Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 575/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_575/2012 {T 0/2}

Urteil vom 25. September 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Bollinger Hammerle.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokatin Stefanie Stoll,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt
vom 22. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
A.________, geboren 1966, war seit Juni 2005 bei der Firma X.________ im Rahmen
temporärer Einsätze als Bauarbeiter (Facharbeiter) angestellt. Am 3. Oktober
2008 meldete er sich unter Hinweis auf Herzklopfen, Schwindel, Schwäche,
Verspannung im Nacken, Krampf in den Händen, Kopfschmerzen,
Konzentrationsschwäche und Atembeschwerden, bestehend seit Mai 2008, bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an (Berufsberatung, Umschulung auf
eine neue Tätigkeit, Wiedereinschulung in die bisherige Tätigkeit,
Arbeitsvermittlung). Die IV-Stelle Basel-Stadt führte erwerbliche und
medizinische Abklärungen durch und zog die Akten bei der B.________, als
Taggeldversicherung des A.________ bei (namentlich Gutachten des Dr. med.
H.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 22. September 2008 sowie
des Dr. med. W.________, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychologe, vom 30.
April 2009). Sie ersuchte Prof. Dr. med. P.________, Spital Y.________ und Dr.
med. C.________, Innere Medizin und Rheumatologie FMH, sowie Dr. med.
S.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, um Berichte vom 21. Oktober
2008 sowie vom 11. Januar 2009/31. März 2010 und 12. Februar 2009. Zudem zog
sie den Austrittsbericht der Klinik D.________ vom 15. Dezember 2008 bei
(betreffend eine Hospitalisation des A.________ vom 24. November bis 4.
Dezember 2008). Auf Anraten des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD; Dr. med.
V.________, Facharzt für Allgemeinmedizin FMH; Stellungnahme vom 11. Januar
2011) veranlasste sie eine psychiatrische Begutachtung bei Dr. med. G.________,
Facharzt FMH für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 4. April 2011. Nach
durchgeführtem Vorbescheidverfahren verfügte die IV-Stelle am 18. Januar 2012
die Abweisung des Leistungsbegehrens.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde des A.________, mit welcher er die Aufhebung
der Verfügung, die Zusprechung einer Invalidenrente "nach den gesetzlichen
Bestimmungen" ab 3. April 2009 sowie die Zusprechung der "gesetzlich
geschuldeten Eingliederungsmassnahmen", eventuell die Rückweisung der Sache an
die IV-Stelle zur Neubeurteilung beantragen liess, wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 22. Mai
2012 ab.

C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
stellt dieselben Rechtsbegehren wie im vorinstanzlichen Verfahren.

D.
Mit Verfügung vom 16. August 2012 weist das Bundesgericht das Gesuch des
A.________ um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der
Beschwerde ab.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzung gemäss Art. 95 und Art. 96 BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von diesen tatsächlichen
Feststellungen kann es nur abweichen, wenn sie offensichtlich unrichtig sind
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs.
2 BGG) und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens
entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG).

2.
2.1 Die Vorinstanz erwog, gestützt auf die beweiskräftige Beurteilung des Dr.
med. G.________ sei der Beschwerdeführer von Mai bis Dezember 2008 aus
psychiatrischer Sicht zu 50 % arbeitsunfähig gewesen; ab Januar 2009 habe keine
psychiatrische Einschränkung mehr bestanden. Somatisch habe Dr. med. C.________
eine vollumfängliche Arbeitsfähigkeit in einer wechselbelastenden Tätigkeit
attestiert. Das - aufgrund eines fehlenden längerdauernden Arbeitsverhältnisses
- nach statistischen Werten festzusetzende Valideneinkommen bestimme sich
anhand des Anforderungsniveau 4, weil der Versicherte über keine
Berufsausbildung verfüge und zwar anzunehmen sei, dass er sich Fachkenntnisse
angeeignet habe, indes seine Arbeitsleistung nach Auskünften des letzten
Arbeitgebers mangels Arbeitswillen und Fleiss lediglich einem Stundenlohn von
Fr. 30.- entsprochen habe. Das der Verfügung zugrunde liegende
Invalideneinkommen sei korrekt. Über Eingliederungsmassnahmen sei nicht zu
befinden, da diese nicht Gegenstand der angefochtenen Verfügung gebildet
hätten.

2.2 Der Beschwerdeführer rügt, indem die Vorinstanz auf die Beurteilung des Dr.
med. G.________ abgestellt habe, welche "jeglicher Grundlage und Vernunft"
entbehre, habe sie ihr Ermessen auf unhaltbare, rechtsmissbräuchliche Weise
ausgeübt. Die zu würdigenden Arztberichte liessen keinen anderen Schluss zu als
den auf eine mindestens 50 %ige Einschränkung auf dem freien Arbeitsmarkt. Mit
Blick darauf, dass er aufgrund seiner zehnjährigen Berufserfahrung und seiner
Fachkenntnisse als Maschinenführer eine vielgesuchte, gut bezahlte Arbeitskraft
im Baugewerbe gewesen sei, müsse das Valideneinkommen ausgehend vom
Anforderungsniveau 3 bestimmt werden. Seinem Einwand, das Invalideneinkommen
sei nicht ausgehend von der angestammten Tätigkeit zu berechnen, sondern vom
sonstigen verarbeitenden Gewerbe, habe die Vorinstanz nicht Rechnung getragen.
Schliesslich habe die Beschwerdegegnerin bezüglich der beantragten
Eingliederungsmassnahmen noch keine Verfügung erlassen, weshalb die Verfügung
vom 18. Januar 2012 implizit auch den abschlägigen Entscheid betreffend
Eingliederungsmassnahmen enthalten habe. Diese seien auch durch die
einlässliche Stellungnahme der Beschwerdegegnerin vom 10. April 2012
Verfahrensgegenstand geworden.

3.
Soweit der Beschwerdeführer davon auszugehen scheint, über die Rentenfrage
könne nur befunden werden, wenn vorgängig oder (mindestens) gleichzeitig über
den Anspruch auf berufliche Eingliederungsmassnahmen entschieden werde, trifft
dies in dieser Absolutheit nicht zu. Solches ergibt sich weder aus dem Prinzip
"Eingliederung vor Rente" noch aus dem mit der 5. IVG-Revision eingeführten
Grundsatz "Eingliederung statt Rente" (BBl 2005 4524). Eine Invalidenrente soll
erst und nur dann zugesprochen werden, wenn die Möglichkeiten ausgeschöpft
sind, welche Eingliederungsmassnahmen zur Verbesserung der gesundheitsbedingt
beeinträchtigten Erwerbsfähigkeit bieten. Kann ein Rentenanspruch indes durch
allenfalls noch vorzunehmende berufliche Eingliederungsmassnahmen nicht mehr
beeinflusst werden, etwa weil ein rentenbegründender Invaliditätsgrad bereits
jetzt nicht gegeben ist, kann der Rentenentscheid unabhängig von allfälligen
Eingliederungsmassnahmen gefällt werden (z.B. Urteile 8C_515/2010 vom 20.
Oktober 2010 E. 2.2 und I 99/02 vom 14. April 2003 E. 4.2). Die
Eingliederungsmassnahmen können somit auch nicht deshalb im Beschwerdeverfahren
zum Streitgegenstand erhoben werden, weil die Verwaltung es pflichtwidrig
unterliess, hierüber vorab oder gleichzeitig mit dem Rentenbescheid zu verfügen
(vgl. Urteil 9C_766/2007 vom 3. Januar 2008 E. 4 mit Hinweis). Die
Beschwerdegegnerin hielt in der Begründung ihrer Verfügung vom 18. Januar 2012
zwar fest, ein Anspruch auf Berufsberatung bestehe nicht, weil bei voller
Arbeitsfähigkeit in einer Hilfstätigkeit eine breite Palette an Tätigkeiten
offen stehe und nichts darauf hindeute, dass es dem Versicherten aus
gesundheitlichen Gründen nicht möglich wäre, eine Stelle zu finden, weshalb
eine Arbeitslosigkeit bestehe, für welche die Arbeitslosenversicherung
zuständig sei. Im Dispositiv lehnte sie - ohne nähere Spezifizierung - "das
Leistungsbegehren" des Versicherten ab. Abgesehen davon, dass der Versicherte
nicht nur Berufsberatung beantragt hatte, sondern "die gesetzlich geschuldeten
Eingliederungsmassnahmen" (bzw. gemäss IV-Anmeldung vom 3. Oktober 2008
Berufsberatung, Umschulung auf eine neue Tätigkeit, Wiedereinschulung in die
bisherige Tätigkeit und Arbeitsvermittlung), ist dem Titel der Verfügung
unzweifelhaft zu entnehmen, dass lediglich das Rentenbegehren abgewiesen werden
sollte. Die im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren eingereichte Stellungnahme
der IV-Stelle ändert daran nichts. Soweit die Vorinstanz mangels eines
Anfechtungsgegenstandes auf die Beschwerde des Versicherten betreffend
Eingliederungsmassnahmen nicht eintrat, ist dies nicht zu beanstanden. Damit
fehlt es auch letztinstanzlich an einem Anfechtungsobjekt.

4.
Die vorinstanzliche Würdigung der medizinischen Akten ist nicht willkürlich,
aus folgenden Gründen: Die Ärzte gingen von Anfang an davon aus, es werde nach
eingetretener psychischer Stabilisierung wieder eine schrittweise berufliche
Eingliederung erfolgen können (z.B. Gutachten des Dr. med. H.________ vom 22.
September 2008; Bericht des Prof. Dr. med. P.________ vom 21. Oktober 2008;
psychiatrisches Gutachten des Dr. med. W.________ vom 30. April 2009; vgl. auch
Bericht des Dr. med. C.________ vom 11. Januar 2009). Zwar ist im Gutachten des
Dr. med. W.________ von einer mindestens 50 %igen Arbeitsunfähigkeit die Rede.
Wenn die Vorinstanz hierauf nicht abstellte, verletzte sie indes kein
Bundesrecht, zumal der Psychiater W.________ seine Beurteilung lediglich mit
der auch von ihm nur als leichtgradig eingestuften depressiven Episode
begründet, was in der Tat nicht überzeugt (z.B. Urteil 8C_365/2012 vom 30. Juli
2012 E. 6.3 mit Hinweis). Selbst der behandelnde Psychiater Dr. med. I.________
führte in seinem Schreiben vom 20. September 2011 aus, die Depressivität
bewirke "wohl eine kleinere (etwa 20 %) Einschränkung der Arbeitsfähigkeit".
Nicht zuletzt ist die von Dr. med. G.________ ab Januar 2009 beschriebene
weitgehende Rückbildung der depressiven Symptomatik mit den Ergebnissen der auf
Veranlassung der B.________ im Sommer 2009 durchgeführten Observation bestens
vereinbar. Die damit betrauten Personen hielten fest, der Versicherte habe
einen recht aktiven, gesunden und vitalen Eindruck hinterlassen; beispielsweise
sei er problemlos in der Lage gewesen, mehrfach täglich mit dem Auto
wegzufahren um Bekannte zu treffen oder Besorgungen zu erledigen. Es habe sich
ein sicherer, rascher Gang, Kopfdrehen, Bücken (zur Autopflege) etc. beobachten
lassen, ohne Hinweise auf eine Schwindelproblematik (die im übrigen auch
ärztlicherseits nicht auf eine somatische Ursache zurückgeführt werden konnte;
vgl. z.B. Bericht des Prof. Dr. med. P.________ vom 21. Oktober 2008). Dass die
Vorinstanz ab Januar 2009 sowohl psychische wie auch somatische Einschränkungen
in der Ausübung einer wechselbelastenden Tätigkeit verneinte, ist nicht zu
beanstanden.

5.
Nicht bundesrechtswidrig ist auch die Festsetzung des Valideneinkommens
ausgehend vom Anforderungsniveau 4. Der Versicherte verfügt unbestritten über
keine Berufsausbildung in der Baubranche. Dass er seit seiner Einreise in die
Schweiz im Jahre 1986 bis 2008 mit zahlreichen Unterbrüchen zeitweilig im
Baugewerbe tätig war und sich dabei gewisse Kenntnisse (als Maschinenführer)
aneignete, ist mit der Vorinstanz anzunehmen. Davon abgesehen, dass der
Versicherte seit vielen Jahren stets nur während einiger Monate pro Jahr
arbeitete und in den letzten Jahren (seit 2004) höchstens ein Jahreseinkommen
von knapp Fr. 23'000.- erzielte (dies im Jahre 2005), stellte die letzte
Arbeitgeberin klar, dass der Arbeitsleistung des Beschwerdeführers (nur) ein
Stundenlohn von Fr. 30.- entsprechen würde. Bei einer betriebsüblichen
Wochenarbeitszeit im Baugewerbe von 41,6 Stunden und 4 1/3 Wochen pro Monat
(Vollzeitäquivalent) resultiert ein Monatslohn von Fr. 5'408.-. Dieser weicht
nur unwesentlich von dem im Baugewerbe, Anforderungsniveau 4,
durchschnittlichen Lohn von Fr. 5'336.24 (Quellen: LSE 2008 Tabelle TA 1 S. 11;
Die Volkswirtschaft 6-2009 Tabelle B9.2 S. 86) ab. Es sind demnach keine Gründe
ersichtlich, beim Valideneinkommen vom Anforderungsniveau 3 auszugehen. Was die
Rügen gegen die vorinstanzliche Bestätigung des von der Beschwerdegegnerin auf
Fr. 61'239.- festgesetzten Invalideneinkommens betrifft, hat bereits die
Beschwerdegegnerin in ihrer Verfügung darauf hingewiesen, dass es sich dabei um
den Totalwert und nicht um die Zahlen des Baugewerbes handelt. Wenn die
Vorinstanz ohne Weiterungen die angefochtene Verfügung auch in diesem Punkt
bestätigte, liegt darin keinerlei Verletzung von Bundesrecht.

6.
Die im Sinne von Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG offensichtlich unbegründete
Beschwerde ist, soweit darauf eingetreten werden kann, im vereinfachten
Verfahren abzuweisen.

7.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. September 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Bollinger Hammerle