Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 540/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_540/2012

Urteil vom 17. Dezember 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichter Kernen, Bundesrichterin Glanzmann,
Gerichtsschreiberin Dormann.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Pfändler,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich,
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 11. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
Am 23. September 2009 erlitt der 1962 geborene A.________ einen Auffahr-Unfall.
Unter Verweis auf seither bestehende Beschwerden meldete er sich im Januar 2010
bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen und
Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte die IV-Stelle des Kantons
Zürich mit Verfügung vom 12. Januar 2011 einen Rentenanspruch mit der
Begründung, er sei ab 10. März 2010 für alle Tätigkeiten, ausgenommen
repetitive körperlich schwere Arbeiten, uneingeschränkt arbeitsfähig.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich mit Entscheid vom 11. Mai 2012 ab.

C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Antrag, unter Aufhebung des Entscheids vom 11. Mai 2012 und der
Verfügung vom 12. Januar 2011 sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen
zur Einholung eines interdisziplinären Gutachtens und zur Festlegung der
gesetzlichen Leistungen.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die
Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

2.
2.1 Bei der Beurteilung der Arbeits(un)fähigkeit stützt sich die Verwaltung und
im Beschwerdefall das Gericht auf Unterlagen, die von ärztlichen und
gegebenenfalls auch anderen Fachleuten zur Verfügung zu stellen sind. Aufgabe
des Arztes oder der Ärztin ist es, den Gesundheitszustand zu beurteilen und
dazu Stellung zu nehmen, in welchem Umfang und bezüglich welcher Tätigkeiten
die versicherte Person arbeitsunfähig ist. Hinsichtlich des Beweiswertes eines
Arztberichtes ist entscheidend, ob dieser für die streitigen Belange umfassend
ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden
berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in
der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge sowie der medizinischen
Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen der Experten begründet sind
(BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352 mit Hinweis).

2.2 Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat (E. 1). Die konkrete
Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung
des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil I 865/06 vom
12. Oktober 2007 E. 4 mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der den
Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und Art.
106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen kann
(Art. 106 Abs. 1 BGG).

2.3 Eine Sachverhaltsfeststellung ist nicht schon dann offensichtlich
unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst, wenn sie eindeutig und
augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44). Eine offensichtlich
unrichtige Sachverhaltsfeststellung weist damit die Tragweite von Willkür auf
(Botschaft des Bundesrates vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der
Bundesrechtspflege, BBl 2001 S. 4338; MARKUS SCHOTT, Basler Kommentar,
Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 9 f. zu Art. 97 BGG). Es liegt noch
keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, nur weil eine andere Lösung ebenfalls
in Betracht fällt, selbst wenn diese als die plausiblere erschiene (Urteil
9C_570/2007 vom 5. März 2008 E. 4.2). Eine Sachverhaltsfeststellung ist etwa
dann offensichtlich unrichtig, wenn das kantonale Gericht den Sinn und die
Tragweite eines Beweismittels offensichtlich falsch eingeschätzt, ohne
sachlichen Grund ein wichtiges und für den Ausgang des Verfahrens
entscheidendes Beweismittel nicht beachtet oder aus den abgenommenen Beweisen
unhaltbare Schlüsse gezogen hat (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9; Urteile 8C_5/2010 vom
24. März 2010 E. 1.2; 9C_368/2008 vom 11. September 2008 E. 4.2).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat dem Austrittsbericht der Rehaklinik X.________ vom 16.
Februar 2010 Beweiskraft beigemessen und darauf gestützt festgestellt, aus
somatischer Sicht sei dem Beschwerdeführer die Ausübung von körperlich leichten
bis mittelschweren Tätigkeiten ab 15. März 2010, zumindest bis zum Erlass der
Verfügung vom 12. Januar 2011, im Umfang eines Vollzeitpensums zumutbar. Was
die psychischen Aspekte anbelangt, hat das kantonale Gericht eine
Schmerzproblematik festgestellt und dabei offengelassen, wie das Beschwerdebild
diagnostisch einzustufen ist. Es ist der Auffassung, dass bei der
erforderlichen Anwendung der Morbiditätskriterien gemäss Rechtsprechung (BGE
130 V 352 E. 2.2.3 S. 354 f.; 137 V 64 E. 4.1 und 4.2 S. 67 f.) im angestammten
Beruf oder in vergleichbaren Verweisungstätigkeiten ohnehin keine
invalidisierende Arbeitsunfähigkeit resultiere. Dabei hat es "neu
hinzugekommene Herzprobleme" nicht berücksichtigt, da diese nicht den
gerichtlich massgebenden Prüfungszeitraum beträfen. Folglich hat es einen
Rentenanspruch verneint.
3.2
3.2.1 Bei der Rehaklinik X.________ handelt es sich um eine Institution der
SUVA (BGE 136 V 117 E. 3.3.2.1 S. 121 f.) und nicht um eine Verwaltungseinheit
der Invalidenversicherung. Der IV-Stelle ist es nicht verwehrt, im Rahmen der
Sachverhaltsabklärung von Amtes wegen (Art. 43 ATSG) Unterlagen bei Dritten
einzuholen (vgl. Art. 28 Abs. 3 ATSG). Sie sind in die Beurteilung des
Leistungsanspruchs einzubeziehen, auch wenn bei deren Erstellung die
Parteirechte gemäss Art. 44 ATSG allenfalls - etwa mangels Anwendbarkeit dieser
Norm - nicht gewahrt wurden; dieser Umstand ist indessen bei der
Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Im konkreten Fall wurde resp. wird nicht
dargelegt und ist auch nicht ersichtlich, inwiefern die Ärzte der Rehaklinik
etwa befangen gewesen sein sollten (vgl. auch SVR 2012 IV Nr. 32 S. 127, 9C_776
/2010 E. 3.3; Urteil 8C_426/2011 vom 29. September 2011 E. 7.3). Der Bericht
der Rehaklinik beruht auf einem mehr als drei Wochen dauernden
Rehabilitationsaufenthalt des Versicherten. Er ist in Bezug auf den
Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeitsschätzung umfassend und
überzeugend; inwiefern der Fokus der Ärzte lediglich auf eine Unfallkausalität
gerichtet gewesen sein soll, ist nicht erkennbar, wurde doch die
Arbeitsfähigkeit für Verweistätigkeiten explizit auch mit Blick auf
krankheitsbedingte Einschränkungen festgelegt. Weiter genügt die divergierende
Einschätzung anderer Mediziner oder das Scheitern der Wiedereingliederung in
die bisherige Tätigkeit für sich allein nicht, die Beweiskraft eines
grundsätzlich überzeugenden medizinischen Berichts zu erschüttern. Laut Ärzten
der Rehaklinik ist dem Versicherten eine "bis mittelschwere Arbeit,
wechselbelastend (sitzend-gehend-stehend), ohne häufige und länger dauernde
vorgeneigte Rumpfhaltung" zumutbar; inwiefern die degenerativen Veränderungen
resp. Rückenbeschwerden eine weitergehende Einschränkung nach sich ziehen
sollten, ist nicht nachvollziehbar und geht auch aus den übrigen medizinischen
Unterlagen nicht hervor. Anhaltspunkte für Herzprobleme - oder für eine andere
Verschlechterung in körperlicher Hinsicht - waren bis zum Erlass der
angefochtenen Verfügung (vgl. BGE 131 V 407 E. 2.1.2.1 S. 412; 116 V 246 E. 1a
S. 248) nicht aktenkundig. Der Bericht der Rehaklinik X.________ genügt somit,
zumindest was die somatischen Aspekte betrifft, den rechtlichen Anforderungen
an die Beweiskraft (E. 2.1).
3.2.2 Dass an der Erstellung des Berichts der Rehaklinik X.________ kein
Facharzt für Psychiatrie beteiligt war, schadet nicht: Diesbezüglich hat die
Vorinstanz ergänzend auf die Berichte des behandelnden Psychiaters vom 26. und
27. Mai 2010 sowie vom 9. Mai 2011 abgestellt. Wie der Beschwerdeführer selber
vorbringt, erhellen diese den medizinischen Sachverhalt, auch wenn die darin
enthaltene Arbeitsfähigkeitsschätzung nicht zu übernehmen ist (E. 3.3; vgl.
Urteil 9C_398/2012 vom 27. September 2012 E. 3.2 mit Hinweisen).
3.2.3 Dass die vorinstanzliche Beweiswürdigung offensichtlich unrichtig sein
soll (E. 2.3), wird nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich. Nach
dem Gesagten ist der Verzicht auf weitere medizinische Abklärungen in
zulässiger antizipierender Beweiswürdigung (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 mit
Hinweisen) erfolgt.
3.3
3.3.1 Was das im Vordergrund stehende Schmerzleiden betrifft, so hat die
Vorinstanz zu Recht auf die Rechtsprechung zu somatoformen Schmerzstörungen und
damit vergleichbare syndromale Zustände verwiesen (E. 3.1). Das wird denn auch
nicht in Abrede gestellt. Diesbezüglich hat die Vorinstanz festgestellt, die
Erheblichkeit einer allfälligen psychischen Komorbidität wäre zu verneinen.
Zudem werde das Beschwerdebild in weiten Teilen von psychosozialen
Belastungsfaktoren (Spielsucht, Schulden, angespannte eheliche Beziehung,
Hirnschlag der Mutter, Tod des Vaters, Kündigung des Arbeitsverhältnisses und
verschiedene gescheiterte Arbeitsversuche) mitbestimmt resp. verstärkt. Die
Beschwerden im Sinne einer chronischen körperlichen Begleiterkrankung wirkten
sich in einer angepassten Tätigkeit nicht auf die Arbeitsfähigkeit aus. Es
bestehe kein sozialer Rückzug in allen Belangen; der Versicherte stehe in
täglichem Kontakt mit Ehefrau und Sohn, daneben gehe er auch regelmässig
spazieren und zusammen mit der Familie einkaufen. Die Behandlungsbemühungen
seien aufgrund der ausgeprägten Krankheitsüberzeugung gescheitert.
3.3.2 Diese nicht offensichtlich unrichtigen Feststellungen sind für das
Bundesgericht verbindlich. Im Sinne von BGE 130 V 352 E. 2.2.3 S. 354 f. und
137 V 64 E. 4.1 S. 67 f. kann nicht jenes Leiden als chronische körperliche
Begleiterkrankung gelten, welches die anhaltende Schmerzstörung aufrechterhält
(Urteil 9C_709/2009 vom 14. Dezember 2009 E. 4.1), weshalb der Hinweis auf die
Rückenbeschwerden unbehelflich ist; die Herzprobleme betreffen nicht den
massgeblichen Zeitraum (E. 3.2.1). Dass die sozialen Aktivitäten im Sinne eines
Rückzugs in allen Belangen des Lebens auf ein absolutes Minimum reduziert sein
sollen, steht im Widerspruch zur entsprechenden Sachverhaltsfeststellung. Auch
wenn ein verfestigter innerseelischer Verlauf anzunehmen wäre, ist dieser
gemäss Angabe des behandelnden Psychiaters weiterhin therapeutisch anzugehen.
Bisher unbefriedigende Behandlungsergebnisse allein genügen bei der
erforderlichen Gesamtbetrachtung indessen nicht, dem Schmerzleiden
ausnahmsweise invalidisierende Wirkung beizumessen.

3.4 Die vorinstanzlichen Feststellungen betreffend die Arbeitsfähigkeit beruhen
demnach nicht auf einer Rechtsverletzung. Sie sind auch nicht offensichtlich
unrichtig (E. 2.3), weshalb sie für das Bundesgericht verbindlich bleiben (E.
1). Die Beschwerde ist unbegründet.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Dezember 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Die Gerichtsschreiberin: Dormann