Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 9C 515/2012
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
9C_515/2012

Urteil vom 6. Dezember 2012
II. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter U. Meyer, Präsident,
Bundesrichterinnen Pfiffner Rauber, Glanzmann,
Gerichtsschreiber Fessler.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Stephanie Schwarz,
Beschwerdeführer,

gegen

Gemeinde X.________,
Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV,
vertreten durch Rechtsanwältin Renate Vitelli-Jucker,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Ergänzungsleistung zur AHV/IV
(Berechnung des Leistungsanspruchs; Vermögensverzicht),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich
vom 29. Mai 2012.

Sachverhalt:

A.
S.________ beantragte im Mai 2010 Ergänzungsleistungen zur Altersrente der AHV.
Die Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Gemeinde X.________
berücksichtigte bei der Berechnung des Anspruchs ein Verzichtsvermögen von Fr.
200'000.- per 1. Januar 2007, was zu einem Einnahmenüberschuss führte. Sie
verneinte daher mit Verfügung vom 20. Juli 2010 den Anspruch auf
Zusatzleistungen, woran sie mit Einspracheentscheid vom 13. September 2010
festhielt.

B.
Die Beschwerde des S.________ hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 29. Mai 2012 insoweit
gut, als es das Verzichtsvermögen auf Fr. 150'000.- reduzierte (und beim
ebenfalls angerechneten Auto den Wert auf Fr. 2'638.- herabsetzte).

C.
S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem
Rechtsbegehren, der Entscheid vom 29. Mai 2012 sei zu ändern, soweit er die
vorinstanzliche Beschwerde abweist, der Einspracheentscheid vom 13. September
2010 und die Verfügung vom 20. Juli 2010 seien aufzuheben, der Anspruch auf
Ergänzungsleistungen sei unter Verneinung eines Vermögensverzichts mit Wirkung
ab Mai 2010 zu bejahen und die Sache zu Berechnung und anschliessender neuer
Verfügung an die Durchführungsstelle zurückzuweisen.
Die Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Gemeinde X.________
beantragt die Abweisung der Beschwerde. Das kantonale
Sozialversicherungsgericht und das Bundesamt für Sozialversicherungen haben auf
eine Vernehmlassung verzichtet.
Mit einer weiteren Eingabe hat sich S.________ zu den Vorbringen der
Gegenpartei geäussert.

Erwägungen:

1.
Der vorinstanzliche Entscheid, soweit angefochten, bejaht einen
Vermögensverzicht in der Höhe von Fr. 200'000.- für 2004 bzw. von Fr. 150'000.-
am 1. Januar 2010 (Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG und Art. 17a Abs. 1 und 2 ELV
[jährliche Amortisation um 10'000 Franken]) und weist die Sache zu
entsprechender neuer Berechnung des Anspruchs und zu neuer Verfügung an die
Durchführungsstelle zurück. Die Rückweisung dient somit lediglich der
(rechnerischen) Umsetzung des vorinstanzlich Angeordneten. Es liegt somit,
materiell, ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG vor (Urteile 2C_460/2012
vom 2. November 2012 E. 2.1 und 9C_723/2011 vom 2. Juli 2012 E. 1.1).

2.
Die jährliche Ergänzungsleistung entspricht dem Betrag, um den die anerkannten
Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Art. 9 Abs. 1 ELG). Als
Einnahmen angerechnet werden u.a. zwei Drittel der Erwerbseinkünfte in Geld
oder Naturalien, soweit sie bei Ehepaaren und Personen mit Kindern, die einen
Anspruch auf eine Kinderrente der AHV begründen, 1'500 Franken übersteigen,
sowie Einkünfte und Vermögenswerte, auf die verzichtet worden ist (Art. 11 Abs.
1 lit. a und lit. g ELG). Der anzurechnende Betrag von Vermögenswerten, auf die
verzichtet worden ist, wird jährlich um 10'000 Franken vermindert. Der Wert des
Vermögens im Zeitpunkt des Verzichts ist unverändert auf den 1. Januar des
Jahres, das auf den Verzicht folgt, zu übertragen und dann jeweils nach einem
Jahr zu vermindern (Art. 17a Abs. 1 und 2 ELV).
Nach der Rechtsprechung ist der Tatbestand des Art. 11 Abs. 1 lit. g ELG
erfüllt, wenn der Anspruchsberechtigte ohne rechtliche Verpflichtung und ohne
adäquate Gegenleistung auf Einkünfte oder Vermögen verzichtet hat (BGE 134 I 65
E. 3.2 S. 70; 131 V 329 E. 4.2 S. 332 mit Hinweisen; Urteil 9C_904/2011 vom 5.
März 2012 E. 4.1).

3.
3.1 Die Vorinstanz hat ein Verzichtsvermögen von Fr. 306'142.- über den
Zeitraum vom 1. Januar 2004 bis 31. Dezember 2009 ermittelt. Davon hat sie, wie
zuvor die Durchführungsstelle, Fr. 200'000.- angerechnet unter der Annahme
jährlicher Lebenshaltungskosten von Fr. 50'000.-. Die Fr. 306'142.- setzten
sich zusammen aus der Summe der unerklärten Differenzen zwischen dem Soll- und
dem (steuerrelevanten) Ist-Vermögensstand am Ende des jeweiligen Jahres (2004:
Fr. 65'231.-, 2005: Fr. 53'440.-, 2006: Fr. 42'010.-, 2007: Fr. 52'313.-, 2008:
Fr. 86'191.-, 2009: Fr. 6'957.-). Das Soll-Vermögen entsprach dem Vermögen
Anfang Jahr, zuzüglich Vermögenszufluss (realisierte Kursgewinne auf
Wertpapieren, Vorsorgekapitalbezug 2005 und 2006, Altersrente der AHV seit
2006), abzüglich realisierte Kursverluste auf Wertpapieren und (belegte)
Lebenshaltungskosten.
Nach Auffassung des kantonalen Sozialversicherungsgerichts vermochte der
Beschwerdeführer die Vermögensabnahme nicht durch höhere Lebenshaltungskosten
(als Fr. 50'000.-) zu erklären. Neben den Zahlungen von seinem Konto habe er
lediglich nicht mehr nachzuweisende Barauslagen getätigt. Allein die Kosten für
Lebensmittel und Verkehr vermöchten die Vermögensabnahme nicht zu erklären.
Ebenso wenig seien eine Hebung des Lebensstandards und dadurch bedingte
besondere Ausgaben, Anschaffungen oder sonstige Leistungen ausgewiesen. Unter
diesen Umständen sei nicht zu beanstanden, dass die Durchführungsstelle einen
durchschnittlichen Bedarf von jährlich rund Fr. 50'000.- als mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt angenommen habe und (demzufolge) von einem
anrechenbaren Vermögensverzicht ausgegangen sei.

3.2 Der Beschwerdeführer rügt, die vorinstanzliche Annahme eines
durchschnittlichen Bedarfs von jährlich etwa Fr. 50'000.- beruhe auf einem
offensichtlich unrichtig bzw. unvollständig festgestellten Sachverhalt. Aus den
in den Akten befindlichen Kontoauszügen ergäben sich nach dem hier massgebenden
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit weit höhere Ausgaben, was eine
erhebliche Reduktion des angerechneten Vermögensverzichts oder sogar einen
Verzichtstatbestand ausschlösse (vgl. E. 4.1). Weiter rügt der
Beschwerdeführer, das kantonale Sozialversicherungsgericht habe zu Unrecht
lediglich die realisierten Börsengewinne und -verluste berücksichtigt, dagegen
nicht die im vorinstanzlichen Verfahren mit Tabellen und dem
Wertschriftenverzeichnis rechtsgenüglich belegten Buchverluste in der Höhe von
Fr. 169'755.-. Dies führe faktisch zur Bejahung eines Vermögensverzichts im
Zusammenhang mit nicht voraussehbaren Verlusten bei Börsengeschäften. Eine
korrekt berechnete Vermögensverminderung in den Jahren 2004 bis 2009 ergäbe
monatlich rund Fr. 1'858.-, was im normalen Rahmen der notwendigen Ausgaben für
den allgemeinen Lebensbedarf liege (vgl. E. 4.2).

4.
4.1 Die Vorinstanz ist von belegten Lebenshaltungskosten von Fr. 46'097.-
(2004), Fr. 31'689.- (2005), Fr. 41'061.30 (2006), Fr. 43'699.- (2007), Fr.
37'591.- (2008) und Fr. 36'951.- (2009) ausgegangen. Dabei handelt es sich um
die Belastungen des Privatkontos Nr. ... bei der Bank Y.________ für
Sammelaufträge, insbesondere Miete, Versicherungsprämien, Abonnementsgebühren
usw.. Die Beschwerdegegnerin weist insoweit richtig darauf hin, dass die
monatlichen Belastungsanzeigen auch Zahlungen für Kreditkartenschulden
ausweisen. Gemäss den Postenauszügen tätigte der Beschwerdeführer indessen auch
Maestrocard-Bezüge, in der Regel in der Höhe von Fr. 300.- oder Fr. 400.-. 2006
etwa beliefen sich diese Bezüge auf insgesamt Fr. 16'700.-. Es besteht kein
Anlass anzunehmen, der Beschwerdeführer habe dieses Geld ohne rechtliche
Verpflichtung und ohne adäquate Gegenleistung verwendet. Sie sind daher bei den
(belegten) Lebenshaltungskosten mitzuberücksichtigen. Insgesamt rechtfertigt es
sich, unter diesem Titel von einem durchschnittlichen jährlichen Bedarf von
mindestens Fr. 60'000.- auszugehen.

4.2 Die Vorinstanz hat neben dem 2005 und 2006 ausbezahlten Vorsorgekapital und
der seit 2006 ausgerichteten Altersrente der AHV lediglich die realisierten
Börsengewinne und -verluste gemäss der vom Beschwerdeführer eingereichten
Tabelle vom 3. Oktober 2010 als Vermögenszufluss und -abflussgrössen
berücksichtigt (vorne E. 3.1). In der Replik hatte der Beschwerdeführer geltend
gemacht, sein Vermögen habe sich auch durch die Buchverluste vermindert. Diese
beliefen sich gemäss der Aufstellung "Vermögensentwicklung 2004-2009" und der
Tabelle "Wertschriftendepot" auf Fr. 44'877.- (2004), Fr. 17'612.- (2005), Fr.
12'200.- (2006), Fr. 38'962.- (2007) und Fr. 68'930.- (2008). Im Jahr 2009
resultierte ein Buchgewinn von Fr. 12'826.-. Damit war der sinngemässe Antrag,
es seien auch die Buchgewinne und -verluste in die Berechnung des jeweils Ende
Jahr noch vorhandenen Vermögens einzubeziehen, entgegen der Auffassung der
Beschwerdegegnerin genügend substanziiert. Die Vorinstanz hat nicht begründet,
weshalb die Buchgewinne und -verluste zwischen Kauf und Verkauf
unberücksichtigt zu bleiben haben.
Der Beschwerdeführer legt anhand von zwei einfachen Beispielen dar, dass bei
Ausserachtlassen von Buchverlusten der realisierte Börsenverlust bei Verkauf
geringer ausfallen kann als er effektiv ist. Die Beschwerdegegnerin bestreitet
- zu Recht - nicht, dass auch die Buchgewinne und -verluste bei der Analyse des
Vermögensverlaufs zu berücksichtigen sind. Dies zeigt folgendes Beispiel: Das
(steuerbare) Vermögen am 1. Januar setzt sich zusammen aus dem Wertpapier A
(Kurswert a) und Übriges. Im Verlauf des Jahres wird das Wertpapier A verkauft
zum Preis VPA und das Wertpapier B gekauft zum Preis KPB. Ende Jahr besteht das
Vermögen aus dem Wertpapier B (Kurswert b), dem Verkaufspreis VPA abzüglich dem
Kaufpreis KPB und Übriges bzw. aus der Summe von Vermögen Anfang Jahr (a +
Übriges), Buchgewinn oder -verlust (b - KPB) und realisierter Börsengewinn oder
-verlust (VPA - a). Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin sind die
geltend gemachten Buchverluste und -gewinne glaubhaft. Daran ändert nichts,
dass diesbezüglich Widersprüche in den Unterlagen des Beschwerdeführers
bestehen sollen, wie sie vorbringt. Jedenfalls geht es nicht an, in Bezug auf
die realisierten Verluste auf dessen Angaben abzustellen, die geltend gemachten
Buchverluste und -gewinne dagegen als nicht glaubhaft abzutun. Es wird Aufgabe
der Vorinstanz sein, diesbezüglich Klarheit zu schaffen (vgl. Art. 61 lit. c
ATSG und BGE 121 V 204 E. 6c S. 201). Danach wird sie unter Berücksichtigung
des in E. 4.1 Gesagten über das Vorliegen eines Verzichtstatbestandes nach Art.
11 Abs. 1 lit. g ELG neu entscheiden. In diesem Sinne ist die Beschwerde
begründet.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdegegnerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und dem Beschwerdeführer eine
Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. Mai 2012 wird
aufgehoben. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie nach
Abklärungen im Sinne der Erwägungen neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 6. Dezember 2012
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Meyer

Der Gerichtsschreiber: Fessler