Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 567/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

9C_567/2012 {T 0/2}

Urteil vom 10. Januar 2013
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Felix Barmettler,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Schwyz,
Rubiswilstrasse 8, 6438 Ibach,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz
vom 16. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1956 geborene S.________ ersuchte im Mai 2008 um eine Rente der
Invalidenversicherung. Nach Abklärungen und Durchführung des
Vorbescheidverfahrens ermittelte die IV-Stelle Schwyz einen Invaliditätsgrad
von 42 % und sprach der Versicherten folglich mit Verfügung vom 8. November
2011 eine Viertelsrente ab 1. Dezember 2008 zu. Dabei wies sie explizit darauf
hin, dass sie abweichend von einem ersten Vorbescheid für die
Invaliditätsbemessung nicht die gemischte Methode, sondern die allgemeine des
Einkommensvergleichs anwende.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
mit Entscheid vom 16. Mai 2012 ab.

C.
S.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
beantragen, die Dispositiv-Ziffern 1, 2 und 4 des Entscheids vom 16. Mai 2012
seien aufzuheben und die Sache sei zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen; eventuell sei ihr mit Wirkung ab 1. Dezember 2008 eine halbe
Invalidenrente auszurichten.

Die IV-Stelle, das kantonale Gericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen
verzichten auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1.
1.1 Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter
anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2 Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann
eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E. 1.2 S. 252 mit Hinweisen).

2.
2.1 Es steht fest und ist unbestritten, dass die Versicherte in ihrer
bisherigen, nach verbindlicher (E. 1.1) vorinstanzlicher Feststellung ihrem
Leiden "geradezu ideal angepassten" Tätigkeit als (selbstständige) Kosmetikerin
nur noch zu 50 % arbeitsfähig ist. Unbestritten ist auch der Zeitpunkt des
Rentenbeginns (vgl. Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG). Streitig und zu prüfen ist
lediglich die Frage nach dem Erwerbsstatus, d.h. ob für die
Invaliditätsbemessung die allgemeine oder die gemischte Methode anzuwenden ist.
2.2
2.2.1 Ob eine versicherte Person als ganztägig oder zeitweilig erwerbstätig
oder als nichterwerbstätig einzustufen ist, ergibt sich aus der Prüfung, was
sie bei im Übrigen unveränderten Umständen täte, wenn keine gesundheitliche
Beeinträchtigung bestünde. Entscheidend ist somit nicht, welches Ausmass der
Erwerbstätigkeit der versicherten Person im Gesundheitsfall zugemutet werden
könnte, sondern in welchem Pensum sie hypothetisch erwerbstätig wäre (BGE 133 V
504 E. 3.3 S. 507; Urteil 9C_49/2008 vom 28. Juli 2008 E. 3.3; je mit
Hinweisen). Bei im Haushalt tätigen Versicherten im Besonderen sind die
persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse ebenso wie
allfällige Erziehungs- und Betreuungsaufgaben gegenüber Kindern, das Alter, die
beruflichen Fähigkeiten und die Ausbildung sowie die persönlichen Neigungen und
Begabungen zu berücksichtigen. Die Statusfrage beurteilt sich praxisgemäss nach
den Verhältnissen, wie sie sich bis zum Erlass der Verwaltungsverfügung
entwickelt haben, wobei für die hypothetische Annahme einer im Gesundheitsfall
ausgeübten (Teil-)Erwerbstätigkeit der im Sozialversicherungsrecht übliche
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erforderlich ist (BGE 130 V 393
E. 3.3 S. 396; 125 V 146 E. 2c S. 150 mit Hinweisen; Urteil 9C_406/2011 vom 9.
Juli 2012 E. 5.1).
2.2.2 Die Invalidität bestimmt sich in der Folge dadurch, dass im
Erwerbsbereich ein Einkommens- und im Aufgabenbereich ein Betätigungsvergleich
vorgenommen wird (vgl. Art. 28a Abs. 1 und 2 IVG). Bei Teilerwerbstätigkeit
ergibt sich die Invalidität unter Anwendung der gemischten Methode aus der
Addierung der in beiden Bereichen ermittelten und gewichteten Teilinvaliditäten
(vgl. Art. 28a Abs. 3 IVG; BGE 130 V 393 E. 3.3 S. 396; Urteil 9C_406/2011 vom
9. Juli 2012 E. 5.2).
2.2.3 Die auf eine Würdigung konkreter Umstände gestützte Festsetzung des
hypothetischen Umfanges der Erwerbstätigkeit ist eine Tatfrage, welche das
Bundesgericht nur in den genannten Schranken (E. 1.1) überprüft. Eine
Rechtsfrage läge nur vor, wenn die Festlegung des Umfangs der Erwerbstätigkeit
im Gesundheitsfall ausschliesslich gestützt auf die allgemeine Lebenserfahrung
erfolgt wäre (Urteile I 708/06 vom 23. November 2006 E. 3.2; 9C_686/2008 vom 4.
November 2008 E. 4.1; 9C_709/2009 vom 14. Dezember 2009 E. 3.2), was hier nicht
zutrifft.

3.
3.1 Was den erwerblichen Bereich anbelangt, hat die Vorinstanz den
Invaliditätsgrad (Art. 28a Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 16 ATSG [SR
830.1]) ausgehend von einem vollen Arbeitspensum und entsprechend der
Arbeitsfähigkeit mittels eines Prozentvergleichs (vgl. Urteil 9C_882/2010 vom
25. Januar 2011 mit Hinweisen) auf 50 % festgelegt. In Bezug auf den
Haushaltsbereich hat sie gestützt auf den Abklärungsbericht Haushalt vom 30.
Juni 2011 festgestellt, es bestehe keine Einschränkung (vgl. Art. 28a Abs. 2
IVG).

Unter Verweis auf den Abklärungsbericht für Selbstständigerwerbende vom 27. Mai
2011 hat das kantonale Gericht festgestellt, die Beschwerdeführerin sei bei
Rentenbeginn im Dezember 2008 zu 90 % als selbstständigerwerbende Kosmetikerin
und nebenbei zu 10 % im Haushalt tätig gewesen. Sie hat daher die gemischte
Methode für anwendbar gehalten (vgl. Art. 28a Abs. 3 IVG) und den erwerblichen
Invaliditätsgrad entsprechend gewichtet. Bei einer insgesamt resultierenden
Einschränkung von 45 % hat sie den Anspruch auf eine Viertelsrente bestätigt.
3.2
3.2.1 Selbst wenn die vorinstanzliche Feststellung betreffend die Tätigkeit bei
Rentenbeginn für das Bundesgericht verbindlich wäre (E. 1.1), könnte sie nicht
massgeblich sein für die Beantwortung der Frage nach dem Erwerbsstatus:
Entscheidend ist nicht, welche Betätigung bei Rentenbeginn tatsächlich ausgeübt
wurde, sondern in welchem Pensum die Versicherte ohne gesundheitliche
Beeinträchtigung nach der Entwicklung der Verhältnisse bis zum Erlass der
Rentenverfügung - hier im November 2011 - erwerbstätig gewesen wäre (E. 2.2.1).
Diesbezüglich hat das kantonale Gericht keine Feststellung getroffen. Der
Sachverhalt lässt sich indessen ergänzen (E. 1.1).

Soweit mit den vorinstanzlichen Erwägungen implizite festgestellt werden
sollte, dass die Versicherte im massgeblichen Zeitpunkt hypothetisch im Umfang
von 90 % erwerbstätig gewesen wäre, wäre diese Feststellung für das
Bundesgericht nicht verbindlich (E. 1.1): Sie würde auf einer Rechtsverletzung
beruhen in dem Sinn, als mit dem Abklärungsbericht für Selbstständigerwerbende
vom 27. Mai 2011 und dem Abklärungsbericht Haushalt vom 30. Juni 2011 zwei
widersprüchliche Einschätzungen der Statusfrage vorliegen, die das kantonale
Gericht indessen keiner (erkennbaren) Beweiswürdigung unterzogen hat (vgl. Art.
61 lit. h ATSG; BGE 133 III 439 E. 3.3 S. 445; 125 V 351 E. 3a S. 352). Auch in
diesem Fall ist eine Sachverhaltsergänzung durch das Bundesgericht angezeigt.
3.2.2 Die Versicherte ist alleinerziehende Mutter einer im April 1997 geborenen
Tochter. Dem Abklärungsbericht für Selbstständigerwerbende vom 27. Mai 2011
lässt sich entnehmen, dass ihr Arbeitspensum seit Gründung des Kosmetikstudios
im Jahr 1986 zwischen 50 und 80 % variierte, dass sich der Kosmetiksalon in
einem Zimmer auf der gleichen Etage wie die Wohnung befindet und dass sie ohne
gesundheitliche Beeinträchtigung ab dem elften Lebensjahr der Tochter (2008) im
Umfang von 80 bis 100 % erwerbstätig wäre. Die IV-Stelle hielt diesen Bericht
nicht für eine zuverlässige Grundlage zur Beantwortung der Statusfrage, weshalb
sie explizit zu deren Klärung weitere Ermittlungen veranlasste. Aus dem
Abklärungsbericht Haushalt vom 30. Juni 2011 geht hervor, dass die Versicherte
wünschte, "nicht dauernd am unteren Limit leben zu müssen" und ein Einkommen
von monatlich rund Fr. 4'500.- erzielen zu können. Dass sie unter den gegebenen
Umständen vollzeitig erwerbstätig wäre, erschien der Abklärungsperson
nachvollziehbar. Angesichts dieser Verhältnisse, insbesondere des Alters der
Tochter, die im massgeblichen Zeitpunkt bereits 14 Jahre und 7 Monate alt war,
der räumlichen Nähe des Wohn- und Arbeitsortes und der Flexibilität bei der
Einteilung der Arbeitszeit ist anzunehmen, dass die Versicherte ohne
gesundheitliche Beeinträchtigung seit Erlass der Rentenverfügung in einem
vollen Pensum erwerbstätig wäre.

3.3 Nach dem Gesagten ist die Invalidität nach der allgemeinen Methode zu
bemessen. Es besteht keine Veranlassung, von dem von der Vorinstanz für den
erwerblichen Bereich auf 50 % festgelegten (E. 3.1) Invaliditätsgrad
abzuweichen. Die Beschwerde ist begründet; die Versicherte hat Anspruch auf
eine halbe Invalidenrente (Art. 28 Abs. 2 IVG).

4.
4.1 Bei diesem Ergebnis gibt es keinen Grund für die beantragte Rückweisung der
Sache an die Vorinstanz zwecks Anhörung der Parteien (Art. 29 Abs. 2 BV); das
Bundesgericht entscheidet reformatorisch (Art. 107 Abs. 2 BGG; ULRICH MEYER/
JOHANNA DORMANN, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N.
3 zu Art. 107 BGG).

4.2 Die - mangels eines schutzwürdigen Interesses (vgl. Art. 89 Abs. 1 lit. c
BGG) - nicht angefochtene Dispositiv-Ziffer 3 des vorinstanzlichen Entscheides
betrifft die Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung und die Entschädigung
des gerichtlich bestellten Rechtsbeistandes. Insbesondere Letzteres steht in
engem Zusammenhang mit den Parteikosten des vorinstanzlichen Verfahrens und
deren Verlegung, worüber das Bundesgericht - in Abweichung von Art. 107 Abs. 1
BGG - von Amtes wegen entscheidet (Art. 68 Abs. 5 BGG; THOMAS GEISER, in:
Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 24 zu Art. 68 BGG und
N. 6 zu Art. 67 BGG).

5.
Gemäss dem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten
zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die obsiegende Beschwerdeführerin hat Anspruch
auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Schwyz vom 16. Mai 2012, soweit er nicht die unentgeltliche
Verbeiständung im Grundsatz betrifft, und die Verfügung der IV-Stelle Schwyz
vom 8. November 2011 werden aufgehoben. Die Beschwerdegegnerin hat der
Beschwerdeführerin ab 1. Dezember 2008 eine halbe Invalidenrente auszurichten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Anwalt der Beschwerdeführerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz
zurückgewiesen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 10. Januar 2013

Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Die Gerichtsschreiberin: Dormann