Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 555/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
9C_555/2012

Urteil vom 25. Juli 2013

II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Kernen, Präsident,
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber,
Gerichtsschreiber Traub.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdeführerin,

gegen

T.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Gemperli,
Beschwerdegegnerin,

GastroSocial Pensionskasse, Bahnhofstrasse 86, 5000 Aarau.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungs-gerichts des Kantons St.
Gallen vom 24. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
Die 1967 geborene T.________, Mutter von zwei 1988 und 1989 geborenen Kindern,
seit 1995 in der Schweiz wohnhaft und zuletzt als Officemitarbeiterin tätig
gewesen, meldete sich am 8. März 2006 bei der Invalidenversicherung zum
Leistungsbezug an (Berufsberatung und Rente). Die IV-Stelle des Kantons St.
Gallen klärte den medizinischen und erwerblichen Sachverhalt ab. Dabei holte
sie insbesondere eine bidisziplinäre (rheumatologisch-psychiatrische) Expertise
des Medizinischen Abklärungszentrums X.________ vom 18. Oktober 2007 und dessen
ergänzende Stellungnahme vom 6. Januar 2008 ein. Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens sprach die IV-Stelle T.________ ausgehend von einem
Invaliditätsgrad von 50 % mit Wirkung ab Februar 2006 eine halbe Invalidenrente
zu (Verfügung vom 16. Juli 2008).

Aufgrund einer Meldung, dass die Versicherte als Tagesmutter arbeite und zu
Unrecht Leistungen beziehe, sowie von zwei weiteren im September 2009
eingegangenen Anzeigen betreffend Tätigkeiten in zwei Bäckereien liess die
Verwaltung ihren Regionalen Ärztlichen Dienst (RAD) Stellung nehmen und die
Versicherte daraufhin durch eine Detektei überwachen (Ermittlungsberichte vom
8. September und 14. Oktober 2009). Nach weiteren Abklärungen, unter anderem
der Einholung eines Fragebogens zur Rentenrevision und einer
Arbeitgeberbescheinigung, nach einem Standortgespräch sowie dem Eingang eines
Gutachtens des Medizinischen Abklärungszentrums Z.________ vom 6. Januar 2011
sowie nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens hob die IV-Stelle die
Invalidenrente mit Verfügung vom 29. April 2011 auf. Zur Begründung führte die
Verwaltung aus, nach Observation und neuer Begutachtung lägen Beweismittel vor,
aufgrund derer auch rückwirkend eine neue Beurteilung der Invalidität angezeigt
sei. Es sei davon auszugehen, dass sowohl in der angestammten als auch in einer
angepassten Tätigkeit nie eine relevante Einschränkung bestanden habe.

B.
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen hiess die gegen die Verfügung
vom 29. April 2011 erhobene Beschwerde gut (Entscheid vom 24. Mai 2012).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt die
IV-Stelle, der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und ihre Verfügung vom
29. April 2011 zu bestätigen. Eventuell sei die strittige Verfügung insofern
anzupassen, als die IV-Rente der Beschwerdegegnerin per 1. Juli 2009 aufgehoben
werde.

T.________ beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Das Bundesamt für
Sozialversicherungen (BSV) und die beigeladene Pensionskasse GastroSocial
schliessen auf Gutheissung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.

1.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die IV-Stelle den Anspruch der Versicherten
auf eine halbe Rente zu Recht aufgehoben hat.

1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die
Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Verletzung u.a. von Bundesrecht
beruht (Art. 95 lit. a, Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Das
Bundesgericht legt seiner Urteilsfindung die vorinstanzlichen Feststellungen
zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der versicherten Person
zugrunde, soweit sie auf Beweiswürdigung im konkreten Fall beruhen (vgl. BGE
132 V 393 E. 3.2 S. 397).

2.

2.1. In ihrer Verfügung vom 16. Juli 2008 hatte die Verwaltung der
Beschwerdegegnerin mit Wirkung ab Februar 2006 eine halbe Invalidenrente
zugesprochen. Dabei stützte sie sich auf das bidisziplinäre,
rheumatologisch-psychiatrische Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums
X.________ vom 18. Oktober 2007/6. Januar 2008. Die Sachverständigen
diagnostizierten damals eine (letztlich) mittelgradige depressive Episode
(ICD-10 F32.1) nebst einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (ICD-10
F45.4) sowie einem chronischen lumbospondylogenen Syndrom links (ICD-10 M54.4).
Gemäss dem psychiatrischen Teilgutachter war die Fähigkeit der Versicherten,
die zumutbare Willensanstrengung zur Überwindung der Schmerzen aufzubringen,
infolge der Komorbidität von Schmerzstörung und depressivem Leiden erheblich
eingeschränkt, was bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit zu berücksichtigen
sei. Die medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit betrage sowohl in der
angestammten Tätigkeit (Küchen- und Officebereich eines Restaurants) wie auch
in anderen angepassten Arbeiten 50 Prozent. Bestimmend für diese Einschränkung
sei die depressive Symptomatik; allein aus rheumatologischer Sicht sei die
Versicherte in leichten und wechselbelastenden Arbeiten zu 30 Prozent
arbeitsunfähig.

2.2. Die strittige Verfügung vom 29. April 2011 (Aufhebung der bisherigen
halben Invalidenrente) stellt - hinsichtlich der bei der Rentenzusprechung im
Sommer 2008 gegebenen Verhältnisse - auf das Gutachten des Medizinischen
Abklärungszentrums Z.________ vom 6. Januar 2011 ab. Dem neuen Gutachten liegen
neben den üblichen Elementen (medizinische Akten, eigene Untersuchung) auch die
Ergebnisse einer von der Beschwerdeführerin veranlassten Observation zugrunde.
Die Administrativgutachter kommen nunmehr zum Schluss, bei der
Beschwerdegegnerin finde sich ein chronisches lumbospondylogenes Syndrom,
welches die Leistungsfähigkeit in leichten und wechselbelastenden Arbeiten
nicht einschränke. Nach heutigem Stand der Erkenntnis habe aus psychiatrischer
Sicht wahrscheinlich nie eine relevante Arbeitsunfähigkeit bestanden. Es müsse
aber klar festgehalten werden, dass die frühere gutachtliche Beurteilung nach
dem damaligen Wissensstand nicht als offensichtlich falsch bezeichnet werden
könne. Zu berücksichtigen sei auch, dass von der Vorbegutachtung bis zur
Observation mehr als zwei Jahre vergangen seien.

2.3. Die Vorinstanz hat die Aufhebungsverfügung der IV-Stelle unter dem Titel
der prozessualen Revision überprüft.

2.3.1. Gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen und
Einspracheentscheide in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person
oder der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen
entdeckt oder Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich
war. Solche neuen Tatsachen oder Beweismittel sind innert 90 Tagen nach ihrer
Entdeckung geltend zu machen; zudem besteht eine absolute zehnjährige Frist,
die mit der Eröffnung der Verfügung zu laufen beginnt (Art. 67 Abs. 1 VwVG in
Verbindung mit Art. 55 Abs. 1 ATSG; SVR 2012 UV Nr. 17 S. 63, 8C_434/2011 E. 3
mit Hinweisen). Ergeben sich aus den neu entdeckten Tatsachen und Beweismitteln
(lediglich) gewichtige Indizien für das Vorliegen eines prozessualen
Revisionsgrundes, sind innert angemessener Frist zusätzliche Abklärungen
vorzunehmen, um diesbezüglich hinreichende Sicherheit zu erhalten. In solchen
Fällen beginnt die relative 90-tägige Revisionsfrist erst zu laufen, wenn die
Unterlagen die Prüfung der Erheblichkeit des geltend gemachten Revisionsgrundes
erlauben oder, bei Säumnis, in dem Zeitpunkt, in welchem der
Versicherungsträger den unvollständigen Sachverhalt zumutbarerweise hätte
hinreichend ergänzen können (SVR 2012 IV Nr. 36 S. 140, 9C_896/2011 vom 31.
Januar 2012 E. 4.2 mit Hinweisen; SVR 2012 UV Nr. 17 S. 63, 8C_434/2011 vom 8.
Dezember 2011 E. 4.2; Urteil 8C_694/2012 vom 25. Januar 2013 E. 3.1.2).

2.3.2. Ein Observationsbericht bildet für sich allein keine sichere Grundlage
für Sachverhaltsfeststellungen betreffend den Gesundheitszustand und die
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person. Er kann diesbezüglich höchstens
Anhaltspunkte liefern oder Anlass zu Vermutungen geben. Sichere Kenntnis des
Sachverhalts vermitteln kann in dieser Hinsicht erst die ärztliche Beurteilung
des Observationsmaterials (vgl. BGE 8C_272/2011 vom 11. November 2011 E. 7.1
mit Hinweisen). Die relative 90-tägige Revisionsfrist beginnt somit
grundsätzlich erst zu laufen, wenn diese ärztliche Beurteilung vorliegt. Die
Verwaltung hat die erforderlichen medizinischen Abklärungen innert angemessener
Frist durchzuführen. Sie ist gehalten, die zusätzlichen medizinischen
Abklärungen mit dem erforderlichen und zumutbaren Einsatz zügig voranzutreiben.
Tut sie dies nicht, darf sich ihre Säumnis nicht zu ihren Gunsten und
zuungunsten der versicherten Person auswirken. In einem solchen Fall ist der
Beginn der relativen 90-tägigen Frist vielmehr auf den Zeitpunkt festzusetzen,
zu welchem die Verwaltung den Sachverhalt zumutbarerweise hätte ergänzen können
(SVR 2012 UV Nr. 17 S. 63, 8C_434/2011 E. 4.2 mit Hinweis und E. 6.2).

Mit Blick auf das Folgende kann offen bleiben, ob die Entdeckung neuer
Tatsachen rechtzeitig geltend gemacht worden wäre (vgl. Urteil 9C_491/2012 vom
22. Mai 2013 E. 4.1).

2.4.

2.4.1. Das kantonale Gericht schloss, das Observationsmaterial
(Ermittlungsberichte vom 8. September und 14. Oktober 2009) und das neue
Gutachten erfüllten nicht die Voraussetzungen des Art. 53 Abs. 1 ATSG. Selbst
wenn der neuen gutachterlichen Einschätzung (keine Depression und keine
Schmerzkrankheit, keine Arbeitsunfähigkeit) insgesamt gefolgt werde, sei die
Feststellung, eine Depression habe auch früher gefehlt, nicht ohne Weiteres
schlüssig (E. 7.4 des angefochtenen Entscheids). Ein Vergleich der beiden
Expertisen deute darauf hin, dass sich der psychische Status zwischenzeitlich
verändert habe. Sollte ursprünglich eine unzutreffende Würdigung der
Arbeitsfähigkeit der Versicherten erfolgt sein, so genügte dies nicht für eine
prozessuale Revision (E. 7.7). Aus dem Umstand, dass die Versicherte
teilzeitlich zu arbeiten begonnen habe, könne nicht abgeleitet werden, dass ihr
zur Zeit der ursprünglichen Verfügung eine rentenausschliessende Tätigkeit
zuzumuten gewesen wäre (E. 7.8). Sei somit nicht mit der erforderlichen
Wahrscheinlichkeit ausgewiesen, dass damals keine Arbeitsunfähigkeit vorgelegen
habe und die rentenzusprechende Verfügung unrichtig gewesen sei, rechtfertige
sich deren prozessuale Revision nicht. Die angefochtene Verfügung sei ersatzlos
aufzuheben, womit die leistungszusprechende Verfügung vom 16. Juli 2008 wieder
auflebe (E. 7.9).

2.4.2. Die Vorinstanz begründete diesen Entscheid damit, der rheumatologische
Teilgutachter von 2007 habe augenfällige Inkonsistenzen, Vermeidungsverhalten
und Diskrepanzen zwischen geklagten Beschwerden und objektiven Befunden
registriert und deshalb die Arbeitsfähigkeit anhand eines Vergleichs mit Fällen
eingeschätzt, bei denen ähnliche strukturelle Veränderungen gegeben seien.
Gestützt darauf habe er eine medizinisch-theoretische Einschränkung von 30
Prozent (wegen Bedarfs an Kurzpausen und leicht verlangsamtem Arbeitstempo)
angegeben (E. 4.1 des angefochtenen Entscheids). Das kantonale Gericht erwog,
die im Gutachten des Medizinischen Abklärungszentrums Z.________
hervorgehobenen Diskrepanzen stellten somit keine neue Erkenntnis dar (E. 7.1).

2.4.3. Die vorinstanzliche Annahme, dass die zur Begründung einer prozessualen
Revision angerufenen Dokumente hinsichtlich der gesundheitlichen Verhältnisse
im Zeitpunkt der Rentenzusprechung nicht beweisend seien, wird auch durch die
damalige psychiatrische Einordnung von Inkonsistenzen und Vermeidungsverhalten
untermauert: Danach waren diese weniger auf eine Aggravation als auf das
depressive Leiden und die Schmerzstörung zurückzuführen. Diese Aussage
begründete der Psychiater des Medizinischen Abklärungszentrums X.________
wiederum nachvollziehbar damit, gegen die Annahme einer selbstbestimmten
Steuerbarkeit der Beschwerde spreche beispielsweise, dass sich die Versicherte
nicht nur "von den unangenehmen und fordernden Aspekten des Lebens wie Haushalt
und Beruf zurückgezogen" habe, sondern auf alle Aktivitäten weitgehend
verzichte (E. 4.2). Der erstbegutachtende Psychiater habe die Frage, ob
Aggravation und ein subjektiver Krankheitsgewinn vorlägen, ferner unter Hinweis
auf die Konstanz der Angaben der Versicherten und ihre Bereitschaft, sich einer
adäquaten Behandlung zu unterziehen, verneint (E. 7.2).

2.5. Die angeführten Aspekte zeigen, dass die Vorinstanz zu Recht davon
ausgegangen ist, dass die Unterschiede in den durch die beiden Gutachten
dokumentierten Verhältnissen eine Änderung des anspruchserheblichen
Gesundheitszustandes nahelegen. Die Feststellungen im Gutachten des
Medizinischen Abklärungszentrums Z.________ vom 6. Januar 2011 und die
Ergebnisse der Observation erlauben somit keine ausreichenden Rückschlüsse auf
den Sachverhalt im Zeitpunkt der ursprünglichen Verfügung vom 16. Juli 2008.
Folglich scheidet eine prozessuale Revision aus.

3.
Die beschwerdeführende IV-Stelle wie auch das BSV und die beigeladene
Pensionskasse Gastrosuisse rügen, die Vorinstanz habe nicht geprüft, ob die
Rentenaufhebung mit der substituierten Begründung der Wiedererwägung zu
schützen sei. Damit habe sie Bundesrecht verletzt.

3.1. Unabhängig von einem materiellen Revisionsgrund kann der
Versicherungsträger nach Art. 53 Abs. 2 ATSG wiedererwägungsweise auf formell
rechtskräftige Verfügungen oder Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese
zweifellos unrichtig sind und ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist.
Wird die zweifellose Unrichtigkeit der ursprünglichen Rentenverfügung erst vom
Gericht festgestellt, kann dieses ein (zu Unrecht) auf Art. 17 ATSG gestütztes
Rückkommen mit dieser substituierten Begründung schützen (BGE 125 V 368 E. 2 S.
369; SVR 2011 IV Nr. 20 S. 53, 9C_303/2010 E. 4). Vorausgesetzt ist wie immer
bei der Wiedererwägung, dass kein vernünftiger Zweifel an der Unrichtigkeit der
Verfügung möglich, also nur dieser einzige Schluss denkbar ist (SVR 2010 IV Nr.
5 S. 10, 8C_1012/2008 E. 4.1; Urteile 9C_587/2010 vom 29. Oktober 2010 E. 3.3.1
und 9C_575/2007 vom 18. Oktober 2007 E. 2.2). Dieses Erfordernis ist in der
Regel erfüllt, wenn eine Leistungszusprechung aufgrund falscher Rechtsregeln
erfolgt ist oder wenn massgebliche Bestimmungen nicht oder unrichtig angewandt
wurden. Erscheint indessen die Beurteilung einzelner ermessensgeprägter
Schritte der Anspruchsprüfung vor dem Hintergrund der Sach- und Rechtslage
einschliesslich der Rechtspraxis im Zeitpunkt der rechtskräftigen
Leistungszusprechung (BGE 125 V 383 E. 3 S. 389) als vertretbar, scheidet die
Annahme zweifelloser Unrichtigkeit aus (vgl. Urteile 9C_621/2010 vom 22.
Dezember 2010 E. 2.2 und I 222/02 vom 19. Dezember 2002 E. 3.2).

3.2.

3.2.1. Nach dem Gesagten kann eine Invalidenrente nicht gestützt auf eine
voraussetzungslose Neubeurteilung der invaliditätsmässigen Voraussetzungen
wiedererwägungsweise herabgesetzt werden (Urteil 9C_114/2008 vom 30. April 2008
E. 2.1). Im Hinblick auf die notwendige Unterscheidung einer bloss abweichenden
Beurteilung von der tatsächlich eingetretenen Veränderung ist zu
berücksichtigen, dass bei psychiatrischen Beurteilungen praktisch immer ein
Spielraum besteht, innerhalb dessen verschiedene medizinische Interpretationen
möglich, zulässig und zu respektieren sind, sofern der Experte lege artis
vorgegangen ist (vgl. dazu die Leitlinien der Schweizerischen Gesellschaft für
Versicherungspsychiatrie für die Begutachtung psychischer Störungen, in: SAeZ
2004 S. 1050 f.).

3.2.2. Auch unter Berücksichtigung der spezifischen Rechtsprechung zur
Invalidität bei psychosomatischen Leiden (BGE 131 V 49; 130 V 352; vgl. auch
BGE 136 V 279 und 132 V 65) war es zumindest vertretbar, dass die IV-Stelle in
der Verfügung vom 16. Juli 2008 dem Gutachten des Medizinischen
Abklärungszentrums X.________ vom 18. Oktober 2007/6. Januar 2008 gefolgt ist:
Der psychiatrische Sachverständige hatte unter anderem dargelegt, die
geschilderten Funktionsbeeinträchtigungen führten zu grossen Einschränkungen in
den Aktivitäten des täglichen Lebens; die Versicherte sei bereit, sich einer
adäquaten Behandlung zu unterziehen; während einer stationären Behandlung sei
ihr eine gute Mitarbeit attestiert worden; die Erkrankung habe zu einem
wesentlichen Verlust ihrer bisherigen Lebensqualität geführt; bestehende
Verdeutlichungstendenzen seien auf das depressive Leiden und die Schmerzstörung
zurückzuführen. Weiter hielten die Gutachter fest, das Fehlen von Ressourcen,
die Komorbidität des depressiven Leidens mit einer somatoformen Schmerzstörung
sowie der lange Krankheitsverlauf mit tendenzieller Befundverschlechterung
trotz teilweise aufwendiger Therapieverfahren führten zu einer ungünstigen
Prognose. Angesichts dieser gutachterlichen Feststellungen (zu den dafür
massgebenden Kriterien BGE 131 V 49 S. 50) erscheint die damalige Zusprechung
einer halben Invalidenrente nicht zweifellos unrichtig; weder beruhte die
Verfügung vom 16. Juli 2008 auf einem offenkundig nicht beweistauglichen
Gutachten noch setzte die Verwaltung dessen Schlussfolgerungen offensichtlich
unzutreffend um.

4.

4.1. Im bisherigen Verfahren wurde nicht geprüft, ob, wie die
beschwerdeführende Verwaltung letztinstanzlich eventualiter geltend macht, sich
der Gesundheitszustand der Beschwerdegegnerin seit der letzten rechtskräftigen,
auf einer rechtskonformen Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und
Durchführung eines Einkommensvergleichs beruhenden Verfügung (hier vom 16. Juli
2008) leistungswirksam verbessert hat (materielle Revision; Art. 17 Abs. 1
ATSG; vgl. auch Art. 87 ff. IVV; BGE 133 V 108). Ein Vergleich zwischen den
Feststellungen der Sachverständigen des Medizinischen Abklärungszentrums
X.________ (2007/08) und denjenigen des Medizinischen Abklärungszentrums
Z.________ (2011) legt nahe, dass Letztere nicht bloss eine abweichende
medizinische oder rechtliche Einschätzung von im Wesentlichen unveränderten
tatsächlichen Verhältnissen vornahmen (vgl. dazu BGE 115 V 308 E. 4a/bb S. 313;
SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81, 9C_418/2010 E. 4.1; SVR 2004 IV Nr. 5 S. 13, I 574/02
E. 2). So weisen die Gutachter des Medizinischen Abklärungszentrums Z.________
darauf hin, die Versicherte habe eine teilzeitliche Arbeit aufnehmen können;
die damit verbundene Bestätigung und Ablenkung könnten sich (zusätzlich)
positiv auf das Befinden ausgewirkt haben. Für eine Wende des
Gesundheitszustandes zum Besseren spricht auch, dass die Administrativgutachter
bereits im Jahr 2007 davon gesprochen haben, die Arbeitsfähigkeit könne durch
eine rekonditionierende Behandlung allenfalls binnen sechs bis zwölf Monaten
auf 100 Prozent gesteigert werden. Die nach gutachterlichem Bekunden
ursprünglich nur medizinisch-theoretisch vorhandene Arbeitsfähigkeit (von
damals 50 %; ergänzender Bericht des Medizinischen Abklärungszentrums
X.________ vom 6. Januar 2008) konnte später offenkundig effektiv verwertet
werden; darin liegt eine massgebliche Änderung rechtserheblicher Tatsachen.

4.2. Die Sache wird an die IV-Stelle überwiesen, damit sie den
Leistungsanspruch der Beschwerdegegnerin unter dem Titel der materiellen
Revision im Sinne von Art. 17 ATSG überprüfe, den Zeitpunkt der allfälligen
Anspruchsaufhebung resp. -herabsetzung auch mit Blick auf eine mögliche
Meldepflichtverletzung seitens der Beschwerdegegnerin festlege (vgl. Art. 77,
Art. 88a Abs. 1 und 88bis Abs. 2 lit. b IVV; Urteil 9C_1022/2012 vom 16. Mai
2013 E. 3.3; BGE 119 V 431) und entsprechend neu verfüge. In diesem
Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Versicherte bereits im Juni 2009
ausweislich und auch gemäss ihren eigenen Angaben als Tagesmutter und als
Reinigungsfrau tätig war.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend trägt die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Sache wird an die IV-Stelle des Kantons St. Gallen zum weiteren Vorgehen im
Sinne der Erwägungen überwiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Die Beschwerdeführerin hat den Anwalt der Beschwerdegegnerin für das
bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der GastroSocial Pensionskasse, dem
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für
Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 25. Juli 2013
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Kernen

Der Gerichtsschreiber: Traub

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