Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 573/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_573/2012

Urteil vom 16. Januar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Francisco José Vázquez Bürger,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle für Versicherte im Ausland, avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juni 2012.

Sachverhalt:

A.
G.________, geboren 1956, arbeitete von 1983 bis 2005 mit Unterbrüchen als
Maurer in der Schweiz und war nach der Rückkehr nach Spanien von 2006 bis 2008
als Bau- und Landarbeiter tätig. Mit Anmeldung vom 15. September 2008 ersuchte
er um Gewährung einer Rente der Invalidenversicherung. Nach Abklärung des
medizinischen Sachverhalts (vorab orthopädisches Leiden bei degenerativen
Wirbelsäulenveränderungen und Hüftbeschwerden) sowie der beruflich-erwerblichen
Verhältnisse ermittelte die IV-Stelle für Versicherte im Ausland einen
Invaliditätsgrad von 24 %. Sie erachtete es dem Versicherten als zumutbar, in
einer leidensadaptierten Tätigkeit voll zu arbeiten. Mit Verfügung vom 22.
September 2009 wies sie den Anspruch auf IV-Leistungen ab.

B.
Mit Entscheid vom 7. Juni 2012 wies das Bundesverwaltungsgericht die von
G.________ gegen die Ablehnung des Anspruchs eingereichte Beschwerde ab.

C.
G.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
und beantragen, es sei ihm auf den Zeitpunkt der Antragstellung in Spanien am
18. Juli 2008 eine Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Verfügung
aufzuheben und eine fachmedizinisch korrekte Abklärung in der Schweiz zu
veranlassen; gestützt auf deren Erkenntnisse sei dann neu zu verfügen.

Erwägungen:

1.
Der Beurteilung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art.
82 ff. BGG) liegt der Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesen kann das Bundesgericht von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl.
auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Zu den Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit. a
BGG gehören auch die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen
Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer
wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteil 9C_53/2008 vom 18. Februar 2009 E.
1.3 mit Hinweisen).

2.
Streitig ist ist der Anspruch auf eine Invalidenrente. Das vorinstanzliche
Gericht hat die zu dessen Beurteilung erforderlichen Rechtsgrundlagen
zutreffend dargelegt; darauf wird verwiesen.

3.
Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen, bislang sei sein Gesundheitszustand
nicht umfassend, korrekt und objektiv abgeklärt worden. Die auf den ärztlichen
Formularberichten E 213 der spanischen Amtsärzte (Dres. med. M.________ vom 28.
August 2008 und P.________ vom 7. Mai 2009) erstatteten Angaben, gerade aber
die darauf gestützten Stellungnahmen der schweizerischen IV-Stellen-Ärzte
(Dres. med. L.________ vom 21. Juni 2009 und H.________ vom 21. Juni 2010)
genügten den Anforderungen an eine objektive und unabhängige Berichterstattung
nicht. Der medizinische Dienst des spanischen Invalidenversicherungsträgers
habe ihn begutachtet und ihm gestützt darauf ab 28. November 2009 eine
Vollinvalidität (Invaliditätsgrad von 55 %) attestiert. Demgegenüber habe ihn
die schweizerische Versicherung weder durch ihren medizinischen Dienst noch
durch Fachärzte, die mit den schweizerischen sozialrechtlichen und
sozialmedizinischen Vorschriften vertraut sind, direkt und persönlich
untersuchen und begutachten lassen.

4.
Zum Hinweis auf die Zusprache einer spanischen Invalidenrente ist vorab
Folgendes anzumerken: Zwar ist der Beschwerdeführer als spanischer
Staatsangehöriger seit 2006 wieder in Spanien wohnhaft. Nach dem am 1. Juni
2002 in Kraft getretenen Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten - darunter Spanien - andererseits über die
Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) richtet sich sein
Anspruch auf eine Invalidenrente der Eidgenössischen Invalidenversicherung
jedoch allein nach schweizerischem Recht (BGE 130 V 253 E. 2.4 S. 257; 128 V
315; Urteile 8C_1030/2009 vom 2. März 2010 E. 2.2 und 8C_489/2009 vom 23.
Oktober 2009 E. 2).

5.
5.1 Gemäss Urteil 9C_952/2011 vom 7. November 2012 E. 2.4 (dort mit Hinweisen
auf das zwischenstaatliche Recht) können in einem EU-Staat wohnhafte
Versicherte aus dem Freizügigkeitsabkommen keinen unbedingten Anspruch
ableiten, in der Schweiz ärztlich begutachtet zu werden. Es ist aber zu
gewährleisten, dass die sich nach Massgabe des schweizerischen Leistungsrechts
stellenden versicherungsmedizinischen Fragen unter Einhaltung der spezifischen
beweisrechtlichen Anforderungen geklärt werden. Ein Entscheid der
schweizerischen Invalidenversicherung kann darum grundsätzlich auf ärztliche
Berichte abgestützt werden, die im Wohnsitzstaat Spanien ausgefertigt worden
sind. Bestimmt sich der Leistungsanspruch - wie hier - nach dem materiellen
Recht des Vertragsstaates Schweiz (E. 4), so leitet sich auch aus dem
schweizerischen Recht ab, welche Fragen der ärztlichen Klärung bedürfen, welche
Anforderungen an den Nachweis des rechtserheblichen medizinischen Sachverhalts
gestellt werden und mit welchen Mitteln dieser Nachweis geführt wird.

5.2 Indem die Vorinstanz dem Antrag auf eine zusätzliche Beweismassnahme in
Form einer umfassenden medizinischen Untersuchung in der Schweiz nicht
entsprach, verletzte sie die erwähnten Grundsätze nicht. Denn sie kam nach
ausführlicher und rechtlich korrekter Würdigung der Akten zum Schluss, gestützt
auf die Formularberichte E 213 sowie die weiteren spanischen Arztberichte lasse
sich ein umfassendes Bild über die gestellten Diagnosen und die
gesundheitlichen Beeinträchtigungen machen, sodass sich in der Gesamtschau
ausreichend verlässliche Anhaltspunkte zur Beurteilung des Krankheitsbildes und
dessen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit ergeben würden. Sie hat dies aus
bundesrechtlicher Sicht korrekt und einlässlich begründet und es war richtig,
zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in einer leidensangepassten Tätigkeit
keine weiteren Abklärungen zu veranlassen.

6.
6.1 Das Gericht kam in Würdigung sämtlicher Berichte zur Überzeugung, dass der
Beschwerdeführer in der bisherigen Tätigkeit zwar nicht mehr arbeitsfähig sei,
ihm aber in Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen
leichtere bis mittelschwere, leidensangepasste Verweisungstätigkeiten
vollzeitig zumutbar seien und er dafür zu 100 % arbeitsfähig ist. Ein solcher
Schluss ist nach dem im schweizerischen Sozialversicherungsrecht massgeblichen
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 126 V 353 E. 5b S. 360)
hier gerechtfertigt.

6.2 Die Vorinstanz hat nicht die Augen davor geschlossen, dass dem Bericht von
Dr. med. L.________ vom 21. Juni 2009 und dem Formularbericht E 213 vom 7. Mai
2009 für sich allein kein hinreichender Beweiswert zukommt. Dessen ungeachtet
ergibt sich - wie bereits das Bundesverwaltungsgericht festgehalten hat - im
Rahmen einer Gesamtschau ein umfassendes Bild der gestellten Diagnosen, der
gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf die
Arbeitsfähigkeit. Soweit der Beschwerdeführer bemängelt, dass der
Formularbericht E 213 vom 7. Mai 2009 nicht komplett sei - fehlende Angaben
über den Allgemeinzustand, zum Bewegungsapparat und zu den Diagnosemitteln -,
so waren beispielsweise Letztere nur zu erheben, sofern sie notwendig
erschienen (so ausdrücklich Ziff. 5: en caso necesario). Dabei erfordern
orthopädische Leiden nicht zwingend einen Lungenfunktionstest oder eine
Echographie oder aber Blut- und Urintests etc. Auch die Aufzeichnungen und
Messungen der Bewegungseinschränkung des gesamten Bewegungsapparates ist mit
dem Vermerk "soweit notwendig" versehen (Ziff. 4.8: en caso necesario). Eine
verbale Beschreibung liegt jedenfalls vor, wie auch in Bezug auf den
Allgemeinzustand zwar Detailangaben (Grösse und Gewicht) nicht angegeben
wurden, die wichtige(re)n Fragen nach Ernährungs- und Gemütszustand jedoch
beantwortet sind.

6.3 Nicht zu hören ist auch der Einwand, die Arbeitsfähigkeit von 100 % in
Verweisungstätigkeiten sei nicht korrekt festgesetzt worden. Denn es kann nicht
gesagt werden, der für eine solche Beschäftigung Bezugsgrösse bildende
ausgeglichene Arbeitsmarkt weise keine leidensangepassten Arbeitsplätze auf.
Dieser hält auch für die in den Formularberichten E 213 skizzierten
Anforderungen sowohl bezüglich der dafür verlangten beruflichen und
intellektuellen Voraussetzungen wie auch hinsichtlich des körperlichen
Einsatzes einen breiten Fächer an möglichen Tätigkeiten offen, welche dem
angegebenen Zumutbarkeitsprofil entsprechen: Vermeiden von Arbeit in Nässe und
Kälte, von Tätigkeiten mit häufigem Bücken, mit Heben oder Tragen von
Gegenständen, mit Benutzung von Rampen, Treppen und Leitern, bei Sturzgefahr;
Arbeiten in wechselnder Körperhaltung und ohne besonderen Zeitdruck (Formular E
213 vom 28. August 2008 Ziff. 10.1 und 10.2). Anders würde es sich verhalten,
wenn dem Beschwerdeführer eine zumutbare Tätigkeit nur noch in so
eingeschränkter Form möglich wäre, dass sie der allgemeine Arbeitsmarkt nicht
kennen würde oder dass sie nur unter nicht realistischem Entgegenkommen eines
durchschnittlichen Arbeitgebers möglich wäre, sodass das Finden einer
entsprechenden Stelle von vornherein als ausgeschlossen erschiene (vgl. dazu
BGE 110 V 273 E. 4b S. 276; ZAK 1991 318 E. 3b und 1989 S. 319 E. 4a in fine;
SVR 2008 IV Nr. 62 S. 203, 9C_830/2007 E. 5.1 und 5.2). Davon kann indessen
angesichts der beim Beschwerdeführer bei angepassten Tätigkeiten weitestgehend
erhaltenen Arbeitskraft nicht die Rede sein. Auch in den genannten E
213-Formularen ist ausdrücklich festgehalten, eine angepasste Tätigkeit sei ihm
noch ganztägig zu 100 % zumutbar (Ziff. 11.5 und 11.6) und der gegenwärtige
gesundheitliche Zustand mit Schmerztherapie zu verbessern (Formular E 213 vom
28. August 2008 Ziff. 11.11).

6.4 Was die erneut vorgebrachte Kritik am Bericht des IV-Stellen-Arztes Dr.
med. L.________ vom 21. Juni 2009 anbelangt, hat die Vorinstanz die
Einschätzung einer 50%igen Arbeitsfähigkeit in der angestammten Tätigkeit
bereits im Sinne der Stellungnahme des IV-Stellen-Arztes Dr. med. H.________
vom 21. Juni 2010 auf eine volle Arbeitsunfähigkeit korrigiert. Entgegen dem
Vorbringen des Beschwerdeführers war aber damit die Erwerbseinbusse nicht neu
festzulegen, da keiner ihrer Berechnungsfaktoren betroffen war. Im
Einkommensvergleich haben Vorinstanz und Verwaltung ja im angestammten Beruf
bereits ein volles hypothetisches Einkommen beigezogen (vorinstanzliche E.
5.1.), was hier alleine massgebend ist.

6.5 Zu dem letztinstanzlich neu eingereichten Bericht des Dr. med. O.________
vom 28. Juni 2012 bleibt - soweit es sich überhaupt um ein zulässiges Novum
handelt (Art. 99 BGG) - anzumerken, dass der gerichtliche Überprüfungszeitraum
sich grundsätzlich nur auf den Sachverhalt erstreckt, wie er sich bis zum
Erlass der streitigen Verfügung (hier: 22. September 2009) verwirklicht hat (
BGE 130 V 445 E. 1.2 S. 446). In dem beinahe drei Jahre nach dem Stichdatum
erstellten Bericht abgebildete gesundheitliche Folgeentwicklungen könnten
höchstens Anlass für eine Neuprüfung des Leistungsanspruches in einem neu
aufzunehmenden Verfahren sein, hier indes nicht berücksichtigt werden.

7.
Zusammenfassend ist zum Schluss zu kommen, dass die Vorinstanz ohne Verletzung
des Untersuchungsgrundsatzes in zulässiger antizipierender Beweiswürdigung
(vgl. BGE 137 V 64 E. 5.2 S. 69; 136 I 229 E. 5.3 S. 236) auf weitere
medizinische Abklärungen verzichtet hat. Die auf die massgebenden Berichte
gestützte Annahme einer vollen Arbeitsfähigkeit in orthopädisch angepassten
Tätigkeiten ist nicht offensichtlich unrichtig und daher für das Bundesgericht
verbindlich (E. 1). Dasselbe gilt für die auf dieser Grundlage erfolgte
Berechnung eines Invaliditätsgrades von 24 %.

8.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden dem
unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 65 Abs. 4 lit. a in Verbindung
mit Art. 66 Abs. 1 BGG). Der nach Verrechnung mit dem Kostenvorschuss zu viel
einbezahlte Betrag von Fr. 10.- wird ihm zurückerstattet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Januar 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Schmutz