Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 609/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_609/2012 {T 0/2}

Urteil vom 20. November 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Scartazzini.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Advokat Daniel Tschopp,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Basel-Landschaft,
Hauptstrasse 109, 4102 Binningen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
gerichts Basel-Landschaft vom 19. April 2012.

Sachverhalt:
A.a
S.________, geboren 1961, verheiratet seit 1982, Mutter von drei 1983, 1985 und
1991 geborenen Töchtern sowie eines 1994 geborenen Sohnes, arbeitete ausser in
ihrem Haushalt in zwei Unternehmungen teilzeitlich als Raumpflegerin. Am 27./
28. März 2006 meldete sie sich wegen eines Bandscheibenvorfalles zum
Rentenbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Basel-Landschaft klärte die
Verhältnisse in medizinischer, erwerblicher und hauswirtschaftlicher Hinsicht
durch Beizug zahlreicher Berichte ab: Der Arbeitgeberinnen, der behandelnden
Ärzte, insbesondere des Dr. med. D.________, Facharzt FMH für Allgemeinmedizin,
vom 4. Dezember 2006 (Eingangsstempel) sowie 8. Juni 2007, des Dr. med.
J.________, Facharzt FMH für Rheumatologie, Manuelle Medizin SAMM, vom 7.
November 2006, der Haushaltsabklärung vom 24. Januar 2007 und des Dr. med.
K.________, Psychiatrie und Psychotherapie, vom 3. September 2007 mitsamt
Ergänzung vom 10. Dezember 2007 sowie des Dr. med. V.________, Facharzt
Psychiatrie/Psychotherapie, vom 21. April 2008. Gestützt darauf verfügte die
IV-Stelle am 5. Mai 2008 die Ablehnung des Rentenanspruches.
A.b
Nachdem S.________ hiegegen Beschwerde erhoben hatte, erklärte sich die
IV-Stelle bereit, eine medizinische Abklärung durchzuführen. Mit dieser wurde
das Institut X.________ betraut. In seiner Expertise vom 24. März 2009 gelangte
das Institut X.________ nach internistisch-allgemein medizinischen,
psychiatrischen und rheumatologischen Untersuchungen im Rahmen eines
multidisziplinären Konsensus zum Schluss, die Versicherte sei für die zuletzt
ausgeführte Tätigkeit als Raumpflegerin zu 100 % arbeitsunfähig; für eine
körperlich angepasste, leichte Tätigkeit ohne starke Belastung des rechten
Armes bestehe eine Arbeits- und Leistungsfähigkeit von 50 %. Im Haushalt
bestehe eine Einschränkung von 30 %. Gestützt darauf und nach Durchführung
einer weiteren Haushaltsabklärung vom 6. Mai 2009 stellte das
Durchführungsorgan mit Vorbescheid vom 20. Oktober 2009 erneut die Ablehnung
des Rentenanspruches in Aussicht. Der im Einspruchsverfahren eingegangene
Bericht der Klinik L.________ vom 27. April 2010, welcher eine stationäre
Behandlung der Versicherten vom 23. Dezember 2009 bis zum 31. März 2010
belegte, veranlasste die IV-Stelle, nachdem sie die Sache dem RAD zur
medizinischen Beurteilung unterbreitet hatte, eine zeitlich befristete ganze
Invalidenrente vom 1. März bis 30. Juni 2010 zuzusprechen. In diesem Sinne
verfügte die IV-Stelle am 4. Oktober 2011, wobei sie für die Zeit vor- und
nachher von einem Invaliditätsgrad von 20 % ausging (gewichtete 5,60 % als
Reinigerin und 14,63 % als Hausfrau).

B.
S.________ liess hiegegen Beschwerde an das Kantonsgericht Basel-Landschaft
einreichen und die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente ab 1. Mai 2006
beantragen. Im Laufe des Verfahrens legte sie u.a. Berichte des Dr. med.
B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 25. Oktober
2011 und des Dr. med. W.________, Facharzt FMH für Innere Medizin und
Rheumatologie, vom 18. November 2011, ins Recht. Das angerufene Gericht wies
die Beschwerde mit Entscheid vom 19. April 2012 unter Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege ab.

C.
Die Versicherte lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
führen mit dem Rechtsbegehren, der kantonale Gerichtsentscheid sei aufzuheben
und die Sache zu weiteren Abklärungen und zum Erlass einer neuen Verfügung an
die IV-Stelle zurückzuweisen. Auf die Begründung der Beschwerde wird, soweit
erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

Erwägungen:

1.
1.1 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Seinem Urteil legt es den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz, auf Rüge hin oder von Amtes wegen, berichtigen oder ergänzen,
wenn sie offensichtlich unrichtig (dazu E. 1.2) ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels
für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 i.V. m.
Art. 105 Abs. 2 BGG). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die
beschwerdeführende Person genau darzulegen. Dazu genügt es nicht, einen von den
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweichenden Sachverhalt zu
behaupten oder die eigene Beweiswürdigung zu erläutern (BGE 137 II 353 E. 5.1
S. 356; SVR 2012 BVG Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.2 [nicht publiziert in
BGE 137 V 446]).
Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich unrichtig,
wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und augenfällig
unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Es liegt noch keine
offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls in
Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (vgl. BGE 129 I
8 E. 2.1 S. 9; Urteil 9C_967/2008 vom 5. Januar 2009 E. 5.1). Diese Grundsätze
gelten auch in Bezug auf die konkrete Beweiswürdigung (Urteil 9C_999/2010 vom
14. Februar 2011 E. 1 und 9C_734/2010 vom 21. Oktober 2010 E. 3; SVR 2012 BVG
Nr. 11 S. 44, 9C_779/2010 E. 1.1.1 [nicht publiziert in: BGE 137 V 446]).

1.2 Dem kantonalen Versicherungsgericht steht als Sachgericht im Bereich der
Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zu (vgl. BGE 120 Ia 31 E. 4b
S. 40). Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur ein, wenn das
Sachgericht diesen missbraucht, insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse
zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (
BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211; zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 S. 5
mit Hinweisen). Inwiefern das kantonale Gericht sein Ermessen missbraucht haben
soll, ist in der Beschwerde klar und detailliert aufzuzeigen (BGE 130 I 258 E.
1.3 S. 261). Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene
appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht
ein (BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246 mit Hinweis).

2.
Das kantonale Gericht hat in den Erwägungen 3 und 4 des angefochtenen
Entscheides die für die hier im Streit liegende befristete Rentenzusprechung
massgeblichen materiell-, intertemporal- und beweisrechtlichen Grundlagen
gemäss Gesetz und Rechtsprechung zutreffend dargelegt. Weiterungen erübrigen
sich.

3.
Das kantonale Gericht hat den Invaliditätsgrad im Rahmen der gemischten Methode
ermittelt und ist dabei bezüglich der Gewichtung der Bereiche von je 50 %
Erwerbstätigkeit und Haushaltführung ausgegangen (Art. 28a Abs. 3 IVG). Dieser
Punkt wird in der Beschwerde ausdrücklich akzeptiert.

4.
Zu den Beschwerderügen gegen die vorinstanzliche Invaliditätsbemessung ist
festzuhalten:

4.1 Wie schon im vorinstanzlichen Verfahren kritisiert die Beschwerdeführerin
erneut, dass sie im Rahmen eines 50 %igen erwerblichen Pensums keine volle
Arbeitsleistung erbringen könne. Unter den - in der Beschwerde (S. 5 f.) im
Einzelnen aufgezeigten - Umständen sei "davon auszugehen, dass im Rahmen eines
50 % Arbeitspensums lediglich noch eine Arbeitsleistung von 25 % erbracht
werden kann" (Beschwerde S. 6 unten). Der daran anschliessende Vorwurf, die
Vorinstanz habe "gegen den Wortlaut des Gutachtens des Instituts X.________
entschieden", ohne bei diesem Rückfrage vorzunehmen, weshalb der
Untersuchungsgrundsatz verletzt und der Sachverhalt unvollständig abgeklärt
sei, verkennt die tatsächliche Bedeutung der Stellungnahme, welche das Institut
X.________ zur Arbeitsunfähigkeit abgegeben hat. Dessen Schätzung lautet ohne
Wenn und Aber auf eine im Umfange von 50 % erhaltene Arbeitsfähigkeit für
angepasste Tätigkeiten. Dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin bei der
Verwertung dieser Restarbeitsfähigkeit zusätzlich eingeschränkt ist, hat die
Beschwerdegegnerin in der Verwaltungsverfügung und ihr - implizite - folgend
die Vorinstanz mit der Vornahme eines Abzuges von 15 % vom Invalideneinkommen (
BGE 126 V 75) in einer Weise Rechnung getragen, die jedenfalls nicht als
ermessensmissbräuchlich oder sonstwie wllkürlich bezeichnet werden kann. In der
Tat hat die IV-Stelle den Tabellenlohn als Ausgangswert für die Festlegung des
Invalideneinkommens nicht nur um 50 % reduziert sondern darüber hinaus einen
Abzug von 15 % vorgenommen, was das kantonale Gericht bestätigte.

4.2 Die Beschwerdeführerin rügt sodann die Stellungnahme zur Arbeitsfähigkeit
durch das Institut X.________ als "nicht nachvollziehbar, nicht schlüssig und
offensichtlich unvollständig", weshalb darauf für die Bestimmung des
Invaliditätsgrades nicht abgestellt werden könne. Indessen halten die
vorgetragenen Einwendungen nicht Stich. Zunächst rapportieren die verschiedenen
ärztlichen, insbesondere psychiatrischen Berichte die Suizidalität nuanciert
und differenziert; eine damit verbundene Unzumutbarkeit, im Rahmen des von der
depressiven Störung her noch Möglichen zu arbeiten, geht daraus jedenfalls
nicht hervor. Die schwere Kindheit und die äusserst belastende eheliche
Situation hat die psychiatrische Exploration im Rahmen der Begutachtung des
Instituts X.________ sodann durchaus berücksichtigt. Die Beschwerde übersieht
den ganz beträchtlichen psychiatrischen Beurteilungsspielraum, welcher den
behandelnden und begutachtenden Fachärzten in der Folgenabschätzung solcher
biografischer Aspekte für die Arbeitsfähigkeit zukommt. Dass die
Beschwerdeführerin an rezidivierenden depressiven Störungen leidet, ist
unbestritten, wird aber durch die von den Vorinstanzen akzeptierte
Arbeitsunfähigkeit von 50 % rechtsfolgemässig hinreichend berücksichtigt. Dass
die Beschwerdeführerin zudem eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung aufweist,
mag sein; doch ist nicht ersichtlich, inwiefern sie deshalb an der Ausübung
einer bescheidenen erwerblichen Tätigkeit im Umfange von etwas mehr als an zwei
Tagen pro Woche verhindert sein soll.

4.3 Entgegen den diesbezüglichen Vorbringen in der Beschwerde ist eine 50 %ige
Restarbeitsfähigkeit, wie sie die Beschwerdeführerin aufweist, auf dem
allgemeinen ausgeglichenen Arbeitsmarkt praxisgemäss durchaus noch verwertbar.
Die Beschwerdeführerin hätte zum Beispiel die Möglichkeit, ihre Lebenserfahrung
als Mutter von vier mittlerweile (nahezu) erwachsenen Kindern in einem privaten
Tageshort, Hütedienst oder vergleichbaren Einrichtung einzubringen. Begründet
ist hingegen die Berufung auf die Wechselwirkungen gemäss der Rechtsprechung
BGE 134 V 9. In der Tat sind die Gutachter des Instituts X.________ davon
ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin die ihr zugemutete Tätigkeit im
Haushalt auf den ganzen Tag verteilen kann. Wiewohl die Invaliditätsbemessung
der Nichterwerbstätigen - sei es im reinen Betätigungsvergleich, sei es im
Rahmen der gemischten Methode - grundsätzlich von der zeitlichen
Inanspruchnahme abstrahiert, ist anzuerkennen, dass die Beschwerdeführerin in
der Verwertung ihres erwerblichen Leistungsvermögens zusätzlich beeinträchtigt
ist, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen ihre Haushaltsarbeit über den ganzen
Tag hin verteilen muss. Damit vermindert sich das zumutbare Invalideneinkommen
um höchstens 15 %, auf welchen Wert BGE 134 V 9 die Berücksichtigung der
Wechselwirkungen beschränkt hat. Im Ergebnis ändert sich jedoch nichts, weil
auch eine weitere Reduktion des Invalideneinkommens von Fr. 23'343.- um 15 %
auf Fr. 19'841.55 im Rahmen der gemischten Methode nicht zu einem
rentenbegründenden Invaliditätsgrad von mindestens 40 % führt ([24,52 % x 0,5]
+ [29,25 x 0,5] = 12,26 % + 14,63 % = 27 %).

5.
Bei diesem Verfahrensausgang wird die Beschwerdeführerin an sich
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG), doch ist ihrem Gesuch um Gewährung
der unentgeltlichen Rechtspflege zu entsprechen, da die hiefür erforderlichen
Voraussetzungen als erfüllt betrachtet werden können, nachdem die Vorinstanz
schon die Bedürftigkeit bejaht hat und die letztinstanzliche Beschwerde nicht
als aussichtslos bezeichnet werden kann (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
wird gutgeheissen und es wird Rechtsanwalt Daniel Tschopp aus der Gerichtskasse
eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. November 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Scartazzini