt David Husmann,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 31. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1973 geborene P.________, von Beruf Maschinenschlosser, arbeitete als
Gebäudereiniger, Raumpfleger und Hauswart für die A.________ GmbH. Diese
Anstellung kündigte er auf den 31. August 2000. Am 29. August 2000 wurde
P.________ vom Geschoss einer Schrotflinte am Ellbogengelenk und an den
Weichteilen des linken Armes verletzt. Ab September 2000 hätte er als Lagerist
in einem Engrosmarkt arbeiten können. Aus gesundheitlichen Gründen war er
ausser Stande, diese Stelle anzutreten. Die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA), bei welcher P.________ obligatorisch gegen
Unfälle versichert war, erbrachte die gesetzlichen Leistungen. Im Rahmen einer
von der Invalidenversicherung übernommenen Umschulung absolvierte der
Versicherte eine 3-jährige Lehre als Elektropraktiker. Mit Verfügung vom 24.
Oktober 2007 hielt die IV-Stelle des Kantons Zürich fest, die beruflichen
Massnahmen seien erfolgreich abgeschlossen und lehnte das Invalidenrentengesuch
mangels eines Invaliditätsgrades von mindestens 40 % ab. Die hiegegen am 28.
November 2007 eingereichte Beschwerde zog P.________ am 12. Juni 2008 zurück.
Ab 10. Januar 2008 arbeitete der Versicherte als Wickler bei der B.________ AG
musste das Arbeitspensum jedoch ab 7. April 2008 aus gesundheitlichen Gründen
auf 75 % reduzieren. Auf Ende November 2008 wurde er von der Arbeitgeberfirma
entlassen. Am 22./23. Januar 2009 wurde der Versicherte im Auftrag der SUVA im
arbeitsmedizinischen Zentrum X.________ mittels Funktionsorientierter
Medizinischer Abklärung (FOMA) untersucht. Diese Abklärung umfasste u.a. eine
angepasste Form der Evaluation der arbeitsbezogenen funktionellen
Leistungsfähigkeit (EFL). Mit Verfügung vom 1. Oktober 2009 sprach die SUVA
P.________ auf der Basis eines Vergleichs ab 1. September 2009 eine
Invalidenrente auf der Grundlage einer Erwerbsunfähigkeit von 50 % zu. Aufgrund
einer Neuanmeldung gewährte die IV-Stelle dem Versicherten gemäss Verfügung vom
16. September 2010 bei einem Invaliditätsgrad von 40 % ab 1. Dezember 2008 eine
Viertelsrente der Invalidenversicherung.

B.
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher P.________ hatte beantragen
lassen, unter Aufhebung der Verwaltungsverfügung sei ihm bei einem
Invaliditätsgrad von 68 % eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung
zuzusprechen, eventuell sei ein interdisziplinäres Gutachten anzuordnen, wies
das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 31. Mai
2012).

C.
Der Versicherte lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
führen mit den Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und
es sei ihm mindestens eine halbe Invalidenrente zuzusprechen; ferner sei eine
interdisziplinäre medizinische Expertise zu veranlassen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung
des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder
ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung
im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Umfang des
Invalidenrentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Bemessung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 16 ATSG), die im Fall einer Neuanmeldung
(Art. 87 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 87 Abs. 3 IVV) analog anwendbare
Rechtsprechung zur Revision einer Invalidenrente und zu den dabei zu
vergleichenden Sachverhalten (Art. 17 Abs. 1 ATSG; BGE 133 V 108, 130 V 343 E.
3.5 S. 349) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.
Zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht die Zusprechung einer Viertelsrente der
Invalidenversicherung ab 1. Dezember 2008 bei einem Invaliditätsgrad von 40 %
gemäss Verfügung der IV-Stelle vom 16. September 2010 zu Recht bestätigt hat
oder ob der Beschwerdeführer statt dessen entsprechend seinem Antrag aufgrund
der Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes mit Auswirkungen auf die
Arbeits- und Erwerbsfähigkeit im massgeblichen Vergleichszeitraum
(Ablehnungsverfügung vom 24. Oktober 2007 bis zur Zusprechung einer
Viertelsrente am 16. September 2010) eine halbe Invalidenrente beanspruchen
kann.

3.1 Gestützt auf die FOMA vom 22./23. Januar 2009 anerkannte die Vorinstanz,
dass im Vergleich zu den medizinischen Grundlagen der Verfügung vom 24. Oktober
2007 eine leichte Verschlechterung des Gesundheitszustandes am linken Arm
ausgewiesen sei; diese rechtfertige eine Neubeurteilung, zumal auch in
erwerblicher Hinsicht eine Änderung eingetreten sei. Aufgrund der Beurteilung
des arbeitsmedizinischen Zentrums X.________ gemäss FOMA-Bericht vom 16.
Februar 2009 mit medizinisch-theoretisch und funktionell überprüfter
Einschätzung sei eine Arbeitsunfähigkeit von 20 % in einer leidensangepassten
Tätigkeit erstellt. Von einer zusätzlichen Behinderung aus psychischen Gründen
sei sodann nicht auszugehen. Die vom Psychologen lic. phil. W.________ im
Bericht vom 4. Dezember 2010 erkannte Anpassungsstörung mit einer längeren
depressiven Reaktion sei nicht einer erheblichen, unüberwindbaren psychischen
Symptomatik mit Krankheitswert zuzuordnen.

3.2 Der Beschwerdeführer rügt vorab das Fehlen einer interdisziplinären
medizinischen Begutachtung und der Gewährung der Mitwirkungsrechte.
Insbesondere hätten keine Zusatzfragen gestellt werden können. Im Weitern
handle es sich beim Bericht über die FOMA nicht um ein Gutachten. Ferner wendet
sich der Versicherte gegen die Zuverlässigkeit dieser Abklärung und hält den
Stellenwert des EFL-Verfahrens für fraglich. Indem das kantonale Gericht darauf
abgestellt hat, habe es den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Zu guter Letzt
wird in der Beschwerde beanstandet, dass die Vorinstanz in antizipierter
Beweiswürdigung auf die Anordnung einer externen Begutachtung verzichtet und
verschiedene Rechtsbegriffe wie Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit sowie
ausgeglichener Arbeitsmarkt nicht korrekt angewendet habe.

4.
4.1 Soweit der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung der Vorinstanz kritisiert,
welcher insoweit ein erheblicher Ermessensspielraum zukommt (BGE 120 Ia 31 E.
4b), ist darauf nicht einzugehen, handelt es sich hiebei doch um Tatfragen.
Soweit er geltend macht, das Sozialversicherungsgericht habe zu Unrecht vom
Beizug einer interdisziplinären Expertise abgesehen, wodurch er seiner
Mitwirkungsrechte verlustig gegangen sei, hat er sich entgegenhalten zu lassen,
dass diesbezüglich weder eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung noch eine
andere Bundesrechtsverletzung vorliegt. Selbst der Versicherte räumt ein, dass
der Invaliditätsbemessung nicht in jedem Fall eine versicherungsexterne
interdisziplinäre Begutachtung zugrunde liegen muss. Das Abstellen auf die von
der SUVA veranlasste Abklärung im arbeitsmedizinischen Zentrum X.________
bringt es mit sich, dass der Versicherte - anders als bei einer externen
Begutachtung in einer medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) - nicht bereits
vor der Untersuchung Zusatzfragen stellen kann, worin indessen keine Verletzung
des rechtlichen Gehörs und auch keine andere Bundesrechtswidrigkeit zu
erblicken ist. Die Untersuchung im arbeitsmedizinischen Zentrum X.________
beruht auf einem strukturierten Interview, einer klinischen Untersuchung, einer
angepassten Form der Evaluation der arbeitsbezogenen funktionellen
Leistungsfähigkeit (EFL) sowie der Beurteilung der vorliegenden bildgebenden
Untersuchungen und Akten. Die Befunde, Empfehlungen und Schlussfolgerungen
wurden mit dem Versicherten besprochen. Zudem hat eine gemeinsame Besprechung
mit dem Versicherten, seinem Rechtsvertreter sowie Vertretern der
Invalidenversicherung stattgefunden. Der Beschwerdeführer und dessen Vertreter
hatten somit nach erfolgter Evaluation der Leistungsfähigkeit Gelegenheit, sich
mit Ergänzungs- und Zusatzfragen an das arbeitsmedizinische Zentrum X.________
zu wenden. Auch die Behauptung, psychische Beschwerden hätten eine
interdisziplinäre Begutachtung erfordert, ist unbegründet. Anhaltspunkte für
einen invalidisierenden psychischen Gesundheitsschaden liegen nicht vor, wie
die Vorinstanz zutreffend bemerkt. Lägen solche Störungen vor, wären sie, wenn
erheblich, von einem Arzt des arbeitsmedizinischen Zentrums X.________ erkannt
worden, wogegen alltägliche geringfügige psychische Beschwerden ohne
Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit bleiben. Einem Abstellen auf die von der
SUVA eingeholte Beurteilung steht auch sonst nichts entgegen. Denn bei der
Untersuchung im arbeitsmedizinischen Zentrum X.________ handelt es sich um eine
mehrstündige, funktionsorientierte medizinische Abklärung, einschliesslich
einer Evaluation der arbeitsbezogenen funktionellen Leistungsfähigkeit, die
ebenso wie ein interdisziplinäres medizinisches Gutachten geeignet ist, zur
Einschränkung des Versicherten in spezifischen Tätigkeiten Stellung zu nehmen.

4.2 Die Abklärung im arbeitsmedizinischen Zentrum X.________ vom 22./23. Januar
2009 hat ergeben, dass dem Beschwerdeführer medizinisch-theoretisch eine
körperlich leichte, vorwiegend einarmig rechts zu verrichtende Arbeit zumutbar
wäre, wobei die linke Hand nur intermittierend als Hilfs-/Stützhand eingesetzt
werden sollte. Aufgrund des Gesundheitsschadens belaufe sich die Verminderung
der Arbeitsfähigkeit auch bei einer optimal adaptierten Tätigkeit auf 20 %.
Was der Beschwerdeführer weiter gegen diese ärztliche Einschätzung einwendet,
die auf umfangreichen Untersuchungen und praktischer Erprobung der
Leistungsfähigkeit beruht, ist nicht stichhaltig. Zumindest im vorliegenden
Fall lässt sich nicht mit Erfolg vorbringen, bei der EFL handle es sich primär
um ein Instrument zur Unterstützung und Optimierung der beruflichen
Rehabilitation und nicht um eine "medico-legale" Abschlussbeurteilung. Dem
Bericht des arbeitsmedizinischen Zentrums X.________ vom 16. Februar 2009 kann
vielmehr entnommen werden, dass die Arbeitsfähigkeit in einzelnen Tätigkeiten
wie Elektropraktiker sowie Reinigungsfachmann eingehend geprüft und in der
Folge verworfen wurde, wogegen aus medizinisch-theoretischer Sicht eine
körperlich leichte Arbeit mit den umschriebenen Einschränkungen als zumutbar
erachtet wurde. Angesichts der eingehenden Abklärungen genügt der Bericht des
arbeitsmedizinischen Zentrums X.________ ohne weiteres den Anforderungen, die
an eine fachärztliche Expertise gestellt werden. Dass teilweise auf
Rehabilitationsmöglichkeiten Bezug genommen wurde, trifft zu; der Ausblick auf
Therapie-, Rehabilitations- und Eingliederungsmassnahmen bildet indessen auch
Teil herkömmlicher fachärztlicher Gutachten und lässt keine Schlüsse auf die
(fehlende) Qualität einer Expertise zu. Mit Blick auf die praxisbezogenen
Abklärungen ist die Arbeitsfähigkeitsschätzung nicht nur
medizinisch-theoretisch, sondern eben auch medizinisch-praktisch überzeugend.
Indem die Vorinstanz den Bericht des arbeitsmedizinischen Zentrums X.________
für ihre Beurteilung als massgebend erachtet hat, hat sie den
Untersuchungsgrundsatz entgegen der Behauptung des Versicherten nicht verletzt.
Schliesslich entbehrt der Vorwurf, das kantonale Gericht habe zu Unrecht in
antizipierter Beweiswürdigung auf die Anordnung einer externen Begutachtung
verzichtet, einer Grundlage. Angesichts der umfassenden und sorgfältigen
Evaluation der Leistungsfähigkeit des Versicherten in den in Betracht fallenden
Erwerbstätigkeiten und der klaren Folgerungen des arbeitsmedizinischen Zentrums
X.________ hat die Vorinstanz auf zusätzliche Beweismassnahmen verzichtet, da
hievon keine neuen Erkenntnisse erwartet werden konnten. Weil die antizipierte
Beweiswürdigung Fragen tatsächlicher Natur beschlägt, ist sie für das
Bundesgericht verbindlich (BGE 137 V 64 E. 5.2 S. 69). Der Einwand
schliesslich, die Vorinstanz habe verschiedene Begriffe wie Arbeitsunfähigkeit
und Erwerbsunfähigkeit nicht korrekt angewendet, ist unbegründet.

4.3 Zufolge willkürfreier und auch sonst bundesrechtskonformer
Sachverhaltsermittlung durch die Vorinstanz ist dem Zusatzantrag des
Versicherten auf Anordnung eines medizinischen Gutachtens nicht stattzugeben.

5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem unterliegenden
Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 26. November 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Widmer