Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 571/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_571/2012

Urteil vom 29. Oktober 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Schmutz.

Verfahrensbeteiligte
I.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Sebastian Lorentz,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Aargau,
Bahnhofplatz 3C, 5001 Aarau 1 Fächer,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom
31. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
I.________ lebte seit 1. März 2007 getrennt von seiner früheren Ehefrau. Er
betreut seine zwei Kinder (geboren 2001 und 2004) an zwei halben Tagen pro
Woche und während gemeinsamer Wochenenden. Seit dem 1. September 2000 arbeitete
I.________ im Teilpensum (zunächst 70 %, dann 80 %) als
Informatiksachbearbeiter. Am 21. Januar 2010 meldete er sich unter Angabe einer
psychischen Beeinträchtigung aufgrund einer chronifizierten Depression sowie
wegen schneller Ermüdung, Konzentrationsstörungen und Angstzuständen bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle des Kantons Aargau
klärte die medizinischen und wirtschaftlichen Verhältnisse ab. Dazu holte sie
u.a. Berichte der Klinik B.________ (vom 23. August 2007), der Fachärzte FMH
für Psychiatrie und Psychotherapie Dres. med. O.________ (vom 4. April 2010),
und W.________ (vom 1. September 2010), sowie des Regionalen Ärztlichen
Dienstes (RAD) ein. Nach Einschätzung des RAD-Arztes Dr. med. H.________
ergaben sich aufgrund der medizinischen Unterlagen ein depressives Zustandsbild
(Stimmungsschwankungen, Antriebsschwäche) sowie Ängste und Selbstunsicherheit.
Es bestand eine 50%ige Arbeitsfähigkeit in einer eher wohlwollenden, vom Ablauf
her ungefährlichen, von den Leistungserwartungen her nicht zu anspruchsvollen
Arbeitsatmosphäre (Stellungnahme vom 15. September 2010). Die IV-Stelle
ermittelte anhand der gemischten Bemessungsmethode (ausgehend von einem
Erwerbsanteil von 80 % und einer Tätigkeit im Aufgabenbereich von 20 % sowie
einer Erwerbsunfähigkeit von 46,98 % und einer Behinderung im Aufgabenbereich
von 0 %) einen Invaliditätsgrad von 38 %. Mit Vorbescheid vom 28. Februar 2011
und Verfügung vom 23. Mai 2011 lehnte sie einen Rentenanspruch ab, da der
notwendige Invaliditätsgrad von 40 % nicht erreicht sei.

B.
Die von I.________ eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des
Kantons Aargau mit Entscheid vom 31. Mai 2012 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt I.________
beantragen, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben; es sei ihm eine halbe
Invalidenrente zuzusprechen; eventualiter sei die Sache zur ergänzenden
Sachverhaltsabklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.
Der Beurteilung von Beschwerden in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art.
82 ff. BGG) liegt der Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat
(Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesen kann das Bundesgericht von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn er offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl.
auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Zu den Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95 lit. a
BGG gehören auch die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen
Tatsachen und die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes als einer
wesentlichen Verfahrensvorschrift (Urteil 9C_53/2008 vom 18. Februar 2009 E.
1.3 mit Hinweisen).

2.
Streitig und zu prüfen ist der Anspruch auf eine Invalidenrente. Das kantonale
Gericht hat die massgeblichen Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Es
betrifft dies insbesondere die Bestimmungen und Grundsätze zur Beurteilung der
Statusfrage und damit zur anwendbaren Invaliditätsbemessungsmethode (bei
erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode [Art. 28a Abs.
1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG]; bei nichterwerbstätigen Versicherten
nach der spezifischen Methode [Betätigungsvergleich; Art. 28a Abs. 2 IVG in
Verbindung mit Art. 27 IVV]; bei teilerwerbstätigen Versicherten nach der
gemischten Methode [Art. 28a Abs. 3 IVG und Art. 27bis IVV in Verbindung mit
Art. 28a Abs. 1 und 2 IVG, Art. 16 ATSG und Art. 27 IVV]). Darauf wird
verwiesen.

3.
3.1 Für die Vorinstanz war mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass
der Versicherte bei intakter Gesundheit zu 80 % erwerbstätig und zu 20 % in der
Kinderbetreuung beschäftigt wäre. Der Beschwerdeführer habe bei der Anmeldung
zum Leistungsbezug angegeben, er habe als Informatiksachbearbeiter während der
letzten drei Jahre in einem wegen der Kinderbetreuung reduzierten Pensum von 80
% gearbeitet. Im Erstgespräch betreffend Frühintegration habe er am 3. März
2010 bestätigt, bisher nur teilweise ausserhäuslich tätig gewesen zu sein und
das Pensum wegen der Kleinkinder reduziert zu haben. Weiter habe er ausgeführt,
er würde auch im Gesundheitsfall eine ausserhäusliche Tätigkeit in einem Pensum
von 80 % ausüben. Mit Schreiben vom 6. Januar 2011 sei er nochmals aufgefordert
worden, darzulegen, warum er bisher in einem 80-%-Pensum tätig gewesen sei. Er
habe daraufhin mit Schreiben vom 17. Januar 2011 geltend gemacht, aus
gesundheitlichen Gründen ein reduziertes Pensum ausgeübt zu haben, aber dennoch
gleichzeitig angefügt, dass die Betreuung der Kinder von Anfang an zu 20 % ihm
und zu 80 % seiner Frau zugekommen sei, da diese weiterhin teilweise arbeiten
wolle. Erst im Einwandschreiben vom 11. April 2011 habe er vorbringen lassen,
dass er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung zu 100 % ausserhäuslich tätig
wäre. Gestützt darauf befand die Vorinstanz, den Angaben, die vor dem
ablehnenden Vorbescheid gemacht worden seien, komme grösseres Gewicht zu als
jenen, die bewusst oder unbewusst von nachträglichen Überlegungen
versicherungsrechtlicher oder anderer Art beeinflusst worden sein könnten
("Aussagen der ersten Stunde"; BGE 121 V 45 E. 1a S. 47).

3.2 Die Vorinstanz hat den rechtserheblichen Sachverhalt korrekt festgestellt
und gewürdigt und so für das Bundesgericht verbindlich erkannt (E. 1), dass der
zur Invaliditätsbemessung massgebliche Status des Beschwerdeführers derjenige
eines Teilerwerbstätigen ist. Somit ist die gemischte Bemessungsmethode
anzuwenden (E. 2). Was der Versicherte dagegen vorbringt, dokumentiert eine
unhaltbare Beweiswürdigung nicht. So konkretisiert er nicht, warum der
kantonale Entscheid aufzuheben wäre, weil er dem Anspruch auf rechtliches Gehör
und den Anforderungen des ATSG (Art. 61 lit. h) nicht genüge. Zwar trifft zu,
dass das der Vorinstanz eingereichte Schreiben der früheren Ehefrau vom 7. Juni
2011 im angefochtenen Entscheid nicht erwähnt ist. Diese handelte jedoch laut
Betreff ausdrücklich bezogen auf die anspruchsabweisende Verfügung. Schon
deshalb sind ihre Aussagen nur beschränkt beweiskräftig (vgl. E. 3.1). Wie die
Vorinstanz richtig feststellte, ist eine längere Arbeitsunfähigkeit erstmals ab
dem 20. Juni 2007 ausgewiesen. In den Akten finden sich keine Hinweise auf
Einschränkungen im Aufgabenbereich. Was der Beschwerdeführer zum Fehlen
entsprechender Abklärungen vorbringt, ist nicht hilfreich, denn die Vorinstanz
hat deren Unterlassen korrekt begründet: Der Beschwerdeführer hat
Einschränkungen im Aufgabenbereich nie geltend gemacht, sie waren nie
umstritten, und es bestanden dafür keine Indizien. Somit gab (und gibt [vgl.
Eventualbegehren]) es in diesem Punkt keinen Anlass zu Weiterungen. Der Vorwurf
einer überspitzt formalistischen und restriktiven Durchsetzung sowie
Überstrapazierung des Rügeprinzips ist unbegründet.

3.3 Nach dem Gesagten ist nicht ersichtlich, dass die vorinstanzliche
Beweiswürdigung oder die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen
offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich sein oder auf einer Rechtsverletzung
beruhen sollten. Sie sind daher für das Bundesgericht verbindlich (E. 1).

4.
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer als unterliegender Partei
auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. Oktober 2012

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Schmutz