Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 596/2012
Zurück zum Index II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012
Retour à l'indice II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2012



Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_596/2012

Urteil vom 30. November 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Scartazzini.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen,
Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

T.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Marco Büchel,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen
vom 3. Juli 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 16. Mai 2008 lehnte
die IV-Stelle des Kantons St. Gallen ein Gesuch um berufliche
Eingliederungsmassnahmen des1963 geborenen T.________ mit der Begründung ab, er
sei am konkreten Arbeitsplatz angemessen eingegliedert. Mit Vorbescheid vom 15.
Januar 2010 kündigte die IV-Stelle dem Versicherten die Zusprache einer
Viertelsrente ab 1. September 2008 an. Dagegen liess der Versicherte einwenden,
vom Durchschnittseinkommen hätten zusätzlich 10 % abgezogen werden müssen, weil
er nur noch leichte, wechselbelastende Arbeiten ausführen könne, und weitere 10
%, weil er nur noch teilzeitlich arbeiten könne, was zu einem Invaliditätsgrad
von 57 % führe mit Anspruch auf eine halbe Rente. Mit Verfügung vom 24. März
2010 sprach die IV-Stelle dem Versicherten ab 1. März 2010 eine Viertelsrente
zu, und mit Verfügung vom 7. Mai 2010 folgte die Zusprache einer Viertelsrente
für die Zeit von September 2008 bis Februar 2010. Die Verwaltung hielt u.a.
fest, ein Teilzeitabzug sei ausgeschlossen, weil die Restarbeitsfähigkeit
ganztägig umgesetzt werde.

B.
Die Beschwerde des T.________, wonach bei einem Gesamtabzug vom
Durchschnittseinkommen von 25 % ein Invaliditätsgrad von 60 % bestehe mit
Anspruch auf eine Dreiviertelsrente, hiess das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 3. Juli 2012 in dem Sinne gut, dass es dem
Beschwerdeführer - unter Berücksichtigung eines zusätzlichen Abzugs von 10 %
vom anwendbaren Tabellenlohn - mit Wirkung ab 1. September 2007 eine halbe
Invalidenrente zusprach.

C.
Die IV-Stelle erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit
dem Rechtsbegehren, nach Erteilung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde
sei der Entscheid vom 3. Juli 2012 aufzuheben, soweit er ab 1. September 2007
einen Anspruch auf eine halbe Rente bejaht, und es sei festzustellen, dass der
Beschwerdegegner ab jenem Datum Anspruch auf eine Viertelsrente habe.

Der Beschwerdegegner schliesst auf Abweisung der Beschwerde, sofern darauf
einzutreten sei, und beantragt, dieser sei keine aufschiebende Wirkung zu
erteilen. Vorinstanz und Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Mit dem Erlass dieses Urteils erübrigt sich ein Entscheid über das Gesuch um
aufschiebende Wirkung.

2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz von Amtes wegen - oder wenn gerügt (Art. 97 Abs. 1 BGG) -
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht bei der Ermittlung des
Invaliditätsgrades des Versicherten gemäss BGE 126 V 75 zu Recht einen
leidensbedingten Abzug vom Tabellenlohn von 10 % berücksichtigt hat. Ob ein
behinderungsbedingt oder anderweitig begründeter Abzug vom statistisch
ermittelten Invalideneinkommen vorzunehmen ist, ist eine vom Bundesgericht frei
überprüfbare Rechtsfrage (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 Erw. 3.3; vgl.
auch Urteil 9C_40/2011 vom 1. April 2011 E. 2.1.2).

3.1 Die Vorinstanz erwog, beim vorzunehmenden Einkommensvergleich sei dem
Valideneinkommen von Fr. 67'713.- ein Invalideneinkommen von Fr. 36'100.-
(Arbeitsfähigkeitsgrad von 60 %) gegenüberzustellen. Es könne nicht von einem
überproportionalen Lohnnachteil bei Teilzeitarbeit ausgegangen werden.
Allerdings weise der Beschwerdeführer die üblichen Konkurrenznachteile eines
gesundheitlich angeschlagenen Arbeitnehmers auf (Unfähigkeit, Überstunden zu
leisten bzw. zu mehr als 60 % zu arbeiten, Unfähigkeit, an einem nicht
adaptierten Arbeitsplatz eingesetzt zu werden, reale oder auch nur befürchtete
Gefahr überproportionaler Krankheitsabsenzen usw.), so dass sich ein Abzug vom
Tabellenlohn rechtfertige. Die Nachteile seien aber entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers bei weitem nicht so ausgeprägt, dass sie den Maximalabzug von
25 % rechtfertigen würden. Ein zusätzlicher Abzug von 10 % erscheine als
angemessen. Das zumutbare Invalideneinkommen betrage somit Fr. 32'490.-. Bei
einem Valideneinkommen von Fr. 67'713.- resultiere eine behinderungsbedingte
Erwerbseinbusse von Fr. 35'223.-. Das entspreche einem Invaliditätsgrad von
abgerundet 52 %. Die Beschwerde sei demnach gutzuheissen, und der
Beschwerdeführer habe mit Wirkung ab September 2007 Anspruch auf eine halbe
Invalidenrente.

3.2 Die beschwerdeführende IV-Stelle legt dar, im Gegensatz zur Vorinstanz
würden sich ihre Verfügungen vom 24. März und 7. Mai 2010 auf einen
Invaliditätsgrad von 48 % mit Anspruch auf eine Viertelsrente ab September 2007
stützen, wobei der massgebliche Invaliditätsgrad auf einem Invalideneinkommen
beruhe, welches ohne einen Abzug vom Tabellenlohn bemessen wurde. Die
Vorinstanz anerkenne die Rechtsprechung, wonach bei einer grundsätzlich
vollzeitlich arbeitsfähigen, aber krankheitsbedingt lediglich reduziert
leistungsfähigen versicherten Person kein über die Berücksichtigung der
eingeschränkten Leistungsfähigkeit und damit des Rendements hinaus gehender
Abzug gerechtfertigt ist. Die von der Vorinstanz zur Begründung eines 10%igen
Abzuges erwähnten Umstände würden jedoch ebenfalls keinen Abzug rechtfertigen.
Eine angeblich gesundheitlich bedingte geringere Flexibilität bei der
Einsetzbarkeit könne rechtsprechungsgemäss nicht als abzugsrelevant anerkannt
werden. Stellen, welche eine solche Flexibilität verlangen, fielen vorweg
ausser Betracht, ohne dass gesagt werden könne, das aufgrund des Anforderungs-
und Belastungsprofils in Frage kommende Arbeitsmarktsegment werde dadurch
entscheidend verkleinert (SVR 2010 IV Nr. 28 E. 2.3.3, 9C_708/2009). Auch ein
angeblich höheres Risiko, aus krankheitsbedingten Gründen der Arbeit
fernbleiben zu müssen, könne nicht als Abzugsgrund anerkannt werden. Anzumerken
sei, dass mit der Anerkennung einer 60%igen Restarbeitsfähigkeit der
leidensbedingten Beeinträchtigung des Beschwerdegegners bereits hinreichend
Rechnung getragen wurde; eine weitergehende Anrechnung beim leidensbedingten
Abzug lasse sich nicht halten, da sie einer unzulässigen doppelten
Berücksichtigung derselben Einschränkung gleichkäme. Somit habe die Vorinstanz
den 10%igen Abzug vom Tabellenlohn in Verletzung von Bundesrecht vorgenommen.

3.3 Die Einwände der Beschwerdeführerin sind stichhaltig. Die von der
Vorinstanz dargelegten Nachteile sind nicht direkt behinderungsbedingter Art
und rechtfertigen grundsätzlich keinen (behinderungsbedingten) Abzug vom
Tabellenlohn. Im vorliegenden Fall verhält es sich nicht anders. Weder
begründet die Vorinstanz noch ist - im Sinne der Ausführungen der IV-Stelle -
ersichtlich, dass das auf Grund des Anforderungs- und Belastungsprofils in
Frage kommende Arbeitsmarktsegment durch die fraglichen Umstände entscheidend
verkleinert wird (SVR 2010 IV Nr. 28 S. 87, 9C_708/2009 E. 2.3; Urteil 9C_11/
2012 vom 28. Februar 2012 E. 2.2.4). Die Beschwerde ist somit wegen
Bundesrechtswidrigkeit des kantonalen Entscheides begründet.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdegegner die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons St. Gallen vom 3. Juli 2012 aufgehoben, soweit es dem
Beschwerdegegner ab 1. September 2007 mehr als eine Viertels-Invalidenrente
zuerkennt.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 30. November 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Scartazzini